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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: 14 K 3886/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 227
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung [...]

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) den Antrag des Klägers auf Erlass von Einkommen- und Umsatzsteuer einschließlich Nebenleistungen zu Recht abgelehnt hat.

Der Kläger betrieb seit 3. Juni 1993 als Einzelunternehmer einen Baggerbetrieb und den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen und Baumaschinen. Eine Gewerbeanmeldung erfolgte nicht. Da der Kläger keine Steuererklärungen abgegeben hatte, setzte das FA die Einkommen- und Umsatzsteuer 1996 bis 1999 im Schätzungswege an.

Ab Juni 2004 reichte der Kläger Steuererklärungen für die Jahre 1998 und 1999 ein und gab an, dass er vom 20. April 1998 bis 28. Februar 1999 sowie vom 15. September 1999 bis 31. Dezember 1999 als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sei und aus seinem Baggerbetrieb keinen Gewinn erzielt hätte.

Das FA nahm daraufhin eine Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuer laut Lohnsteuerbescheinigung auf die Steuerschuld vor. Eine Änderung der bestandskräftigen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für 1998 und 1999 wurde abgelehnt. Am 10. Januar 2006 bestanden Steuerrückstände einschließlich Säumniszuschläge von 47.942 EUR.

Mit einem an das Bayerische Staatsministerium der Finanzen gerichteten Schreiben vom 10. Januar 2004 beantragte die jetzige Ehefrau und Bevollmächtigte des Klägers den Erlass der bestehenden Steuerschulden. Sie führte an, dass die Steuerschulden durch Unachtsamkeit des Klägers entstanden seien. Da sein Gewerbe bereits seit 1. Januar 1998 geruht habe, sei er zum damaligen Zeitpunkt der Meinung gewesen, dass er keine Steuererklärungen mehr abgeben müsse.

Nach Weiterleitung des Antrags an das zuständige FA teilte der Kläger auf Anfrage zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen mit, dass er sein Gewerbe seit Oktober 1997 nicht mehr ausgeübt habe und derzeit als Arbeitnehmer für einen Nettolohn von 600 EUR tätig sei. Gegenüber dem Jugendamt beim Landratsamt O bestünden Rückstände von 7.985 EUR aus übergegangenen Unterhaltsverpflichtungen für seinen Sohn.

Mit Bescheid vom 23. März 2006 lehnte das FA den Antrag auf Erlass der Steuerschulden ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass ein Erlass die finanzielle Situation des Klägers nicht verbessern würde, da er nur einen Nettolohn unterhalb der gesetzlichen Pfändungsfreigrenze bezöge. Darüber hinaus entspreche es dem Willen des Gesetzgebers, unanfechtbare Steuerbescheide im Erlassverfahren nicht mehr auf ihre inhaltliche Richtigkeit hin zu überprüfen, weil es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen sei, sich rechtzeitig dagegen zu wehren.

Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 19. September 2006 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass Vollstreckungsmaßnahmen des FA seine wirtschaftliche Existenz ernsthaft bedrohen würden. Insbesondere bestünde die Gefahr, dass er seine neue Arbeitsstelle verlieren könne. In diesem Fall würde auch die bisher unbeteiligte Familie betroffen. Aufgrund einer Tumorerkrankung könne seine Lebensgefährtin nicht in Vollzeit arbeiten. Im Jahr 2007 sei er Vater einer Tochter geworden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 23. März 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 19. September 2006 das Finanzamt zu verpflichten, ihm Einkommen- und Umsatzsteuern sowie Säumniszuschläge von 47.942 EUR zu erlassen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung und weist ergänzend darauf hin, dass seit 16. Juni 2004 keine Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage hat keinen Erfolg, das FA hat den Antrag auf Erlass der rückständigen Einkommen- und Umsatzsteuern sowie der Säumniszuschläge zu Recht abgelehnt.

# Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Zinsen und Säumniszuschläge gehören (§ 37 Abs. 1 i. V. m § 3 Abs. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d.h. wirtschaftlichen Verhältnissen (persönliche Gründe) begründet sein.

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme - wie diese - ist eine Ermessensentscheidung, die durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 FGO auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juni 2004 IV R 9/02 BFH/NV 2004, 505). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Erlassentscheidung nach § 227 AO die Billigkeit sowohl tatbestandsmäßige Voraussetzung des Erlasses als auch Ermessensschranke ist. Ist im Einzelfall festgestellt, dass die Einziehung des Forderung unbillig wäre, so verbleibt kein Ermessensspielraum. Für die Ermessensprüfung kommt es dabei auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einsruchsentscheidung) gegeben bzw. erkennbar waren.

