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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: 15 K 779/05
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 31 S. 5
EStG § 66 Abs. 1
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

15 K 779/05

Einkommensteuer 1998 bis 2000

In der Streitsache

hat der 15. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht

des Richters am Finanzgericht ... und

der Richterin am Finanzgericht sowie

der ehrenamtlichen Richter ..... und ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 25.10.2005 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer der Kläger für 1998 auf 189.230,15 EUR herabgesetzt wird.

2. Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 25.10.2005 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer der Kläger für 1999 auf 172.816,14 EUR herabgesetzt wird.

3. Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 25.10.2005 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer der Kläger für 2000 auf 204.716,16 EUR herabgesetzt wird.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

6. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die tarifliche Einkommensteuer der Kläger für die Streitjahre wegen des in Norwegen lebenden minderjährigen Sohnes des Klägers zu 1) zu Recht um einen Betrag in Höhe des in § 66 Abs. 1 Einkommensteuergesetz in der jeweils für die Streitjahre geltenden Fassung vorgesehenen Kindergelds erhöht hat.

Die Kläger sind Ehegatten und wurden mit ihren Einkünften für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1) bezahlte in den Streitjahren nach norwegischem Recht Unterhalt für seinen im Jahr 1994 geborenen nichtehelichen Sohn P, der bei seiner Mutter in Norwegen lebte. Der Beklagte (das Finanzamt) ließ bei der Ermittlung des Einkommens der Kläger für die Streitjahre 1998 und 1999 im Hinblick auf den genannten Sachverhalt jeweils einen doppelten Kinderfreibetrag in Höhe von 6.912 DM bzw. für das Streitjahr 2000 einen doppelten Kinderfreibetrag sowie einen doppelten Betreuungsfreibetrag von 9.936 DM (2000) zum Abzug zu, erhöhte die tarifliche Einkommensteuer der Kläger um einen Kindergeldbetrag von 2.640 DM (1998), von 3.000 DM (1999) bzw. von 3.240 DM (2000) und setzte die Einkommensteuer der Kläger dementsprechend mit Bescheiden vom 26.10.2000 (1998), vom 12.07.2001 (1999) und vom 5.09.2002 (2000) fest. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1998 legten die Kläger Einspruch ein und wandten sich gegen die Zurechnung des Kindergeldes mit der Begründung, der Kläger zu 1) habe für seinen Sohn P keines erhalten. Diesen Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 20.03.2001 als unbegründet zurück. Klage hiergegen wurde nicht erhoben. Der Einkommensteuerbescheid für 1999 blieb unangefochten. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2000 legten die Kläger aus anderen Gründen Einspruch ein, dem das Finanzamt mit geändertem Bescheid vom 14.10.2002 in der Sache abhalf. Das diesbezügliche Einspruchsverfahren war damit abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 27.12.2002 beantragten die Kläger beim Finanzamt u.a. betreffend die Streitjahre die Änderung der bis dahin jeweils festgesetzten Einkommensteuer mit der Maßgabe der Herabsetzung um die Höhe des jeweils zugerechneten Kindergeldes. Ihren Antrag stützten sie dabei auf ein Schreiben der norwegischen Behörde "Folketrygdkontoret for uter-landssaker" in Norwegen vom 29.11.2002. Das in deutscher Sprache abgefasste behördliche Schreiben enthält die Bestätigung, dass der Kläger zu 1) u.a. in den Streitjahren von einer norwegischen Behörde kein Kindergeld erhalten hat. Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag mit Schreiben vom 10.01.2003 ohne Rechtsbehelfsbelehrung ab. Nachdem die Kläger mit Schreiben vom 23.06.2003 diesbezüglich um Erteilung einer "rechtsmittelfähigen" Ablehnung baten, lehnte das Finanzamt mit weiterem, diesmal mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenem Schreiben vom 25.06.2003 den Antrag erneut ab. Der hiergegen mit Schreiben vom 7.07.2003 eingelegte Einspruch blieb erfolglos und wurde durch für alle Streitjahre zusammengefasste Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 21.01.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 23.02.2005 erhobene Klage, die die Kläger wie folgt begründen:

