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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 14 K 3613/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 36
ZPO § 811 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 3613/06

Umsatzsteuer 2002, 2003 als Insolvenzverwalter über das Vermögen des ...

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

[....]

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 jeweils vom 10. November 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 28. August 2006 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt.

Der Kläger ist als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von G (nachfolgend Schuldner) tätig.

Der Schuldner betrieb ein Fliesenfachgeschäft. Am 31. August 2001 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet.

Nach Zustimmung der Gläubiger genehmigte das Amtsgericht mit Beschluss vom 26. März 2002 einen Insolvenzplan (vgl. Bl. 8 f Gerichtsakten). Mit Wirkung zum 1. April 2002 wurde dem Schuldner nach Freigabe des Betriebes dessen selbständige Fortführung gegen eine monatliche Zahlung von 1.022,58 EUR ermöglicht (vgl. Bl. 11 ff Gerichtsakten). Gemäß Teil II A des Insolvenzplans sollte der so genannte Neuerwerb beim Schuldner verbleiben, er verpflichtete sich, die Masse von möglichen Verbindlichkeiten freizustellen. Unter Teil II B Nr. 5 wurde vereinbart, dass die alten nicht getilgten Forderungen wieder aufleben und der Plan als von Beginn an als unwirksam gelten sollte, wenn der Schuldner seinen Pflichten aus dem Plan nicht nachkommt. Eine Überwachung des Plans durch den Insolvenzverwalter nach Abschluss des Insolvenzverfahrens sollte nicht stattfinden (vgl. Teil II B Nr. 7).

Nachdem der Schuldner dem Kläger am 18. September 2003 mitgeteilt hatte, dass er die monatlichen Zahlungen nicht leisten könne, wurde am 28. Oktober 2003 das Scheitern des Insolvenzplans festgestellt. Unter der Bedingung, dass der Schuldner monatlich die nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) pfändbaren Beträge aus seinen steuerlichen Einkünften der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt, wurde der Betrieb am 30. Oktober 2003 erneut durch den Kläger freigegeben.

Auf Grundlage der für das Jahr 2002 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen setzte das Finanzamt (FA) die Umsatzsteuer für dieses Jahr im Schätzungswege mit an den Kläger gerichteten Bescheid vom 10. November 2004 auf 15.400 EUR fest. Nach Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung wurde die Umsatzsteuer 2003 ebenfalls mit Bescheid vom 10. November 2004 an den Kläger auf 10.952,55 EUR festgesetzt. Das FA vertrat die Ansicht, dass die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit vom Insolvenzverwalter zu tilgen sei.

Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 28. August 2006 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Umsatzsteuerschuld für die Streitjahre nicht zu den Masseverbindlichkeiten gehörten, vielmehr resultiere sie aus einer insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners. Die Umsatzsteuern seien zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstanden. Maßgeblich zu berücksichtigen sei jedoch, dass dieser Betrieb auf Grund des Insolvenzplans freigegeben worden sei und der Schuldner eine neue Tätigkeit aufgenommen habe. Aus dem Insolvenzplan ergebe sich u.a. die Verpflichtung, dass der Schuldner die Masse von möglichen Verbindlichkeiten frei stelle. Insgesamt habe der Schuldner im Rahmen dieser neuen Tätigkeit seine Verfügungsbefugnis wiedererlangt. Ein so genannter Neuerwerb i.S.d. § 35 der Insolvenzordnung (InsO) liege nicht vor. Auch nach dem Scheitern des Insolvenzplans könne die tatsächliche Führung des neuen Betriebs nach der erfolgten Freigabe nicht rückwirkend aufgehoben werden.

Darüber hinaus habe auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) klargestellt, dass die im Rahmen einer neuen Erwerbstätigkeit entstandene Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit darstelle. Der Schuldner habe in seinem neuen Betrieb keine Gegenstände eingesetzt, die zur Insolvenzmasse gehören. Wesentliches Element seines Fliesenlegerhandwerks sei seine persönliche Arbeitsleistung gewesen. Von den im Jahr 2002 beschäftigten Gehilfen seien zwei Lehrlinge gewesen. Bei den vorhandenen Vermögensgegenständen handle es sich um für diese Tätigkeit notwendige Maschinen und Werkzeuge.

