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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 3 K 1150/05
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 20 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

3 K 1150/05

Widerruf der Genehmigung der Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten

In der Streitsache

...

hat der 3. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

... sowie

der ehrenamtlichen Richter ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09. Juli 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Gründe:

I. Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt Steuerberatung.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2004 beantragte die Klägerin, ihr die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ab sofort zu gestatten.

Mit Bescheid vom 17. Mai 2004 gestattete der Beklagte (das Finanzamt) der Klägerin unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, ab 1. Januar 2004 die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Die Erlaubnis sollte für die Tätigkeit der Klägerin als Steuerkanzlei gelten.

Mit Schreiben vom 27. Mai 2004 widerrief das Finanzamt die bereits genehmigte Istversteuerung, da einer Kapitalgesellschaft, zu der sich Freiberufler zusammengeschlossen hätten, die Genehmigung der Istversteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht erteilt werden könne. Auch lägen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UStG für das Unternehmen der Klägerin nicht vor.

Den Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2005 als unbegründet zurück.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Widerruf der Genehmigung zu Recht erfolgt sei. Bei der Klägerin handele es sich um eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Die Tätigkeit einer GmbH gelte kraft Gesetzes stets als gewerbliche Tätigkeit. Dies bedeute, dass im Streitfall zwingend von gewerblicher und nicht von freiberuflicher Tätigkeit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgegangen werden müsse. Der Gesetzgeber lasse für eine gewerblich tätige Steuerberatungsgesellschaft die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht zu. Dies habe auch der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 22. Juli 1999 V R 51/98 (BFH/NV 1999, 1712) bestätigt. Zweck der Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG sei, den Freiberufler, der seinen Gewinn durch Einnahmen- Ausgaben-Überschussrechnung ermittle und damit nur die Ist-Einnahmen aufzeichne, nicht zu zwingen, die Soll-Einnahmen aufzuzeichnen. Aufgrund der derzeitigen Rechtslage sehe das Finanzamt keine Veranlassung, dem Antrag auf Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zuzustimmen. § 20 UStG regele kein materielles Umsatzsteuerrecht. Die Regelung sei letztendlich nur eine verfahrensrechtliche Konsequenz im nationalen Umsatzsteuerrecht, die sich aus der gewählten Rechtsform und der damit zugrunde liegenden handels- bzw. bilanzsteuerrechtlichen Gewinnermittlungsmethode ableite. Indem ein Unternehmer eine Rechtsform wähle, in der er sein Unternehmen führen wolle, müsse er nicht nur zivilrechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen, sondern auch steuerrechtliche Folgen hinnehmen, die sich durch die Rechtsform ergäben. Der Klägerin habe es bereits bei Gründung der GmbH bewusst sein müssen, dass die Versteuerung nach vereinbarten Entgelten zu eventuellen Liquiditätsnachteilen führen könnte. Dennoch sei dieser Nachteil hingenommen und die Entscheidung getroffen worden, das Unternehmen in der Form einer GmbH und nicht in der Form einer Sozietät zu führen. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 des Grundgesetz (GG) liege nicht vor, da hier zwei unterschiedliche Sachverhalte geregelt worden seien. Im Streitfall lägen die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) vor. Der Klägerin, vertreten durch ihre fachlich qualifizierten Geschäftsführer, habe bekannt sein müssen, dass eine Genehmigung zur Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten aufgrund des Wortlautes des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG und der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs durch das Finanzamt nicht habe erfolgen dürfen.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage wird im Wesentlichen vorgetragen:

Die Tätigkeit der Klägerin gelte zwar nach dem Gewerbesteuergesetz als gewerbliche Tätigkeit. Ertragsteuerlich erziele die Klägerin daher keine Einkünfte gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern gewerbliche Einkünfte. Wenn der Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG eng ausgelegt werde, wäre deshalb die Genehmigung der Istversteuerung zu versagen, bzw. eine erteilte Genehmigung zu widerrufen. Dies decke sich mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Juli 1999 V R 51/98. Jedoch übe auch eine Steuerberatungsgesellschaft in Gestalt einer Kapitalgesellschaft eine Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, nämlich die freiberufliche Tätigkeit der Steuerberatung, aus. Entsprechendes gelte für eine Steuerberatungs-Sozietät, die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeübt und der die Istversteuerung gewährt werde. Ein Grund, warum bei Sozietäten die Istversteuerung möglich sei, nicht dagegen bei einer Steuerberatungs-GmbH, sei nicht ersichtlich.

