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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 5 K 1289/05
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 227
AO 1977 § 240 Abs. 1 S. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 1289/05

Erlass von Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer 1992 -1994, 1996, 1997, 1999 und 2000

In der Streitsache ...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx,

des Richters am Finanzgericht xxx und

der Richterin am Finanzgericht xxx sowie

der ehrenamtlichen Richter xxx und xxx

ohne mündliche Verhandlung

am 19. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob der Klägerin über einen bereits gewährten Hälfteerlass hinausgehend weitere Säumniszuschläge in Höhe von 367.826,89 EUR ganz oder teilweise zu erlassen sind.

I. Für die Klägerin waren beim Zentralfinanzamt München, dem Beklagten, ursprünglich Säumniszuschläge von 854.991,98 EUR aufgelaufen. Diese bezogen sich auf Einkommensteuer 1992 bis 1994, 1996, 1997, 1999 und 2000 sowie den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1992, 1996, 1997 und 2000.

Die Steuerfestsetzungen 1992 bis 1994 beruhten auf Feststellungen einer Steuerfahndungsprüfung, begonnen am 21.11.1996; die Besteuerungsgrundlagen für Einkommensteuer 1996, 1997, 1999 und 2000 wurden vom zuständigen Finanzamt geschätzt. Die Klägerin, die bereits 1994 wegen Umsatzsteuerhinterziehung zu einer Geldstrafe und 1995 wegen Untreue in drei Fällen zu Freiheitsstrafen von insgesamt drei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden war, wurde am 09.10.1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten u.a. wegen Hinterziehung der Einkommensteuer 1993 verurteilt. Sie war vom 23.11.1996 bis zum 09.10.1997 inhaftiert, hielt sich danach zeitweise in Spanien auf, wurde dort am 28.12.1998 erneut verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert. Am 05.11.1999 wurde sie aus der Haft entlassen.

Die Beitreibungsversuche verliefen überwiegend erfolglos, die Klägerin hat am 08.08.2002 die eidesstattliche Versicherung abgelegt. Die den Säumniszuschlägen zugrunde liegenden Hauptsteuern wurden durch die Auswertung einer Verlustfeststellungsmitteilung des Finanzamts xxx für die Rehabilitationsklinikum xxx GmbH & Co. KG getilgt (Beteiligung an der GmbH 55%, an der KG 100%). Der Klägerin wurden für das Jahr 1995 Verluste in Höhe von 16.473.216 DM zugerechnet, die Mitteilung wurde im geänderten Einkommensteuerbescheid 1995 ausgewertet. Die Feststellungserklärung war am 03.08.1998 beim Finanzamt xxx eingegangen. Am 18.06.2002 wurde die Änderung des Feststellungsbescheids beim Finanzamt xxx beantragt, das vor der Bearbeitung eine Weisung der OFD yyy einholte, die am 18.06.2002 einging. Das Finanzamt zzz sah letzteren Zeitpunkt als maßgeblichen Zeitpunkt für eine sog. technische Stundung an und stornierte deshalb ab dem 18.06.2002 angefallene Säumniszuschläge von 52.149,50 EUR.

Die bis dahin entstandenen übrigen Säumniszuschläge wurden durch Aufrechnung getilgt (Umbuchungsmitteilung des Beklagten vom 23.04.2003).

Die Klägerin beantragte sodann zunächst den hälftigen und anschließend den vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen in Höhe von 854.991,98 EUR wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Aufgrund der Beitreibungsmaßnahmen des Beklagten in Folge der Arrestanordnung des Finanzamts zzz vom 19.11.1996 habe sie ihre Immobilien und persönlichen Wertgegenstände verloren bzw. unter Wert verkaufen müssen. Auch sei ein Kredit der Deka-Bank über 69 Millionen DM gekündigt worden, für den sie persönlich gehaftet habe. Ihr gegenwärtiger Schuldenstand belaufe sich auf ca. 55 Mio. DM. Sie leben von den Zuwendungen ihres geschiedenen Ehemannes. Den zu erlassenden Betrag habe sie bereits an ihren Prozessbevollmächtigten zur Tilgung von Beratungskosten abgetreten.

Mit Verfügung vom 11.11.2003 erließ der Beklagte Säumniszuschläge von 427.495.99 EUR (=50%) wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Daraufhin forderte die Klägerin erneut einen Vollerlass, da aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation die Voraussetzungen für eine zinslose Stundung vorgelegen hätten. Sie sei nämlich an zwei Firmen mehrheitlich beteiligt, über deren Vermögen 1997 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden sei. Auch müsse ihre Inhaftierung berücksichtigt werden sowie die Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen durch die Steuerfahndung, wodurch sie außer Stande gewesen sei, die Steuererklärungen für die maßgebenden Jahre zu erstellen. Zudem sei ein Betrag von 427.495,99 EUR als Ausgleich für den angefallenen Verwaltungsaufwand unangemessen hoch. Der Beklagte lehnte einen weiteren Erlass wegen der der Klägerin zur Last gelegten Steuerstraftaten ab.

