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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 14 K 3387/05
Rechtsgebiete: UStG, EStG, SGB V, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 4
UStG § 4
EStG § 18 Abs. 1
SGB V § 124 Abs. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 2001 vom 8. April 2002 und 29. Dezember 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 5. August 2005 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Gründe:

I. Streitig ist, ob die von der Klägerin in den Jahren 1996 bis 2001 erzielten Umsätze steuerfrei sind.

Die Klägerin tätigte in den Streitjahren Umsätze als Musiktherapeutin und aus Kursveranstaltungen zum Thema Neurolinguistisches Programmieren (NLP). Sie betreut in etwa zu gleichen Teilen Erwachsene und Kinder. Behandelt werden im Rahmen der Therapien psychische und psychosomatische Probleme, insbesondere die Folgen von Hirnschäden, z.B. nach Schlaganfällen und Verkehrsunfällen.

Aufgrund einer Betriebsprüfung kam das Finanzamt (FA) zu dem Ergebnis, dass die Umsätze der Klägerin nicht - wie von dieser angenommen- steuerfrei seien, sondern dem Regelsteuersatz unterlägen. Das FA änderte daher mit den Bescheiden vom 8. April 2002 die Steuerfestsetzungen für 1996 bis 1998, indem es die Umsatzsteuer für 1996 auf 3.209,38 EUR für 1997 auf 2.879,60 EUR und für 1998 auf 3.178,19 EUR festsetzte.

Mit Bescheiden jeweils vom 29. Dezember 2003 setzte das FA die Umsatzsteuer für 1999 auf 3.391,91 EUR fest und änderte die Umsatzsteuerfestsetzung für die Jahre 2000 und 2001.

Die gegen die Bescheide vom 8. April 2002 und 29. Dezember 2003 eingelegten Einsprüche hatten nur zum Teil Erfolg. Mit der Einspruchsentscheidung vom 5. August 2005 setzte das FA die Umsatzsteuer für 2000 auf 3.967,62 EUR und für 2001 auf 3.330,56 EUR herab und erkannte für die von der Klägerin durchgeführten Aus- und Fortbildungskurse zum NLP Practitioner und NLP-Master die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes in der hier maßgebenden Fassung (UStG) an. Im Übrigen wies es die Einsprüche als unbegründet zurück.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen Folgendes geltend:

Der Umstand, dass die Versicherungsträger die Kosten für die Behandlung der Patienten bei der Klägerin nur aus Kulanz übernähmen, dürfe nicht zum Nachteil der Klägerin gewertet werden, die mit der Diplomurkunde vom 16. März 1988 den Zusatzstudiengang Musiktherapie abgeschlossen und den Titel Diplom-Musiktherapeut erworben habe. Es existiere eine breite Rechtsprechung der Gerichte, die belegen würde, dass das Abstellen auf die Kostenübernahme durch die Versicherungsträger nicht das ausschlaggebende Kriterium bei der Umsatzsteuerbefreiung darstelle.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 1998 vom 8. April 2002 und die Umsatzsteuerbescheide für 1999 bis 2001 vom 29. Dezember 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. August 2005 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entgegen der klägerischen Auffassung sei die Kostenübernahme durch die Versicherungsträger ein Indiz dafür, dass die kassenärztliche Zulassung nicht gegeben sei. Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 SGB V hätte nämlich zur Folge, dass die Kosten durch die Kassen übernommen werden müssten. Fehle es an einer entsprechenden Zulassung müssten die Finanzämter feststellen, ob die Ausbildung, die Erlaubnis und die Tätigkeit des Steuerpflichtigen mit den Erfordernissen des § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 3 SBG V vergleichbar sei. Vorliegend sei weder die Ausbildung noch die praktische Tätigkeit eines Musiktherapeuten mit dem Katalogberuf eines Heilpraktikers oder eines Krankengymnasten vergleichbar.

Die in den Jahren 1999 bis 2001 bisher nicht berücksichtigten Vorsteuern seien in Höhe von 878,55 EUR für 1999, in Höhe von 491,49 EUR für 2000 und in Höhe von 541,31 EUR für 2001 anzuerkennen.

Im Rahmen des Klageverfahrens legte die Klägerin zwei Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 UStG der Regierung von O vom 15. Februar und 20. Oktober 2008 vor, wonach die Ausbildungs- und Fortbildungskurse betreffend NLP und die Musiktherapieleistungen der Klägerin ab dem Jahr 1996 als Schul- und Bildungsmaßnahmen auf einen Beruf oder auf vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2008 auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Klage ist begründet.

Das FA ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Umsätze der Klägerin nicht steuerbefreit sind.

1. Die Musiktherapien der Klägerin sind - wie das FA zutreffend ausgeführt hat-- nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.

Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 der in den Streitjahren geltenden Fassungen des UStG sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" steuerfrei.

Diese Vorschrift setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er dafür die erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 6. November 2003 Rs. C-45/01, Christoph- Dornier-Stiftung, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2003, 585 Rz 5; vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04, Solleveld u.a., BFH/NV Beilage 2006, 299, UR 2006, 587 Rz 24, 37; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904; vom 18. August 2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143).

Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -Richtlinie 77/388/EWG- bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - MwStSystRL - umfassen Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden (BFHUrteile vom 30. Juni 2005 V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675; vom 13. Juli 2006 V R 7/05, BFH/NV 2006, 2387, Deutsches Steuerrecht 2006, 1982, m.w.N.).

Nach dem EuGH (vgl. Urteil vom 27. April 2006 - Rs. C-443/04 Solleveld, UR 2006, 587) haben die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG bei der Definition der arztähnlichen Berufe ein Ermessen, das sich nicht nur auf die für die Ausübung dieser Berufe erforderliche Qualifikation, sondern auch auf die Festlegung der spezifischen Heiltätigkeiten bezieht, die zu diesen Berufen gehören. Die Mitgliedstaaten können einzelne Berufe von den arztähnlichen Berufen ausnehmen, selbst wenn sie hinsichtlich bestimmter Aspekte im nationalen Recht besonders geregelt sind.

Der Nachweis der erforderlichen Qualifikation hängt nach der Rechtsprechung des BFH nicht ausschließlich von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Indizien für das Vorliegen einer beruflichen Qualifikation sind die Zulassung des jeweiligen Unternehmers 6 oder die regelmäßige Zulassung seiner Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Sozialversicherung oder die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V (BFH-Urteil in BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904, m.w.N.). Weiteres Indiz ist, dass der Behandelnde die Qualifikation hat, die in einem Versorgungsvertrag gemäß § 11 Abs. 2, §§ 40, 111 SGB V für Leistungen von Fachkräften zur medizinischen Rehabilitation benannt ist (BFH-Urteil vom 25. November 2004 V R 44/02, BFHE 208, 80, BStBl II 2005, 190, unter II.2.c).

Nach diesen Grundsätzen sind die streitigen Umsätze der Klägerin nicht gemäß § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit, denn für die Musiktherapien bestand weder eine berufsrechtliche Regelung noch konnte die Klägerin (mit einer Ausnahme) ausreichende Nachweise dafür vorlegen, dass diese Therapien durch das Jugendamt veranlasst worden sind.

2. Für die Musiktherapie und das NLP besteht allerdings eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 UStG.

Nach der in den Streitjahren geltenden Vorschrift des § 4 Nr. 21 Buchst. a (Fassung ab 1.4. 1999, UStG 1999) bzw. Buchst. b im UStG 1993 sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. § 4 Nr. 21 setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG um (vgl. BFH-Urteil vom 23. August 2007 V R 4/05, BFHE 217, 327, BFH/NV 2007, 2215). Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen aus § 4 Nr. 21 Buchst. a (UStG 1999) bzw. b UStG 1993 folgt und inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift möglich ist. Denn die Klägerin kann sich grundsätzlich für die Umsatzsteuerfreiheit der streitigen Leistungen auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen (zur Berufbarkeit ausführlich BFHUrteil vom 18. August 2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143).

Die Klägerin erfüllt die persönlichen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG, weil es sich bei ihr um eine "andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung" handelt. Die Bescheinigungen der zuständigen Landesbehörde vom 15. Februar und 20. Oktober 2008 sind allerdings nicht nur für die Frage der Anerkennung einer Einrichtung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG von Bedeutung, sondern haben nach der neuesten Rechtspre7 chung des BFH (Urteil vom 24. Januar 2008 V R 3/05, DStR 2008, 919) auch insofern Indizwirkung, als --sofern wie vorliegend keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen-- davon auszugehen ist, dass Leistungen, die tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben.

Im Streitfall besitzt die Klägerin eine Bescheinigung, wonach sie (als Einrichtung) auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Das genügt für die Anerkennung durch den Mitgliedstaat Deutschland als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung.

Bei den von der Klägerin ausgeführten Leistungen kommt die Steuerbefreiung für "Schuloder Hochschulunterricht" i.S. von Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht. Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" beschränkt sich dabei nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 Rs. C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, UR 2007, 592 Rz 26).

Anhaltspunkte, die zur Annahme reiner Freizeitgestaltungen führen, sind bei der Klägerin nicht gegeben. Die NLP Kurse und die Musiktherapie dienen vielmehr der Therapie von psychischen und psychosomatischen Problemen, insbesondere im Zusammenhang mit Hirnschäden, die nach Schlaganfällen und Verkehrsunfällen eingetreten sind.

Die Klägerin kann mithin für die in den Streitjahren erbrachten Umsätze eine Steuerfreiheit ihrer Leistungen nach § 4 Nr. 21 UStG bzw. Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG beanspruchen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass sie für die Behandlung des A. Wolf wegen der Kostenübernahme durch das Jugendamt auch eine Umsatzsteuerbefreiung aufgrund unmittelbarer Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g oder Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG beanspruchen könnte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 137 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, weil die maßgebenden Bescheinigungen für die Steuerfreiheit der NLP-Kurse und der Musiktherapie erst im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegt worden sind.

Ende der Entscheidung

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