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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: 15 K 2482/06
Rechtsgebiete: EStG, BayKiStG, SolZG


Vorschriften:

EStG § 38 Abs. 3
EStG § 41a Abs. 1
EStG § 42d Abs. 1
EStG § 51a Abs. 1
EStG § 51a Abs. 2a
BayKiStG Art. 13 Abs. 1 S. 1
BayKiStG Art. 13 Abs. 1 S. 2
BayKiStG Art. 14
SolZG § 3 Abs. 1
SolZG § 3 Abs. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 15. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Richters am Finanzgericht ... als Vorsitzender,

der Richterin am Finanzgericht ... und

des Richters am Finanzgericht ... sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Haftungsbescheid vom 23.12.2005 wegen Lohnsteuer, Solidaritätszuschlägen hierauf und Kirchenlohnsteuer evangelisch und römisch-katholisch für die Besteuerungszeiträume 2000, 2001, 2002, 2003 und Januar bis September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.05.2006 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als Inhaberin eines Nachtclubs und bordellähnlichen Betriebs als Arbeitgeberin zu Recht wegen der von den dort tätigen Prostituierten vereinnahmten Dirnenlöhne für Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge in Haftung genommen worden ist.

Die Klägerin war in den Streitjahren Inhaberin des Nachtclubs A in X. Die durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Y bei ihr in den Jahren 2004 und 2005 durchgeführte Fahndungsprüfung erbrachte folgende Sachverhaltsfeststellungen (vgl. Prüfungsbericht vom 30.11.2005):

Bei dem Nachtclub der Klägerin handelte es sich um einen bordellähnlichen Betrieb, in dem im streitigen Zeitraum eine Vielzahl verschiedener, dem Beklagten namentlich nicht bekannter Prostituierter tätig war. Darüber hinaus hatte die Klägerin nur eine bzw. zeitweise zwei Personen fest angestellt. Einer der festen Angestellten war W, der gemeinsam mit der Klägerin den Nachtclub leitete und im Zeitraum vom 1.01.-31.07.1998 selbst Inhaber des Nachtclubs gewesen war. Die zweite feste Angestellte war eine Aushilfsbedienung. Die in den Streitjahren tätigen Prostituierten arbeiteten zumeist nur vorübergehend für eine gewisse Zeit in dem Nachtclub der Klägerin. Für die Zeit ihrer nach Absprache mit der Klägerin bzw. deren Vertreter vereinbarten Anwesenheit unterlagen die Prostituierten einer festen von der Klägerin vorgegebenen Hausordnung und einem zeitlichen Anwesenheitsrahmen von jeweils 20:00 Uhr abends bis 5:00 Uhr morgens. Verspäteten sich die für den jeweiligen Abend eingeplanten Prostituierten um mehr als 5 Minuten nach Öffnung des Nachtclubs, hatten sie eine "Strafe" von 10 EUR an die Klägerin zu entrichten. Den mit ihren Freiern vereinbarten Dirnenlohn vereinnahmten die Prostituierten selbst und mussten hiervon auch keinen Anteil an die Klägerin abführen. Soweit die Freier den Dirnenlohn zusammen mit ihrer übrigen Zeche für an der Bar konsumierte Getränke mittels Karte bezahlten, wurden diese Beträge zunächst von der Klägerin vereinnahmt und der darin enthaltene Dirnenlohn an die Prostituierten weiterverrechnet. Ausweislich des Aktenvermerks der Steuerfahndungsstelle vom 18.02.2005 ergab die Vernehmung einzelner, jedoch namentlich nicht bekannter Prostituierter des Nachtclubs, dass der Grundpreis des Dirnenlohns für Dienstleistungen ohne irgendwelche Besonderheiten von bis zu 15 Minuten 50 EUR betrug und sich im Fall der Benutzung des Whirlpools auf 250 EUR erhöhte. Für die Inanspruchnahme eines Zimmers im Clubgebäude hatten die Prostituierten an die Klägerin pro Tag bzw. pro Nacht eine Miete von zuletzt 85 EUR zu entrichten. Im Fall einer kurzen Zimmerbenutzung von höchstens 20 Minuten betrug der Mietpreis nur 45 EUR. Nach der Hausordnung bestand während der Anwesenheit einer Prostituierten im Nachtclub ein Aufenthaltsverbot für deren Ehemann, Verlobten oder Freund. Außerdem waren die Prostituierten verpflichtet, den Anordnungen der geschäftsleitenden Personen zu folgen, sich vor Arbeitsbeginn über die Preisgestaltung und die Arbeitsweise bei ihren Kolleginnen zu informieren, die gesetzlich vorgeschriebenen medizinischen Untersuchungen vornehmen zu lassen und bei ihrer Arbeit die von der Klägerin bereitgestellten oder von den Gästen mitgebrachten Kondome zu verwenden. Die Prostituierten waren demgegenüber berechtigt, die von der Klägerin im Nachtclub zur Verfügung gestellten Einrichtungen - wie z.B. Kontaktraum, Bar, Aufenthaltsraum, Toiletten, Whirlpool - ohne gesonderte Vergütung zu benutzen. Soweit die Prostituierten von ihren Freiern ein Getränk spendiert bekamen, erhielten die Prostituierten von der Klägerin eine nach Art des jeweiligen Getränks gestaffelte Umsatzprovision. Sämtliche Telefonanschlüsse auf den einzelnen Zimmern lauteten auf den Namen des Nachtclubs. Die Werbung in der "Boulevardpresse", für die die Klägerin nach den Feststellungen des Fahndungsprüfers jährlich etwa 10.000 EUR bis 15.000 EUR aufwendete, erfolgte allein für den Nachtclub. Die Klägerin behandelte die einzelnen Prostituierten als selbständig Tätige. Aufzeichnungen über deren Einnahmen wurden durch den Fahndungsprüfer nicht vorgefunden. Die Klägerin hatte für die Prostituierten weder Lohnsteuer noch Kirchenlohnsteuer oder Solidaritätszuschläge beim Beklagten angemeldet und abgeführt. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen des Fahndungsprüfers wurden u.a. Aufzeichnungen über die in den Monaten Oktober und November 2004 jeweils täglich im Nachtclub anwesenden Prostituierten und die Anzahl ihrer Freier sicher gestellt. Die Summe der jeweils täglich anwesenden Prostituierten ergab für den Monat Oktober 2004 eine Zahl von 118 und für November 2004 eine solche von 133. Die Gesamtzahl der in diesen beiden Monaten bedienten Freier betrug 187 bzw. 206. Aus ebenfalls seitens des Fahndungsprüfers sicher gestellten täglichen Kalendereintragungen der Klägerin für die Streitjahre 2001, 2003 und 2004 über die Anzahl der jeweils täglich anwesenden Prostituierten ergaben sich jährliche Summen der Anwesenheiten von 1.711, 2.068 und 1.860. Für die Streitjahre 2000 und 2002 fehlen derartige Aufzeichnungen.

