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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 5 K 1738/07
Rechtsgebiete: EStG, SGB III


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Nr. 1
SGB III § 38
SGB III § 122
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 1738/07

Kindergeld

In der Streitsache

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx,

der Richterin am Finanzgericht xxx und

der Richterin am Finanzgericht xxxx sowie

der ehrenamtlichen Richter xxx und xxx

ohne mündliche Verhandlung am 20. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30.03.2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17.04.2007 werden für den Zeitraum März 2006 bis April 2006 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Der Kläger ist Vater des Kindes S., geb. am 30.10.1987.

S. meldete sich am 04.01.2006 beim Kundenbereich Vermittlung der Agentur für Arbeit arbeitsuchend. Zeitgleich stellte sie einen Antrag auf ALG II -Leistungen.

Mit Bescheid vom 31.01.2006 setzte die Familienkasse ab Januar 2006 Kindergeld für S. fest und wies den Kläger u.a. darauf hin, dass er mitteilen müsse, wenn das Kind an einer beruflichen Ausbildung nicht mehr interessiert oder nicht mehr als arbeitsuchend gemeldet sei. Das Vermittlungsgesuch müsse alle drei Monate erneuert werden, wenn das Kind kein ALG II beziehe. Bei Kindern, die keine Geldleistungen bezögen, ende der Kindergeldanspruch auch dann, wenn die betreffende Stelle die Vermittlungsbemühungen einstelle, weil das Kind einer Aufforderung zur Meldung nicht nachgekommen sei.

Mit Bescheid vom 17.02.2006 wurde der Antrag auf ALG II abgelehnt. Der Familienkasse wurde Ende März 2006 nach Ablauf der Widerspruchsfrist das Formblatt 11 b über den Ablehnungsbescheid zugesandt.

Laut einem Ausdruck der Bundesagentur für Arbeit vom 19.03.2007 fand der letzte Kontakt der Arbeitsvermittlung mit S. am 31.01.2006 statt. Am 17.02.2006 sei S. aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet worden, weil der ALG II Antrag abgelehnt worden sei.

Darauf hin hob die Beklagte (die Familienkasse) mit Bescheid vom 30.03.2007 die Festsetzung des Kindergeldes ab März 2006 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf und forderte für den Zeitraum März 2006 bis Februar 2007 das überzahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.848 EUR zurück, weil S. nach den Daten der für die Arbeitsvermittlung zuständigen Stelle dort nicht mehr als arbeitsuchendes Kind geführt worden sei.

Dagegen legte der Kläger Einspruch ein.

Er habe von der Agentur für Arbeit im Gegensatz zur Familienkasse im März 2006 keine Mitteilung zur Abmeldung über die Arbeitssuche seiner Tochter S. bekommen. Die Familienkasse hätte daher die Zahlung längst einstellen müssen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 17.04.2007 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Mitteilung der ARGE SGB II über die Abmeldung aus der Arbeitsvermittlung mit Formblatt 11 b sei in der Kindergeldakte nicht vorhanden. Es sei daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung nicht bei der Familienkasse eingegangen sei. Der Kläger sei im Übrigen seinen Mitwirkungspflichten nach § 68 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht nachgekommen.

Der Kläger verfolgt mit seiner Klage sein Begehren weiter.

Seine Tochter S. sei im Zeitraum vom März 2006 bis Februar 2007 zwischen 18 und 21 Jahre alt gewesen und habe in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Gegen die Ablehnung des ALG II Antrags mit Bescheid vom 17.02.2006 habe S. keinen Widerspruch eingelegt. Darüber, dass die ARGE SGB II S. rückwirkend zum 17.02.2006 von der Arbeitsvermittlung abgemeldet habe, sei weder er noch S. informiert worden. Ihm sei nicht klar, warum die Abmeldung erfolgt sei, da eine Arbeitslosmeldung auch ohne Leistungsbezug erfolgen könne. S. habe keinerlei Aufforderungen seitens der ARGE SGB II erhalten, denen sie nicht nachgekommen wäre. Der Umstand, dass S. nicht mehr arbeitslos gemeldet gewesen sei, sei weder ihm noch S. anzulasten. Hätte S. dies gewusst, hätte sie sich umgehend wieder arbeitslos gemeldet, so dass die Anspruchsvoraussetzungen für Kindergeld wieder gegeben gewesen wären. Er sei daher so zu stellen, als wenn er korrekt informiert worden wäre.