Die Zurechnung des Kindergeldbetrags sei nicht zulässig gewesen, weil der Kläger zu 1) weder nach deutschem noch nach norwegischem Recht Kindergeld für seinen in Norwegen lebenden Sohn erhalten habe. Der vorgelegten Bestätigung der norwegischen Behörde sei zu entnehmen, dass weder der Kläger zu 1) noch die Mutter des Kindes in Norwegen Kindergeld bekommen habe. Zum Beweis hierfür benennen die Kläger den Unterzeichner des behördlichen Schreibens als Zeugen. Aufgrund dieser Bestätigung handle es sich auch um eine dem Finanzamt nachträglich bekannt gewordene Tatsache, die das Finanzamt zur Änderung der Steuerfestsetzungen verpflichte.

Nach Rechtshängigkeit der Klage änderte das Finanzamt die für die Streitjahre ergangenen Einkommensteuerbescheide aus einem anderen, hier nicht streitigen Punkt, ließ die Kindergeldzurechnung unverändert und setzte die Einkommensteuer mit Bescheiden jeweils vom 25.10.2005 auf 189.759,85 EUR (1998), auf 173.414,36 EUR (1999) und auf 205.077,13 EUR (2000) fest.

Die Kläger beantragen,

das Finanzamt zu verpflichten,

die Einkommensteuerbescheide für 1998, 1999 und 2000 jeweils vom 25.10.2005 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer für 1998 um 1.349,81 EUR (d.h. 2.640 DM), für 1999 um 1.533,88 EUR (d.h. 3000 DM) und für 2000 um 1.656,59 EUR (3.240 DM) herabgesetzt wird.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Ansicht stelle das Schreiben der norwegischen Behörde keine neue Tatsache dar, weil das Finanzamt bereits zuvor davon ausgegangen sei, dass der Kläger zu 1) aus Norwegen kein Kindergeld erhalten hätte. Eine Änderung der Einkommensteuerbescheide komme schon aus diesem Grunde nicht in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Finanzamtsakten der Kläger und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1.) Die Klage ist fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig.

Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Finanzamts, durch den es die Änderung der bis dahin für die Streitjahre ergangenen Einkommensteuerbescheide abgelehnt hat. Es kann dahin gestellt bleiben, ob es sich hierbei um den Ablehnungsbescheid vom 10.01.2003 oder das möglicherweise nur als wiederholende Verfügung wirkende Schreiben vom 25.06.2003 handelt. Da dem erstgenannten Bescheid keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden ist, ist in Anwendung des § 356 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) der mit Schreiben vom 7.07.2003 erfolgte Einspruch der Kläger auch hiergegen noch als fristgerecht anzusehen. Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne des § 40 Abs. 1, 2. Alt. FGO zulässig (Bundesfinanzhof BFH-Urteil vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BStBl II 1983, 324). In entsprechender Anwendung des § 68 Satz 1 FGO ist die Verpflichtungsklage auf Änderung der nach Rechtshängigkeit wirksam gewordenen Änderungsbescheide vom 25.10.2005 gerichtet.

2.) Die Verpflichtungsklage ist nur teilweise begründet.