Der Fahndungsprüfer ging aufgrund dieses Sachverhalts davon aus, dass es sich bei den im Nachtclub der Klägerin arbeitenden Prostituierten um deren Arbeitnehmerinnen gehandelt, der von diesen von den Freiern vereinnahmte Dirnenlohn Arbeitslohn dargestellt hatte und die Klägerin für die hierfür nicht einbehaltenen und nicht abgeführten lohnsteuerrechtlichen Entrichtungsschulden in Haftung zu nehmen ist. Auf der Grundlage eines schätzungsweisen durchschnittlichen Dirnenlohns von 75 EUR je Freier, der vorgenannten Anzahl der Freier in den Monaten Oktober und November 2004 und der sich hieraus ergebenden Gesamteinnahmen der Prostituierten von 29.475 EUR errechnete der Fahndungsprüfer einen geschätzten jährlichen Gesamteinnahmenbetrag an Dirnenlöhnen von 176.850 EUR, den er - von Rundungsdifferenzen abgesehen - allen Streitjahren, d.h. den Jahren 2000, 2001, 2002, 2003 und den Monaten Januar bis September 2004, zugrunde legte. Für die Berechnung der von ihm angenommenen lohnsteuerrechtlichen Entrichtungsschulden ging der Fahndungsprüfer von einem geschätzten durchschnittlichen Lohnsteuersatz der Prostituierten von 15% aus und teilte die geschätzte Kirchenlohnsteuer für die beiden Konfessionen evangelisch und römisch- katholisch hälftig. Hierdurch errechneten sich nach Ansicht des Fahndungsprüfers folgende Arbeitslöhne und Lohnsteuerbeträge:

