Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Gerichtsbescheid verkündet am 24.09.2009
Aktenzeichen: 7 K 1238/08
Rechtsgebiete: EStG, AO, FGO


Vorschriften:

EStG § 48 Abs. 1
EStG § 48a Abs. 3
EStG § 48b
EStG § 48c Abs. 1
AO § 191 Abs. 5
FGO § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 7. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des des Richters am Finanzgericht und

der Richterin am Finanzgericht

ohne mündliche Verhandlung

am 24. September 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob gegenüber der Klägerin zu Recht ein Haftungsbescheid über nicht abgeführte Bauabzugsteuer ergangen ist.

Die D-GmbH erbrachte im Jahr 2002 Bauleistungen an die Klägerin. In der Zeit von Februar bis April 2002 hat die Klägerin ihr von der D-GmbH in Rechnung gestellte Abschlagszahlungen entsprechend dem Baufortschritt in Höhe von insgesamt 94.632,68 EUR an die D-GmbH geleistet. Einen Steuerabzug gemäß § 48 Einkommensteuergesetz (EStG) nahm die Klägerin nicht vor, obwohl die D-GmbH ihr keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG vorgelegt hatte. In einem an die D-GmbH gerichteten Schriftsatz ihres Rechtsanwalts wies die Klägerin selbst auf ihre Pflicht zur Vornahme des Steuerabzugs hin. Das beklagte Finanzamt (das Finanzamt) forderte die Klägerin in der Folgezeit wiederholt zur Anmeldung und Abführung der Bauabzugsteuer auf und drohte ein Zwangsgeld an. Die Klägerin kam dem jedoch nicht nach. Für den Zeitraum vom 26. August 2002 bis 25. August 2003 erteilte das Finanzamt der D-GmbH eine Freistellungsbescheinigung nach § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG. Den Antrag der D-GmbH auf Erteilung einer neuen Freistellungsbescheinigung vom 2. Juni 2006 lehnte das Finanzamt mit Schreiben vom 2. August 2006 ab. Von der an die GmbH geleisteten Restzahlung in Höhe von 26.000 EUR führte die Klägerin 3.900 EUR (15%) an das Finanzamt als Bauabzugsteuer ab. Das Finanzamt verrechnet diese Zahlung mit rückständiger Lohnsteuer 2003.

Die D-GmbH ist seit ... 2004 zahlungsunfähig. Am ... 2004 stellte der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag. Kontopfändungen des Finanzamts blieben ohne Erfolg. Eine vom Finanzamt am 9. November 2006 vorgenommene Abfrage der Steuerrückstände der D-GmbH kam zu dem Ergebnis, dass zu diesem Zeitpunkt Rückstände einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 36.127,45 EUR bestanden haben, die u.a. auf Lohnsteuer, Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer 1999 und 2000 und steuerliche Nebenleistungen entfielen. Am ...November 2006 wurde über das Vermögen der D-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

Nach vorheriger Ankündigung erließ das Finanzamt am 6. Dezember 2006 ein Haftungsbescheid, mit dem das Finanzamt die Klägerin wegen nicht einbehaltener und abgeführter Bauabzugsteuer in Höhe von insgesamt 14.194,90 EUR in Anspruch nahm.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und trug vor, dass ihre Inanspruchnahme nicht ermessensgerecht erfolgt sei. Das Finanzamt habe nicht berücksichtigt, inwieweit gegenüber der D-GmbH Steueransprüche bestehen. Nach ihrem Kenntnisstand bestünden keine offenen Steuerforderungen gegenüber der D-GmbH. Zudem sei der Haftungsbescheid erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die D-GmbH erlassen worden. Nach Insolvenzeröffnung dürften Zahlungen nur an den Insolvenzverwalter erfolgen.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2008 teilte das Finanzamt der Klägerin mit, dass zum Zeitpunkt ihrer Haftungsinanspruchnahme bei der D-GmbH Steuerschulden in Höhe von insgesamt 23.387,93 EUR aufgelaufen seien. Bauabzugsteuer sei nicht nach § 48c Abs. 1 EStG angerechnet worden. Gegenüber dem Erstattungsbetrag nach § 48c Abs. 2 EStG sei die Aufrechnung gemäß § 226 Abgabenordnung (AO) mit Ansprüchen aus Umsatzsteuer erstes Quartal 2002, Umsatzsteuer 2002 und 2003, Körperschaftsteuern 1999 und 2000 und Solidaritätszuschlag 1999 und 2000 erfolgt. Mit Einspruchsentscheidung vom 26. März 2008 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Dabei wies das Finanzamt darauf hin, dass im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme bei der D-GmbH einschließlich Säumniszuschläge Steuerschulden in Höhe von insgesamt 36.127,45 EUR aufgelaufen seien.

Die Rückstände entfielen auf Lohnsteuern einschließlich steuerliche Nebenleistungen sowie Umsatzsteuern und Körperschaftsteuern einschließlich den steuerlichen Nebenleistungen.

Das Finanzamt machte weitere Ausführungen, warum es die Inanspruchnahme der Klägerin durch den Haftungsbescheid als ermessensgerecht ansehe.

