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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 2 K 3041/04
Rechtsgebiete: EStG, BSHG


Vorschriften:

EStG § 12
EStG § 33
BSHG § 3 Abs. 2 S. 2
BSHG § 3a
BSHG § 39
BSHG § 40
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

2 K 3041/04

Einkommensteuer 2000 und 2001 des verstorbenen ...

In der Streitsache

...

hat der 2. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündliche Verhandlung

am 31. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2000 vom 21. März 2003 und des Einkommensteuerbescheids 2001 vom 3. September 2003 -jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2004 -wird die Einkommensteuer 2000 auf 2.315,64 EUR und die Einkommensteuer 2001 auf 2.149,98 EUR festgesetzt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Streitig ist der Ansatz von Kosten der Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastung in den Jahren 2000 und 2001.

Der am 00. 00. 2004 im Alter von 63 Jahren verstorbene Rechtsvorgänger (RV) der Erben und Kläger litt laut Schreiben des Bezirksklinikums G vom 27. August 1999, worauf Dr. med. B in seinem psychiatrischen Gutachten vom 9. Dezember 2002 für das LG T in der Betreuungssache RV hinweist, nach zweimaliger Operation eines Meningeoms (gutartiger Hirntumor) an einer bipolaren Störung. 1998 kam es, wird weiter ausgeführt, zweimal zu ausgeprägten manischen Phasen mit anschließender schwerer Depression. Im Rahmen eines schweren depressiven Verstimmungszustandes wurde er am 25. August 1999 erstmals stationär psychiatrisch im Bezirksklinikum G behandelt. Seit dieser Zeit war er dort nahezu durchgehend zur stationären Behandlung. Mehrere Versuche wurden dort unternommen, seine schwere depressive Phase zu mildern; aber bei keiner Behandlungsmethode kam es zu einer deutlichen Besserung. Im Jahr 1999 diagnostizierte Dr. D, Facharzt für Nervenheilkunde, zusammenfassend, dass sich RV während des ganzen bisherigen Jahres 1999 auf dem Hintergrund seiner biphasischen affektiven Psychose in einem Zustand der Geschäftsunfähigkeit befunden hat und nicht mehr in der Lage war, irgendwelche dringend erforderlichen Angelegenheiten noch sinnvoll zu regeln (Schreiben an Rechtsanwältin S vom 16. Oktober 1999). Seit September 1999 stand RV daher unter Betreuung. Im Juni 2000 musste er, worauf Dr. B in dem psychiatrischen Gutachten hinweist, im "S-Heim in N" untergebracht werden. Der Entlassungsversuch aus dem Bezirkskrankenhaus G über die Osterfeiertage im Jahr 2000 scheiterte, weil er trotz Unterstützung durch das betreute Wohnen der Caritas nicht in der Lage war, sich zu Hause zu versorgen. Die prompte Wiedereinweisung in das Bezirkskrankenhaus G am 28. April 2000 war vielmehr notwendig, woraus er am 27. Juni 2000 unmittelbar in das "S-Heim in Nussdorf" entlassen wurde.

Für den Aufenthalt in diesem sozialtherapeutischen Pflegeheim in N ab 27. Juni 2000 betrug das tägliche Gesamtentgelt 151,60 DM, wovon -abzüglich einer täglichen Ausgleichspauschale von 14,39 DM -25.25 DM auf die Grundpauschale (Unterkunft und Verpflegung), 112,74 DM auf "Maßnahmen" und 28 DM auf nicht geförderte Investitionskosten entfielen (s. § 8 des Heimvertrags); bis einschließlich Juni 2001 wurde RV zusätzlich ein monatlicher "Barbetrag" bzw. ein monatliches "Bar- u. Eigengeld" in Höhe von 200 DM in Rechnung gestellt (s. die vorliegenden Monatsrechnungen 7/2000 bis 12/2001). Drittersatz hierfür erhielt RV nicht.

Die damit in 2000 und 2001 von RV geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 29.700,80 DM und 57.320,56 DM machte er in seinen Einkommensteuererklärungen für 2000 und 2001 abzüglich einer Haushaltsersparnis von 6.750 DM und 14.040 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Steuererklärungen wurden von der Betreuerin, Frau Rechtsanwältin A, unterzeichnet.