Eine enge Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG, der zufolge eine Steuerberatungsgesellschaft nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift falle, verstoße deshalb gegen das Gemeinschaftsrecht; denn der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer verbiete es, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirkten, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt würden. Eine enge Auslegung der Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG verstoße daher gegen den Grundsatz der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer. Denn alleiniger Grund für das Versagen der Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten sei die gewissermaßen "falsche" Rechtsform. Die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten stelle gegenüber der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten einen erheblichen Nachteil dar. Denn die Umsatzsteuer ist im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung anzumelden und abzuführen, auch wenn der Kunde erst Monate oder gar Jahre später zahle. Dies stelle im Vergleich zur Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten einen erheblichen Liquiditäts- und Zinsnachteil dar. Im Übrigen verstoße die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmers unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbiete. Die Art der Gewinnermittlung habe für die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG keine Bedeutung. Als Normzweck des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG könne nicht die Buchführungserleichterung gesehen werden, sondern der Finanzierungsvorteil der Istversteuerung, den der Gesetzgeber einer bestimmten Gruppe von Unternehmern zugänglich habe machen wollen. Es verbiete sich, die Vorschrift des § 20 UStG als eine verfahrensrechtliche Vorschrift zu qualifizieren. Die Klägerin habe einen sehr hohen Forderungsbestand und ein Girokonto mit Negativsaldo. Die Vorfinanzierung der Umsatzsteuer aufgrund der Soll-Besteuerung koste die Klägerin Monat für Monat Schuldzinsen. Das Gemeinschaftsrecht verbiete aber eine unterschiedliche Behandlung bei der Mehrwertsteuererhebung. Eine solche unterschiedliche Behandlung sei gegeben, wenn die Umsatzsteuer aus einer Rechnung einer Steuerberatungs-Sozietät, die der Mandant erst nach fünf Monaten zahle, erst nach fünf Monaten an das Finanzamt abzuführen sei, während sie sofort fällig sei, wenn die Rechnung von einer Steuerberatungs-GmbH gestellt würde. Unter dem Begriff "Mehrwertsteuererhebung" falle nicht nur die absolute Höhe der Umsatzsteuer, sondern auch unterschiedliche Fälligkeiten der Steuer. Die genannte Entscheidung des Bundesfinanzhofs sei spätestens nach dem EuGH-Urteil vom 10. September 2002 C-141/00 nicht mehr zutreffend. Denn danach sei es verboten, Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirkten, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich zu behandeln. Die Erhebung der Mehrwertsteuer betreffe auch die Frage, wann die Mehrwertsteuer an den Fiskus abzuführen sei.

Die Klägerin beantrage deshalb,

die Rechtsfrage dem EuGH zur endgültigen Klärung vorzulegen.

Zudem liege seitens des Finanzamts ein Ermessenfehlgebrauch vor. Denn das Finanzamt habe die Auffassung vertreten, dass eine Steuerberatungsgesellschaft nicht unter den Anwendungsbereich des § 20 UStG falle und habe daher sein Ermessen nicht ausgeübt.

Die Klägerin beantragt,

den Widerruf der Genehmigung der Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten vom 27. Mai 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2005 aufzuheben, hilfsweise ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu stellen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Klageerwidernd verweist es auf seine Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2005. Die Finanzverwaltung sei an die Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 22. Juli 1999 gebunden. Insofern sei seitens des Finanzamts kein Ermessensfehlgebrauch erkennbar.

Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt hat ermessensgerecht die unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs stehende Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten aufgehoben, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gestattung nicht vorgelegen haben.

Das Finanzamt kann gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG auf Antrag gestatten, dass ein Unternehmer, soweit er Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt, die Steuer nicht nach vereinbarten, sondern nach den vereinnahmten Entgelten berechnet.

Eine Rücknahme bzw. ein Widerruf einer solchen Gestattung nach § 20 Abs. 1 UStG ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 130 und 131 AO möglich. Nach § 131 Abs. 2 AO darf ein rechtmäßiger, begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten ist ( § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO). In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in entsprechender Anwendung des § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO dann zulässig ist, wenn in einem rechtswidrigen Verwaltungsakt die Rücknahme vorbehalten worden ist (BFH-Urteile vom 21. Mai 1997 I R 38/96, BFH/NV 1997, 904, und vom 30. November 2004 VII R 41/03, BFH/NV 2005, 636, 638).

Der Widerruf eines Verwaltungsaktes ist eine Ermessensentscheidung. Das Gericht hat in diesem Falle lediglich zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ( § 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Widerruft die Finanzbehörde einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, so genügt es im Allgemeinen, wenn der Widerruf mit der Rechtswidrigkeit begründet wird. Die Finanzbehörden sind als Teil der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gebunden und daher im Allgemeinen verpflichtet, unter Ausnutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten rechtswidrige oder rechtswidrig gewordene Verwaltungsakte zurückzunehmen bzw. zu widerrufen (BFH in BFH/NV 1997, 904).

Das Finanzamt hat danach ermessensgerecht von dem wirksamen Widerrufsvorbehalt in dem Gestattungsbescheid vom 17. Mai 2004 Gebrauch gemacht und die Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten widerrufen bzw. zurückgenommen.

Das Finanzamt geht dabei, Bezug nehmend auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Juli 1999 V R 51/98 (BFH/NV 1999, 1712), zutreffend von der Rechtswidrigkeit des Gestattungsbescheides vom 17. Mai 2004 aus, weil § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten nicht für eine (gewerblich tätige) Steuerberatungs-GmbH zulässt.

Der in § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG genannte Gestattungsgrund entspricht der im Streitjahr gültigen gemeinschaftlichen Ermächtigung in Art. 10 Abs. 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach die Mitgliedsstaaten vorsehen können, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht (vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 20 Rdz. 72).

Eine solche Gruppe von Steuerpflichtigen stellen die Freiberufler im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Ausgaben-Überschussrechnung ermitteln und damit nur die Einnahmen aufzeichnen. Zu dieser Gruppe gehören indes nicht Freiberufler-Gesellschaften mbH, die zur Bilanzierung verpflichtet sind (vgl. § 264 f HGB) und deshalb ohnehin die Solleinnahmen aufzeichnen.

Mit dieser Ungleichbehandlung eines Freiberuflers im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG einerseits und einer Freiberufler-GmbH andererseits aufgrund des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG wird nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstoßen. Nach Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (bzw. nach Art. 2 der im Streitjahr gültigen Richtlinie 67/227/EWG - 1. MwSt-RL -) beruht das gemeinsame Mehrwertsteuer-System auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchssteuer anzuwenden ist.

Danach verbietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität des Mehrwertsteuer-Systems, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden (siehe z.B. EuGH-Urteile vom 6. November 2003 C- 45/01, Dornier, EuGHE 2003, I-12911, UR 2003, 584 , und vom 10. September 2002 C- 141/00, Kügler, EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513; BFH-Urteil vom 30. Januar 2008 XI R 53/06, BFH/NV 2008, 1083).

Der in den genannten Urteilen verwendete Begriff der Mehrwertsteuererhebung betrifft die Besteuerung gleichartiger Umsätze, also den Bereich der Steuerfestsetzung, nicht indes - wie die Klägerin anzunehmen scheint - das im Fünften Teil der Abgabenordnung geregelte Steuer-Erhebungsverfahren und die darin angegebenen Fälligkeitszeitpunkte von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis.

