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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 5 K 132/07
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 110 Abs. 1
AO 1977 § 110 Abs. 2
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 132/07

Kindergeld

In der Streitsache ...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx,

der Richterin am Finanzgericht xxx und

der Richterin am Finanzgericht xxx sowie

der ehrenamtlichen Richter xxx und xxx

ohne mündliche Verhandlung

am 19. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin ist allein erziehende Mutter des Kindes A., geb. am 16.02.2003. Sie und ihr Sohn leben von Geburt an in Deutschland. Der Vater des Kindes ist italienischer Staatsangehöriger und lebt ständig in Italien (Neapel).

Mit Bescheid vom 28.04.2005 hat der Beklagte (die Familienkasse) erstmals den Antrag der Klägerin vom 18.11.2004 auf Kindergeld abgelehnt. Das Schreiben der Familienkasse vom 21.01.2005 sei unbeantwortet geblieben, erbetene Angaben seien nicht gemacht und Unterlagen (insbesondere das Auskunftsersuchen der zuständigen Stelle in Italien mit Vordruck E 411) nicht eingereicht worden.

Mit Schreiben vom 01.12.2005 beantragte die Klägerin erneut (jetzt unter Vorlage des Vordrucks E 411) Kindergeld. Mit Schreiben vom 05.01.2006 forderte die Familienkasse die Klägerin auf, die Bescheinigung E 411 an den angekreuzten Stellen vom italienischen Träger (Position 6.1 zur Frage, ob eine berufliche Tätigkeit ausgeübt wurde oder nicht) ergänzen zu lassen. Darüber hinaus sollte die Klägerin den (erweiterten) Antragsvordruck auf Kindergeld ausfüllen und damit zu ihrer Erwerbstätigkeit Angaben machen. Dieses Schreiben ließ die Klägerin ebenfalls unbeantwortet, worauf die Familienkasse mit Bescheid vom 15.03.2006 den Kindergeldantrag ablehnte. Der Bescheid enthielt wie der vorige Ablehnungsbescheid den wichtigen Hinweis: "Wenn Sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist (siehe Rechtsbehelfsbelehrung) Einspruch einlegen, können Sie später zwar wieder einen neuen Antrag stellen. Die Zahlung von Kindergeld kann dann aber frühestens für die Zeit nach Ablauf des Monats erfolgen, in dem Ihnen dieser Bescheid bekannt gegeben worden ist." Die Klägerin legte auch gegen diesen Bescheid keinen Einspruch ein.

Am 24.05.2006 übersandte die Klägerin u.a. das Formular E 411 sowie den von ihr ausgefüllten erweiterten Kindergeldantrag. Daraufhin setzte die Familienkasse mit Bescheid vom 08.06.2006 das Kindergeld ab 01.04.2006 fest. Da ein früherer Antrag auf Kindergeld mit Bescheid vom 15.03.2006 abgelehnt worden sei, habe das Kindergeld erst ab April 2006 festgesetzt werden können.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, weil ihr in der Zeit vom Februar 2003 bis März 2006 kein Kindergeld bezahlt worden sei. Rein vorsorglich legte sie auch gegen den Bescheid vom 15.03.2006 Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie trug vor, dass sie nach Erhalt des Bescheids vom 15.03.2006 ein Telefonat mit einer Sachbearbeiterin der Familienkasse geführt und gefragt habe, welche Wirkung dieser Bescheid habe. Daraufhin sei ihr gesagt worden, dass sie sich keine Gedanken machen solle.

Sie solle einen neuen Antrag stellen, dann werde sie das beantragte Kindergeld erhalten.

Damit sei die Rechtbehelfsbelehrung entkräftet worden und sie habe keinen Einspruch eingelegt.

Bevor der Bescheid vom 15.03.2006 erlassen worden sei, sei bemängelt worden, dass eine Frage auf dem E 411 nicht beantwortet worden sei. Diesbezüglich habe sie von der zuständigen Sachbearbeiterin die Antwort erhalten, dass sicherlich eine Fahrt nach Neapel als unzumutbar anzusehen sei. Demzufolge habe sie gutgläubig angenommen, dass das Kreuz entsprechend ihrer Angaben angebracht werde. Im Übrigen sei dies von der italienischen Behörde beantwortet worden, nämlich, dass kein Antrag auf Kindergeld gestellt worden sei. Damit sei der Vordruck E 411 ausreichend ausgefüllt gewesen. Eine Zurückweisung des Kindergeldantrags hätte nicht erfolgen dürfen. Da sie kein grobes Verschulden treffe, sei der Bescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben bzw. zu ändern. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei durch die fehlerhafte telefonische Auskunft der Familienkasse begründet. Sie sei überzeugt gewesen, mit dem neuen Antrag alles getan zu haben, um das Kindergeld ab Geburt ihres Sohnes zu bekommen.

Die Familienkasse verwarf den Einspruch gegen den Bescheid vom 15.03.2006 mit Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 als unzulässig. Es lägen keine Gründe nach § 110 Abs. 1 AO 1977 vor, die die Fristversäumnis rechtfertigen würden. Den Einspruch gegen den Bescheid vom 08.06 2006 wies es mit Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 als unbegründet zurück. Insbesondere scheide eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 aus, weil der für die Entscheidung erforderliche erweiterte Kindergeldantrag und der vollständig ausgefüllte E 411 erst nachträglich der Familienkasse vorgelegt worden seien. Am nachträglichen Bekanntwerden der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel treffe die Antragstellerin ein grobes Verschulden.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt sinngemäß

die Ablehnungsbescheide vom 08.06.2006 und vom 15.03.2006 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 13.12.2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihren Sohn A. für den Zeitraum vom Februar 2003 bis März 2006 zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt

Klageabweisung.