Mit antragsgemäß dem Prozessbevollmächtigten bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheiden für 2000 und 2001 vom 21. März und 3. September 2003 ließ der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die Zahlungen nicht zum steuerlichen Abzug zu, "weil weder eine Behinderung mit Merkzeichen H oder Bl vom Versorgungsamt noch die Pflegestufe III nach dem Elften Buch Sozialgesetz, dem Bundessozialhilfegesetz oder diesen entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen vorgelegt wurde. (§ 33, 33 b EStG -Einkommensteuergesetz -, Richtlinien 188, § 65 EStDV -Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -)." Auf die dagegen vom Prozessbevollmächtigten namens des durch die Betreuerin vertretenen Steuerpflichtigen erhobenen Einsprüche hin (s. Schreiben vom 17. April und 9. September 2003) minderte das FA nach Verbindung der Einsprüche zur gemeinsamen Entscheidung mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2004 die Einkommensteuer für 2000 auf 5.676,36 EUR.

Die Einkommensteuer für 2001 erhöhte es aufgrund neuer Tatsachen -insoweit der Höhe und dem Grund nach unstreitig -auf 8.613,22 EUR. Dabei berücksichtigte es in beiden Jahren erstmals den Grad der Behinderung von RV (50 v. H.) durch Ansatz eines Behindertenpauschbetrags nach § 33 b EStG in Höhe von jährlich 1.110 DM. Zudem gewährte es erstmals den besonderen Freibetrag für Bewohner von Heimen gemäß § 33 a Abs. 3 Satz 2 EStG für 2000 zeitanteilig in Höhe von 900 DM und für 2001 in voller Höhe von 1.800 DM. Er sei anstelle der außergewöhnlichen Belastung nach § 33 EStG zu gewähren, da der Abzug der Heimkosten nach § 33 EStG gemäß dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 20. Januar 2003, VV DEU BMF 2003-01-20 IV C-S 2284-2/03 (BMF), BStBl I 2003, 89 mangels Feststellung mindestens der Pflegestufe I zum Zeitpunkt der Heimunterbringung nicht möglich sei. Wenn auch in dem BFH-Urteil vom 23. Mai 2002 III R 24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567 die Nachweise für die Notwendigkeit der Unterbringung in einem Heim durch andere Unterlagen geführt werden könne, so sei das Urteil nicht mit vorliegendem Fall identisch. Denn im Urteilsfall werde der Vorgang durch den Sozialhilfeträger, somit durch eine zuständige staatliche Stelle, geprüft, was hier nicht der Fall sei. Die Verwaltung wende deshalb § 65 Abs. 2 EStDV in Verbindung mit dem bezeichneten BMF-Schreiben an.

Dagegen wenden sich die Kläger mit der vorliegenden Klage. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass die notwendige Heimunterbringung von RV mit knapp 59 Jahren außergewöhnlich sei, weil Menschen im arbeitsfähigen Alter in der Regel entweder allein oder mit anderen Familienangehörigen leben. Die Heimunterbringung sei auch zwangsläufig gewesen, weil der Heimaufenthalt nachgewiesenermaßen ausschließlich durch die körperliche und mentale Behinderung des Klägers veranlasst worden sei, zumal nach der Lebenserfahrung niemand ohne Not aus persönlichen Gründen der Lebensführung in ein Heim für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung ziehen würde. Überdies sei die Erforderlichkeit und damit die Notwendigkeit der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung sowie das Krankheitsbild mehrfach attestiert worden. insbesondere aus den Entwicklungsberichten, den Folgeberichten des Heimträgers vom 15. April und 11. November 2003 ergebe sich, dass die Unterbringung von RV wegen des schweren Krankheitsbildes in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung weiterhin erforderlich sei. Widersprüchlich sei zudem, dass das FA zwar Pausch- und Freibeträge gemäß § 33 b bzw. § 33 a EStG zuerkenne, nicht jedoch die tatsächlichen Kosten. Die BFH-Entscheidung in BStBl II 2002, 567 sei einschlägig. Überdies müsse für Selbstzahler erst recht gelten, was für Sozialhilfeempfänger gelte. Die vom BFH geforderten Nachweise seien überobligatorisch erbracht. Wegen des weiteren Vortrags der Kläger wird gemäß § 105 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung auf die Klageschriftsätze vom 5. Juli, 9. August und vom 25. August 2004, vom 7. Juli 2006 sowie auf das Fax vom 25. Juli 2007 -jeweils samt Anlagen -verwiesen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 21. März 2003 für 2000 und vom 3. September 2003 für 2001 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2004 die Einkommensteuer 2000 auf 2.315,64 EUR (4.529 DM) und die Einkommensteuer 2001 auf 1.987,90 EUR (3.888 DM) festzusetzen.