Hiergegen wandte sich die Klägerin im Einspruchsverfahren. Der Beklagte verwies zur Prüfung der Voraussetzungen des § 222 Abgabenordnung (AO 1977) auf die dauernde Zahlungsunfähigkeit der Klägerin und auf deren fehlende Stundungs- bzw. Erlasswürdigkeit.

Säumniszuschläge stellten auch in erster Linie Zinsersatz dar und seien nur im Nebenzweck Ersatz für Verwaltungsaufwendungen. Er gewährte einen weiteren Teilerlass von Säumniszuschlägen in Höhe von 59.669,01 EUR, indem er den Eingang der Feststellungserklärung beim Finanzamt xxx als maßgeblichen Zeitpunkt der sog. technischen Stundung ansah. Im Übrigen wies er den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 01.03.2005 zurück.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie verweist auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 04.01.1996 VII B 209/95, wonach Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen seien, wenn dem Schuldner die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich gewesen sei und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung ihren Sinn verloren habe. Dies treffe für sie ab dem Februar 1997 zu. Denn am 17.01.1997 habe die Bank die für die Klinik gewährten Kredite gekündigt, sie selbst habe alle ihre Mittel in den Klinikbau investiert und sei ab diesem Zeitpunkt völlig mittellos gewesen.

Genau zu diesem Zeitpunkt, nämlich am 05.02.1997 sei die Einkommensteuer 1993 fällig geworden. Am 01.04.1997 sei das Konkursverfahren über die GmbH und am 01.07.1997 über die Betriebs-KG eröffnet worden, wodurch die Mittellosigkeit der Klägerin endgültig festgestanden habe. Die Einnahmen aus dem Pachtvertrag mit der ... Kliniken GmbH & Co. GbR Objektgesellschaft ... hätten nicht mehr zur Verfügung gestanden, die gesamte Unternehmensstruktur sei zusammengebrochen und die Klägerin mittel- und arbeitslos geworden. Der gesetzliche Zweck von Säumniszuschlägen sei also nicht mehr erreichbar gewesen. Der Zustand der Mittellosigkeit dauere bis heute an.

Ferner bitte sie zu prüfen, ob nicht eine technische Stundung ab dem Eingang der Feststellungserklärung 1995 beim Finanzamt xxx am 03.08.1998 gewährt werden könne. Die dreijährige Bearbeitungszeit sei zum einen in der Schwierigkeit der Materie begründet, zum anderen aber auch in einem durch ihre Mittellosigkeit begründeten Bearbeitungsstillstand bei ihren damaligen Beratern. Die erforderlichen Mittel hätten nur sukzessive z.B. dadurch beschafft werden können, dass ihr geschiedener Ehemann Immobilien verkauft und den Erlös ihr zur Verfügung gestellt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, weitere Säumniszuschläge in Höhe von 367.826.98 EUR zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird auf die Steuerakten und die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen .

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung eines den Erlass ablehnenden Bescheids darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (oder unterschritten) oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Hierbei darf das Finanzgericht regelmäßig nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).

Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine ganz bestimmte Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind für die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (BFH-Urteil vom 01.07.1981 VII RE 84/80, BStBl II 1981, 740; BFH-Beschluss vom 13.03.1990 VII S 3/90, BFH/NV 1991, 171). Bei später veränderter Sachlage ist es den Betroffenen zumutbar, in soweit ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen (BFH-Urteil vom 06.03.1996 II R 102/93, BStBl II 1996, 396; vgl. zum Fall überlanger Verfahrensdauer BFH-Beschlüsse vom 26.05.2000 V B 28/00, BFH/NV 2000, 1326 undvom 14.10.1993 X B 52/93, BFH/NV 1994, 562). Dagegen kommt es ausnahmsweise auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichts an, falls im Rahmen einer Verpflichtungsklage der Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts begehrt wird; bei Ermessensentscheidungen ist dies dann der Fall, wenn jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre und das Ermessen der Behörde daher auf Null reduziert ist (BFH-Urteil vom 17.05.1977 VII R 101/76, BStBl II 1977, 706; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar, § 101 FGO Rz 23ff).