Die Frist für den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 15.03.2006 habe am 20.04.2006 geendet. Gründe für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 und 2 AO 1977 lägen nicht vor. Die Behauptung einer falschen telefonischen Auskunft einer Mitarbeiterin sei nach der Kindergeldakte nicht verifizierbar. Die erste Reaktion der Klägerin nach dem Bescheid vom 15.03.2006 sei das Schreiben vom 24.05.2006 gewesen. Darüber hinaus habe die Rechtbehelfsbelehrung auf die Folgen hingewiesen, die einträten, falls nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt werde. Die für die Kindergeldfestsetzung notwendigen Angaben zur Erwerbstätigkeit beider Elternteile habe die Klägerin erst nach Eintritt der Bestandskraft gemacht, insoweit seien für die Entscheidung erhebliche Tatsachen erst nachträglich bekannt geworden. Grobes Verschulden der Klägerin liege vor.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat die Familienkasse der Klägerin für ihren Sohn Kindergeld erst ab April 2006 gewährt.

1. Einer Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Februar 2003 bis April 2005 steht der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 28.04.2005 entgegen. Die Klägerin hat keinen Einspruch eingelegt. Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden diesbezüglich nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

2. Einer Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Mai 2005 bis März 2006 steht der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 15.03.2006 entgegen.

Zutreffend und zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, dass innerhalb der Rechtsbehelfsfrist kein Einspruch gegen den Bescheid vom 15.03.2006 eingelegt worden ist.

Erhebliche Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977 wurden weder innerhalb der Monatsfrist substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Die Klägerin hat den Namen der Sachbearbeiterin nicht genannt und nicht dargelegt, wann sie mit dieser telefoniert haben will. Die Ablehnungsbescheide vom 28.04.2005 und vom 15.03.2006 enthielten ausdrücklich einen wichtigen Hinweis darüber, dass ein neuer Antrag die Zahlung frühestens für die Zeit nach Ablauf des Monats auslöst, in dem der Ablehnungsbescheid bekannt gegeben wurde. Somit hätte die Klägerin erkennen können, dass ein neuer Antrag ohne Einlegung eines Einspruchs nur für die Zukunft nicht aber für die Vergangenheit die Zahlung von Kindergeld begründen kann. Durch die schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung war die Klägerin ausreichend über die Konsequenzen einer nicht rechtzeitigen Einspruchseinlegung unterrichtet. Gegen die Erteilung einer falschen Auskunft spricht, dass in der Akte kein Vermerk über ein Telefonat mit der Klägerin enthalten ist und dass den Sachbearbeitern der Inhalt des wichtigen Hinweises bekannt ist.

3. Der bestandskräftige Bescheid vom 15.03.2006 kann mangels Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift, insbesondere auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht aufgehoben oder geändert werden. Die Klägerin trifft ein grobes Verschulden, da sie die ihr nach ihren persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Obwohl ihr erneut im Anschreiben vom 05.01.2006 ausführlich die Bedeutung der Frage der Berufstätigkeit von Elternteilen, die in verschiedenen Staaten der EU leben, im Hinblick auf den Kindergeldanspruch erläutert wurde, ist sie ihrer Erklärungspflicht nicht nachgekommen und hat bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht mitgewirkt. Dies ist grob fahrlässig (BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 44/06, BFH/NV 2006, 643). Zutreffend hat die Familienkasse unter Vorlage der Kindergeldakte dargelegt, dass erst mit der Vorlage des von der Klägerin ausgefüllten erweiterten Kindergeldantrags am 26.05.2006 festgestellt werden konnte, dass die Klägerin in Deutschland sozialversicherungspflichtig erwerbstätig ist und damit nach der Verordnung der Europäischen Gemeinschaft über soziale Sicherung 1408/71 den vorrangigen Anspruch auf Kindergeld vor dem Kindsvater hat. Die Behauptung der Klägerin, die Familienkasse hätte bereits zuvor Kenntnis von ihrer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gehabt, hat sie weder schlüssig dargelegt noch nachgewiesen. Im Übrigen hat die Klägerin auch selbst nie vorgetragen, dass anlässlich des Telefonats mit der Sachbearbeiterin über ihre Erwerbstätigkeit gesprochen worden wäre. Auch hat die Klägerin nach Stellung ihres Erstantrags im November 2004 schon einmal nicht auf die Aufforderung der Familienkasse, den erweiterten Kindergeldantrag auszufüllen und vorzulegen, reagiert. Insofern hält es der Senat für nicht glaubwürdig, dass sie diesen Vordruck nie erhalten haben will. Im Bescheid vom 15.03.2006 wurde zudem ausdrücklich auf diesen Antragsvordruck Bezug genommen.

In einer ganz persönlichen Krisensituation ist zwar eine derartige Pflichtverletzung entschuldbar.

Jedoch ist eine solche Krisensituation im Streitfall weder vorgetragen noch ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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