Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: 14 K 4468/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 34
AO § 69
AO § 90 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 4468/06

Haftung für Steuerschulden der Firma A AG i.L.

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Unter Aufhebung der Haftungsforderungen für Umsatzsteuer Mai 2002 von 1.500 EUR und der darauf entfallenden Säumniszuschläge von 451,50 EUR, des Haftungsbescheids vom 9. Februar 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2006 wird die Haftungsschuld auf 12.817 EUR herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) die Klägerin zu Recht als Haftungsschuldnerin für Abgabenschulden der Firma A AG (nachfolgend AG) in Höhe von 31.759,30 EUR in Anspruch genommen hat.

Die Klägerin war laut Handelsregistereintrag in der Zeit vom 26. Januar 2001 bis 26. Juli 2002 Vorstand der AG (vgl. S. 4 Bilanzakten 2001 und S. 49 Dauerunterlagen FA). Diese kam ihren steuerlichen Verpflichtungen nur unzureichend nach, die Beitreibung der Rückstände blieb wegen Vermögenslosigkeit der AG erfolglos. Mit Eingang beim zuständigen Amtsgericht am 16. Januar 2003 wurde Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt.

Das Finanzamt (FA) nahm die Klägerin daraufhin nach vorheriger Ankündigung mit Bescheid vom 9. Februar 2006 in Höhe von 14.768,50 EUR für rückständige Umsatzsteuer des vierten Kalendervierteljahres 2001, des ersten Kalendervierteljahres 2002 sowie Mai 2002 nebst Verspätungszuschlag in Haftung (Bl. 41 der Haftungsakte). Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 27. Oktober 2006 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie dem Grunde nach zu Unrecht zur Haftung herangezogen werde und zudem die Haftungsinanspruchnahme auch der Höhe nach einer Nachprüfung nicht standhalte.

Entgegen der Auffassung des FA habe sie ihr Amt als Vorstand bereits am 16. Juni 2002 niedergelegt. Dies ergebe sich aus der Niederschrift über eine Sitzung des Aufsichtsrates der AG (Anlage K2 des Schriftsatzes vom 12. Februar 2007). Ab diesem Zeitpunkt könne sie daher nicht mehr für Steuerschulden der AG in Haftung genommen werden, auf die Eintragung ins Handelsregister komme es insoweit nicht an.

Tatsächlich sei sie nie mit der Vorstandstätigkeit befasst gewesen, für die Geschäftsführung und Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten der AG sei vielmehr H als faktischer Vorstand verantwortlich gewesen, dem sie am 14. März 2002 Generalvollmacht erteilt habe. H sei im Geschäftsbetrieb der AG der alleinige Ansprechpartner für Banken, Kunden, Lieferanten, Behörden und Steuerberater gewesen. Es habe niemals Anlass bestanden, an einer zuverlässigen Aufgabenerledigung zu zweifeln.

Außerdem sei die AG spätestens am 14. Oktober 2002 und nicht erst am 16. Januar 2003 - wie vom FA angenommen - nach einem fruchtlosen Vollstreckungsversuch der K zahlungsunfähig gewesen.

Das FA habe auch die durchschnittliche Tilgungsquote unzutreffend ermittelt. Zugrundezulegen sei vielmehr eine Berechnung des Steuerberaters B vom 12. Juli 2005, die eine Quote von lediglich 35% ergebe. Mangels Zugriff auf die Buchhaltung der AG halte sie an dieser Aufstellung fest.

Darüber hinaus hätte das FA den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung mangelhaft begründet, da keinerlei Ausführungen zur Frage des Auswahlermessens enthalten seien. Insbesondere fehle die Begründung, warum die Klägerin neben H und nicht ausschließlich dieser in Haftung genommen werde.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 9. Februar 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2006 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.

Ergänzend führt es aus, dass wegen der im Klageverfahren mitgeteilten Niederlegung des Amts als Vorstand den Angaben der Klägerin gefolgt werden könne. Da die Haftungsvoraussetzungen für Umsatzsteuer Mai 2002 somit nicht erfüllt seien, mindere sich die Haftungsschuld um 1.951,50 EUR (Umsatzsteuer Mai 2002 zuzüglich Säumniszuschläge) auf nunmehr 12.817 EUR.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage hat keinen Erfolg, das FA hat die Klägerin zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat.

1. Gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung 1977 (AO) haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu diesen Pflichten gehören die rechtzeitige Abgabe von Steuererklärungen und die Entrichtung der geschuldeten Steuern und steuerlichen Nebenleistungen aus den Mitteln der Gesellschaft (§§ 34 Abs. 1, 149 AO i.V.m. § 18 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung -UStG-).

Als Vorstand der AG war die Klägerin in der Zeit vom 26. Januar 2001 bis zur Niederlegung ihres Amtes am 16. Juni 2002 gesetzliche Vertreterin der Aktiengesellschaft und hatte als solche ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen.