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Änderung der letztgültigen und die Streitjahre betreffenden Einkommensteuerbescheide zugunsten der Kläger nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO sind erfüllt.

aa) Hiernach sind (bestandskräftige) Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen sind solche, die nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des Finanzamts über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden (BFH-Urteil vom 26. November 1996 IX R 77/95, BStBl II 1997, 422). Hierbei kommt es auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde, und zwar der Personen an, die innerhalb der Behörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (BFH-Urteil vom 5. Dezember 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588). Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen an dem nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache setzt entweder Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus (BFH-Urteil vom 13. September 1990 V R 110/85, BStBl II 1991, 124). Grob fahrlässig handelt ein Steuerpflichtiger, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 6. Oktober 2004 X R 14/02, BFH/NV 2005, 156).

bb) Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO für die Korrektur der die Streitjahre betreffenden Einkommensteuerbescheide sind nicht schon aufgrund der Bestätigung des "Folketrygdkontoret for uterlandssaker" in Norwegen erfüllt. Die Tatsache, dass der Kläger zu 1) für seinen in Norwegen lebenden Sohn kein Kindergeld von einer norwegischen Behörde erhalten hat, ist dem Finanzamt auch bereits vor Ausstellung der o.g. behördlichen Bestätigung vom 29.11.2002 bekannt gewesen. Die Kläger hatten sie nämlich bereits in der Begründung ihres Einspruchs vom 22.11.00 gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 26.10.2000 vorgetragen. Im Zeitpunkt des Änderungsantrags der Kläger mit Schreiben vom 27.12.2002 ist sie dem Finanzamt somit auch bekannt gewesen.

Nicht bekannt ist dem Finanzamt demgegenüber gewesen, dass der Kläger zu 1) - wie nachfolgend unter Buchstabe b) ausgeführt - nach norwegischem Recht keinen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch des Inhalts hat, dass er seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem minderjährigen Kind um den vollen oder auch nur teilweisen Betrag des vermutlich in Norwegen an die Mutter des Kindes bezahlten Kindergelds zu vermindern befugt gewesen wäre. Die gesetzlichen Regelungen im norwegischen Unterhaltsrecht stellen - ebenso wie jedes im Streitfall vorgreifliche Rechtsverhältnis aus einem anderen Rechtsgebiet - auch eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 AO dar (BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144). Der Umstand, dass das Finanzamt hinsichtlich der Frage eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach norwegischem Recht im Zeitpunkt der Entscheidung über den den Rechtsstreit auslösenden Änderungsantrag möglicherweise keine Überlegungen angestellt hat, steht dem Klageantrag nicht entgegen. Dem Finanzamt ist in Bezug auf die Entscheidung über eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 AO kein Ermessen eingeräumt; vielmehr ist und bleibt es zur Vornahme der Änderung verpflichtet, falls die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 VI R 137/82, BStBl II 1985, 660).

Den Klägern ist auch kein grobes Verschulden daran vorzuhalten, dass die in Norwegen geltenden Unterhaltsvorschriften dem Finanzamt bis zur erstmaligen Einkommensteuerfestsetzung für die Streitjahre unbekannt geblieben sind. Die Kläger haben diesen Umstand, der ihnen möglicherweise selbst nicht bewusst gewesen ist, weder dem Finanzamt vorsätzlich verschwiegen noch grob fahrlässig ungeklärt gelassen. Gerade bei Steuerpflichtigen ohne einschlägige (rechtliche) Vorbildung kann allein der Mangel an Rechtskenntnissen den Vorwurf grober Fahrlässigkeit noch nicht rechtfertigen. Dies ist beispielsweise in Bezug auf die Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften mehrfach höchstrichterlich entschieden (BFH-Urteil vom 22. Mai 1922 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80). Der Mangel an (steuerrechtlichen) Rechtskenntnissen entschuldigt den Steuerpflichtigen nur dann nicht, wenn dieser (rechtlichen) Zweifelsfragen, die sich ihm aufdrängen mussten, nicht nachgegangen ist (BFH-Urteil vom 13. Juni 1989 VIII R 174/85, BStBl II 1989,789). Dies muss nach Ansicht des Senats erst recht für die Kenntnis ausländischer - wie im Streitfall norwegischer - Rechtsvorschriften gelten, die dem Finanzamt vermutlich bislang ebenso wenig bekannt gewesen sein dürften.

b) Die in § 31 Satz 5 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) vorgesehene Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer um das Kindergeld oder einer vergleichbaren Leistung findet im Streitfall keine Anwendung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür sind im Streitfall nicht erfüllt.

aa) Zunächst ist davon auszugehen, dass bei der Festsetzung der Einkommensteuer der Kläger der in Norwegen lebende Sohn des Klägers zu 1), P, als dessen Kind im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen ist.