Schließlich habe auch die Pflicht zur Überwachung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter nicht zur Folge, dass Verbindlichkeiten, die im Rahmen des freigegebenen Betriebs entstanden seien, zu Masseverbindlichkeiten würden, da der Insolvenzverwalter nur die Erfüllung des Plans, nicht jedoch den Unternehmer überwachen müsse.

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 jeweils vom 10. November 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 28. August 2006 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen und regt an, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, dass der Schuldner in den Streitjahren Maschinen und Werkzeuge mit einem Buchwert von 1.000 EUR eingesetzt habe. Laut Auskunft der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) habe er insgesamt sechs Arbeitnehmer beschäftigt. Die Schutzvorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO komme daher nicht zur Anwendung, da die Ausnutzung von Sach- und Kapitalmittel sowie der Einsatz fremder Arbeitskraft die persönliche Leistung des Schuldners überwiege.

Zudem enthalte der Insolvenzplan die Regelung, dass er rückwirkend als unwirksam anzusehen sei, wenn der Insolvenzschuldner seinen Pflichten nicht nachkomme. Für die Überwachung der Einhaltung des Insolvenzplans sei der Kläger zuständig gewesen und müsse die Umsatzsteuer daher als Masseverbindlichkeit bedienen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet. Das FA hat die aus dem neuen Unternehmen des Schuldners resultierende Umsatzsteuer zu Unrecht als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger festgesetzt.

Gemäß § 55 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.

Der Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 7. April 2005 entschieden, unter welchen Voraussetzungen die Umsatzsteuer aus einer neuen Erwerbstätigkeit des Schuldners während eines laufenden Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit anzusehen ist (BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848 unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 24. Juni 1992 V R 130/89, BFH/NV 1993, 201; vom 7. November 1995 VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379, unter 5., und vom 16. August 2001 V R 59/99, BFHE 196, 341, BStBl II 2003, 208 , unter 3. c). Danach ist im Wesentlichen darauf abzustellen, ob der Schuldner die Umsätze mit Hilfe von Gegenständen ausführt, die zur Insolvenzmasse gehören. Als Verwertung der Masse wird auch die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände angesehen (so bereits zur Konkursmasse BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 82/93, DB 1995, 1642-1644). Bei der Verwendung von nicht massezugehörigen Gegenständen ist der Umsatz jedoch der insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners zuzuordnen, aus der keine Steuerverbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet werden können. Entscheidend ist daher, ob der Schuldner in seinem neuen Betrieb Gegenstände einsetzt, die zur Insolvenzmasse gehören.

Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren grundsätzlich das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Ebenso verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter von der Möglichkeit zur Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse keinen Gebrauch macht und die Fortführung oder Neugründung eines Unternehmens des Schuldners duldet. Insoweit werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aufgrund einer Verwaltungshandlung zu Insolvenzverbindlichkeiten. Nicht zur Insolvenzmasse gehören dagegen nach § 36 InsO unpfändbare (vgl. § 811 Zivilprozessordnung - ZPO-) und wirksam freigegebene Gegenstände (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 392 und BGH-Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, DB 2007, 1189 -1190).

Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, unterliegen die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung ( § 811 Nr. 5 ZPO), sie fallen deshalb auch nicht in die Insolvenzmasse. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.

Da die Regelung des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO den Erwerb durch persönliche Arbeit schützt, ist sie nur anwendbar, wenn die persönliche Leistung des Schuldners die Ausnutzung von Sach- und Kapitalmittel überwiegt. Der Anwendung dieser Vorschrift steht der Einsatz fremder Arbeitskraft grundsätzlich nicht entgegen (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 64. Aufl., München 2006, § 811 Rn. 35). Voraussetzung ist dabei jedoch stets, dass sich der Arbeitseinsatz des Schuldners selbst als vorrangig und entscheidend für den Neuerwerb darstellt. Auch bei der Mitarbeit von Gehilfen muss die eigene Arbeit des Schuldners ausschlaggebend bleiben. Seine persönliche Tätigkeit muss sich im Gegensatz zur Leistung anderer wie zur Ausnutzung sachlicher Betriebsmittel als das wirtschaftlich Wesentliche darstellen (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2002, § 811 Rdn. 43 f).

