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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 5 K 760/07
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63
AO § 8
AO § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

[....]

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02. April 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Der Kläger ist Marokkaner und Vater der Kinder R., geb. am 24. Juni 1989, und S., geb. am 3. März 2000, für die er im streitigen Zeitraum Kindergeld bezog.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2002 kündigte der Kläger seine Wohnung (.... in M) zum 30. Juni 2002, da er seine Berufstätigkeit in Deutschland beenden und mit seiner Familie nach Marokko zurückkehren werde.

Am 27. Dezember 2002 rief der Arbeitgeber des Klägers bei der Familienkasse an und teilte mit, dass der Kläger sich vermutlich seit 2002 in Marokko aufhalte. Am 3. März 2005 bzw. am 10. März 2005 erklärte der Arbeitgeber gegenüber der Familienkasse telefonisch, dass der Kläger im Februar 2002 Guttage genommen habe und im März 2002 eine Krankmeldung aus Marokko gekommen sei. Ab 1. Juli 2002 sei der Kläger wieder in Urlaub gewesen. Mit Schreiben vom 10. März 2005 teilte der Anwalt des Arbeitgebers mit, dass der Kläger seit 1. Juli 2002 auch nach Auskunft des Einwohnermeldeamts über keinen Wohnsitz mehr in M verfüge.

Daraufhin hob die Beklagte (die Familienkasse) ab Juli 2002 die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 21. März 2005 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes -ESt- Ggegenüber dem Kläger auf und forderte das überzahlte Kindergeld für den Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2004 in Höhe von 9.240 EUR (30 Monate á 154 EUR) zurück. Diesen Bescheid übersandte die Familienkasse mit Einschreiben und Rückschein an die Anschrift des Klägers in .... MAROKKO. Der Rückschein datiert vom 13. April 2005.

Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld seien nicht ab Juli 2002 weggefallen. Er sei urlaubsbedingt nach Marokko gefahren und sei im Herbst 2002 wieder nach M zurückgekehrt. Da sein Arbeitgeber hohe fällige Lohnzahlungen nicht geleistet habe, habe er ab 16. Dezember 2002 das Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitsleistung geltend gemacht und halte sich seither überwiegend in Marokko auf, um in der Zeit bis zur Zahlung und Wiederaufnahme der Arbeit die hohen Lebenshaltungskosten in M zu vermeiden und um nicht der Sozialhilfe zur Last zu fallen. Inzwischen sei der Arbeitgeber vom Landesarbeitsgericht -LAG- am 25. Januar 2005 rechtskräftig zur Zahlung von 12.299 EUR verurteilt worden. Ein weiteres Verfahren vor dem Arbeitsgericht sei anhängig. Im Hinblick auf die ausstehenden Beträge von fast 60.000 EUR mache er von seinem Leistungsverweigerungsrecht weiter Gebrauch. Die Tatsache, dass er im Herbst 2002 nach M zurückgekehrt sei, ergebe sich aus dem LAG-Urteil, ebenso wie die Tatsache, dass er ab 16. Dezember 2002 bezüglich seiner Arbeitsleistung ein ihm zustehendes Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Die dort titulierten Beträge bezögen sich auf den Zeitraum bis einschließlich Mai 2003. Der Kläger teilte weiter mit, dass er zwar Anfang 2002 vorgehabt habe, im Sommer endgültig nach Marokko zurückzugehen, weshalb er das Mietverhältnis gekündigt habe. Er habe sich dies aber dann anders überlegt, habe sein Arbeitsverhältnis nicht gekündigt und sei nur urlaubsbedingt nach Marokko gefahren. Nach Abmeldung aus seiner Wohnung (.....) habe er sich in der .. in M am 15. Mai 2003 angemeldet. Erst mit Schreiben vom 19. Januar 2005 habe ihm der Arbeitgeber gekündigt. Die Tatsache, dass er sich ab Anfang 2003 überwiegend in Marokko aufgehalten habe, stelle keine Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts dar, da er sich nur vorübergehend in Marokko aufgehalten habe und er zur jederzeitigen Wiederaufnahme seiner Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber bereit gewesen sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2007 wies die Familienkasse den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück, weil der Kläger im Streitzeitraum weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe. Die Anmeldung bei der Meldebehörde begründe ebenso wenig einen Wohnsitz wie der Aufenthalt bei Verwandten oder Bekannten. Eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts über das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 oder 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG- sei nicht vorgelegt worden.

Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren für den Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2004 weiter. Ihm stehe das volle Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR zu, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht ins Ausland verlegt habe. Ergänzend zu seinen Ausführungen im Einspruchsverfahren trägt er vor, dass er die Bundesrepublik Deutschland nur vorübergehend verlassen habe, weil er das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt habe und seine Tätigkeit nach dem Urlaub wieder aufgenommen habe. Er sei als Koch langjährig bei seinem Arbeitgeber beschäftigt gewesen, der ihn fortlaufend benachteiligt habe. Es sei jahrelang zu außergerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen und einer Reihe von arbeitsgerichtlichen Verfahren. Dabei sei es im Wesentlichen um unzulässige Versuche gegangen, seine Arbeitsbedingungen einseitig zu verschlechtern und um diverse Zahlungsrückstände. Sämtliche Verfahren seien für ihn positiv ausgegangen. Er sei selbstverständlich auch nach dem Juni 2002 uneingeschränkt steuerpflichtig gewesen und die Lohnsteuer sei ordnungsgemäß abgeführt worden. Sein Arbeitsverhältnis sei erst durch einen am 27. April 2006 vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Gesamtvergleich rückwirkend zum 30. November 2003 beendet worden.

Auf die Stellungnahme des Familienkasse vom 4. Juni 2007 räumte der Kläger ein, dass er nach dem 30. Juni 2002 keinen Wohnsitz im steuerrechtlichen Sinne mehr in Deutschland gehabt habe, denn er habe seine bisherige Wohnung aufgegeben und habe zur Kostenersparnis keine neue angemietet. Sein gewöhnlicher Aufenthalt habe sich aber weiterhin in M befunden, denn es stehe fest, dass er sich hier nicht nur vorübergehend aufgehalten habe und dass sich seit Sommer 2002 nichts daran geändert habe. Er habe mit einem Landsmann, Herrn T.A., vereinbart, dass er nach seiner Rückkehr aus seinem Jahresurlaub in Marokko zunächst in dessen Wohnung in der S-straße wohnen könne, bis er eine neue eigene gefunden habe. Während seiner späteren Aufenthalte habe er auch dort gewohnt. Er sei am 26. Oktober 2002 nach M zurückgekehrt. Da er bis 5. November 2002 arbeitsunfähig erkrankt sei, habe er am 6. November 2002 seine Arbeit wieder aufgenommen. Aufgrund von Lohnrückständen habe er dann ab 16. Dezember 2002 von seinem gesetzlichen Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Gebrauch gemacht. Er sei am 1. Januar 2003 nach Marokko gefahren, weil sein Arbeitgeber trotz Aufforderung keine Zahlung geleistet habe. Mit dem Prozessbevollmächtigten sei er in Kontakt geblieben, um nach Erhalt des Geldes seine Arbeit in M wieder aufzunehmen. Als der Arbeitgeber seine Zahlungsbereitschaft im Mai 2003 in Aussicht gestellt habe, sei er nach M zurückgekehrt, um seine Arbeitsleistung Zug um Zug anzubieten. Sein Arbeitgeber habe, als er im Büro vorgesprochen habe, jedoch die Zahlung erneut verweigert. Nach zwei Wochen sei er darauf hin wieder nach Marokko gefahren. Auch als er im