Der so genannte Familienleistungsausgleich erfolgt gemäß § 31 Satz 1 EStG alternativ entweder durch die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags bzw. in Bezug auf das Streitjahr 2000 zusätzlich durch einen Betreuungsfreibetrag jeweils nach Maßgabe des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG oder durch Gewährung von Kindergeld nach §§ 62 ff EStG. Dies gilt auch für den Streitfall. § 31 Satz 4 EStG sieht dabei vor, dass der Familienleistungsausgleich vorrangig durch das Kindergeld abgegolten wird. Die Berücksichtigung der bezeichneten Freibeträge erfolgt danach nur dann, wenn die gebotene Freistellung des Existenzminimums des Kindes allein durch das Kindergeld nicht gewährleistet wird. Dies ist im Streitfall - unabhängig von der hier zu entscheidenden Rechtsfrage der Zurechnung von Kindergeld - schon aufgrund der Höhe des Einkommens der Kläger anzunehmen.

bb) Demzufolge steht dem Kläger zu 1) nach Maßgabe des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG für seinen Sohn P ein Kinderfreibetrag in Höhe von 288 DM für jeden Kalendermonat des jeweiligen Streitjahres, mithin ein jährlicher Freibetrag von 3.456 DM zu. Zusätzlich ist zugunsten des Klägers zu 1) für das Streitjahr 2000 gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz Einkommensteuergesetz in der für den Veranlagungszeitraum 2000 geltenden Fassung ein Betreuungsfreibetrag von 1.512 DM vom Einkommen abziehbar. Der Abziehbarkeit der genannten Freibeträge steht der ausschließlich ausländische Wohnsitz des Kindes nicht entgegen. Die bezeichneten Freibeträge sind auch in diesem Fall zu gewähren. Eine Kürzung der Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG findet in Bezug auf Norwegen nicht statt (Bundesministerium der Finanzen -BMF-Schreiben vom 27.02.1996, IV B 6 - S 2365 - 4/96, BStBl I 1996, 115 bzw. vom 26.10.2000, IV C 4 - S 2285 -54/00, BStBl I 2000, 1502).

cc) Die in § 31 Satz 5 EStG vorgesehene Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer ist im Streitfall ausnahmsweise nicht durchzuführen.

Es ist zwar richtig, dass die in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG genannten Freibeträge nicht zusätzlich zum Kindergeld gewährt werden dürfen, sondern nur alternativ. Die Kumulierung beider kinderbezogenen Leistungen wird im Regelfall gemäß § 31 Satz 5 EStG dadurch vermieden, dass bei Berücksichtigung der Freibeträge die tarifliche Einkommensteuer um das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen erhöht wird. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige das Kindergeld nicht unmittelbar, sondern nur im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs erhält. Im Streitfall hat der Kläger zu 1) aber weder norwegisches Kindergeld bekommen noch einen Anspruch auf deutsches Kindergeld gehabt. Schließlich hat ihm auch kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zugestanden.