Im Streitfall war der Schuldner als Fliesenleger tätig und übte sein Handwerk mit Hilfe von zwei Lehrlingen sowie vier Gehilfen aus. Es kann dahin gestellt bleiben, ob seine persönliche Arbeitsleistung oder der Einsatz fremder Arbeitskraft, derer sich der Schuldner in nicht unerheblichem Umfang bedient hat, im Vordergrund seines neuen Betriebs standen. Denn die bei der Ausübung seiner aufgenommenen Tätigkeit entstandene Umsatzsteuer zählt deswegen nicht zu den Masseverbindlichkeiten, weil der neu aufgenommenen Betrieb des Schuldners zunächst aufgrund der im Insolvenzplan getroffenen Vereinbarungen und nach dessen Scheitern aufgrund der Freigabeerklärung des Klägers wirksam aus der Masse freigegeben worden ist.

Seinem rechtlichen Charakter nach handelt es sich bei dem Insolvenzplan i.S.d. §§ 217 - 269 InsO um eine Vereinbarung zwischen den Gläubigern - zu denen auch das FA gehört - und dem Schuldner, die vom Insolvenzgericht bestätigt werden muss. Im hier zu entscheidenden Fall sollte dem Schuldner aufgrund der im Insolvenzplan getroffenen Vereinbarungen ermöglicht werden, seinen Handwerksbetrieb fortzuführen und aus den dabei erzielten Gewinnen monatliche Beiträge an die Masse zu leisten.

Der Insolvenzplan verlor wegen seines Scheiterns zwar nach Teil II B Nr. 5 von Beginn an seine Gültigkeit mit der Folge, dass die alten nicht getilgten Forderungen wieder aufleben. Es entspricht Sinn und Zweck des Insolvenzplans, dass sich diese Regelung nur auf die vor seinem Inkrafttreten vorhandenen Forderungen bezieht. Entgegen der Auffassung des FA ist diese Regelung jedoch nicht dahingehend auszulegen, dass die Masse durch die während der Freigabe entstandenen Verbindlichkeiten belastet wird. Vielmehr sollten ihr durch die im Rahmen des Insolvenzplans erfolgte Freigabe des schuldnerischen Betriebs gerade Geldmittel zur Befriedigung der Gläubiger zugeführt werden.

Aufgrund der am 30. Oktober 2003 erfolgten Freigabeerklärung des Klägers gehört die ab diesem Zeitpunkt entstandene Umsatzsteuer ebenfalls nicht zur Insolvenzmasse. Denn der Insolvenzverwalter ist im Rahmen seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Masse grundsätzlich berechtigt, Vermögensgegenstände aus der Masse freizugeben ( §§ 35, 80 InsO, vgl. auch BGH-Urteil vom 21. April 2005 IX ZR 281/03, WM 2005, 1084 - 1086). Die Freigabe eines vollständigen Betriebes ist zwar erst durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2002 (BGBl. I 2007, 509) ausdrücklich in die Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO aufgenommen worden. Der Insolvenzverwalter hat nunmehr die Wahl, ob er die Erträge aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners zur Masse zieht und die damit im Zusammenhang stehenden Verpflichtungen tragen muss oder sowohl Erträge als auch Verbindlichkeiten aus dem Insolvenzverfahren herausnimmt und damit in den Verantwortungsbereich des Schuldners zurückfallen lässt. Der Gesetzgeber hat insoweit auch bewusst in Kauf genommen, dass Insolvenzgläubiger gegenüber Neugläubigern bevorzugt werden, die nicht die Möglichkeit haben, ihre Forderungen zwangsweise durchzusetzen.