August 2003 nach M gekommen sei, habe sich nichts geändert, diverse Gerichtsverfahren seien fortgesetzt worden bzw. er habe sein Zurückbehaltungsrecht weiter geltend gemacht. Mit Urteil des Arbeitsgerichts vom 28. Mai 2004, das vom LAG mit Urteil vom 25. Januar 2005 bestätigt worden sei, sei sein Standpunkt bekräftigt worden. Da er sein Arbeitsverhältnis im Herbst 2002 fortgesetzt und immer wieder erklärt habe, dass er seinen Aufenthalt in Deutschland behalten und die Arbeit dort fortsetzen wolle, könne von der Begründung eines neuen Aufenthalts in Marokko keine Rede sein. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass er sich seit Anfang 2003 überwiegend in Marokko aufgehalten habe. Dies sei ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft gewesen, da er ohne Beanspruchung von Sozialhilfe nicht in der Lage gewesen wäre, seinen Aufenthalt in Deutschland zu bestreiten. Bezüglich der Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland verweise er auf die Rechtsprechung zur Pendlerproblematik. Sein Lebensmittelpunkt habe sich nicht aus Deutschland wegverlagert. Zum Nachweis seiner Rückkehr am 26. Oktober 2002 lege er eine Kopie seines Reisepasses vor. Zutreffend sei, dass er sich vom 1. Juli bis 25. Juli 2002 in Urlaub befunden habe. Tatsächlich sei er in der Zeit vom 26. Juli bis 25. Oktober 2002 erkrankt, so dass er arbeitsunfähig gewesen sei. In dieser Zeit habe er Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber bzw. Krankengeld von der AOK erhalten. Da er und seine Familie nach dem Urlaub und seiner Erkrankung noch über keine Wohnung in M verfügt hätten, sei er zunächst allein zurückgekehrt. Er sei aufgrund der ausstehenden Lohnzahlung finanziell nicht in der Lage gewesen, sofort eine Wohnung für alle anzumieten, wie er es geplant gehabt habe. Dies sei letztlich überhaupt nicht mehr geschehen, da er sich entschlossen habe, so lange in Marokko zu bleiben, bis die Zahlung erfolge und er seine Arbeit wieder aufnehmen könne. Ab 1. Januar 2003 habe er sich folglich überwiegend bei der Familie in Marokko aufgehalten. Als sich im Mai 2003 herausgestellt habe, dass ein schneller Abschluss der Gerichtsverfahren nicht zu erwarten sei, habe er sich mit seiner Ehefrau entschlossen, dass diese und die Kinder zukünftig auf Dauer in Marokko bleiben sollten und er zur gegebenen Zeit zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland zurückkehren werde.

Die Familienkasse änderte mit Bescheiden vom 3. Juni 2008 bzw. vom 23. Oktober 2008 den angefochten Bescheid und setzte nun nach den deutsch-marokkanischen Abkommen für den Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2002 Kindergeld für R. von 5,11 EUR monatlich und für S von 12,78 EUR fest. Gleichzeitig reduzierte die Familienkasse den Rückforderungsbetrag auf 9.132,66 EUR. Die Familienkasse erklärte die Hauptsache insoweit für erledigt. Um einen weiteren Kindergeldanspruch prüfen zu können, regte die Familienkasse die Vorlage von Nachweisen über den gewöhnlichen Aufenthalt der Familie an.