Das FA beantragt

Klageabweisung.

Zur Begründung trägt es insbesondere vor, dass für RV in den beiden Streitjahren eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H., nicht dagegen ein Merkzeichen "H" für hilflos oder eine Pflegestufe im Sinn des Sozialgesetzbuchs festgestellt worden sei. Die Pflegekosten seien wohl wegen der eigenen Einkünfte bzw. des eigenen Vermögens von RV nicht vom Sozialhilfeträger übernommen werden. Trotz einer größeren Zahl von Gutachten und Berichten werde daher weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Feststellung einer Pflegestufe für die Anerkennung der Heimunterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung unerlässlich sei, wobei die Pflegestufe I genüge. Die Einlassung, die Feststellung einer Pflegestufe könne vom medizinischen Standpunkt her schädlich sein, könne kein Argument sein. Im Übrigen verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Klage ist im Wesentlichen begründet.

1. Zu Unrecht hat das FA die Kosten für die Unterbringung von RV in dem sozialtherapeutischen Pflegeheim S-H in N -den monatlichen "Barbetrag" bzw. das monatliche "Bar-u. Eigengeld" ausgenommen -nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt.

1.1 Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Damit sollen zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf berücksichtigt werden, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Nicht hierzu zählen aber die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (Urteil des BFH vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418) und wozu grundsätzlich auch die Kosten für die Unterbringung und die Verpflegung zu rechnen sind, gleichgültig in welcher Höhe sie tatsächlich anfallen. Nur wenn einem Steuerpflichtigen durch außergewöhnliche und zwangsläufige Umstände höhere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse entstehen, können ausnahmsweise auch die Mehrkosten für Unterbringung und Verpflegung nach § 33 EStG abziehbar sein. Dies gilt insbesondere bei einer behinderungs- oder krankheitsbedingten Unterbringung in einem Heim (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 III R 80/97, BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294, m.w.N.). Denn dem Steuerpflichtigen erwachsen in diesem Fall aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung zwangsläufig höhere Lebenshaltungskosten als im Grundfreibetrag nach § 32 a Abs. 1 EStG berücksichtigt sind.

1.2.1 Die Unterbringung von RV in dem Heim ab 27. Juni 2000 war außergewöhnlich i. S. der Vorschrift. Die Kosten für die Unterbringung in einem (Alters)Heim rechnen zwar nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung.

Hierfür maßgeblich aber ist, dass derartige Aufwendungen, mögen sie wegen altersbedingter Hilfsbedürftigkeit auch zwangsläufig sein, ihrer Art und dem Grunde nach nicht außergewöhnlich sind, weil sie anderen in vergleichbaren Verhältnissen lebenden Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen. Insoweit ist nicht außergewöhnlich, dass ein älterer Mensch in einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder will (vgl. BFH in BStBl II 1990, 418 und in BStBl II 2000, 294, m.w.N.). Derartige Kosten sind durch die allgemeinen Freibeträge abgegolten und fallen, soweit sie diese übersteigen, unter das Abzugsverbot des § 12 EStG. Für Menschen im arbeitsfähigen Alter -wie für RV mit knapp 59 Jahren -ist, worauf die Kläger unter Hinweis auf BFH in BStBl II 2002, 567 zu Recht hinweisen, dagegen die Unterbringung in einem Heim außergewöhnlich, da diese in der Regel entweder allein oder mit anderen, etwa Ehegatten oder Familienangehörigen, leben.

1.2.2 Die Unterbringung im Heim war für RV auch zwangsläufig. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Heimaufenthalt auch ausschließlich durch die körperliche und mentale Behinderung von RV veranlasst worden. Durch die hierzu vorliegenden Aussagen von Ärzten und den Folgeberichten des Heimträgers und der offensichtlichen Notwendigkeit der Eingliederungshilfe gemäß §§ 39 und 40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist hinreichend nachgewiesen, dass RV aufgrund seiner Behinderung im Heim wohnte. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG soll Hilfe in einem Heim nur gewährt werden, wenn dies erforderlich ist und andere Hilfen nicht möglich sind oder nicht ausreichen. § 3 a BSHG bestimmt hierzu ergänzend, die erforderliche Hilfe solle soweit wie möglich außerhalb des Heimes gewährt werden.

