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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 11.09.2007
Aktenzeichen: 6 K 2869/05
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 4 Abs. 2 S. 1 |
Finanzgericht München
Körperschaftsteuer 1994, 1995 und 1996
In der Streitsache
hat der 6. Senat des Finanzgerichts München
unter Mitwirkung ....
ohne mündliche Verhandlung
am 11. September 2007
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I. Streitig ist nur noch, ob die Klägerin Rückstellungen für zukünftige Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen bilden kann.
Bei der Klägerin handelt es sich um ein Kreditinstitut in Form einer eingetragenen Genossenschaft. Die Klägerin erstellte für alle Streitjahre grundsätzlich ordnungsgemäße Handelsbilanzen und nahm Zu-und Abrechnungen gem. § 60 Abs. 2 EStDV vor. Sie wurde für die Streitjahre (1994 - 1996) zunächst jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Eine Außenprüfung für die Streitjahre führte zu geänderten Bescheiden. Mit den Körperschaftsteueränderungsbescheiden für 1994 bis 1996 vom 16. Februar 2000 wurde jeweils auch der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
Gegen diese Änderungsbescheide legte die Klägerin am 3. März 2000 Einspruch ein. Mit Schreiben vom 8. September 2003 erweiterte die Klägerin ihren Einspruch für alle Streitjahre und machte, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. August 2002 VIII R 30/01 (BStBl II 2003, 131, BFH/NV 2002, 1662) geltend, es seien Rückstellungen für zukünftige Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zu bilden.
Mit der Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2005 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen:
Für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen sei grundsätzlich in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz eine Rückstellung zu bilden.
Ein Bilanzansatz sei unrichtig, wenn er gegen zwingende Vorschriften des Handels- oder Steuerrechts oder die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verstoße und der Steuerpflichtige diese Rechtsverletzung nach den Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - bezogen auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse - habe erkennen können. Demgemäß sei die Bilanz nicht fehlerhaft, wenn sich die Ansätze aus der im Zeitpunkt der Bilanzerstellung vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ergebe; ändere der BFH im Anschluss hieran seine rechtliche Beurteilung, so werde der fortdauernde Bilanzausweis erst in der Bilanz unrichtig, in der erstmals eine Korrektur hätte erfolgen können.
Nach einer Verfügung der OFD München/Nürnberg vom 1. April 2005 könne eine geänderte Verwaltungsauffassung zu einer bestimmter Rechtsfrage nach Ergehen einer erstmaligen Entscheidung des BFH frühestens in der ersten nach dem Datum der Entscheidung des BFH aufzustellenden Bilanz berücksichtigt werden. Auch bestehe die Möglichkeit einer Bilanzberichtigung rückwirkend bis zur ersten nach dem Entscheidungsdatum aufgestellten Bilanz. Darüber hinaus komme eine rückwirkende Berichtigung von Bilanzen, die einer nach den AO-Vorschriften noch änderbaren Veranlagung zugrunde liegen, nicht in Betracht.
Danach seien Bilanzberichtigungen bei Rückstellungen für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen bei einer Bilanzaufstellung vor dem 19. August 2002 nicht möglich.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit folgender Begründung:
Der BFH habe bereits vor dem Urteil vom 19. August 2002 entschieden unter welchen Voraussetzungen Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu bilden seien. Die ausdrückliche Anerkennung der Rückstellungen für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen könne daher weder als Änderung der Rechtsprechung, noch als "erstmalige" Entscheidung des BFH angesehen werden.
Durch die Nichtberücksichtigung dieser Rückstellungen seien die Bilanzen objektiv fehlerhaft gewesen. Eine Berichtung sei nach den Grundsätzen des fehlerhaften Bilanzansatzes in der ersten noch offenen Schlussbilanz möglich. Dies seien im Streitfall die Jahre 1994 - 1996.
Es liege auch kein subjektiv richtiger Bilanzansatz vor, ein Irrtum über einen Sachverhalt sei nicht gegeben.
Die Verfügung der OFD München/Nürnberg vom 1. April 2005 gehe von falschen Voraussetzungen aus.
Es liege keine Änderung der Verwaltungsauffassung vor, denn sie habe auch vor Ergehen des Urteils des BFH der Bildung einer Rückstellung nicht entgegengestanden. Eine Zustimmung zur Bilanzberichtigung durch das FA sei nicht erforderlich. Für eine Bilanzberichtigung sei lediglich notwendig, eine geänderte Bilanz beim FA einzureichen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 28. September 2005 Bezug genommen.
Die Höhe der beantragten Rückstellungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Die Klägerin beantragt
die Körperschaftsteuerbescheide für 1994 - 1996, alle vom 16. Februar 2000, und die Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2005 dahingehend abzuändern, dass weitere Rückstellungen für 1994 in Höhe von 35.996 EUR, für 1995 in Höhe von 40.710 EUR und für 1996 in Höhe von 44.465 EUR berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2005, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Es erscheint zweckmäßig, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.