Auf die Aufklärungsanordnungen des Gerichts teilte der Kläger mit, dass er sich vom 1. Juli 2002 bis 25. Oktober 2002 in Marokko und vom 26. Oktober bis 1. Januar 2003 in M aufgehalten habe (vgl. Reisepass, Unterlagen zu den Arbeitsgerichtsverfahren, Lohnsteuerkarte, Arbeitszeugnis und Sozialversicherungsunterlagen). Danach sei er in Marokko gewesen: Mit Ausnahme der Reisen vom 2. bis 16. Mai 2003 bzw. vom 7. August bis 15. August 2003 nach M ließen sich weitere Einzelheiten über Reisen nach M nicht mehr rekonstruieren. Soweit er sich erinnern könne, sei er 2003 und 2004 mindestens zwei weitere Male in M gewesen. Bei all diesen Anlässen habe er bei T. A. gewohnt (vgl. dessen Bestätigung vom 28. August 2008). Sein gewöhnlicher Aufenthalt in M habe nicht Ende 2002 geendet. Dagegen spreche sein Wunsch auf Fortsetzung des Arbeitverhältnisses. Dies finde auch seinen Ausdruck in seiner nach der fristlosen Kündigung vom 19. Januar 2005 eingereichten Kündigungsschutzklage. Er habe die Absicht, seine Arbeit bei seinem Arbeitgeber fortzusetzen, erst im April 2006 anlässlich des gerichtlichen Gesamtvergleichs auf rückwirkende Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2003 aufgegeben. Das Kindergeldabkommen mit dem Königreich Marokko komme in seinem Fall nicht zur Anwendung, weil es andere Sachverhalte betreffe. Es habe allein Familien im Auge, deren Kinder sich getrennt von den Eltern nachhaltig im Ausland aufhielten. Dies sei für die Urlaubszeit ab Juli 2002 nicht der Fall gewesen. Daran habe auch seine alleinige Rückkehr nach Deutschland im Herbst 2002 nichts geändert, denn diese habe auch der Anmietung einer neuen Wohnung für die gesamte Familie gedient. Der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder habe auch nicht Ende 2002 geendet, als er vorübergehend nach Marokko zurückgekehrt sei, denn der gewöhnliche Aufenthalt minderjähriger Kinder sei so lange bei den Eltern, wie sie nicht nachhaltig von ihnen getrennt lebten. Dafür komme es in der Regel auf seinen Aufenthalt als Ernährer der Familie an. Der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder habe sich so lange in Deutschland befunden wie sein gewöhnlicher Aufenthalt. Der gesamte Aufenthalt der Familie in Marokko sei bedingt durch das rechtswidrige Verhalten des Arbeitgebers nur ein vorübergehender gewesen. Dass sich der Arbeitgeber entschlossen habe, ihn und seine Familie durch strikte Zahlungsverweigerung auszuhungern, sei nicht vorauszusehen gewesen. Die Arbeit bei seinem Arbeitgeber habe seine zentrale Existenzgrundlage dargestellt. Deshalb könne nicht im Entferntesten die Rede davon sein, dass sich aufgrund seiner Abwesenheitszeiten das Band mit dem Inland wesentlich gelockert habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21. März 2005, die Einspruchsentscheidung vom 7. Februar 2007 sowie die Änderungsbescheide vom 3. Juni 2008 bzw. 23. Oktober 2008 aufzuheben, soweit der Zeitraum von Juli 2002 bis Dezember 2004 betroffen ist.

Der Beklagte (die Familienkasse) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, das Urteil des Landesarbeitsgerichts M vom 25. Januar 2005, die Aufklärungsanordnung vom 7. August 2008, das gerichtliche Schreiben vom 13. Oktober 2008, die eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 2. April 2009 Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Gemäß § 62 Abs. 1 EStG hat für Kinder im Sinne des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG besteht allerdings nur für diejenigen Kinder ein Anspruch auf Kindergeld, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.

Was unter Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG zu verstehen ist, beurteilt sich nach den §§ 8, 9 der Abgabenordnung (AO). Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften unmaßgeblich (Bundesfinanzhof -BFH-Urteil vom 19.03.2002 VIII R 52/01, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2002, 1148 mit weiteren Nachweisen -m.w.N.-).

a) Der Wohnsitzbegriff nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Mit Aufgabe der Wohnung am ...... in M zum 30. Juni 2002 haben der Kläger und seine Kinder ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben. Die Kinder des Klägers hielten sich im streitigen Zeitraum nicht mehr in M auf. Der Kläger hatte nach seinem eigenen Vortrag keine Wohnung mehr in M inne und hat seither seinen Wohnsitz bei seiner Familie in Marokko. Ein Ehemann hat in der Regel seinen Wohnsitz dort, wo sich seine Familie befindet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 23/82, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1985, 331). Der Kläger gab nach Auskunft des Finanzamts nach 2001 keine Steuererklärungen mehr ab. Nach der Kopie der Lohnsteuerkarte 2002 wurde keine Lohnsteuer einbehalten.

b) Nach § 9 AO hat jemand dort den gewöhnlichen Aufenthalt, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Dies gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.