Der Kläger zu 1) hat für seinen Sohn P in den Streitjahren kein Kindergeld nach norwegischem Recht erhalten. Dies hat das Finanzamt auch zu keinem Zeitpunkt bestritten. Nicht zuletzt belegt dies auch die Bestätigung der norwegischen Behörde vom 29.11.2002. Eine weitergehende Beweisaufnahme zu diesem Punkt, insbesondere die klägerseits beantragte Einvernahme eines Zeugen erübrigt sich deshalb. Dem Kläger zu 1) hat in den Streitjahren aber auch kein Anspruch auf (deutsches) Kindergeld zugestanden. Grundsätzlich hat er zwar wegen seines inländischen Wohnsitzes zu dem in § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Personenkreis der Kindergeldberechtigten gehört. Eine Anspruchskonkurrenz mit der Kindesmutter (§ 64 Abs. 2 EStG) war wegen deren ausländischen Wohnsitzes auch nicht gegeben. Schließlich hätte allein der ausländische Wohnsitz seines Sohnes P dessen Berücksichtigung auch nicht entgegen gestanden, weil Norwegen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums ist (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Ein Anspruch des Klägers zu 1) auf (deutsches) Kindergeld ist aber letztlich deswegen ausgeschlossen gewesen, weil die Mutter des Kindes in Norwegen nach den dort geltenden gesetzlichen Vorschriften Kindergeld bzw. eine vergleichbare kinderbezogene Leistung für P erhalten hat oder bei entsprechender Antragstellung erhalten hätte (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Kindergeld ist in Norwegen bis zum 30.04.2000 einkommensunabhängig für alle Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres und mit Wirkung ab 1.05.2000 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bezahlt worden (BMF Schreiben vom 26.06.2000 - St 14 - S 2473 -11/1999, BStBl 1 2000, 1128 ff). Der Senat hat keine Veranlassung anzunehmen, dass die in Norwegen lebende Mutter des in 1994 geborenen Kindes in den Streitjahren kein Kindergeld nach norwegischem Recht erhalten haben soll. Entgegen der Behauptung der Kläger in der Klagebegründung vom 31.05.2005 enthält auch die Bestätigung der norwegischen Behörde nichts Gegenteiliges, insbesondere keine Aussage, dass die Kindesmutter kein norwegisches Kindergeld erhalten hätte. Abgesehen davon, wäre bei Richtigkeit dieses Sachvortrags der Kläger die Klage unbegründet. Das der Kindesmutter in Norwegen zustehende Kindergeld ist eine dem (deutschen) Kindergeld vergleichbare Leistung im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gewesen und hat den Anspruch des Klägers zu 1) auf (deutsches) Kindergeld ausgeschlossen (Seewald/Felix Kindergeldrecht, Stand August 2007, DA -FamEStG 65.1.3.).

Die Erhöhung der Einkommensteuer der Kläger ist aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs des Klägers zu 1) im Sinne des § 31 Satz 5, Halbsatz 2 EStG zulässig gewesen. Hintergrund dieser Regelung ist die unterhaltsrechtliche Vorschrift des § 1612 b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), derzufolge der barunterhaltsverpflichtete Elternteil seine Unterhaltsverpflichtung um den hälftigen Kindergeldanspruch zu kürzen befugt ist. Mangels Kindergeldanspruchs des Klägers zu 1) gemäß §§ 62 ff EStG und mangels Anwendbarkeit des deutschen Unterhaltsrechts (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 Einführungsgesetz zum BGB) hat dem Kläger zu 1) nach deutschen Zivilrecht kein Ausgleichsanspruch zugestanden.

Ein Ausgleichsanspruch dergestalt, dass der Kläger zu 1) seine nach norwegischem Familienrecht begründete Unterhaltspflicht wegen des der Kindesmutter in Norwegen zustehenden dortigen Kindergelds vermindern durfte, hat ebenso wenig bestanden. Ein Ausgleichsanspruch nach fremdem Recht würde zwar für die Erhöhung der Einkommensteuer nach § 31 Satz 5, Halbsatz 2 EStG genügen, weil der dort verwendete Begriff dem der vergleichbaren Leistungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entspricht (vgl. Jachmann in Kirchhof EStG 3. Auflage 2003 § 31 Rz. 7), was § 31 Satz 1 EStG in der für 2008 geltenden Fassung nunmehr auch zum Ausdruck bringt. Die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Klägers zu 1) gegenüber seinem Sohn P richtet sich nach den norwegischen Unterhaltsvorschriften (vgl. Kapitel 9 Abschnitt 83 und 84 des Gesetzes über Kinder und Eltern des Königreichs Norwegen -Lov 8. april 1981 nr.7 om barn o.g. foreldre). Die Höhe der Unterhaltsverpflichtung des zahlenden Elternteils richtet sich dabei nach dessen Einkommen bzw. des Verbraucherpreisindexes der Norwegischen Zentralbehörde für Statistik (Kapital 8 Abschnitt 71 und 73 des Gesetzes über Kinder und Eltern des Königreichs Norwegen). Eine der Vorschrift des § 1612 b Abs. 1 BGB entsprechende Regelung besteht indessen nicht, was auf Anfrage des Gerichts von der Botschaft des Königreichs Norwegen in Berlin auch bestätigt wurde. Ein einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigender Ausgleichsanspruch des Klägers zu 1) hat in den Streitjahren demnach nicht bestanden.