Entscheidend für den Abzug ist dabei nicht die Art der im Heim erbrachten Leistungen, sondern ob RV aufgrund seiner Behinderung in der Lage war, für sich selbst zu sorgen, oder ob er der Betreuung in einem Heim bedurfte (vgl. BFH in BStBl II 2002, 567).

Dass RV nicht mehr in der Lage war, irgendwelche dringend erforderlichen Angelegenheiten noch sinnvoll zu regeln, diagnostizierte Dr. D, Facharzt für Nervenheilkunde, bereits im Jahr 1999 mit dem zusammenfassenden Hinweis, dass RV sich während des ganzen bisherigen Jahres 1999 auf dem Hintergrund seiner biphasischen affektiven Psychose in einem Zustand der Geschäftsunfähigkeit befunden hat. In seinem psychiatrischen Gutachten vom 9. Dezember 2002 wies Dr. med. B darauf hin, dass RV im Rahmen eines schweren depressiven Verstimmungszustandes am 25. August 1999 erstmals stationär psychiatrisch im Bezirksklinikum G behandelt wurde und dort nahezu durchgehend zur stationären Behandlung war, mehrere Versuche dort unternommen wurden, seine schwere depressive Phase zu mildern, aber keine Behandlungsmethode zu einer deutlichen Besserung führte. Der Entlassungsversuch aus dem Bezirkskrankenhaus G über die Osterfeiertage des Jahres 2000 scheiterte; der Betreute war trotz Unterstützung durch das betreute Wohnen der Caritas nicht in der Lage sich zu Hause zu versorgen. Die prompte Wiedereinweisung in das Bezirkskrankenhaus G am 25. Februar 2000 war notwendig, nachdem er sich zuletzt noch vom 25. Februar 2000 bis 19. April 2000 dort befunden hatte. Am Entlassungstag, dem 27. Juni 2000, erfolgte die aufgrund der psychisch krankhaften Verfassung von RV zwingend notwendige unmittelbare Einweisung in das Heim.

Die Folgeberichte des Heimträgers vom 15. April und 11. November 2003 weisen darauf hin, dass RV weiterhin an einer schweren depressiven Störung ohne psychotische Syndrome bei Zustand nach zweimaliger Operation eines Meningeoms litt, die Depression sich demnach in einem stupurösen, antriebslosen Zustand zeigte, außerdem ein nächtliches Apnoesyndrom bestand, wofür er ein Überdruck-Atemgerät benutzte, und er schließlich ohne Aufforderung zu wenig Flüssigkeit zu sich nahm und deshalb täglich aufgefordert wurde, seine Getränke bei der Ausgabe zu holen, wobei die Trinkmenge protokolliert wurde.

Eingliederungshilfen gemäß §§ 39, 40 BSHG wurden erbracht, da RV laut dem Heimvertrag täglich Zahlungen in Höhe von 112,74 DM für "Maßnahmen" zu leisten hatte und hierzu insbesondere die am individuellen Bedarf und den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Bewohners orientierte "Eingliederungshilfe gem. §§ 39, 40 BSHG", als ganzheitliche Hilfeart für Menschen mit Behinderungen, zählte (s. § 4 des Heimvertrags). Dass diese Maßnahmen auch tatsächlich notwendig bzw. auch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich waren und das Maß des Notwendigen nicht überschritten (s. § 4 des Heimvertrags), nimmt zudem auch das FA mit seiner Aussage an, die "Pflegekosten" seien wohl wegen der eigenen Einkünfte bzw. des eigenen Vermögens von RV nicht vom Sozialhilfeträger übernommen worden.