Aus dem Wortlaut des Gesetzes ("den" gewöhnlichen Aufenthalt) folgt, dass eine Person nicht gleichzeitig verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, sondern zu einer bestimmten Zeit immer nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (BFH-Urteile vom 9. Februar 1966 I 244/63, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 85, 540, BStBl III 1966, 522; vom 10. August 1983 I R 241/82, BFHE 139, 261, BStBl II 1984, 11). Deshalb wird mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts immer der bisherige aufgegeben (Buciek in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 9 AO Rz. 10, m.w.N.).

aa) Der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers befand sich im streitigen Zeitraum zunächst noch im Inland.

Beendet wird der gewöhnliche Aufenthalt, wenn der Kindergeldberechtigte in Deutschland nicht mehr verweilt und auch nicht mehr den Willen zur Rückkehr hat. Verlässt jemand das Inland, so ist entscheidend, ob die Abwesenheit im Inland zu einer Lockerung des Bandes zwischen dem Kindergeldberechtigten und dem Inland führt (BFH-Urteil vom 27. April 2005 I R 112/04, BFH/NV 2005, 1756). Dabei sind für den Fortbestand einer hinreichenden Verbindung umso engere Beziehungen zum Inland notwendig, je länger die tatsächliche Abwesenheit andauert; im Zweifelsfall sind die Abwesenheitszeiten einerseits und die für die Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts andererseits sprechenden Umstände untereinander zu gewichten (Buciek in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 9 AO Rz. 35). Entscheidend ist, ob die Abwesenheit nach den erkennbaren Umständen darauf hindeutet, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen sich von dem bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort wegverlagert hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere berufliche, familiäre oder gesellschaftliche Bindungen zu berücksichtigen.

Die Familienkasse hat zu Recht angenommen, dass der Kläger mit Einstellung seiner tatsächlichen Arbeitstätigkeit durch Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts im Dezember 2002 sowie seiner anschließenden Heimkehr zu seiner in Marokko lebenden Familie seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland beendet hat. Dagegen spricht zwar, dass das Arbeitsverhältnis noch nicht durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet war. Jedoch überwiegen die Umstände, die für einen neu begründeten gewöhnlichen Aufenthalt in Marokko sprechen, nämlich dass mit einer tatsächlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses infolge der nach den Angaben des Klägers massiven und langjährigen Streitigkeiten mit seinem Arbeitgeber und nach Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts hinsichtlich der Arbeitsleistung nicht mehr zu rechnen war, zumal der Kläger in der Folgezeit auch tatsächlich keine Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber mehr in Deutschland erbracht hat und das Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 27. April 2006 tatsächlich beendet worden ist. Der Kläger hat infolge der Zahlungsunwilligkeit seines Arbeitgebers nicht mehr mit der Fortsetzung gerechnet, sonst wäre er am 1. Januar 2003 nicht nach Marokko abgereist. Die tatsächliche spätere Entwicklung kann bei der Beurteilung der Rückkehrabsicht mitberücksichtigt werden (Buciek in Beermann/ Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 9 AO Rz. 34). Darüber hinaus hat sich der Kläger - nach seinen eigenen Angaben - seither ausschließlich in Marokko bei seiner Familie (mit Ausnahme von zwei Wochen im Mai 2003 und einer Woche im August 2003 sowie zweimal 2004 für ähnliche Zeiträume) aufgehalten. Aufgrund dieser Abwesenheitszeiten wurde das Band des Klägers mit dem Inland tatsächlich wesentlich gelockert. Sein Lebensmittelpunkt und sein Zuhause befanden sich jedenfalls spätestens seit Januar 2003 bei seiner Familie in seinem Heimatland Marokko und nicht mehr im Inland (Buciek in Beermann/ Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 9 Rz. 10 mit Rechtsprechungsnachweisen). Der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers im Inland endete somit am 1. Januar 2003.

