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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Gerichtsbescheid verkündet am 15.02.2007
Aktenzeichen: 5 K 661/06
Rechtsgebiete: VO/574/72/EWG, VO/1408/71/EWG


Vorschriften:

VO/574/72/EWG des Rates vom 21. März 1972 Art. 10 Abs. 1 Buchst. a
VO/1408/71/EWG Art. 4 Abs. 1 Buchst. h
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 661/06

Kindergeld

In der Streitsache

...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündliche Verhandlung

am 15. Februar 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin ist polnische Staatsbürgerin. Sie unterhält seit 08.02.2005 einen Gewerbebetrieb im Inland; ihr Ehemann und ihre beiden schulpflichtigen Kinder leben in Polen. Im Verfahren über ihren Kindergeldantrag legte sie eine Bescheinigung vor, derzufolge ihr Ehemann in Polen von der dortigen Kasse der Sozialversicherung für Landwirte Familienleistungen für zwei Kinder bis zum 31.08.2005 bezogen hat. Nach weiteren Bescheinigungen wurde für die nachfolgende Zeit bis zum 31.08.2006 kein Antrag auf Familienleistungen in Polen gestellt und mitgeteilt, dass die Klägerin bis auf Weiteres als Landwirtin (Gattin) kraft Gesetzes bezüglich der Renten- und Unfallversicherung sowie Kranken- und Mutterschaftsversicherung der Sozialversicherung für Landwirte unterliegt.

Die beklagte Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.12.2005 und den hiergegen erhobenen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11.01.2006 ab. Die Klägerin sei zwar selbständig tätig, jedoch aufgrund dieser Tätigkeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland pflichtversichert. Eine selbständige Tätigkeit in Deutschland im Sinne der einschlägigen europäischen Rechtsverordnungen liege deshalb nicht vor, es seien allein die Kindergeldregelungen Polens maßgeblich. Da deutsches Kindergeldrecht von vornherein nicht anwendbar sei, komme auch die Zahlung von sog. Aufstockungsbeträgen auf das polnische Kindergeld bis zur Höhe des deutschen Kindergelds nicht in Betracht.

Mit der Klage rügt die Klägerin die Benachteiligung von Selbständigen gegenüber polnischen Arbeitnehmern in Deutschland, die Kindergeld erhielten, und die Ungleichbehandlung, die daraus entstehe, dass der Beklagte in vielen gleichgelagerten Fällen Kindergeld bzw. zumindest Aufstockungsbeträge gewähre.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 01.12.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 11.01.2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, ihr Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz zu gewähren.

Der Beklagte (die Familienkasse) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Polen gehört seit dem 1. Mai 2004 zum Europäischen Wirtschaftsraum. Seitdem gilt für das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern -VO (EWG) 1408/71-(aktualisierte Gesamtfassung in der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 -VO (EG) 118/97-, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -ABlEG-Nr. 1 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, 13) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 -VO (EWG) 574/72-(aktualisierte Gesamtfassung in der VO (EG) Nr. 118/97, ABlEG Nr. 1 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, 106).

1.1 Wer im Gebiet eines Mitgliedsstaates eine selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt zwar den Rechtsvorschriften des Tätigkeitsstaates (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO (EWG) 1408/71). Ein in Deutschland selbständig tätiger polnischer Staatsangehöriger gilt aber nur dann als Selbständiger in diesem Sinne, wenn er - anders als die Klägerin - hier zugleich in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist (VO (EWG) 1408/71, Anhang I Teil I Buchst. D).

1.2 Damit richtet sich die Gewährung von Kindergeld (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71) im Streitfall ausschließlich nach polnischem Recht. Die Klägerin hat nach der gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Deutschland auch keinen Anspruch auf Teilkindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem polnischen und dem deutschen Kindergeld. Differenzkindergeld erhielte sie nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) nur dann, wenn ihr Familienleistungen nach deutschem Recht zustünden und ihr Ehemann für die gemeinsamen Kinder in Polen Kindergeld beanspruchen könnte.

2. Die Nichtgewährung des Differenzkindergeldes verstößt nicht gegen den europarechtlichen Gleichheitssatz, an dem die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 und 574/72 zu messen sind.

2.1 Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört und auch den Gesetzgeber bindet, dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist sachlich gerechtfertigt (vgl. BFH Urteil vom 24. März 2006 III R 41/05, BFHE 212, 551, BFH/NV 2006, 1554 , m.w.N.; Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG-: 2 BvR 1863/06).

2.2 Auch wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass ein deutscher Staatsangehöriger, dessen Ehepartner und Kinder in Deutschland leben, bei selbständiger Tätigkeit in Polen dort sozialversicherungspflichtig und kindergeldberechtigt ist und hier Teilkindergeld erhält, könnte zweifelhaft sein, ob angesichts der unterschiedlichen Sozialsysteme in beiden Ländern überhaupt vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Jedenfalls ist die unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt.

2.2.1 Die Gewährung des Differenzkindergeldes in Fällen, in denen nur ein deutscher Elternteil im Ausland arbeitet und dort ein geringeres Kindergeld erhält, ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (BVerfGE 110, 412 , BFH/NV 2005, Beilage 1, 33) eine Folge des besonderen Diskriminierungsschutzes der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten. Denn der Elternteil, der nicht im Ausland arbeitet und dessen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG deshalb nicht durch das ausländische Recht ausgeschlossen wird, soll nicht dadurch benachteiligt werden, dass der andere Elternteil wegen seiner Beschäftigung im Ausland das niedrigere Kindergeld nach ausländischem Recht erhält. Die Klägerin dagegen, deren Ehepartner und die Kinder weiterhin in Polen leben, erleidet keinen solchen Nachteil. Sie möchte vielmehr gegenüber Familien bevorteilt werden, die vollständig in Polen leben und arbeiten.

2.2.2 Eine solche "positive Diskriminierung" ist aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht herzuleiten. Ein Ausgleich unterschiedlich hoher Sozialleistungen ist insbesondere deshalb nicht zwingend geboten, weil Kindergeldempfänger Wohnsitz und Betätigungsort frei wählen und dadurch die unterschiedlichen Vor- und Nachteile ihrer Wahl (insbesondere Einkünfte, Lebenshaltungskosten, sozialrechtliche Entlastung) vor ihrer Entscheidung prüfen und ihre Entscheidung danach ausrichten können. Die Tatsache, dass die Klägerin in Deutschland arbeitet, während ihr Ehemann mit den Kindern im Ausland wohnt, zwingt nicht dazu, ihre Ansprüche auf Kindergeld nach dem "Meistbegünstigungsprinzip" zu regeln.

2.3 Danach bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Gültigkeit und der Auslegung der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist daher nicht erforderlich (a.A. für den Fall, dass im anderen Staat wegen Überschreitung der dortigen - niedrigeren - Altersgrenze kein Kindergeldanspruch mehr besteht Finanzgericht Köln, Beschluss vom 10. August 2006 10 K 4830/05, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-2006, 1606). Ebenso wenig besteht Anlass, das vorliegende Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 1863/06 auszusetzen, zumal der dort zu beurteilende Sachverhalt - beide Eltern waren Grenzgänger in die Schweiz - sich maßgeblich vom vorliegenden Fall unterscheidet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung durch Gerichtsbescheid des Senats auf § 90a Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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