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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 5 K 1353/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 1353/06

Kindergeld

In der Streitsache

...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ... , des Richters am Finanzgericht ... und der Richterin am Finanzgericht ... sowie der ehrenamtlichen Richter ... und ...

ohne mündliche Verhandlung am 19. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 07. März 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2006 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger erhielt für seinen 1981 geborenen Sohn L während dessen Maschinenbaustudiums weiterhin Kindergeld. Er legte dazu Immatrikulationsbescheinigungen bis Wintersemester 2005/06 vor. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 teilte er mit, dass der Sohn "zum 31.01.2005" ? gemeint ist offensichtlich 31. Dezember 2005 ? sein Studium beenden und ab 1. Januar 2006 ein Arbeitsverhältnis aufnehmen werde; die Diplomurkunde 27. April 2005 und den Anstellungsvertrag reichte er nach. Auf den Hinweis des Beklagten (der Familienkasse), er habe möglicherweise von Mai 2005 bis Dezember 2005 zu Unrecht Kindergeld erhalten, führte er mit Schreiben vom 7. Februar 2006 ergänzend aus, der Sohn habe die Diplomurkunde im April 2005 erhalten, sei aber zur Weiterbildung immatrikuliert geblieben, weil er nicht gleich eine Anstellung gefunden habe. Die Familienkasse hob jedoch die Kindergeldfestsetzung ab Mai 2005 auf und forderte das für Mai bis Dezember 2005 gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.232 EUR zurück.

Zur Begründung der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Der Sohn habe im Juni 2005 (nicht im April 2005) seine Diplomurkunde erhalten. Sein schon vorher begonnenes Bemühen um eine Stelle als Maschinenbauingenieur sei erst Ende Dezember erfolgreich gewesen. In der Zwischenzeit habe er von den potentiellen Arbeitgebern erwartete, über die normalen Fächer hinausgehende Kenntnisse wie CAD und Grundkenntnisse in Wirtschaftsfächern (Wirtschaftlichkeitsrechnung, Investitionsrechnung) erworben, die - wie die vorgelegten Bestätigungen zeigten - zu seiner Anstellung zum 1. Januar 2006 beigetragen hätten. Nach der Rechtsprechung sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass mit dem erfolgreichen Studienabschluss als Mindestvoraussetzung für den angestrebten Beruf die Berufsausbildung abgeschlossen sei; sie könne auch Maßnahmen außerhalb eines fest umrissenen Bildungsgangs umfassen. Weitere Qualifizierungsmaßnahmen während der Bewerbungsphase nach der Prüfung verbesserten die beruflichen Chancen, während Lücken im Lebenslauf schadeten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 7. März 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2006 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beharrt auf der Auffassung, dass der Sohn bereits im April 2005 schriftlich vom Prüfungsergebnis unterrichtet worden sei und damit seine Ausbildung beendet habe. Ein Aufbau- oder Ergänzungsstudium sei nur zu berücksichtigen wenn es zu einer zusätzlichen beruflichen Qualifikation führe und ? anders als hier ? mit einer Prüfung abgeschlossen werde. Das vom Kläger angeführte Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juli 2005 6 K 2422/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2005, 1544) betreffe einen vom vorliegenden Sachverhalt abweichenden Einzelfall. Eine freie Selbstausbildung sei keine Berufsausbildung.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 28. März 2006 und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) hatte der Kläger auch für die Zeit von Mai bis Dezember 2005 Anspruch auf Kindergeld, weil sein Sohn L seine Berufsausbildung bis in den Dezember hinein fortsetzte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 44/04, BFH/NV 2005, 1039, unter II.1.a m.w.N.).

In akademischen Berufen wird die Berufsausbildung zwar regelmäßig ? wie im Fall der Entscheidung in BFH/NV 2005, 1039 ? mit der Ablegung des (ersten) Staatsexamens oder einer entsprechenden Abschlussprüfung abgeschlossen (insoweit a.A. Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 200: im Zeitpunkt der Exmatrikulation); sie kann aber durch weitere qualifizierende Maßnahmen fortgesetzt werden (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 26. Aufl., § 32 Rz 29; Dürr in Frotscher, EStG, § 32 Rz 64, 65; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz C 14 ff).

Auch nach Auffassung der Verwaltung wird die Berufsausbildung fortgesetzt, wenn sich ein ergänzendes Studium, ein Zweitstudium oder ein nach der maßgebenden Ausbildungs- oder Prüfungsordnung vorgeschriebenes Dienstverhältnis oder Praktikum anschließt (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes -DA-FamEStG 2004- 63.3.2.6 Abs. 4 Satz 3). Ergänzendes Studium in diesem Sinne ist nach Auffassung des Senats nicht nur ein Aufbaustudium mit eigenem Studiengang, sondern auch die Belegung weiterer Semester im geprüften Fach zur Vertiefung vorhandener und Aneignung weiterer berufsspezifischer Kenntnisse. Im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz in EFG 2005, 1544, und die Anmerkung von Claßen in EFG 2005, 1545, Bezug genommen. Offenbar hat in jenem Falle die zuständige Familienkasse die Auslegung des Gesetzes durch das Finanzgericht als zutreffend angesehen; denn sie hat dessen Entscheidung trotz Zulassung der Revision rechtskräftig werden lassen.

Im vorliegenden Fall waren zwei Bewerbungen des Sohnes erfolglos geblieben, weil die durch das (noch abzuschließende) reguläre Studium vermittelten Kenntnisse den betrieblichen Anforderungen der Unternehmen nicht genügten. So forderte die Firma K zusätzlich mindestens Grundkenntnisse in Wirtschaftsfächern (Kalkulation, Wirtschaftlichkeitsberechnung), während nach Auffassung der Firma E die Ausbildung im Bereich Konstruktion nicht ausreichte. Danach musste es dem Sohn des Klägers vernünftigerweise sinnvoll erscheinen, solche Kenntnisse zu erwerben bzw. vertiefen, um seine Chancen für die Ausübung des angestrebten Berufs zu verbessern. Tatsächlich hat dies auch, wie die Firma S bestätigt, erheblich zu seiner Anstellung ab Januar 2006 beigetragen. Die Ausbildungsmaßnahme musste nicht in der Studienordnung vorgeschrieben sein. Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (vgl. Finanzgericht München, Urteil vom 14.03.2005 10 K 4379/02, [...]; Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.02.2006 10 K 171/03 Kg, EFG 2006, 1073, m.w.N.). Zweifel daran, dass der Sohn des Klägers sein Studium ernsthaft und fachbezogen fortgesetzt hat, sind weder substantiiert vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.

Ende der Entscheidung

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