a) Der Erlass der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen nach § 234 Abs. 2 AO 1977 erfüllt gewesen wären. Der Verzicht auf Stundungszinsen ist allerdings nicht bereits dann geboten, wenn der Steuerpflichtige zahlungsunfähig und überschuldet ist. Nach § 234 Abs. 2 AO 1977 kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Da Zweck der Zinsen ist, eine Gegenleistung für die verspätete Zahlung zu erlangen, ist ihre Erhebung auch bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen jedenfalls nicht sachlich unbillig. Ob ihre Erhebung aus persönlichen oder - anderen - sachlichen Gründen unbillig ist, ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der für Maßnahmen im Sinne der §§ 163, 227 AO 1977 geltenden Grundsätze zu entscheiden (ständige Rspr., vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.07.1997 XI R 32/96, BStBl II 1998, 7, m.w.N.).

b) Die Unbilligkeit kann entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben (sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe).

Die im Streitfall allein in Frage kommenden persönlichen Billigkeitsgründe sind nach der Rechtsprechung des BFH zu §§ 163, 227 AO 1977 dann zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige erlassbedürftig und auch erlasswürdig ist.

aa) Die Erlassbedürftigkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.

Dies ist dann der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Zum notwendigen Lebensunterhalt gehören nicht nur Mittel für die Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Behandlung, sondern auch für den notwendigen Hausrat und die sonst erforderlichen Gegenstände des täglichen Lebens. Dem Steuerpflichtigen ist allerdings zuzumuten, dass er zur Begleichung seiner Steuerschulden alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel - auch unter Inanspruchnahme eines Kredits - einsetzt (BFH-Beschluss vom 30.09.1996 X B 131/96, BFH/NV 1997, 326, BFH-Urteil vom 26.02.1987 IV R 298/84, BStBl II 1987, 612). Von seinem Vermögen ist ihm andererseits noch so viel zu belassen, dass ihm im Alter eine bescheidene Lebensführung ermöglicht wird (BFH-Beschluss vom 24.10.1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285 und BFH-Urteil vom 29.04.1981, BStBl II 1981, 726).

bb) Die Bejahung persönlicher Billigkeitsgründe setzt des Weiteren voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann; der Erlass der Steuerschulden muss geeignet sein, die Einkommens- und Vermögenslage des Steuerpflichtigen zu verbessern. Lebt der Steuerpflichtige unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen in wirtschaftlichen Verhältnissen, die, weil die Einkünfte und das Vermögen gering sind und im Übrigen dem Pfändungsschutz unterliegen, eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ausschließen bzw. ihn zur Tilgung der Steuerschulden nicht befähigen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden (BFH-Beschlüsse vom 31.01.2002 VII B 312/00, BFH/NV 2002, 889 undvom 28.10.1997 VII B 183/96, BFH/NV 1998, 683). Hierbei kommt es auf den Vorteil, der im Erlöschen der Steuerschulden (vgl. § 47 AO) gesehen werden kann, nicht entscheidend an; nach Wortlaut und systematischer Stellung im Erhebungsverfahren betrifft § 227 AO nur die in der Einziehung liegenden Unbilligkeiten (BFH-Beschluss vom 24.10.1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285). Kommt der Erlass wirtschaftlich nur anderen Gläubigern des Steuerpflichtigen und nicht diesem selbst zugute, scheidet ein Erlass ebenfalls aus (BFH- Beschlüsse vom 27.04.2001 XI S 8/01, BFH/NV 2001, 1363 undvom 28.10.1997 VII B 183/96, BFH/NV 1998, 683).

cc) Weitere Voraussetzung für den Erlass der Steuerschulden aus persönlichen Gründen ist die Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen. Diese ist zu verneinen, wenn der Steuerpflichtige seine mangelnde Leistungsfähigkeit grob fahrlässig selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstossen hat. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die mangelnde Leistungsfähigkeit durch übermäßig hohe Aufwendungen für die Bestreitung des Lebensunterhalts herbeigeführt wurde oder die Steuererklärungen nicht oder nicht pünktlich abgegeben und dadurch Steuern verkürzt wurden (BFH-Beschlüsse vom 14.10.1993 X B 52/93, BFH/NV 1994, 562 undvom 18.08.1988 V B 71/88, BFH/NV 1990, 137 sowie BFH-Urteil vom 14.11.1957 IV 418/56 U, BStBl III 1956, 153). Nicht jede Verletzung der Erklärungspflichten oder jedes steuerliche Fehlverhalten führt allerdings zur Verneinung der Erlasswürdigkeit.