Den Erlass der Einkommen- und Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das FA ermessensfehlerfrei abgelehnt, weil die zugrundeliegenden Steuerbescheide in Bestandskraft erwachsen sind und die besonderen Voraussetzungen, unter denen die Erhebung einer bestandskräftig festgesetzten Steuer im Billigkeitswege erlassen werden könnte, nicht vorliegen.

Nach Eintritt der Bestandskraft eines Steuerbescheides kann sachliche Unbilligkeit grundsätzlich nur angenommen werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (BFH-Urteile vom 21. Oktober 1999 V R 94/98, BFH/NV 2000, 610 und vom 29. März 2000 XI B 147/99, BFH/NV 2000, 952).

Im Streitfall ist jedoch kein Grund ersichtlich, weshalb der Kläger an einer rechtzeitigen Einlegung von Einsprüchen gegen den Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide hätte gehindert gewesen sein sollen. Darüber hinaus sind die Steuerfestsetzungen auch nicht offensichtlich und eindeutig unrichtig. Ein besonders schwerwiegender, zur Nichtigkeit eines Schätzungsbescheides führender Fehler kann nur angenommen werden, wenn die Finanzbehörde bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt oder das Schätzungsergebnis trotz der vorhandenen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und nicht erkennbar ist, welche Schätzungserwägungen angestellt worden sind. Vorliegend bestehen nach Aktenlage aber keine Anhaltspunkte dafür, dass das Finanzamt eine Willkür- oder Strafschätzung vorgenommen hat.

Auch die Voraussetzungen für den Erlass der angefallenen Säumniszuschläge sind im Streitfall nicht erfüllt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161).

Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile in BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, und vom 16. September 1992 X R 169/90, BFH/NV 1993, 510).

Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Vertreters des FA in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger in dem Zeitraum, in dem die Säumniszuschläge angefallen sind, dem FA gegenüber falsche Angaben über die Höhe seiner monatlichen Nettoeinkünfte gemacht. Da er nicht nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in geringer Höhe unter der Pfändungsgrenze bezogen hat, liegen die Voraussetzungen für einen Erlass der Säumniszuschläge somit nicht vor.

Zutreffend hat das FA auch den Erlass der Rückstände aus persönlichen Billigkeitsgründen abgelehnt.

Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (BFH-Beschluss vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285, m.w.N.). Dies setzt voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Lebt der Steuerpflichtige unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen in wirtschaftlichen Verhältnissen, die wie im Streitfall --weil Einkünfte und Vermögen gering sind und im Übrigen dem Pfändungsschutz unterliegen-- eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ausschließen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden (BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98 BStBl II 2002, 176). Bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit kommt deshalb grundsätzlich weder eine zinslose Stundung noch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen in Betracht (BFH-Beschluss vom 21. April 1999 VII B 347/98, BFH/NV 1999, 1440, m.w.N.).

Auch der Vorteil, der gleichwohl bei Erlass der Rückstände im Erlöschen der Schuld (§ 47 AO) gesehen werden könnte, rechtfertigt entgegen der Ansicht des Klägers keinen Billigkeitserlass. Die Vorschrift des § 227 AO betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung im Erhebungsverfahren nur die in der Einziehung liegenden Unbilligkeiten. Aus demselben Grund kann ein Billigkeitserlass nicht allein mit dem Hinweis auf Krankheit beansprucht werden. Solche Umstände können zwar bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen unter dem Aspekt der Zumutbarkeit des Einsatzes vorhandener Mittel zur Tilgung von Steuerschulden von Bedeutung sein (BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161). Ist jedoch der Steueranspruch wegen der geringen Einkünfte und des Pfändungsschutzes gar nicht durchsetzbar, und wird deshalb durch einen Erlass die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen nicht verbessert, mangelt es an dem für einen Erlass erforderlichen konkreten Zusammenhang zwischen der (ohnehin tatsächlich nicht möglichen) Einziehung einerseits und der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen andererseits (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Juli 1989 X B 111/88, BFH/NV 1990, 213).

Darüber hinaus hindern die Steuerrückstände den Kläger auch nicht daran, eine neue Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder eine alte Tätigkeit fortzuführen. Insoweit liegt keine Existenzgefährdung vor.

Schließlich wäre der Kläger - selbst bei Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe - nicht erlasswürdig, da er über Jahre seiner steuerlichen Verpflichtung zur fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen nicht nachkam. Da das FA ihn wiederholt zur Abgabe der Steuererklärungen aufgefordert hat, kann er sich auch nicht damit entlasten, dass er aufgrund der Aufgabe seines Baggerbetriebes davon ausgegangen sei, nunmehr von seinen Erklärungspflichten entbunden zu sein. Hätte der Kläger seine Steuererklärungen vorliegend pünktlich eingereicht, wären die den Säumniszuschlägen zugrunde liegenden auf überhöhten Steuerschätzungen beruhenden Steuerrückstände nie entstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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