Der Kläger beantragt sinngemäß

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30.03.2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17.04.2007 aufzuheben,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Familienkasse beantragt

unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 17.04.2007 Klageabweisung .

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Einspruchsentscheidung vom 17.04.2007, das gerichtliche Schreiben vom 03.08.2007 und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze, insbesondere das Schreiben des Klägers vom 16.08.2007.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis erklärt, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann.

II. Die Klage ist teilweise begründet.

1. Nach § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung von Kindergeld mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Eine solche Änderung der Verhältnisse liegt im Streitfall jedoch erst ab Mai 2006 vor.

Gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Arbeitsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist. S. war ab Mai 2006 nicht mehr als arbeitsuchendes Kind im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.

a) S. stand nicht in einem Beschäftigungsverhältnis und war seit Januar 2006 bei einem Arbeitsamt im Inland als Arbeitsuchende gemeldet sein (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG). Ohne eine solche Meldung steht ein Kind dem Arbeitsamt nicht zur Vermittlung zur Verfügung (vgl. § 16, § 119 SGB III). Es kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes aber auch darauf an, dass der Status des Arbeitssuchenden nach der erstmaligen Meldung nicht wieder erlischt und somit für die Dauer des Kindergeldbezugs fortbesteht.

Da keine steuerliche Regelung dafür existiert, wie der durch die Meldung begründete Status des Arbeitsuchenden für Zwecke des Kindergeldrechts ggf. wieder wegfällt, sind auch für das Kindergeld insoweit die Vorschriften des Sozialrechts, insbesondere des § 122 SGB III und des § 38 SGB III, heranzuziehen. Dies führt im Streitfall dazu, dass S. mit Ablauf von drei Monaten nicht mehr als arbeitsuchendes Kind anzusehen ist. Da die Meldung bei der Agentur für Arbeit im Januar 2006 erfolgt ist, erlosch der Status des arbeitsuchenden Kindes Ende April 2006, d.h. nach Ablauf von 3 Monaten.

Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dem Wegfall des Merkmals "arbeitslos im Sinne des SGB III" in § 32 Abs. 4 Nr.1 EStG zum 01.01.2003 eine Vereinfachung dahingehend, dass sich die Kinder ohne Beschäftigung nicht ausschließlich wegen des Anspruchs auf Kindergeld beim Arbeitsamt arbeitslos melden müssen (Bundestagsdrucksache 15/26 S. 29 zu Art 8 Nr. 2). Diese Absicht des Gesetzgebers steht der Anwendung des § 38 SGB III nicht entgegen, denn es wäre nicht verständlich, wenn für Zwecke der Kindergeldberechtigung ab der Arbeitslosmeldung überhaupt keine weitere Mitwirkung des Kindes bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres mehr erforderlich sein sollte. Der Gesetzgeber will nach wie vor Kindergeld nur gewähren, wenn das Kind, das keinen Tatbestand des § 38 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB III erfüllt -hier: wegen der Ablehnung des ALG II-Antrags -, seiner aus § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III folgenden Pflicht zur Erneuerung seiner Meldung nach drei Monaten nachkommt (Urteile des Finanzgerichts Köln vom 19.10.2005 4 K 2103/04, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-, 2006, 828, und des Finanzgerichts Münster vom 27.07.2005 10 K 5038/04, EFG 2006, 684).