Entscheidend sind immer die Gesamtumstände des Einzelfalles. Zugunsten des Steuerpflichtigen zählen z.B. Anstrengungen, die dieser unternimmt, um seine Steuerrückstände abzubauen (BFH-Beschluss vom 30.09.1996 X B 131/96, BFH/NV 1997, 326). Zu berücksichtigen sind auch die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, wozu z.B. Alter, Krankheit, Abhängigkeit von Dritten, Schicksalsschläge und mangelnde persönliche Fähigkeiten, steuerlichen Pflichten nachzukommen, zu rechnen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 15.10.1992 X B 152/92, BFH/NV 1993, 80).

2. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist der erkennende Senat nach Abwägung sämtlicher Umstände des Streitfalls zu der Überzeugung gelangt, dass persönliche Billigkeitsgründe für einen Vollerlass der Säumniszuschläge nicht vorliegen.

a) Säumniszuschläge sind in der Regel (nur) zur Hälfte zu erlassen, wenn ihre Funktion als Druckmittel ihren Sinn verliert (ständige Rspr., vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30.03.2006 V R 2/04, BFH/NV 2006, 1381). Ebenso steht fest, dass sie nicht akzessorisch zur Hauptschuld sind und selbst dann nicht entfallen würden, wenn die angefochtene Steuerfestsetzung z.B. nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ersatzlos aufgehoben werden würde (BFH-Urteil vom 30.03.2006 a.a.O.). Nichts anderes kann im - sogar gesetzlich in § 240 Abs.1 Satz 5 AO 1977 ausdrücklich geregelten - Fall des Erlöschens der Steuerschuld durch Aufrechnung gelten, durch die im zu entscheidenden Fall die Steuerschuld getilgt worden ist.

b) Ein Vollerlass könnte sich auch auf die konkrete wirtschaftliche Situation der Klägerin nicht auswirken. Denn die Einkünfte und das Vermögen der Klägerin sind gering und unterliegen im Übrigen dem Pfändungsschutz. Ein Erlass könnte hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für die Klägerin verbunden.

c) Die Klägerin kann auch keinen Billigkeitserlass unter Hinweis auf Alter oder Krankheit - hier der nach Aktenlage bereits seit ihrer Jugend vorliegenden Erkrankung der Klägerin an einer Form der sog. Parkinson'schen Krankheit - beanspruchen. Solche Umstände können zwar bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen unter dem Aspekt der Zumutbarkeit des Einsatzes vorhandener Mittel zur Tilgung von Steuerschulden von Bedeutung sein (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 07.07.1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161 m.w.N.). Ist jedoch der Steueranspruch wegen der geringen Einkünfte und des Pfändungsschutzes gar nicht durchsetzbar, und wird deshalb durch einen Erlass die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen nicht verbessert, mangelt es an dem für einen Erlass erforderlichen konkreten Zusammenhang zwischen der ohnehin tatsächlich nicht möglichen Einziehung einerseits und der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen andererseits.

d) Zudem erscheint die Klägerin auch nicht als erlasswürdig. Den Ausführungen der Rechtsprechung, dass bereits einzelne verspätete Abgaben von Steuererklärungen und sonstige Verletzungen der steuerlichen Mitwirkungspflichten die Erlasswürdigkeit noch nicht ausschließen, hat das Finanzamt entgegengehalten, dass die Klägerin ihre steuerlichen Erklärungspflichten wiederholt und über Jahre hinweg verletzt und dadurch auch Steuern verkürzt habe. Wegen der erheblichen Steuerstraftaten, für die die Klägerin eine Freiheitsstrafe verbüßen musste, verneint der Senat die Erlasswürdigkeit der Klägerin.

e) Ob die verbliebenen, streitgegenständlichen Säumniszuschläge den entstandenen Verwaltungsaufwand in angemessenem Umfang kompensieren oder unverhältnismäßig hoch sind, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Unstreitig dienen die noch von der Klägerin geforderten Säumniszuschläge zwar nicht als Druckmittel eigener Art, das die Klägerin zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll, da die Klägerin zahlungsunfähig und überschuldet war. Davon unberührt bleibt jedoch der Zweck der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern. Hinzu kommt die Abgeltung derjenigen Verwaltungsaufwendungen, die den steuerverwaltenden Körperschaften durch die verspätete Zahlung bzw. bis zur Tilgung der fälligen Steuern durch Umbuchung entstanden sind (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 18.04.1996 V R 55/95, BStBl II 1996, 561). Der Senat kann jedenfalls keine Verletzung der Grenzen pflichtgemäßer Ermessensausübung nach § 102 Satz 1 FGO erkennen, wenn das beklagte Finanzamt die streitgegenständlichen Säumniszuschläge als zur Abdeckung dieser beiden Zwecke erforderlich und angemessen angesehen und deshalb einen weitergehenden Erlass abgelehnt hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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