1.2.2.1 Der Beweiseignung der vorgelegten Unterlagen steht nicht entgegen, dass nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 89, dem § 65 EStDV und der R 188 Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 1999 und 2001 eine krankheits- oder behinderungsbedingte Heimunterbringung nach § 33 EStG nur dann berücksichtigt werden könne, wenn zumindest eine Pflegestufe nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch festgestellt worden ist. Dem ist nicht zu folgen. Denn die Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten i.S.v. § 33 EStG ist nicht von einer bestimmten Qualität der Krankheit abhängig und nicht daran gekoppelt, dass die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nach § 14 SGB XI gegeben sind. Es widerspräche auch der Systematik des Einkommensteuerrechts, bei Kosten, die durch eine krankheitsbedingte Heimunterbringung entstanden sind, höhere Anforderungen für eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung zu stellen, als dies bei sonstigen Krankheitskosten der Fall ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1990 -III R 111/86, BStBl II 1991, 62). Es gibt auch keine Rechtsgrundlage dafür, einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen "Bl" oder "H" nach § 65 Abs. 2 EStDV zu verlangen, denn in § 33 EStG hat der Gesetzgeber keine dem § 33 b Abs. 7 EStG in Verbindung mit § 65 EStDV entsprechende Regelung getroffen. Be stimmte formale Kriterien sind an den Nachweis der krankheitsbedingten Unterbringung in einem Heim nicht zu stellen (ebenso Urteil des FG Saarland vom 26. November 2002 2 K 157/00, Juris, des FG Rheinland-Pfalz vom 16. März 2000 4 K 1899/98, DStRE 2000, 636, des FG München vom 29. September 2004 9 K 3169/03, EFG 2005, 442, des FG Köln vom 26. Oktober 2004 1 K 2682/02, EFG 2005, 1773, Rev. eingelegt: BFH III R 39/05, des Hessischen FG vom 23. Mai 2005 13 K 1676/04, EFG 2005, 1869, sowie des Niedersächsischen FG vom 14. September 2005 3 K 635/04, Juris, Rev. eingelegt: BFH III R 64/06).

1.2.2.2 Zudem folgt der Senat den vorgenannten FG-Entscheidungen, soweit darin durchgängig -wenn auch ohne Aussage hierzu -auf die Vorlage eines amtsärztlichen Attestes verzichtet wird.

Zwar wird vom BFH seit derEntscheidung vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 nach ständiger Rechtsprechung bei Aufwendungen, die ihrer Art nach nicht eindeutig und unmittelbar der Linderung einer Krankheit oder Behinderung dienen, grundsätzlich ein amtsärztliches Zeugnis gefordert, in dem die medizinische oder behinderungsbedingte Notwendigkeit der Maßnahme festgestellt wird. Denn Verwaltung und Gerichten fehle in diesen Fällen regelmäßig die Fachkunde, diese Abgrenzung selbst vorzunehmen.

Hierdurch solle die Inanspruchnahme ungerechtfertigter Steuervorteile verhindert werden, mit der bei Aufwendungen zu rechnen ist, die auch dem Bereich der allgemeinen Lebensführung zugerechnet werden können. Dies hat der BFH u.a. für Heilkuren (BFH-Urteil vom 8. Juli 1994 III R 48/93, BFH/NV 1995, 24), Ayur-Veda-Behandlungen (BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195,144, BStBl II 2001, 543), Unterbringungen in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe (BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602), Behandlungskosten bei Lese- und Rechtschreibschwäche (BFH- Urteil vom 3. März 2005 III R 64/03, BFH/NV 2005, 1286) und bei Asbestbeseitigung (BFH- Urteil vom 9. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240) entschieden. Aber zum einen hält der BFH daran nicht konsequent fest. Zum anderen kann nach Auffassung des Senats zumindest dann nicht an dem Erfordernis eines amtsärztlichen Zeugnisses festgehalten werden, wenn die medizinische Indikation offensichtlich auf der Hand liegt, sich diese aufgrund der sachlichen Gegebenheiten auch einem Laien erschließt.

So sah der BFH in seinemUrteil vom 18. April 2002 III R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70 die Revision gegen das Urteil des FG München vom 18. Januar 2000 1 K 4839/98, EFG 2000, 435 als begründet an, worin das FG trotz Schwerbehindertenausweises - Behindertengrad 100% -mit den Merkmalen "G", "aG" und "H" die Heimunterbringung als nicht krankheitsbedingt ansah. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen war, hob der BFH, obwohl kein amtsärztliches -im Übrigen auch kein (einfach)ärztliches (!) Zeugnis vorlag, die Vorentscheidung mangels Spruchreife mit der Maßgabe auf, das FG wird "die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen haben, ob ausschließlich die Krankheit für den Einzug des Klägers in das Wohnstift im Jahr 1991 maßgebend war." Offensichtlich erachtete der BFH es trotz Fehlens eines amtsärztlichen wie auch einfachärztlichen Attestes für (noch) begründbar, dass der Kläger ausschließlich aufgrund von Krankheit in das Wohnstift einzog. Das FG entschied sodann zugunsten des Klägers (s. das bestandskräftige Urteil vom 13. November 2002 1 K 3810/02, EFG 2003, 399) ohne weitere Beweisaufnahme, die es weder für erforderlich noch nach Ablauf von 11 Jahren für Erfolg versprechend hielt. Die Krankheitssymptome des Klägers erachtete es als eindeutig, die durch Aussagen von Freunden und Kindern nur noch bekräftigt werden könnten. Eine nachträgliche allgemeinärztliche oder amtsärztliche Bestätigung hielt der Senat in Fällen dieser Art nicht für erforderlich. Das FA habe auch keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Hinzu komme, dass der Kläger im November 1991 erst 69 Jahre alt gewesen sei, ein Alter, in dem ein Einzug ins Altenheim üblicherweise nicht altersbedingt, sondern aus anderen Gründen erfolgt.