 ZeitraumArbeitslohnLohnsteuersatzLohnsteuer
2000345.000 DM15%51.750 DM
2001345.000 DM15%51.750 DM
2002176.000 EUR15%26.400 EUR
2003176.000 EUR15%26.400 EUR
Jan.-Sept. 2004132.000 EUR15%19.800 EUR

Der Beklagte folgte der Rechtsansicht des Fahndungsprüfers und nahm die Klägerin für die bezeichneten lohnsteuerrechtlichen Entrichtungsschulden mit Bescheid vom 23.12.2005 in folgender Höhe in Haftung (in EUR):

 20002001200220032004 (Jan.-Sept.)Summen
Lohnsteuer26.459,3526.459,3526.400,-26.400,-19.800,-125.518,70
Solidaritätszuschlag1.455,261.455,261.452,-1.452,-1.089,-6.903,52
Kirchenlohnsteuer evang.1.058,361.058,361.056,-1.056,-792,-5.020,72
Kirchenlohnsteuer röm.-kath.1.058,361.058,361.056,-1.056,-792,-5.020,72
Gesamtsumme 142.463,66

Der Haftungsbescheid enthielt keine Ausführungen zu den Ermessenserwägungen des Beklagten und nahm insoweit lediglich auf den Sachverhalt und die Besteuerungsgrundlagen im Prüfungsbericht vom 30.11.2005 Bezug, der jedoch erst nachträglich am 2.01.2006 mittels einfachen Briefs der Klägerin zugesandt wurde. Der mit Schreiben des steuerlichen Vertreters der Klägerin vom 2.01.2006 gegen den Haftungsbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos und wurde durch Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18.05.2006 als unbegründet zurückgewiesen. In der Einspruchsentscheidung führte der Beklagte aus, die Klägerin deshalb in Haftung genommen zu haben, weil die Lohnbesteuerung der einzelnen Prostituierten wegen des ständigen Personalwechsels, der fehlenden Identifizierbarkeit der Frauen und ihrer überwiegend ausländischen Wohnsitze unmöglich wäre.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 14.06.2006 erhobene Klage, die die Klägerin wie folgt begründet:

Der klagegegenständliche Haftungsbescheid sei aufzuheben, weil die im Nachtklub der Klägerin arbeitenden Prostituierten nicht angestellt, sondern als selbstständige Unternehmerinnen anzusehen gewesen seien. Dies sei vor allem daraus zu ersehen, dass sie den jeweiligen Dirnenlohn vollständig und im eigenen Namen vereinnahmt hätten. Die Klägerin habe auch keine Kenntnis über die Höhe dieser Einnahmen gehabt. Die Klägerin sei den Prostituierten gegenüber lediglich als Vermieterin aufgetreten. Die Zimmer seien auch nicht doppelt vermietet worden. Die Prostituierten hätten weder feste Bezüge erhalten noch irgendwelche Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Urlaubs- oder Krankheitsfall gehabt. Sie seien weder von der Klägerin weisungsabhängig gewesen, noch habe ein Arbeitsverbot nach 5:00 Uhr morgens bestanden. Bei Benutzung der Zimmer nach Ende der Öffnungszeiten des Nachtclubs hätten sie lediglich 10 EUR zusätzlich als Miete entrichten müssen. Arbeitsmittel hätten sie deswegen nicht selbst mitbringen müssen, weil solche bei den von ihnen erbrachten höchstpersönlichen Dienstleistungen nicht erforderlich seien. Die selbständige Stellung der einzelnen Prostituierten sei schließlich mit der von Einzelhändlern in einem großen Einkaufszentrum vergleichbar.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 23.12.2005 wegen Lohnsteuer, Solidaritätszuschlägen hierauf und Kirchenlohnsteuer evangelisch und römisch-katholisch für die Besteuerungszeiträume 2000, 2001, 2002, 2003 und Januar bis September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.05.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Ansicht seien die Prostituierten als Angestellte der Klägerin anzusehen. Maßgeblich sei hierbei nicht die Tatsache, dass diese den Dirnenlohn selbst vereinnahmt hätten. Schließlich sei anerkannt, dass auch Zahlungen an Angestellte von dritter Seite Bestandteil des Arbeitslohnes darstellen können. Entscheidend sei vor allem, dass der Nachtklub gegenüber seinen Gästen nach außen als einheitlicher Betrieb aufgetreten sei. Aus der Sicht der Gäste bzw. der Freier habe es sich um einen einheitlichen Bordellbetrieb gehandelt, indem erstere nicht nur Getränke konsumieren und die Dienstleistungen der Prostituierten in Anspruch nehmen, sondern auch die sonstigen betrieblichen Einrichtungen, wie zum Beispiel den Whirlpool etc. benutzen konnten. Dass der Dirnenlohn und die übrigen Dienstleistungen durch die Kunden in der Regel getrennt bezahlt worden seien, schließe die Annahme von Arbeitsverhältnissen nicht aus. Da die Prostituierten nur bei Kundennachfrage Geld verdient hätten, hätten sie lediglich ein Vergütungsrisiko getragen. Da sie keinen eigenen Kapitaleinsatz zu erbringen gehabt hätten, hätten sie kein typisches Unternehmerrisiko gehabt. Die Anwesenheit der einzelnen Prostituierten im Nachtklub sei von dessen Geschäftsleitung organisiert worden. Es habe eine strenge Hausordnung gegolten und die Prostituierten seien an die festen Öffnungszeiten des Nachtklubs gebunden gewesen. Die Klägerin als Bordellbetreiberin habe ihnen zur Ausübung ihrer Arbeit die allgemein zugänglichen betrieblichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt, für Sicherheitspersonal gesorgt und für den Club als einheitlichen Betrieb geworben. All dies sei typisch für Anstellungsverhältnisse. Das Fehlen der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall sei im Streitfall schließlich unschädlich. Wegen der regelmäßig nur vorübergehenden Beschäftigung der einzelnen Prostituierten im Nachtklub der Klägerin und des häufigen Wechsels des Personals seien derartige Ansprüche ohnehin nicht entstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die Finanzamtsakten der Klägerin, insbesondere auf den Prüfungsbericht vom 30.11.2005 und die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 18.06.2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1.) Die fristgerecht erhobene, und daher zulässige Klage ist begründet.

a) Ein Arbeitgeber haftet gemäß § 42 d Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) für die Lohnsteuer, die er für Rechnung des Arbeitnehmers nach § 38 Abs. 3 Satz 1, § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen hat. Dasselbe gilt für die Lohnkirchensteuer (Art. 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 14 Bayerisches Kirchensteuergesetz - BayKiStG-) und der auf die Arbeitslöhne entfallenden Solidaritätszuschläge (§ 51 a Abs. 1, Abs. 2a EStG, § 3 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a Solidaritätszuschlagsgesetz in der für die Besteuerungszeiträume geltenden Fassung -SolZG-). Bemessungsgrundlage für die Höhe der Lohnsteuer ist die Einkommensteuer, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (§ 38 a Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 EStG).

Voraussetzung ist jedoch, dass es sich bei den Einkünften um solche aus nichtselbständiger Arbeit handelt (§ 38 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG). Nach § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Es handelt sich dabei um einen offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann. Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, ist deshalb anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen (BFH-Urteil vom 20. November 2008 VI R 4/06, BFH/NV 2009, 467). Solche Merkmale können beispielsweise sein: die persönliche Abhängigkeit, die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Überstundenvergütung, zeitlicher Umfang der Dienstleistungen, Unselbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit, kein Unternehmerrisiko, keine Unternehmerinitiative, kein Kapitaleinsatz, keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges oder die Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist (BFH-Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BStBl II 1985, 661).

Schließlich ist bundesgerichtlich auch anerkannt, dass diese Kriterien im Allgemeinen auch für die Abgrenzung einer nichtselbständig tätigen von einer selbständig tätigen Prostituierten gelten können, sofern sie bei dieser Art von Arbeit von Bedeutung sind (BFH-Beschlüsse vom 20. Februar 2008 VI B 111/06, BFH/NV 2008, 949 und vom 18. Februar 2005 VI B 86/04, BFH/NV 2005, 1061).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin nach den Gesamtumständen des Streitfalls nicht als Arbeitgeberin der in ihrem Nachtclub und Bordellbetrieb tätigen Prostituierten anzusehen.