Der ihr obliegenden Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen ist sie nicht nachgekommen. Die Umsatzsteuervoranmeldung für das vierte Quartal 2001, die mit Fristverlängerung gemäß § 18 UStG spätestens am 10. Februar 2002 abzugeben gewesen wäre, ging erst am 3. April 2002 beim FA ein. Die Umsatzsteuervoranmeldung für das erste Quartal 2002, die mit Fristverlängerung spätestens am 10. Mai 2002 abzugeben gewesen wäre, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Klägerin noch Vorstand der AG gewesen ist, wurde erst am 8. Juli 2002 eingereicht. Die Steuern konnten dadurch nicht rechtzeitig festgesetzt werden.

Der Pflicht, die geschuldete Umsatzsteuer zuzüglich Nebenleistungen für diese Zeiträume an das FA abzuführen, ist sie ebenfalls nicht nachgekommen, da sie nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern aus den von ihr verwalteten Mitteln entrichtet werden.

Wegen der Niederlegung ihres Vorstandsamts am 16. Juni 2002 war sie jedoch nicht verpflichtet, für die rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2002 zu sorgen.

Insoweit hat die Klage Erfolg, die Haftungssumme wird daher auf 12.817 EUR herabgesetzt.

2. Die während ihrer Vorstandstätigkeit bestehenden Pflichten hat die Klägerin auch grob fahrlässig verletzt.

So kann sie sich nicht damit entschuldigen, dass die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Vielmehr ergibt sich die Haftung schon aus der nominellen Bestellung zum Vorstand und ohne Rücksicht darauf, ob die Vorstandstätigkeit und Geschäftsführung auch tatsächlich ausgeübt werden kann und ob sie ausgeübt werden soll. Denn ist ein Vorstand nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02 , BStBl II 2004, 579 , m.w.N.).

Hinsichtlich der Überlassung von Vorstandsaufgaben an Dritte besteht nach Rechtsprechung des BFH die Pflicht des Geschäftsführers zur sorgfältigen Auswahl sowie laufender Überwachung des Dritten bei der Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben (BFH-Urteil vom 27. November 1990 VII R 20/89, BStBl II 1991, 284). Er muss sich insbesondere so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen und ein Fehlverhalten des Beauftragten rechtzeitig erkennen kann.

Nach eigenem Vortrag hat sich die Klägerin nie mit der Vorstandstätigkeit befasst und sich auf die Arbeit von H verlassen. Mit dieser mangelhaften Überwachung hat sie ihre Pflichten grob fahrlässig verletzt.

Für die Haftung der Klägerin ist es auch ohne Bedeutung, dass die AG spätestens ab Oktober 2002 zahlungsunfähig gewesen sei, da sie vom FA nur für 50% der angefallenen Säumniszuschläge für die geschuldete Umsatzsteuer viertes Quartal 2001 sowie erstes Quartal 2002 herangezogen worden ist, also für einen Zeitraum, in dem unstreitig noch Geldmittel vorhanden gewesen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ändern Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit einer juristischen Person darüber hinaus weder etwas an den steuerlichen Pflichten ihres gesetzlichen Vertreters, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung dieser Pflichten aus. Reichen die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht aus, sind die rückständigen Umsatzsteuerbeträge und Nebenleistungen vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern ( BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776 m.w.N.). Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme).

3. Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Vorstand einer AG, den es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum gemäß § 90 Abs. 1 AO verlangen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Mai 1999 VII S 1/99 BFH/NV 2000, 1). Dies gilt auch für den Fall, dass der Geschäftsführer aus seiner Funktion bereits ausgeschieden ist. Soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann, ist die Haftungsquote im Schätzungswege festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO).

Die Klägerin konnte keine eigene Mittelverwendungsrechung vorlegen, sondern hat auf die vom damaligen Steuerberater B errechnete Tilgungsquote von 35% verwiesen. Wie das FA jedoch zutreffend vorbringt, wurden bei dieser Berechnung nur Verbindlichkeiten der Gläubiger D, K, B sowie des FA berücksichtigt, Angaben zu weiteren Außenständen fehlen. Anhand der eingereichten Bilanzen ist jedoch ersichtlich, dass die AG weitere Zahlungsverbindlichkeiten erfüllt hat.

Die deswegen vom FA im Wege der Schätzung ermittelte Haftungsquote und daraus folgend die Summe, für die die Klägerin als Haftungsschuldner einzustehen hat, begegnet keinen Bedenken. Es liegt im Wesen jeder Schätzung, dass insoweit gewisse Unsicherheitsfaktoren enthalten sind.

4. Ein Ermessensfehlgebrauch (§ 191 AO) bei Erlass des Haftungsbescheides kann nicht festgestellt werden. Unter den gegebenen Umständen des Falles hat das FA sein Entschließungs- und Auswahlermessen richtig betätigt. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldner neben dem weiteren ehemaligen gesetzlichen Vertreter der AG sowie des faktischen Geschäftsführers war gerechtfertigt und wurde in Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung ausreichend erläutert.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 137 S. 1 Finanzgerichtsordnung, da die Klägerin den zur teilweisen Stattgabe der Klage führende Umstand - die Niederlegung ihres Amts als Vorstand bereits am 16. Juni 2002 - erst im Klageverfahren geltend gemacht hat.

Ende der Entscheidung

Zurück