Die nach § 31 Satz 5 EStG vorgesehene Erhöhung der Einkommensteuer hat aber nur dann ihre Berechtigung, wenn der zum Abzug des Kinderfreibetrags bzw. Betreuungsfreibetrags befugte Steuerpflichtige zusätzlich durch den unmittelbaren Erhalt von Kindergeld oder eines dementsprechenden Ausgleichs bei seiner Unterhaltspflicht entlastet wird. Die einkommensteuergesetzliche Regelung soll lediglich die Verdoppelung des Familienleistungsausgleichs ausschließen. Wie ausgeführt, ist dies im Streitfall nicht gegeben.

c) Die Klage ist allerdings insoweit unbegründet, als die Kläger die Erhöhung ihrer Einkommensteuer für 1998 um 2.640 DM, für 1999 um 3.000 DM und für 2000 um 3.240 DM beseitigt haben wollen, bei ansonsten unveränderter Einkommensermittlung. Da der minderjährige P nur zum Kläger zu 1), nicht hingegen zu dessen Ehefrau, der Klägerin zu 2) in einem Kindschaftsverhältnis steht, hätte das Einkommen der Kläger nur um den einfachen Kinderfreibetrag bzw. für das Streitjahr 2000 den einfachen Betreuungsfreibetrag vermindert werden dürfen. Die Voraussetzungen für den Abzug der doppelten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 3 EStG sind demnach nicht erfüllt gewesen. Soweit das Finanzamt das Einkommen der Kläger zu Unrecht vermindert hat, ist dieser Rechtsfehler dem Klagebegehren entgegen zu halten und zu kompensieren.

3.) Die Einkommensteuer der Kläger für die Streitjahre ermittelt sich danach wie folgt (in DM):

 Streitjahre 1998 1999 2000
Einkommen lt. Bescheiden vom 25.10.20051.453.872728.916874.801
Kinderfreibetrag für P./. 3.456./. 3.456./. 4.968
Unstreitiger Kinderfreibetrag./. 1.728./. 6.912./. 9.936
Zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil1.448.688718.548859.897
Steuer nach Splittingtarif54.876335.044397.396
Steuer nach § 34 Abs. 2 EStG + 315.247+ 0+ 0
Tarifliche Einkommensteuer370.123335.044397.396
Anzurechnende ausländische Steuer./. 21./. 45./. 246
Hinzurechnung Kindergeld P+ 0+ 0+ 0
Hinzurechnung Kindergeld (unstreitig)+ 0+ 3.000+ 3.240
Festzusetzende Einkommensteuer (in DM)370.102337.999400.390
Festzusetzende Einkommensteuer (in EUR) 189.230,15 172.816,14 EUR 204.716,16

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Die Kostenverteilung entspricht dem Verhältnis zwischen Obsiegen und Unterliegen der Kläger.

5.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Regelung gilt auch nach der Änderung der ZPO durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198) sinngemäß noch für finanzgerichtliche Urteile (FG München Urteil vom 20. Januar 2005, 3 K 4519/01, EFG 2005, 969).

Ende der Entscheidung

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