aa) Zunächst ist der Rechtsauffassung des Beklagten insoweit zu folgen, als nicht bereits die im Streitfall fehlende Vereinbarung einer Entgeltfortzahlung für den Urlaubs- und Krankheitsfall der Prostituierten die Annahme von Arbeitsverhältnissen ausschließt. Unabhängig davon, ob die im Nachtclub der Klägerin in den Streitjahren tätigen Prostituierten dort häufig zu kurz und zu sporadisch gearbeitet haben, um diesbezüglich Ansprüche erwerben zu können - wie der Beklagte vorträgt - ist die Gewährung derartiger Ansprüche auch gegenüber zweifelsfrei angestellten Prostituierten nicht unbedingt üblich (vgl. etwa Finanzgericht -FG- München Urteil vom 14. Dezember 2007, 8 K 849/05, EFG 2008, 687; durch Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, Az. des BFH: VI B 8/08). Dasselbe gilt für sonstige, typischerweise Arbeitnehmern gewährte Sozialleistungen. Auch der Umstand, dass die Prostituierten keine feststehende und gleichbleibende Entlohnung erhalten haben, sondern ihr Geld abhängig von der Anzahl ihrer Freier verdient haben, ist kein überzeugendes Indiz gegen ein Arbeitsverhältnis. Prostituierte erhalten ihren Dirnenlohn eben gerade nicht für ihre bloße Anwesenheit im Nachtclub, sondern allein als Entgelt dafür, dass sie die von ihren jeweiligen "Kunden" verlangten höchstpersönlichen Dienstleistungen erbringen. Angesichts der Besonderheiten der Arbeitsweise im sog. Rotlichtmilieu kann weder der ständige Wechsel des im Nachtclub der Klägerin tätigen Personenkreises noch die unregelmäßige und von der individuellen Arbeitsbereitschaft abhängige Anwesenheit der einzelnen Prostituierten als geeignetes Abgrenzungskriterium für eine selbständige von einer nichtselbständigen Tätigkeit angesehen werden. Auch wenn den Prostituierten von der Klägerin weitgehende Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frequenz ihrer Anwesenheit eingeräumt worden ist, begründet dies keineswegs bereits den Status ihrer Selbständigkeit.

Es ist schließlich auch zutreffend, dass das äußerliche Erscheinungsbild des Nachtclubs der Klägerin für die Kunden sowie auch die von der Klägerin finanzierten betriebsbezogenen Werbeaktionen in den einschlägigen Zeitschriften und im Internet den Eindruck eines einheitlichen Bordellbetriebs erweckt haben. Die allgemeine Zugänglichkeit der gemeinsam benutzbaren Einrichtungen wie des Kontaktraums, der Bar und des Whirlpools sind ebenso wie die "Verfügbarkeit" der an den einzelnen Abenden jeweils anwesenden Prostituierten geeignet gewesen, den Gästen das Bild eines einheitlichen Betriebs zu vermitteln. Dass die Freier ihre Getränkezeche bei der Bardame in aller Regel getrennt vom Dirnenlohn beglichen haben, ist für die Annahme von Arbeitsverhältnissen in dieser Branche nicht schädlich. Auch die abgesprochenen Preise für ihre Dienstleistungen, die Vorgaben der Klägerin durch die für alle verbindliche Hausordnung, die festen Öffnungszeiten des Nachtclubs und die Sanktionierung unpünktlichen Erscheinens verstärken das äußerliche Bild eines einheitlichen Bordellbetriebs.

bb) Gleichwohl ist der Senat bei Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls davon überzeugt, dass es sich bei den im Betrieb der Klägerin arbeitenden Prostituierten nicht um deren Angestellte gehandelt hat. Aus den folgenden Gründen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Prostituierten hinsichtlich ihrer typischen Dienstleistungen ausschließlich auf eigene Rechnung gearbeitet haben und der Dirnenlohn keine Lohnzahlung der Klägerin gewesen ist. Einer der entscheidenden Gesichtspunkte bei dieser Gesamtbeurteilung ist die zwischen der Klägerin und den in ihrem Nachtclub arbeitenden Prostituierten in den Streitjahren praktizierte Handhabung der Entlohnung der Prostitutionsleistungen.