bb) Die Kinder des Klägers haben (mit Aufgabe der Wohnung in M zum 30. Juni 2002) seit Juli 2002 sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Marokko.

An die Begründung und Beibehaltung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes im Inland sind grundsätzlich dieselben Anforderungen zu stellen wie beim Anspruchsberechtigten (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, Bundessteuerblatt - BStBl- II 2001, 278). Wenn bislang der Wohnsitz und an demselben Ort der gewöhnliche Aufenthalt bestanden hat, dann wird mit einer Aufgabe des Wohnsitzes in der Regel zugleich der gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben (Buciek in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 9 Rz. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Kinder des Klägers hielten sich auch nach Angaben des Klägers in der Folgezeit nicht mehr in Deutschland auf. Die Kündigung vom 28. Januar 2002 war damit begründet, dass der Kläger mit seiner Familie nach Marokko zurückkehrt. Daraus, dass der Kläger selbst nach Deutschland zurückkam, ist nicht zu schließen, dass tatsächlich auch eine Rückkehrabsicht seiner Familie bestand. Eine Rückkehrabsicht der Ehefrau und der Kinder des Klägers ist nicht nachgewiesen. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, einen Haushalt völlig aufzulösen, die Möbel zu verkaufen etc., um nach dem Urlaub im Juli 2002 samt Familie wieder aus Marokko nach M zurückzukehren, insbesondere nicht mit einem schulpflichtigen Kind. Im Übrigen erhalten schulpflichtige Kinder während der Schulzeit keine Beurlaubung von der Schule, um im Heimatland der Eltern Urlaub machen zu können. Tatsächlich hatten die Kinder auch keine Beziehungen mehr zum Inland. Nach Betrachtung des tatsächlichen Geschehensablaufs leben die Kinder des Klägers mit ihrer Mutter - auch nach den bisherigen Angaben des Klägers - seit Juli 2002 in Marokko.

c) Nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Kindergeld vom 25. März 1981 (Bundesgesetzblatt -BGBl.- 1995 II S. 634 ff.) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 22. November 1991 (BGBl. 1995 II S. 640), beide in Kraft getreten am 1. August 1996 (BGBl. II S. 1455), steht dem Kläger jedoch, soweit er im streitigen Zeitraum noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (Art. 4 des Abkommens) hatte, ein Anspruch auf reduziertes Kindergeld (Art. 7 des Abkommens) für jedes in Marokko lebende Kind bis zum Kalendermonat zu, in dem das jeweilige Kind das 16. Lebensjahr (Art. 2 des Zusatzabkommens) vollendet. Nur die Kinder R., geb. 24.06.1989, und S., geb. 03.03.2000, waren im streitigen Zeitraum unter 16 Jahren. Für R. erhält er im Zeitraum Juli 2002 bis Dezember 2002 monatlich 5,11 EUR und für S. 12,78 EUR (vgl. H 31 EStH). Für Januar 2003 erhält er nach dem Monatsprinzip kein Kindergeld mehr, da er sich nicht einen vollen Tag noch im Inland aufgehalten hat (Bauer/Helmke, Familienleistungsausgleich, § 66 EStG Rz. 13, 15).

2. Im Streitfall sind die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 a und b in Verbindung mit § 1 Abs. 2 und 3 EStG zur unbeschränkten Steuerpflicht nicht zu bejahen, da der Kläger weder die deutsche Staatsbürgerschaft hat noch einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG beim Finanzamt gestellt hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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