Dementsprechend sieht die Rechtsprechung den Grundsatz der Neutralität verletzt, wenn die Möglichkeit einer Berufung auf Steuerbefreiungen von der Rechtform des Unternehmens, in der der Steuerpflichtige seine Tätigkeit ausübt, abhängig gemacht wird (s. z.B. Urteil des EuGH vom 10. September 2002 C-141/00, Kügler, EuGHE 2002, I-6833,UR 2002, 513). Dieser Grundsatz wird indes nicht durch die unterschiedliche Berechnung der Steuer bei Istversteuerung bzw. bei Sollversteuerung verletzt. Denn rechtsformneutral wird eine Steuerberatungsleistung eines Steuerberaters oder einer Steuerberatungs-GmbH in gleicher Höhe mit Umsatzsteuer belastet (s. auch BFH in BFH/NV 1999, 1712). Entsprechend knüpft die Vorschrift über die Istversteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG auch nicht an die Rechtsform der Unternehmen an, sondern steuerneutral an die verfahrensrechtlich unterschiedlichen Arten der buchhalterischen Gewinnermittlung bzw. Umsatzerfassung.

Für ihre entgegenstehende Auffassung kann sich die Klägerin insbesondere nicht auf das hier nicht einschlägige Urteil des EuGH vom 10. September 2002 C-141/00, Kügler, und ebenso auch nicht auf das in der mündlichen Verhandlung genannte Urteil des EuGH vom 12. Januar 2006 C-246/04, Turn- und Sportunion Waldburg (UR 2006, 224), berufen. Denn diese Urteile betreffen gerade nicht die aufgrund des Gemeinschaftsrechts möglichen unterschiedlichen Steuerentstehungszeitpunkte und Steuererhebungsmethoden. Der auch von der Klägerin in Bezug genommenen Art. 10 Abs. 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG ermächtigt nämlich die Mitgliedsstaaten, den Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder für Gruppen von Steuerpflichtigen spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entstehen zu lassen und damit trotz eventuell gleichartiger Umsätze zeitliche Unterschiede bei der Steuererhebung bei verschiedenen Steuerpflichtigen vorzusehen.

Diese Ungleichbehandlung von Freiberuflern im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und Freiberuflergesellschaften verstößt ferner nicht gegen Art. 3 GG, da hierfür ein sachlicher Grund besteht.

Zweck der Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG ist es, dem Freiberufler nur deshalb die Möglichkeit der Istversteuerung einzuräumen, weil er nicht gezwungen werden soll, allein für umsatzsteuerliche Zwecke seinen Gewinn zusätzlich durch Bestandsvergleich zu ermitteln und so die Solleinnahmen aufzuzeichnen (BFH in BFH/NV 1999, 1712).

Ein möglicher Liquiditätsvorteil bei Anwendung der Istversteuerung ist lediglich eine reflexartige Folge der Vorschrift, entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch nicht die eigentliche Absicht des Gesetzes. Weder lässt sich insoweit ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf feststellen, noch lässt sich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine entsprechende Absicht entnehmen (vgl. dazu BFH in BFH/NV 1999, 1712; Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 20, Rdz. 72).

Ein eventueller Liquiditätsnachteil wegen schleppender Zahlungen der Leistungsempfänger ist nach Auffassung des Senats wegen Geringfügigkeit der Benachteiligung von Steuerpflichtigen, die ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten berechnen, hinzunehmen. Denn ein solcher möglicher Nachteil aufgrund der Sollversteuerung wirkt sich im Wesentlichen nur in der Anlaufphase eines Unternehmens merklich aus und wird bei regulärem Geschäftsverlauf mit laufenden Einnahmen notwendig wieder ausgeglichen. Dieser eventuelle anfängliche Liquiditätsnachteil der Sollversteuerung wird zudem wieder kompensiert durch teilweise sogar niedrigere Steuerbelastungen im Vergleich zur Istversteuerung in Voranmeldungszeiträumen mit kumulativen Zahlungseingängen.