Zunächst ist festzuhalten, dass auch solche Entgelte, die ein Angestellter im Rahmen der an seinen Arbeitgeber erbrachten Dienstleistung von dritter Seite, d.h. nicht unmittelbar vom Arbeitgeber erhält, unter bestimmten Umständen Arbeitslohn darstellen können. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG in der für die Streitjahre 2000, 2001, 2002 und 2003 geltenden Fassung unterliegt auch der im Rahmen des Dienstverhältnisses üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Arbeitslohn der Lohnsteuer. Entscheidend hierfür ist der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen dem vom Dritten erhaltenen Entgelt und dem Dienstverhältnis zum Arbeitgeber (vgl. etwa BFH-Urteil vom 24. Februar 1981 VIII R 109/76, BStBl II 1981, 707 und vom 19. Juli 1974 VI R 114/71, BStBl II 1975, 181). Anzunehmen war ein solcher wirtschaftlicher Zusammenhang typischerweise bei freiwilligen Trinkgeldern im Gastronomiebereich, als diese noch nicht durch die seit dem Veranlagungszeitraum 2002 geltende Regelung des § 3 Nr. 51 EStG von der Einkommensteuer freigestellt waren (BFH-Urteil vom 24. Oktober 1997 VI R 23/94, BStBl II 1999, 323). Die auf den streitigen Zeitraum von Januar bis September 2004 anzuwendende Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 EStG in der insoweit geänderten Fassung verlangt für die Einordnung als Arbeitslohn, dass der Arbeitgeber weiß oder erkennen kann, dass derartige Vergütungen von Dritten erbracht werden.

Den insoweit maßgeblichen Vorschriften ist jedoch gemeinsam, dass das Entgelt von dritter Seite für die dem Arbeitgeber gegenüber zu erbringende und erbrachte Dienstleistung bezahlt worden sein muss. Dies ist nach der aus dem Prüfungsbericht der Steuerfahndungsstelle und der Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Senats jedoch nicht der Fall gewesen. Insbesondere ist den Feststellungen des Fahndungsprüfers nicht zu entnehmen, dass die im Nachtclub der Klägerin arbeitenden Prostituierten ihre typischen Prostitutionsleistungen im Dienst der Klägerin erbracht haben. Überzeugendes Indiz hierfür ist die zwischen den Beteiligten unstreitige Tatsache, dass die Prostituierten ihren Dirnenlohn vollständig selbst vereinnahmt haben. Nach den Ausführungen des Fahndungsprüfers im Prüfungsbericht vom 30.11.2005, die die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit auf Frage des Gerichts auch ausdrücklich bestätigt, haben die Prostituierten den Dirnenlohn im Allgemeinen regelmäßig unmittelbar von ihren Freiern in bar erhalten, ohne auch nur einen Teil davon an die Klägerin abgeben zu müssen. Selbst wenn die Freier den Dirnenlohn ausnahmsweise zusammen mit ihrer sonstigen Zeche mittels EC-Karte bei der Bardame beglichen haben, hat die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung darlegt, den in der Gesamtrechnung enthaltenen Dirnenlohn an die betreffende Prostituierte weitergeleitet bzw. mit deren Mietschulden aus der Zimmeranmietung verrechnet. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt der bei ihr sichergestellten Kalendereintragungen für das Streitjahr 2001 vorträgt, hat die Verrechnung des mittels EC-Karten bezahlten Dirnenlohns mit der tageweise zu entrichtenden Zimmermiete jeweils täglich nach Schließung des Nachtclubs um 5:00 Uhr morgens stattgefunden. Die Prostituierten haben demnach nach Ende eines jeden einzelnen "Arbeitstags" im Nachtclub den von ihnen verlangten Dirnenlohn vollständig erhalten. Es mag zwar aus der Sicht der "Kunden" der Prostituierten nicht von Belang und Interesse gewesen sein, ob der den Prostituierten bezahlte Dirnenlohn nun ausschließlich diesen oder auch teilweise der Klägerin als Inhaberin des Nachtclubs zugute gekommen ist. In erster Linie ist jedoch für die Frage nach der Qualifizierung der Einkünfte der Prostituierten nicht der Eindruck der Freier entscheidend sondern maßgeblich, ob die Prostituierten aus ihrer Sicht und aus der Sicht der Klägerin bei ihrer Tätigkeit auf eigene Rechnung gearbeitet oder im Dienst der Klägerin gestanden haben. Das Recht, den Lohn für die Prostitutionsleistungen in vollem Umfang selbst zu vereinnahmen, wertet der Senat als deutliches Anzeichen dafür, dass die Prostituierten trotz einer gewissen organisatorischen Eingliederung im Nachtclub dort allein auf eigene Rechnung, Initiative und Risiko gearbeitet haben. Die Klägerin ist an den Dirnenlöhnen zwar insoweit mittelbar wirtschaftlich beteiligt gewesen, als die Prostituierten ihr für die Benutzung der Zimmer ein Entgelt zu entrichten gehabt haben. Die Zimmermiete hat jedoch in einem fixen Betrag bestanden und ist im Regelfall in Höhe von 85 EUR bzw. des entsprechenden DM-Betrags unabhängig von der Anzahl der Freier und der Höhe des von der Prostituierten im Einzelfall vereinnahmten Dirnenlohns zu zahlen gewesen. Die Zimmervermietung allein hat deshalb noch keine Anstellungsverhältnisse begründet.

