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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: 5 K 866/05
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 79b Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 32 Abs. 4 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

5 K 866/05

Kindergeld für xxx von Januar bis April 2001

In der Streitsache

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx,

des Richters am Finanzgericht xxx und

der Richterin am Finanzgericht xxx sowie

der ehrenamtlichen Richter xxx und Dipl.-Ing. xxx

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, Kindergeld für das Kind xxx des Klägers für Januar bis April 2001 festzusetzen und zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Streitig ist inzwischen nur noch, ob der Kläger für seinen Sohn xxx(geboren am 20.05.1974) für Januar bis April 2001 dem Grunde nach noch kindergeldberechtigt ist und ob xxx in diesem Zeitraum über eigene Einkünfte und Bezüge verfügte, die dem Kindergeldbezug entgegenstehen.

Die beklagte Familienkasse hob mit Bescheid vom 16.08.2000 die Kindergeldfestsetzung für xxx ab Januar 1998 wegen fehlender Studienbescheinigungen und Nachweise über Einkünfte und Bezüge auf und forderte den Kläger zur Erstattung des über diesen Zeitpunkt hinaus gezahlten Kindergelds auf. Der Kläger legte diese Nachweise im Einspruchsverfahren nicht vor, worauf die Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 02.02.2005 zurückwies. Mangels Mitwirkung müsse von einem Überschreiten der Einkunftsgrenzen ausgegangen werden.

Im Klageverfahren legte der Kläger auf gerichtliche Anordnung nach § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) für xxx Studienbescheinigungen, Einkunftsnachweise und Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2001, eine Bescheinigung der LMU über die Beendigung des Studiums zum 30.09.2001 und den Beginn des Rechtsreferendariats zum 06.04.2001 vor. Daraufhin nahm die Beklagte von einer Aufhebung und Rückforderung des Kindergelds für 1999 und 2000 Abstand; das Verfahren für diese Jahre wurde abgetrennt. Für 2001 trägt der Kläger vor, xxx habe Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 1.600 DM, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Rechtsreferendar von 15.408 DM sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen von 4.403 DM bezogen. Nach Abzug der im Einkommensteuerbescheid 2001 berücksichtigten Werbungskosten und des Sparer- Freibetrags hätten die Einkünfte 10.975 DM betragen.

Mit erneuter Anordnung nach § 79b Abs. 2 FGO wurde der Kläger aufgefordert, die Werbungskosten von xxx ab dem Beginn des Referendariats zu erläutern und zu belegen und die im Jahr 2001 ggf. auch entrichteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung mitzuteilen. Daraufhin übersandte der Kläger eine von ihm erstellte Auflistung der Werbungskosten von xxx aus nichtselbständiger Arbeit über insgesamt 7.238,14 DM für Fahrtkosten, Assessorkurs, Telefon, Porti, Schreibwaren sowie eine sechstägige Dienstfahrt nach Istanbul. Diese Fahrt sei Bestandteil der Referendarausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst gewesen. Hierzu legte der Kläger die Abschrift einer Sammelrechnung für 36 Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft sowie den Arbeitsgemeinschaftsleiter vor. Im Rahmen der Tätigkeit als Korrekturassistent bei einem juristischen Repetitorium habe xxx weitere Aufwendungen von 946 DM getragen. Der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Sozialversicherung habe in 2001 1.609 DM betragen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für seinen Sohn xxx für Januar bis April 2001 festzusetzen und zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sieht die im steuerlichen Verfahren erklärten und anerkannten Werbungskosten als Rechtsreferendar nicht als nachgewiesen an und besteht auf einem erneuten Nachweis im vorliegenden Kindergeldverfahren zur eigenen Beurteilung. Insbesondere seien die geltend gemachten Fahrtkosten zu konkretisieren, der Kläger möge die unter "Kühbachstraße" angegebene sowie die weiteren, mit "u.a." bezeichneten Ausbildungsstätten konkretisieren. Es könne auch nur eine Fahrt zur Ausbildungsstätte pro Arbeitstag sowie nur die einfache Entfernung angesetzt werden (nach dem Routenplaner zur Uni 15 km und zu den anderen Ausbildungsstätten, soweit ersichtlich, zwischen 12 und 15 km).

Eine Rechnung für die Kosten des Assessorkurses sei nicht vorgelegt worden; die damit zusammenhängenden Fahrtkosten stünden möglicherweise auch in Verbindung mit den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und mit Fahrten von/zur Ausbildungsstätte. Arbeitsmittel einschließlich Porti könnten als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten nur berücksichtigt werden, soweit die berufliche Veranlassung nachgewiesen und erläutert sei. Für die Istanbul-Fahrt sei die berufliche Veranlassung z.B. durch Vorlage des Reiseprogramms nachzuweisen.