Im Übrigen lässt sich auch aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen über die Berechnung des finanziellen Nachteils der Klägerin nicht nachvollziehen, ob und in welcher Höhe die fortwährenden monatlichen Belastungen durch Überziehungszinsen aus den Kontokorrentverhältnissen trotz regulären Geschäftsverlaufs mit laufenden Einnahmen der von der Klägerin angewandten Sollbesteuerung geschuldet sein sollen.

Denkbare vorübergehende Steuernachteile bei Streit über oder bei endgültigem Ausfall von Forderungen, die erst im Rahmen der Steuerberichtigung gemäß § 17 UStG ausgeglichen werden können, führen ebenfalls nicht zu einer gleichheitswidrigen Belastung derjenigen Steuerpflichtigen, die die Steuer nach vereinbarten Entgelten berechnen. Zudem steht einem eventuellen Liquiditätsnachteil einer sollversteuernden Kapitalgesellschaft aufgrund der Versagung der Möglichkeit der Istbesteuerung der Vorteil gegenüber, dass ihr eine allein für Zwecke der umsatzsteuerlichen Istversteuerung erforderliche zweite Buchführung erspart bleibt.

Mangels einer Einschränkung in dem Widerrufsbescheid vom 27. Mai 2004 hat das Finanzamt die ursprünglich zum 1. Januar 2004 ausgesprochene Gestattung rückwirkend zu diesem Zeitpunkt zurückgenommen. Dazu ist das Finanzamt im Rahmen seines Ermessens befugt gewesen.

Zwar ist der Widerruf einer Gestattung nur für die Zukunft möglich (vgl. § 131 Abs. 2 AO).

Jedoch ist das Finanzamt auch berechtigt gewesen, die Gestattung gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO rückwirkend zurückzunehmen. Nach dieser Regelung darf ein rechtswidriger und - wie hier - begünstigender Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn dem Begünstigten - hier der Klägerin - seine Rechtswidrigkeit bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Fehler zu korrigieren sind, die ihre Ursache in der Sphäre des Steuerpflichtigen haben. Dagegen ist eine Rücknahme mit Wirkung nur für die Zukunft angezeigt, wenn Vertrauensschutz geboten ist (Tipke/Kruse, AO, FGO, Kommentar, § 130 AO Rdz. 48).

Ein solcher Vertrauenstatbestand ist im Streitfall indes nicht zu berücksichtigen. Denn der fachkundigen Klägerin war - unbestritten - zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2004 die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. Juli 1999 V R 51/98 und damit die Rechtswidrigkeit der vom Finanzamt erteilten Gestattung bekannt. Der Umstand, dass die Klägerin abweichend von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Finanzgerichte aufgrund ihrer Auffassung den Bescheid vom 17. Mai 2004 für rechtmäßig erachtet hat, ist unbeachtlich. Für ihre Auffassung kann sich die Klägerin zudem nicht, wie bereits oben dargelegt, auf das in Bezug genommene Urteil des EuGH vom 10. September 2002 C-141/00, Kügler, berufen.

Überdies hat das Finanzamt die Gestattung bereits zehn Tage später mit Bescheid vom 27. Mai 2004, also noch bevor die Klägerin von der Gestattung Gebrauch hat machen können und vor Ablauf des laufenden Veranlagungszeitraums 2004, widerrufen, so dass auch aus diesem Grunde kein schützenswerter Vertrauenstatbestand auf Seiten der Klägerin hat entstehen können.

Das Gericht sieht aufgrund der Vereinbarkeit der Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG mit der gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung in Art. 10 Abs. 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388 EWG (jetzt Art. 66 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) keine Veranlassung, den EuGH wegen der dem Streitfall zugrundeliegenden Rechtsfrage um eine Vorabentscheidung zu ersuchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.

Ende der Entscheidung

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