Aus den Materialen zur Gesetzesänderung ergibt sich, dass dem neu eingefügten Absatz 2 lediglich eine klarstellende Funktion zukommt (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht - NZI- 2004, 549, 562). Dem Insolvenzverwalter wurde bereits vor der Neuregelung zum Schutz der Gläubiger zugestanden, das Vermögen, das der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners gewidmet ist, sowie die dazu gehörigen Vertragsverhältnisse freizugeben. Denn häufig versuchen Schuldner, die vor der Eröffnung des Verfahrens eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, diese nach Eröffnung des Verfahrens mit oder ohne Kenntnis oder Duldung des Insolvenzverwalters fortzusetzen oder eine neue Tätigkeit zu beginnen. Die Untersagung dieser Tätigkeit gehört jedoch nicht zu den Befugnissen und Pflichten, die dem Insolvenzverwalter aufgrund seiner gesetzliche eingeräumten Aufgaben zustehen (vgl. Smid, Freigabeerklärungen des Insolvenzverwalters/Treuhänder bei selbständiger Tätigkeit des Insolvenzschuldners, WM 2005, 625, 627).

Die Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, gehören gemäß § 35 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zwar in vollem Umfang ohne Abzug beruflich bedingter Ausgaben zur Insolvenzmasse, andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass die Masse mit den damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten belastet wird. Falls der Insolvenzverwalter von der Freigabe keinen Gebrauch macht und die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuldner duldet, werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insoweit eine Verwaltungshandlung gemäß § 55 Nr. 1 InsO vorliegt. Dabei setzt sich der Insolvenzverwalter unmittelbar dem Haftungsrisiko des § 60 InsO aus, da der Erhalt der Masse vor dem Zugriff der Neugläubiger und die berechtigten Interessen der "Altgläubiger" gefährdet sind. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu vermeiden, die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, hat jedoch im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang (vgl. BGH-Urteil vom 21. April 2005 IX ZR 281/03, a.a.O.).

Nach dem Scheitern des Insolvenzplans bestand im Streitfall die begründete Gefahr, dass die aus der Weiterführung des Unternehmens begründeten Verbindlichkeiten die Insolvenzmasse verpflichten und belasten. Zum Schutz der Gläubiger, zu denen auch das FA gehört, gab es somit keine andere Möglichkeit, als den Handwerksbetrieb freizugeben. Da der Schuldner über keinerlei Vermögensgegenstände, sondern nur über sein Fachwissen als Fliesenleger verfügte, konnte sich die Freigabeerklärung des Klägers auch nicht auf "Betriebsmittel", die der Masse entzogen worden wären, oder einen gesamten Betrieb beziehen.

Entgegen der Auffassung des FA (vgl. auch Verfügung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 12. Dezember 2005, Aktenzeichen S 0550 - 25 St 41M St 44 M, Bl. 56 ff der FG Akte) wurde die Freigabeerklärung des Klägers somit im gesetzlichen Rahmen der im Streitjahr gültigen Fassung der InsO abgegeben. Durch die Freigabe wurde die neue Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse gelöst und fiel in sein insolvenzfreies Vermögen. Die dabei entstandenen Steuerschulden gehören daher auch nicht als Masseverbindlichkeit zur Insolvenzmasse.

Es ist dem FA zwar insofern zuzustimmen, dass es in der Praxis zu unbilligen Ergebnissen führt, wenn der Schuldner unter dem Vollstreckungsschutz des Insolvenzverfahrens neue Steuerschulden auflaufen lässt und damit der Sanierungsgedanke, der sich aus Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ergibt, missachtet wird. Da ein Antrag auf Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahren nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unzulässig ist (vgl. BGH-Beschluss vom 18.05.2004 IX ZB 189/03, NJW-RR 2004, 1349), haben Neugläubiger auch nicht die Möglichkeit, ihre Forderungen zwangsweise durchzusetzen. Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst in Kauf genommen, dass Insolvenzgläubiger gegenüber Neugläubigern bevorzugt werden. Wenn wie im hier zu entscheidenden Fall für den Neugläubiger nicht die Aussicht besteht, als Haftungsmasse für ihre Forderungen auf die durch die freigegebene Tätigkeit erzielten Einkünfte zuzugreifen, sieht das Gesetz als Sanktion gegen den Schuldner, der gegen seine Obliegenheiten im Rahmen des Insolvenzverfahrens verstößt, immerhin die Versagung der Restschuldbefreiung auf Antrag eines Gläubigers nach § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung auch im Hinblick auf die anderslautende Verfügung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 12. Dezember 2005 zugelassen.



Ende der Entscheidung

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