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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 14 K 4206/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 69
AO § 75 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 4206/04

Haftung für Umsatzsteuer

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob der Kläger für rückständige Steuerschulden der JR GmbH i. L. haftet.

Die JR-GmbH vertrieb und produzierte Back-und Konditoreiwaren in S. Geschäftsführer war seit 1987 J. R. Die Produktion wurde 1995 in eine neu errichtete Halle nach K verlegt. Die Waren wurden im Hauptgeschäft in S und über Verkaufsstellen in S-L (einem Pavillon), B, M und K vertrieben, die nicht im Eigentum der JR-GmbH standen. Das Gebäude in S und der Pavillon befanden sich im Eigentum des J.R., der letzteren mit notariellem Vertrag vom 11. September 1998 verkaufte.

Im Jahr 1997 gründete die JR-GmbH zusammen mit der H-GmbH die R-Backwaren GmbH, an die der Produktionsbetrieb in K ab 1. Dezember 1997 vermietet wurde. Das Hauptgeschäft der JR-GmbH in S und die Verkaufsstellen in S-L (Pavillon), M und K wurden von der H-GmbH übernommen. Die Verkaufsstellen in B wurden verkauft. Die JR-GmbH musste ihre Zahlungen am 7. Oktober 1998 einstellen und stellte Konkursantrag.

Seit Oktober 1998 bestand demzufolge die Tätigkeit der JR-GmbH ausschließlich in der Vermietung ihres Produktionsbetriebes in Kirchdorf an die R-Backwaren GmbH und der Vermietung ihrer Ladeneinrichtungen in S, S-L (Pavillon), M und K an die H-GmbH.

Mit Beschluss des Amtsgerichts L vom 8. Januar 1999 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der JR-GmbH mangels Masse abgewiesen.

Mit notariellem Vertrag vom 25. Februar 1999 erwarb die Bruchteilsgemeinschaft (BTG) von der JR-GmbH deren Grundbesitz in K, auf dem sich der Produktionsbetrieb befand.

In der am 30. März 1999 erfolgten Anmeldung bei ihrem zuständigen Finanzamt (FA) gaben die Teilhaber der BTG als Unternehmensgegenstand die Vermietung der sich im Vermögen der BTG befindlichen Objekte an. Mit Vertrag vom 4. Mai 2000 vermietete die BTG mit Rückwirkung zum 25. Februar 1999 die Produktionsstätte in K an die Firma H GmbH.

Aufgrund der Feststellungen einer bei der GmbH durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte das FA der BTG den Vorsteuerabzug aus dem am 25. Februar 1999 mit der JR-GmbH geschlossenen Vertrag, da es sich hierbei um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung handle. Das dagegen geführte Einspruchs-und Klageverfahren blieb erfolglos.

Ein am 21. Oktober 2002 ergangener Haftungsbescheid des FA gegen die BTG für rückständige Steuern der GmbH wurde im Rechtsbehelfsverfahren aus formellen Gründen zurückgenommen.

Am 9. Januar 2003 erließ das FA gleich lautende Haftungsbescheide an die drei Teilhaber der BTG über jeweils 152.354,27 EUR. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte hinsichtlich der Höhe des Haftungsanspruchs teilweise Erfolg. Aufgrund der Entscheidung des Finanzgerichts München (FG) wurde die Haftungsschuld auf die am 3. Januar 2000 festgesetzte Umsatzsteuer 1998 begrenzt, die noch in Höhe von 31.032,30 EUR rückständig war (vgl. Rückstandsanzeige des FA vom 21. Oktober 2002, Bl. 1 der Finanzamtsakten Haftung I).

Mit der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass die Voraussetzungen einer Haftung nicht vorlägen.

So sei kein lebendes Unternehmen übertragen worden, da sich die JR-GmbH im Zeitpunkt der Übertragung am 25. Februar 1999 in Liquidation befunden habe. Verhandlungspartner sei nicht der Geschäftsführer der JR-GmbH, sondern die Sparkasse als Grundpfandgläubiger gewesen.