Die selbständige Stellung der Prostituierten wird auch durch die von ihnen praktizierte Preisgestaltung verdeutlicht. Ausweislich der für alle Prostituierten des Nachtclubs verbindlichen Hausordnung haben sich diese zwar gegenüber der Klägerin verpflichtet, die Preise für ihre Prostitutionsleistungen intern mit ihren Kolleginnen abzusprechen. Gleichwohl hat sich die Klägerin nach ihrer - auch durch die Feststellungen des Fahndungsprüfers nicht widerlegbaren - Aussage in der mündlichen Verhandlung weder in deren Preisabsprachen "eingemischt" noch - von etwaigen EC-Kartenzahlungen abgesehen - überhaupt Kenntnis über die genaue Höhe der insgesamt vereinnahmten Dirnenlöhne gehabt. Auch wenn die Prostituierten an die einheitliche Preisgestaltung für ihre Dienstleistungen intern gebunden gewesen sind, was aus betriebsorganisatorischen Gründen nachvollziehbar ist, so haben sie dennoch eindeutig auf eigenes Risiko und eigene Rechnung gearbeitet. Nach dem auch unter Berücksichtigung des Prüfungsberichts der Steuerfahndungsstelle widerspruchsfreien Sachvortrag der Klägerin hat diese die im Nebengebäude des Nachtclubs vorhandenen sechs Zimmer ohne weitere Vorgaben jeweils an diejenigen Prostituierten tageweise vermietet, die sich für den jeweils kommenden Abend vorangemeldet haben. Weder die vorliegenden Akten noch der Sachvortrag der Beteiligten ergeben irgendwelche Anhaltspunkte für konkrete Vorgaben der Klägerin betreffend die Anzahl der zu empfangenden Freier oder die Art der für diese zu erbringenden Leistungen. Vielmehr geht der Senat aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts davon aus, dass die Prostituierten bei der Ausübung ihres "Gewerbes" im Nachtclub weitgehend eigenständig gearbeitet haben. Auch wenn die Prostituierten von der Klägerin Provisionen für die durch ihre Freier spendierten Getränke erhalten haben, so qualifiziert allein dieser Umstand ihre Stellung gegenüber der Klägerin nicht als eine nichtselbständige Arbeit, zumal die besagten Getränkeprovisionen auch nach den Feststellungen des Fahndungsprüfers gegenüber den Dirnenlöhnen nicht wesentlich ins Gewicht gefallen sind.

Nach alldem hat das Gesamtbild der Arbeitsweise der Prostituierten im Nachtclub der Klägerin nicht den Anforderungen an eine nichtselbständige Tätigkeit entsprochen.

2.) Da nach der Überzeugung des Senats schon dem Grunde nach keine lohnsteuerpflichtige Tätigkeit der Prostituierten vorgelegen hat, braucht sich der Senat mit den Fragen nach der zutreffenden Höhe der schätzungsweisen Dirnenlöhne in den Streitjahren und der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung des Beklagten nicht mehr zu befassen.

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Regelung gilt auch nach der Änderung der ZPO durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198) sinngemäß noch für finanzgerichtliche Urteile (FG München Urteil vom 20. Januar 2005, 3 K 4519/01, EFG 2005, 969).

Ende der Entscheidung

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