Hinsichtlich der Betriebsausgaben sei insgesamt nicht ersichtlich, inwieweit diese bereits bei den im Einkommensteuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkünften aus selbständiger Arbeit berücksichtigt wurden. Die Sozialversicherungsbeiträge seien durch Vorlage der Lohnsteuerkarte nachzuweisen. Dass die Finanzverwaltung Werbungskosten berücksichtigt habe, entbinde die Familienkasse nicht von der Prüfung der entsprechenden Nachweise und Voraussetzungen. Einer Anregung des Berichterstatters, das Unter schreiten des Grenzbetrags aufgrund glaubhaft gemachter Werbungskosten anzuerkennen, könne deshalb nicht näher getreten werden.

Im Übrigen wird auf die Kindergeldakten und die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit dem Kläger erörtert; die Beklagte war nicht vertreten. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

II. Die Klage ist begründet.

1. Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird für Kindergeldzwecke berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz (EStG). Ein Kind wird jedoch nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 14.040 DM hat, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.

2. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Der juristische Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar zählt zur juristischen Berufsausbildung (Bundesfinanzhof -BFH-Urteil vom 13.07.2004 VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36; vgl. hierzu auch anhängige Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1966/04). Folglich besteht die Anspruchsberechtigung sogar über den eingeklagten Zeitraum und über den Klageantrag hinaus. Die Entscheidungsbefugnis des Senats ist jedoch durch den klägerischen Antrag auf den Zeitraum Januar bis April 2001 begrenzt.

Die ab April 2001 begonnene Tätigkeit als Rechtsreferendar hat wegen der dort erzielten Einkünfte Auswirkungen auf den streitigen Zeitraum Januar bis April 2001, in dem sich der Sohn des Klägers noch im Studium und damit ebenfalls in Berufsausbildung befand.

Für diesen Zeitraum ist die Kindergeldberechtigung jedoch nicht durch die eigenen Einkünfte im Jahr 2001 entfallen. Der Betrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist zwar ein Jahresgrenzbetrag, bei dessen Überschreiten das Kindergeld auch rückwirkend für Monate entfallen kann, in denen das Kind über keine oder nur verhältnismäßig geringe eigene Einkünfte und Bezüge verfügte (vgl. hierzu BFH a.a.O. unter 2.). Dieser Jahresgrenzbetrag ist aber im vorliegenden Fall nicht überschritten, weil nach Auffassung des Senats ausreichende Werbungskosten sowie weitere einkunftsmindernd zu berücksichtigende Ausgaben nachgewiesen wurden.

a) Einkunftsmindernd ist zunächst der Sparer-Freibetrag von 3.000 DM nach § 20 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen, der nach § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG in der für 2001 geltenden Fassung im Gegensatz zur aktuellen Gesetzesfassung noch nicht den Bezügen des Kindes hinzuzurechnen war. Die Werbungskosten 2001 bei den Einkünften aus Kapitalvermögen hat der Kläger in Höhe von 213,61 DM durch Belege nachgewiesen.

b) Der Kläger hat trotz der gerichtlichen Aufklärungsanordnung nach § 79b Abs. 2 FGO vom 11.05.2006 die Werbungskosten seines Sohnes nicht mehr erläutert und belegt.

Nach der Auffassung des Senats reichen jedoch die vorliegenden Angaben bereits aus, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass im vorliegenden Fall der Jahresgrenzbetrag unterschritten ist. Denn nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins kann auf den Nachweis der Werbungskosten und weiteren einkunftsmindernden Ausgaben im Einzelnen verzichtet werden, wenn ein Erfahrungssatz vorliegt, dass bestimmte typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten und dieser Erfahrungssatz geeignet ist, die volle Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache zu begründen. Dieser Anscheinsbeweis kann durch substantiierte Einwände der Beklagten erschüttert werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergeben könnte (vgl. ausführlicher Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 96 Rz 17).