Ebenso verhält es sich im vorliegenden Streitfall. Es wurde -wie bereits dargelegt -glaubhaft dargetan, dass es RV krankheitsbedingt nicht zumutbar war, auf Dauer in der Wohnung zu bleiben. Die Übersiedlung in das Heim war deshalb zwingend und notwendig. Die medizinische Indikation liegt hier offensichtlich auf der Hand; sie erschließt sich aufgrund der sachlichen Gegebenheiten auch einem Laien. Eine nachträgliche amtsärztliche Bestätigung - sollte sie überhaupt möglich sein (das FG Düsseldorf hält es für möglich, s. Urteil vom 2. März 2006 11 K 2589/05, Revision wurde zugelassen und auch eingelegt - Az. des BFH: III R 28/06) - hält der Senat im vorliegenden Streitfall daher nicht für erforderlich. Hinzu kommt, dass RV im Juni 1991 erst 58 Jahre alt gewesen ist, ein Alter, in dem ein Einzug in ein -nicht nur Altersheim, sondern Sozialtherapeutisches Heim -nicht altersbedingt oder aus Lust und Laune heraus, sondern aus anderen Gründen erfolgt. Nach der Lebenserfahrung wird jedenfalls niemand ohne Not aus persönlichen Gründen der Lebensführung in ein Heim für Menschen mit geistiger oder mit geistiger und mehrfacher Behinderung ziehen. Anders als eine Kurreise oder der Besuch eines Internats scheiden hier Gründe der gesundheitlichen Vorbeugung und Erholung oder sonstige Motive der persönlichen Lebensführung aus.

1.3.1 Nicht zu den berücksichtigungsfähigen Kosten nach § 33 EStG für die krankheitsbedingte oder behinderungsbedingte Heimunterbringung zählen dagegen die von Juli 2000 bis Juni 2001 monatlich als "Barbetrag" bzw. "Bar- und Eigengeld" bezahlten 200 DM. Denn unter die nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Kosten für die krankheitsbedingte Heimunterbringung fallen nur die vom Heim in Rechnung gestellten Unterbringungskosten ein schließlich der Kosten für die ärztliche Betreuung und die Pflege, nicht dagegen die von RV getragenen Kosten der Lebensführung. Zu den Kosten der Lebensführung zählen auch Taschengeldzahlungen, die RV in dem bezeichneten Zeitraum vom Heim in dem bezeichneten Zeitraum monatlich in Höhe von 200 DM als "Barbetrag" bzw. "Bar- und Eigengeld" offensichtlich zur freien Verfügung überlassen und dafür auch monatlich in gleicher Höhe in Rechnung gestellt worden sind.

Die tatsächlich in 2000 und 2001 angefallenen und erklärten Heimkosten sind insoweit um jeweils 1.200 DM zu mindern.

1.3.2 Diese Beträge sind zudem um die Haushaltsersparnis zu kürzen. Dabei können die Beträge für 2000 und für 2001 grundsätzlich wie erklärt mit 14.040 DM und 6.750 DM zugrunde gelegt werden. Denn der für 2001 erklärte Betrag entspricht dem Höchstbetrag der nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 2001 abziehbaren Aufwendungen, die nach R 188 Abs. 2 Satz 2 der EStR 2001 als Haushaltsersparnis für das gesamte Jahr pauschal anzusetzen sind, wenn der private Haushalt aufgelöst wird. Der für 2000 in Höhe von 6.750 DM erklärte Betrag ist die Hälfte des nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 2000 abziehbaren Höchstbetrags.