Dagegen richtet sich die Klage, die wie folgt begründet wird:

Es bestehe ein Widerspruch in der vom Finanzamt im Schreiben vom 30. Januar 2008 und in der Einspruchsentscheidung jeweils angegebenen Höhe der Steuerforderungen gegenüber der D-GmbH. Eine Aufrechnung der Abzugsbeträge mit Steuerforderungen, die nicht von der abschließend aufgezählten Anrechnungsreihenfolge des § 48c Abs. 1 EStG erfasst sei, sei unzulässig. Die Ansicht des Finanzamts, dass gemäß § 226 AO mit jeglichen Steueransprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aufgerechnet werden könne, widerspreche dem Sinn und Zweck des § 48 c EStG. Davon ginge auch das BMF-Schreiben vom 27. Dezember 2002, Bundessteuerblatt (BStBl) I 2002, 1399 in Tz. 92 aus. Aus diesem Grund sei die Entscheidung des Finanzamts ermessensfehlerhaft. Zudem komme eine Zahlung der Abzugsteuer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der D-GmbH am ... November 2006 ohnehin nicht in Betracht. Auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 2002 I B 147/02, BStBl I 2003, 716 werde verwiesen. Danach dürften jegliche Zahlungen ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nur noch an einen Insolvenzverwalter und nicht mehr an das Finanzamt geleistet werden. Das Finanzamt müsse danach seine Steuerforderungen, wie jeder andere Gläubiger auch, zunächst zur Insolvenztabelle anmelden.

Die Klägerin beantragt,

die Aufhebung des Haftungsbescheides vom 6. Dezember 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. März 2008,

hilfsweise

die Zulassung der Revision zum BFH.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt es aus, dass im Streitfall keine widersprüchlichen Angaben zu den Steuerschulden gemacht worden seien. Die Höhe der Steuerschulden im Schreiben vom 30. Januar 2008 sei der Haftungsanfrage vom 28. August 2003, die Höhe der Steuerschulden laut Einspruchsentscheidung sei dagegen der Rückstandsanzeige vom 9. November 2006 entnommen worden. Die verschiedenen Beträge spiegelten die Veränderungen in den Rückständen wieder.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Klägerin hat nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet; im Streitfall erscheint es jedoch sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Das beklagte Finanzamt hat die Klägerin ermessensfehlerfrei in Haftung genommen.

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung nach § 48a Abs. 3 EStG waren unstreitig erfüllt. Die D-GmbH als Leistender im Sinne von § 48 Abs. 1 EStG hat gegenüber der Klägerin (Leistungsempfänger) Bauleistungen erbracht ohne dass der Klägerin für diesen Zeitraum eine Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG vorgelegen hätte. Dennoch ist die Klägerin der Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Abzugsbeträge in Höhe von insgesamt 14.194,90 EUR nicht nachgekommen.

Der Haftungstatbestand nach § 48a Abs. 3 EStG ist auch nicht streng akzessorisch im Sinne von § 191 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) in Bezug auf einen Steueranspruch gegenüber dem Leistenden. Dies ergibt sich daraus, das eine Verknüpfung mit einem bestimmten Steuertatbestand auf Seiten des Leistenden fehlt und die Bauabzugsteuer vielmehr ein Sicherungsinstrument für ein Konglomerat von Abgaben, die allgemein aus Bauleistungen resultieren können, darstellt (Diebold, Haftung für den Bausteuerabzug, DStR 2002, 1336). Eine Akzessorietät besteht lediglich zu dem der Haftung unmittelbar zu Grunde liegenden Bausteueranspruch nach § 48 EStG (Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 48a D 3, D 16, D 26).

Ob Steueransprüche gegenüber dem Leistenden bestehen, ist jedoch im Rahmen des Ermessens (§ 5 AO) zu berücksichtigen (dazu Ziff. 3).

2. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der D-GmbH ist die Verpflichtung der Klägerin zur Vornahme des Steuerabzugs nach § 48 EStG nicht entfallen.

Ebenso wenig entfällt dadurch die Befugnis des Finanzamts, einen Haftungsbescheid nach § 48a Abs. 3 EStG zu erlassen. Daran ändert sich auch nichts durch die Entscheidung im BFH-Beschluss vom 13.11.2002 I B 147/02, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2003, 716, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden das Finanzamt den abgeführten Betrag nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens vereinnahmen kann; denn ob das Finanzamt den Abzugsbetrag behalten darf oder an den Insolvenzverwalter auskehren muss, ist für die Frage der Befugnis zum Erlass eines Haftungsbescheids unerheblich.

Der BFH geht in Ziff. II .2.d.bb)ddd) des Beschlusses vom 13. November 2002 I B 147/02 selbst ausdrücklich davon aus, dass - wenn eine Freistellungsbescheinigung versagt wird - der Leistungsempfänger den Steuerbetrag an das Finanzamt abzuführen hat.

3. Bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners hat das Finanzamt neben den tatbestandlichen Voraussetzungen auch zu überprüfen, ob es einen Haftungsbescheid erlassen und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen in des § 102 FGO auf Ermessensfehler zu überprüfen. Um eine fehlerfreie Ermessensausübung treffen zu können, ist es erforderlich, dass die Behörde den Sachverhalt umfassend und einwandfrei ermittelt. Nach den zu §§ 48 ff. EStG ergangenen Verwaltungsanweisungen (BMF vom 27. Dezember 2002 IV A 5 - S 2272 - 1/02, BStBl I 1399, geändert durch BMF vom 4. September 2003, BStBl I 2003, 431, Tz. 73) ist im Rahmen der Ermessensentscheidung auch der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, inwieweit nach den Umständen des Einzelfalles Steueransprüche gegen den Leistenden bestehen oder entstehen können. Dies ergibt sich aus dem mit der Bauabzugsteuer verfolgten Sicherungszweck, der bei einem unterbliebenen Abzug gefährdet sein kann. Wenn den Leistenden jedoch keine inländische Steuerschulden oder Abzugsverpflichtungen im Sinne des § 48c Abs. 1 EStG treffen, liegt eine Gefährdung in diesem Sinne nicht vor, so dass es ermessenswidrig wäre, einen Dritten in Haftung zu nehmen (Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 48a D 2, D 16).

Im Streitfall hat das Finanzamt bei Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids sehr wohl berücksichtigt, dass offene Steuerforderungen gegenüber der D-GmbH bestehen. Dies ergibt sich aus der im Aktenvermerk vom 9. November 2006 dargelegten Haftungsprüfung, die nach einer Abfrage der offenen Steuerforderungen durch das Zentralfinanzamt München erfolgt ist. Unter den offenen Steuerforderungen waren auch Ansprüche aus Lohnsteueranmeldungen, sowohl für das Jahr 2002, wie auch für die Folgejahre. Bei den Lohnsteueranmeldungen, auf die ohne zeitliche Begrenzung nach § 48c Abs. 1 Nr. 1 EStG Abzugsbeträge nach § 48 EStG angerechnet werden, besteht unzweifelhaft ein Zusammenhang mit der die Abzugspflicht begründenden Leistung (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2008 I B 160/08, BFH/NV 2009, 377). Zwar erreichen die offenen Ansprüche aus Lohnsteueranmeldungen der Höhe nach nicht die von der Klägerin nicht abgeführten Abzugssteuern in Höhe von 14.194,90 EUR, für die sie in Haftung genommen worden ist. Das ist nach Auffassung des Senats jedoch unschädlich, da auf die Lohnsteuer nach § 48c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zeitlich unbegrenzt angerechnet wird (Diebold, Erstattung des Steuerabzugs, DStZ 2003, 413/415), so das die Bauabzugsteuer auch künftige Lohnsteuerforderungen sichert (so auch BMF vom 27. Dezember 2002 Tz. 73). Im Übrigen haben die offenen Lohnsteuerforderungen zusammen mit den anderen Steuerforderungen wie Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer für 1999, 2000, Solidaritätszuschlag und den steuerlichen Nebenleistungen die Höhe des Haftungsbetrags deutlich überschritten. Nach Auffassung des Senats ist es für eine ermessensfehlerfreie Entscheidung jedenfalls ausreichend, dass offene Steueransprüche gegen den Leistenden in Höhe des Haftungsbetrags bestehen, wenn der Leistende gegenüber dem Finanzamt, wie im Streitfall, sowohl Steuern schuldet, die in § 48c Abs. 1 EStG genannten sind, als auch anderen Steuern. Ein bestimmter sachlicher Zusammenhang zwischen der die Abzugspflicht begründenden Leistung und allen betreffenden offenen Steuerforderungen ist in diesem Fall nicht erforderlich, da die Frage der Haftung des Leistungsempfängers nicht davon abhängig sein kann, in welcher Reihenfolge nach Fälligkeit der Bauabzugsteuer die Steuerschulden des Leistenden nach § 225 AO getilgt worden sind. Auch besteht kein Aufrechnungsverbot zwischen den nicht durch das Steuerabzugsverfahren gesicherten Steuerschulden und dem Erstattungsbetrag nach § 48c Abs. 2 EStG (Kaeser in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG § 48c C 20), so dass kein Hindernis besteht, dass das Finanzamt den die Anrechnungsbeträge nach § 48c Abs. 1 EStG übersteigenden Abzugsbetrag zur Tilgung offener Steuerforderungen jeglicher Art verwendet. Hätte die Klägerin die von ihr geschuldete Bauabzugsteuer in Höhe von 14.194,90 EUR im Jahr 2002 ordnungsgemäß abgeführt, wäre nach Anrechnung gemäß § 48c Abs. 1 EStG ein Erstattungsanspruch verblieben, den das Finanzamt im Wege der Aufrechnung nach § 226 AO zur Reduzierung der sonstigen Steuerschulden hätte verwenden können. Da der Haftungstatbestand nach § 48a Abs. 3 EStG Schadensersatzfunktion hat (BFH in BFH/NV 2009, 377; Kaeser in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG § 48a D 1) ist es nicht ermessenswidrig, dass das Finanzamt bei der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin diesen Gesichtspunkt berücksichtigt hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

Zurück