Im Einzelnen ergibt sich unter Heranziehung der Grundsätze des Anscheinsbeweises, dass dem Sohn des Klägers im juristischen Vorbereitungsdienst typischerweise Fahrtkosten für die Wege zwischen seinem Wohnort und dem Justizausbildungszentrum München, Kühbachstraße entstehen. Weitere Fahrtkosten entstanden ihm beim Aufsuchen seiner regelmäßigen Arbeitsstätte im juristischen Vorbereitungsdienst, d.h. der praktischen Ausbildungsstelle beim Landgericht München I während der neunmonatigen Justizausbildung (vgl. Zuweisungsschreiben der Präsidentin des Oberlandesgerichts München vom 06. März 2001). Ferner ist gerichtsbekannt und bedarf keines weiteren Nachweises, dass Rechtsreferendare neben diesen theoretischen und praktischen Ausbildungsstätten auch diverse Bibliotheken und Repetitorien aufsuchen und dadurch weitere Fahrtkosten - sei es auch an ein und demselben Tag - als Werbungskosten anfallen. Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um Arbeitsverrichtungen außerhalb der regelmäßigen Arbeitsstätte und damit um Dienstreisen, die im Vergleich zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig höhere Fahrtkosten nach sich ziehen und im Einzelfall auch Verpflegungsmehraufwendungen auslösen können (vgl. BFH-Urteil vom 11.05.2005 VI R 25/04, BStBl II 2005, 791).

Bereits die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind typischerweise mit (165 Arbeitstagen x 10 km x 0,70 DM) + (165 Arbeitstagen x 4 km x 0,80 DM) = 1.683 DM zu berücksichtigen. Der Senat geht wegen der typischerweise mit der Referendarstätigkeit verbundenen weiteren Aufwendungen für Dienstreisen, Fachliteratur usw. von Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit von insgesamt mindestens 3.000 DM aus.

Die Einwände der Beklagten sind - soweit sie überhaupt substantiiert sind - nicht geeignet, den Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen von Werbungskosten in einer Höhe, die zum Unterschreiten des Jahresgrenzbetrags führt, zu erschüttern.

c) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb hat der Kläger glaubhaft vorgetragen, dass die Einnahmen 1.600 DM betragen hätten und aus einer Korrekturtätigkeit stammten; in seiner Kanzlei habe xxx in diesem Veranlagungszeitraum nicht mitgearbeitet. Betriebsausgaben von xxx hat der Kläger nicht nachgewiesen. Der Senat schätzt sie entsprechend der in anderen Fällen üblichen Grundsätze mit 25% der Einnahmen (vgl. Schmidt / Heinicke, EStG, § 4 Rz 520 "Pauschbeträge").

d) Ferner sind die Einkünfte des Kindes im Wege verfassungskonformer Auslegung um die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.609 DM zu kürzen (BVerfG- Beschluss vom 11.01.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass dem Kind Beitragsaufwendungen dem Grunde nach und auch in der angegebenen Höhe entstanden sind, auch wenn die Lohnsteuerkarte 2001 (naturgemäß, sie wurde der Finanzverwaltung zur Einkommensteuerveranlagung vorgelegt) vom Kläger im laufenden Verfahren nicht vorgelegt wurde. Der juristische Vorbereitungsdienst wird seit der Neuordnung der Juristenausbildung nicht mehr im Beamtenverhältnis auf Widerruf, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis und damit sozialversicherungspflichtig durchgeführt (vgl. für den streitigen Zeitraum § 34 Abs. 2 Satz 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen -JAPO -vom 16.04.1993, geändert durch Verordnung vom 23.06.2000, BayGVBl 401).

e) Hieraus ergibt sich folgende Berechnung der Einkünfte und Bezüge:

 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit 1.200,00 DM
Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit 15.408 DM
Werbungskosten ./. 3.000 DM12.408,00 DM
Einnahmen aus Kapitalvermögen 4.403 DM
Sparer-Freibetrag ./. 3.000 DM 
Werbungskosten ./. 213,61 DM1.189,39 DM
Zwischensumme 14.797,39 DM
Sozialversicherungsbeiträge ./. 1.609,00 DM 
  13.188,39 DM

Damit ist der Jahresgrenzbetrag der Einkünfte und Bezüge 2001 von 14.040 DM nicht überschritten und die Kindergeldberechtigung des Klägers gegeben. Ob die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen - wie vom Sohn des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung 2001 erfolgreich geltend gemacht - tatsächlich höher sind, braucht deshalb nicht mehr ermittelt zu werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Kläger hat zwar Unterlagen verspätet vorgelegt. Ihm konnten aber die Kosten nicht nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt werden, weil die Beklagte diese Unterlagen nicht als ausreichend angesehen hat und deshalb die Entscheidung nicht auf den Tatsachen beruht, die durch diese Unterlagen nachgewiesen wurden (mangelnde Abhilfebereitschaft, vgl. Tipke/Kruse/Brandis, FGO, § 137 Rz 4 m.w.N.).

4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Ende der Entscheidung

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