Im Streitjahr 2000 ist jedoch darüber hinaus zu beachten, dass die Wohnung von RV im Juli 2000 noch nicht aufgelöst war und für Juli 2000 somit keine Haushaltsersparnis zu berücksichtigen ist. Die Haushaltsersparnis 2000 ist folglich nur für die 5 Folgemonate, also mit insgesamt 5.625 DM (= 5/12 von 13.500 DM) anzusetzen.

1.3.3 Die nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Heimkosten sind schließlich noch um weitere 900 DM in 2000 und um weitere 1.800 DM in 2001 zu kürzen.

Denn der auf hauswirtschaftliche Dienstleistungen entfallende Anteil der in den Unterbringungsaufwendungen enthaltene Kosten für Dienstleistungen, die mit Aufwendungen für eine Haushaltshilfe vergleichbar sind, bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 33 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG abgezogen werden können und in der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2006 auch zum entsprechenden Abzug nach § 33 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 zugelassen worden sind, ist von den nach § 33 EStG zu berücksichtigenden Gesamtkosten abzuziehen (s. BFH in BStBl II 2003, 70). Die Finanzverwaltung lässt es aus Vereinfachungsgründen zu, den auf hauswirtschaftliche Leistungen entfallenden Anteil in Höhe des Abzugsbetrages nach § 33 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG anzusetzen (R 188 Abs. 2 Satz 3 EStR 1999 und R 188 Abs. 2 Satz 4 EStR 2001).

1.3.4 Von den Heimkosten 2000 und 2001 sind unter Beachtung der unter 1.3.1 bis 3. dargestellten Ausführungen daher insgesamt 21.975,80 DM (= 29.700,80 DM ./. 1.200 DM ./. 5.625 DM ./. 900 DM) bzw. 40.280,58 DM (= 57.320.58 DM ./. 1.200 DM ./. 14.040 DM ./. 1.800 DM) als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen.

2. Ein Abzug des erhöhten Behindertenpauschbetrags gemäß § 33 b Abs. 3 EStG neben dem Abzug der Aufwendungen für die Heimunterbringung nach § 33 EStG scheidet aus. Da mit den Kosten für die Unterbringung typische, mit der Behinderung zusammenhängende und von der Typisierung des § 33 b EStG erfasste Aufwendungen einzeln nachgewiesen und steuermindernd geltend gemacht worden sind, steht daneben der Pauschbetrag nicht zu (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 2004 III R 38/02, BFHE 208, 155 BStBl II 2005, 271).

Der mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2004 gewährte Abzug des Behindertenpauschbetrags in Höhe von jeweils 1.110 DM in 2000 und 2001 ist daher zu streichen, nachdem der Abzug der Aufwendungen für die Heimunterbringung nach § 33 EStG zu gewähren ist.

3.1 Die Einkommensteuer 2000 ist somit unter Erhöhung der außergewöhnlichen Belastung nach § 33 EStG um 21.976 DM und Streichung des Behindertenpauschbetrags von 1.110 DM bei daraus folgender Minderung des zu versteuernden Einkommens 2000 von 51.736 DM auf 30.846 DM - im Ergebnis gemäß dem Klageantrag - auf 2.315, 64 EUR festzusetzen.

3.2 Die Einkommensteuer 2001 ist somit unter Erhöhung der außergewöhnlichen Belastung nach § 33 EStG um 40.281 DM und Streichung des Behindertenpauschbetrags von 1.110 DM bei daraus folgender Minderung des zu versteuernden Einkommens 2001 von 70.763 DM auf 31.592 DM (davon 24.181 DM zu versteuern nach dem Grundtarif mit 2.320 DM und 7.411 DM nach § 34 Abs. 1 EStG mit 1.885 DM) auf 2.149,98 EUR (4.205 DM) festzusetzen.

3.3 Die daraus zwingend erforderliche Änderung des Solidaritätszuschlags 2000 und 2001 sowie die daraus zwingend erforderliche entsprechende Herabsetzung der Zinsen auf die Einkommensteuer 2000 und 2001 erfolgen von Amts wegen durch den Beklagten.

4. Die Kosten trägt allein der Beklagte, da der Kläger nur zu einem geringen Teil (1.62%) unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Revision wird Im Hinblick auf die beim Bundsfinanzhof anhängigen Verfahren III R 39/05 und III R 64/06 sowie im Hinblick darauf, dass die Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nicht für erforderlich gehalten wurde, zugelassen.

Ende der Entscheidung

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