In § 38 Abs. 4 SGB III wird bestimmt, in welchem Umfang arbeitsuchende Personen bei ihrer Vermittlung durch die Agentur für Arbeit mitzuwirken haben. Eine einmalige Meldung genügt bei längerer Arbeitslosigkeit nicht. Endet die Arbeitsvermittlungspflicht der Agentur für Arbeit, ist ein Kind auch nicht mehr arbeitslos gemeldet. Bezieht ein Kind -wie im Streitfall -kein Arbeitslosengeld II, ist gemäß § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III die Arbeitsvermittlung von der Agentur für Arbeit nach drei Monaten einzustellen. Dies bedeutet, dass eine einmalige Meldung als arbeitslos nur drei Monate fortwirkt. Eine zeitlich längere Wirkung setzt voraus, dass das Kind die Arbeitsvermittlung erneut in Anspruch nimmt (§ 38 Abs. 4 Satz 3 SGB III). Die Bemühungen der Agentur für Arbeit können nur in Anspruch genommen werden, wenn die Arbeitsvermittlung aufgrund entsprechender Mitwirkung des Betroffenen von der Arbeitsuche Kenntnis hat.

Das Finanzgericht München hat entschieden, dass ein Kind nicht mehr arbeitslos gemeldet ist, wenn die Arbeitsvermittlungspflicht der Agentur für Arbeit endet (Urteil vom 14.03.2005 10 K 3837/03, EFG 2006, 750). Im Streitfall endete die Arbeitsvermittlung, weil S. kein ALG II bezog. Hierauf war im Bescheid vom 31.01.2006 ausdrücklich hingewiesen worden. Die Arbeitsvermittlung war daher nach 3 Monaten einzustellen. Eine zeitlich längere Wirkung scheidet aus, weil S. die Arbeitsvermittlung nicht erneut in Anspruch genommen hat (§ 38 Abs. 4 Satz 3 SGB III).

b) S. hat aber auch nicht alle Möglichkeiten genutzt, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Soweit nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Finanzgerichts und des Finanzgerichts Brandenburg (Urteile des Finanzgerichts Niedersachsen vom 16.06.2006 1 K 303/05, EFG 2006, 684, und vom 24.03.2004 2 K 56/02, EFG 2004, 1462, sowie des Finanzgerichts Brandenburg vom 05.12.2001 6 K 2433/00, EFG 2002, 207, Pust in Litt- mann/Bitz, Das Einkommensteuerrecht, § 32 Rz. 334) ab 2003 die Vorschrift des § 38 SGB III im Kindergeldrecht ohne Belang ist, wird aber von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmend gefordert, dass neben der bloßen Arbeitslosenmeldung die Arbeitsbereitschaft und die Suche nach Arbeit für den Kindergeldanspruch hinzukommen müssen (Urteile des Finanzgerichts Niedersachsen vom 16.06.2006 1 K 303/05, EFG 2006, 684, und vom 24.03.2004 2 K 56/02, EFG 2004, 1462, Urteil des Finanzgerichts Brandenburg vom 05.12.2001 6 K 2433/00, EFG 2002, 207, Urteil des Finanzgerichts Köln vom 19.10.2005 4 K 2103/04, Haufe und Urteil des Finanzgerichts Münster vom 27.07.2005 10 K 5038/04, EFG 2006, 684). Eigene Vermittlungsbemühungen von S. wurden aber weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen. Bei der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 31.01.2006 wurde der Kläger außerdem ausdrücklich von der Familienkasse darauf hingewiesen, dass das Vermittlungsgesuch alle drei Monate erneuert werden muss, wenn S. kein ALG II bezieht (vgl. Urteil des Finanzgerichts Münster vom 27.07.2005 10 K 5034/04, EFG 2006, 684, und BFH-Urteil vom 15.07.2003 VIII R 56/00, BStBl II 2004, 104, zum Nachweis über die Arbeitsbereitschaft). Dies geschah ebenfalls nicht. Aufgrund fehlender eigener Vermittlungsbemühungen ist S. (jedenfalls spätestens) ab Mai 2006 nicht mehr als arbeitsuchend anzusehen.

Die objektive Feststellungslast (Beweislast) dafür, dass ein Kindergeldanspruch aus einem neuen Lebenssachverhalt entstanden ist, hat der Kläger zu tragen. Daran scheitert die Klage ab dem Monat Mai 2006.

2. Die Rückforderung des Kindergelds ab Mai 2006 erfolgte daher zu Recht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO und die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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