II. 1) Die Klage ist unbegründet.
a) Eine Bilanzberichtigung hat nach § 4 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfolgen, wenn die Bilanz unrichtig ist, weil zwingende handels- und steuerrechtliche Grundsätze und Vorschriften nicht berücksichtigt worden sind. Die Bilanz muss die Verhältnisse am Bilanzstichtag richtig wiedergeben. Sie muss zum Tag der Bilanzaufstellung i. d. S. richtig sein, dass der Steuerpflichtige alle bis zum Bilanzstichtag nach seinem Wissen eingetretenen Tatsachen (wertbegründende Tatsachen) sowie alle bis zu dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung gewonnenen Erkenntnisse über die Verhältnisse zum Bilanzstichtag berücksichtigt (wertaufhellende Tatsachen). Nach dem Bilanzstichtag eintretende Tatsachen und bessere Erkenntnisse nach Aufstellung der Bilanz bleiben unberücksichtigt.
Der Begriff der Richtigkeit der Bilanz bezeichnet daher die "subjektive Richtigkeit", d.h. die Berücksichtigung aller Kenntnisse, die der Steuerpflichtige bei Anlegen des Maßstabs eines ordentlichen Kaufmanns hatte oder haben konnte (Urteil des BFH vom 14. August 1975 IV R 30/71, BStBl II 1976, 88). Stellt sich später heraus, dass die Bilanz trotzdem mit den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen objektiv nicht in Einklang steht, ohne dass ein ordentlicher Kaufmann dies an den maßgebenden Stichtagen wissen musste, handelt es sich nicht um eine unrichtige Bilanz (std. Rspr., vgl. Schmidt/Heinicke § 4 EStG, Rz 681 und Stapperfend in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 4 EStG Anm. 409).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine Bilanz nicht schon deshalb nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG berichtigt werden, weil sie bei rückschauender Betrachtung objektiv gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstößt. Vielmehr ist ein Bilanzansatz im Sinne dieser Vorschrift "richtig", wenn er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den der Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte. Das gilt auch dann, wenn in der Folgezeit Erkenntnisse gewonnen werden konnten, welche die Bilanzierung nunmehr als objektiv fehlerhaft erscheinen lassen. Daraus folgt zum einen, dass eine Rechtsprechungsänderung nicht zur "Unrichtigkeit" eines Bilanzansatzes führt, der der zur Zeit der Bilanzaufstellung vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht. Zum anderen muss, wenn in jenem Zeitpunkt noch keine Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als "richtig" angesehen werden (Urteil des BFH vom 5. April 2006 I R 46/04, BStBl II 2006, 688; kritisch dazu Herzig, Nitzschke, Bilanzberichtigung in den Fällen erstmaliger höchstrichterlicher Rechtsprechung, DB 2007, 304; vgl. auch Urteile des Finanzgerichts Düsseldorf vom 1. Juni 2006, 15 K 5284/04, EFG 2006, 1412, Az des BFH: I R 46/06 und 15 K 143/04, EFG 2006, 1410, Az des BFH I R 47/06).
b) Zutreffend gehen die Beteiligten unstreitig davon aus, dass für zukünftige Kosten der gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen grundsätzlich Rückstellungen zu bilden sind. Dies entspricht dem Urteil des BFH vom 19. August 2002 (VIII R 30/01, BStBl II 2003, 131, BFH/NV 2002, 1662). Diese Rückstellungen sind von der Klägerin indes nicht gebildet worden. Damit waren die Bilanzen für die Streitjahre objektiv unrichtig. Gründe für die unterlassene Rückstellungsbildung hat die Klägerin nicht vorgetragen. Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass eine unzutreffende Beurteilung der Rechtslage aufgrund Nichtkenntnis der zeitlich späteren BFH-Entscheidung ausschlaggebend war.
Bei dieser Sachlage muss die tatsächliche Bilanzierung der Klägerin als "richtig" angesehen werden. Zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung lag keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Rückstellungsbildung vor. Als "richtig" anzusehen ist daher jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Buchführung.
Ein in diesem Sinne "richtige" Beurteilung hat die Klägerin im Zeitpunkt der Bilanzerstellung vorgenommen. Der Senat schließt sich insoweit der überzeugenden Begründung des FG Köln im Urteil vom 21. März 2007 13 K 4358/06 (FR 2007, 747; BFH- Az. I R 40/07) an. Insbesondere wie das Urteil des FG München vom 23. Mai 2001 9 K 5141/98 (EFG 2001, 1357) zeigt, widersprach es im Zeitpunkt der Bilanzerstellungen nicht der kaufmännischen Sorgfalt, den entsprechenden Bilanzposten nicht zu bilden. Die fehlende Rückstellungsbildung lag im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Klägerin.
2) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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