Die BTG habe das Unternehmen der JR-GmbH auch nicht fortgeführt. Wegen des Insolvenzverfahrens der Firma R-Backwaren GmbH sei der Mietvertrag seitens der JR-GmbH bereits mit Schreiben vom 12. Februar 1999 fristlos gekündigt worden. Da die BTG die Vermietung nunmehr an die Firma H GmbH und nicht an die Firma R-Backwaren GmbH vorgenommen habe, sei kein Eintritt in die Rechtsposition der JR-GmbH erfolgt. Hinzu komme, dass die JR-GmbH im Zeitpunkt der Übertragung neben ihrer Vermietungstätigkeit auch noch Verkaufserlöse aus dem Verkauf von Lebensmitteln und Backwaren gehabt habe.

Darüber hinaus habe das FG in seinem Urteil vom 13. November 2003 festgestellt, dass bis zum 15. Oktober 1998, also noch während des Zeitraums, für den die BTG in Haftung genommen worden war, eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der JR-GmbH und Herrn J. R. bestanden habe. Alle bis zu diesem Zeitpunkt ausgeführten Umsätze hätten somit gegenüber dem Organträger und nicht gegen die JR-GmbH festgesetzt werden müssen.

Die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Steuerfestsetzung sei damit der Höhe nach unzutreffend.

Das FA habe außerdem sein Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt. So hätten auch der Geschäftsführer der JR-GmbH und seine Eltern zur Haftung herangezogen werden müssen. Schließlich habe Herr J. R. ein in seinem Eigentum befindliches Grundstück, auf dem er eine Verkaufsstätte betrieben habe, an seine Eltern übertragen, die den Betrieb anschließend nahtlos weitergeführt hätten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Haftungsbescheid vom 9. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. August 2004 aufzuheben,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet, das FA hat den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner für die rückständige Umsatzsteuer der JR-GmbH in Haftung genommen.

1. Gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung 1977 (AO) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Bei der Übereignung eines Unternehmens im Ganzen haftet der Erwerber gemäß § 75 AO für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmers gründet, vorausgesetzt, dass die Steuern seit Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebes durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) muss es sich bei dem übertragenen Betrieb um ein lebendes Unternehmen handeln, das in der bisherigen Art ohne nennenswerte zusätzliche Aufwendungen fortgeführt werden kann (vgl. Urteil des BFH vom 7. November 2002 VII R 11/01, BStBl II 2003, 226). Maßgebender Zeitpunkt ist dabei der Zeitpunkt der Übertragung des Betriebs.

a) Bei der Produktionshalle in K handelt es sich um einen in der Gliederung des Unternehmens der JR-GmbH gesondert geführten Betrieb. Mit Vertrag vom 25. Februar 1999 wurde dieser an die BTG in der Weise übertragen, dass das Unternehmen fortgeführt werden konnte. Dies ergibt sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Finanzgerichts München vom 13. November 2003. Die dort detaillierten tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Beurteilungen erachtet der Senat für zutreffend und macht sie sich zu Eigen (§ 96 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -, Urteil des BFH vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFH/NV 2004, 597, m.w.N.) Die unternehmerische Tätigkeit der JR-GmbH bestand im Zeitpunkt der Vereinbarung mit der BTG ausschließlich in der Vermietung von Ladeneinrichtungen und in der Verpachtung des Produktionsbetriebs in Kirchdorf A. Wesentliche steuerpflichtige Umsätze aus dem Verkauf von Backwaren und sonstigen Lebensmitteln wurden anders als im Jahr 1998 nicht mehr erwirtschaftet.

Nicht entscheidend ist auch, dass die JR-GmbH nach Übertragung ihrer Produktionshalle in Kirchdorf weiterhin die Ladeneinrichtung der Geschäfte in L, M, K und S verpachtete und daraus Mieteinnahmen erzielte. Insoweit handelte es sich laut Konkursgutachten vom 28. Dezember 1998 um wertlose Gegenstände, die keine wesentlichen Betriebsgrundlagen der JR-GmbH darstellen konnten.

Es kommt auch nicht darauf an, dass die BTG die von der JR-GmbH vorgenommene Vermietungstätigkeit an die Firma R-Backwaren GmbH aufgrund der fristlosen Kündigung nicht fortführen konnte. Der BTG war es nämlich möglich, die Vermietungstätigkeit ohne Unterbrechung weiterzuführen, da mit Rückwirkung zum 25. Februar 1999 eine Vermietung an die Firma H GmbH erfolgte. Nennenswerte zusätzliche Aufwendungen, die im Einzelfall gegen eine Übernehmerhaftung sprechen können, mussten nicht getätigt werden. Im Streitfall erfolgte daher die Übertragung eines lebenden Unternehmens.

b) Der Haftungsausschluss nach § 75 Abs. 2 AO greift nicht ein. Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die Ablehnung des Konkursantrages über das Vermögen des Veräußerers mangels Masse kein die Erwerberhaftung ausschließender Grund, wenn der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte Investitionen weiterführen kann (Urteil des BFH vom 22. September 1992, VII R 73-74/91, VII R 73/91, VII R 74/91 BFH/NV 1993, 215). Im Streitfall wurde die unternehmerische Tätigkeit der JR-GmbH bestehend in der Vermietung des Objekts Kirchdorf fortgesetzt.

c) Das FA hat den Kläger auch der Höhe nach rechtmäßig in Anspruch genommen. Es kann dahin gestellt sein, dass das FG München in seinem Urteil vom 13. November 2003 davon ausgegangen ist, dass bis Oktober 1998 ein Organschaftsverhältnis zwischen J. R. und der JR-GmbH bestanden habe. Die bestandskräftige Festsetzung der Umsatzsteuer 1998 muss der Kläger aufgrund der Betriebsübernahme gegen sich gelten lassen. Die Möglichkeit einer Umsatzsteuerberichtigung der JR-GmbH hinsichtlich möglicherweise ausgefallener Mietforderungen gegen die Firma R-Backwaren GmbH besteht nicht.

d) Das FA hat außerdem sein Auswahlermessen fehlerlos ausgeübt. So wurde ausreichend begründet, dass die JR-GmbH selbst wegen ihrer Überschuldungs- bzw. Zahlungsunfähigkeit als Steuerschuldnerin nicht mehr in Anspruch genommen werden konnte.

Es bedurfte insbesondere keiner Ausführungen darüber, weshalb der Geschäftsführer der GmbH nicht vorrangig vor der Klägerin in Anspruch genommen wurde sowie ob und in welcher Höhe der Haftungsanspruch gegen den Geschäftsführer realisiert werden konnte. Denn der Gesetzgeber schreibt zwischen den Haftungstatbeständen des § 69 und § 75 AO 1977 keine Rangordnung in der Weise vor, dass grundsätzlich der Haftende nach § 69 vor dem nach § 75 AO 1977 Haftenden in Anspruch zu nehmen ist (vgl. dazu Beschlüsse des Senatsvom 26.Juli 1988 VII B 82-83/88, BFH/NV 1989, 88 undvom 2.August 1988 VII B 111/87, BFH/NV 1989, 152, 154). Eine solche das Verhältnis der Subsidiarität zueinander begründende Rangordnung der Inanspruchnahme der Haftenden hat der Gesetzgeber nur in § 219 Satz 1 AO 1977 zwischen dem Haftungs-und dem Steuerschuldner vorgeschrieben. Die nach §§ 69, 75 AO 1977 Haftenden stehen dagegen nach § 44 AO 1977 als Gesamtschuldner grundsätzlich gleichrangig nebeneinander (Urteil des BFH vom 22. September 1992, VII R 73-74/91, VII R 73/91, VII R 74/91 BFH/NV 1993, 215).

Für das FA besteht keine Verpflichtung grundsätzlich den nach § 69 AO 1977 Haftenden wegen seines Verschuldens an dem Steuerausfall vor dem Haftenden nach § 75 AO 1977 in Anspruch zu nehmen. Im Gegenteil kann ein Interesse des FA daran bestehen, gegen beide Haftende gleichzeitig einen Haftungsbescheid zu erlassen, weil die Haftenden unter Umständen beschränkt auf unterschiedliche Beträge haften. Die gleichzeitige Inanspruchnahme der Haftenden nach §§ 69 und 75 AO 1977 kann auch deswegen angezeigt sein, weil es die Höhe des geltend gemachten Haftungsbetrages ungewiss erscheinen lässt, ob einer der Gesamtschuldner allein den vollen Betrag begleichen kann.

Darüber hinaus hat das FA ausgeführt, dass eine Inhaftungnahme des Geschäftsführers der JR-GmbH nach § 74 AO wegen der Übertragung des Pavillons und des Grundstücks in Simbach nicht möglich ist.

2. Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe ersichtlich ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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