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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 09.11.2004
Aktenzeichen: 7 K 2143/00
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 35 | |
AO 1977 § 69 |
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen
Haftung für Körperschaftsteuer der ... GmbH
hat der 7. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Präsidenten des Finanzgerichts ..., des Richters am Finanzgericht ... und des Richters am Finanzgericht ... sowie der ehrenamtlichen Richterinnen ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2004
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Der Haftungsbescheid vom 3. März 1999 und die Einspruchsentscheidung vom 18. April 2000 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Der Kläger war bis 31. März 1990 alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der S-GmbH (GmbH). Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 27. Dezember 1989 wurde Herr H, wohnhaft ...-Str. 3 in L, mit Wirkung vom ab 1. April 1990 zum Geschäftsführer bestellt und der Sitz der GmbH nach L, ...-Str. 2 verlegt. Dort befand sich ein von der Firma Z zur Verfügung gestelltes Firmendomizil; eigene Räumlichkeiten besaß die GmbH nicht. Nach Angaben der Inhaberin der Z, Frau J, wurde am Firmendomizil in L lediglich die Firmenpost der GmbH gesammelt und ungeöffnet an drei verschiedene Privatadressen des Klägers weitergeleitet.
Am 26. Juli 1991 wurde die GmbH wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht. Der Kläger war bis Mai 1989 auch Gesellschafter der GmbH gewesen; mit Vertrag vom 1. Juni 1989 hat er seine Gesellschaftsanteile an die X-Ltd. (Ltd.) verkauft.
Im Rahmen einer 1995 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger auch nach seinem offiziellen Ausscheiden als Geschäftsführer noch für die GmbH gehandelt und auf Grund seiner Kontovollmacht über deren Gelder verfügt hat. Insbesondere wiesen die geschäftlichen Briefbögen der GmbH den Kläger weiter als Geschäftsführer aus; ferner hat der Kläger drei an die D-Bank Filiale T gerichtete Schreiben vom 7. Mai, 6. Juni und 21. Juni 1990 persönlich unter der Firmenangabe der GmbH unterzeichnet. Nur die Schreiben vom 7. Mai und 21. Juni 1990 weisen insoweit einen Zusatz ("i.A.") auf, der darauf hindeuten könnte, dass die im Briefbogen angegebene Vertretungsberechtigung nicht mehr bestehen könnte. Auch gegenüber der Stadt L, der C-Bank R, der Fa. M, der Fa. S AG, der Fa. U GmbH und der Fa. K-AG ist der Kläger mit Schreiben vom 17. April, 26. April, 2. Mai und 4. Mai 1990 als Geschäftsführer der GmbH - ohne einschränkenden Zusatz - aufgetreten. Darüber hinaus hat der Kläger auch über den 1. April 1990 hinaus laufend über Gelder und Geschäftskonten der GmbH verfügt. Insbesondere hat der Kläger - wie sich aus dem Gericht vorliegenden Überweisungsaufträgen ergibt - weiterhin Verfügungsmacht über das Konto der GmbH bei der D-Bank (vgl. Überweisung vom 31. Juli 1990) sowie über das Konto bei der C-Bank (vgl. Überweisungen vom 25. April, 20. Mai, 15. Juni und August 1990). Auch hat der Kläger verschiedene Verrechnungsschecks über das Konto der GmbH nach Beendigung seiner formellen Geschäftsführerstellung unterzeichnet und am 3. April 1990 Anweisungen im Namen der GmbH an die A-Bank über eine Kontenabrechnung erteilt. Ferner hat er Scheckeinreichungen auf die Konten der GmbH bei der A-Bank und der C-Bank unterzeichnet.
Dagegen hatte sich der zum Geschäftsführer bestellte H im Zeitraum von 23. Januar bis 30. August 1990 vornehmlich in Thailand aufgehalten. H hat für seine Tätigkeit als Geschäftsführer 5.000 DM erhalten; Kontovollmacht für die Konten der GmbH besaß er nicht. Vielmehr hat H dem Kläger eigenen Angaben zufolge eine Vollmacht ausgestellt, die ihn, den Kläger, zum Handeln für die GmbH berechtigte. H hat mit nicht datierter Bestätigung die "Übergabe sämtlicher Geschäftsunterlagen der GmbH bestätigt; nach eigener Aussage hat H indes nie Firmenunterlagen der GmbH gesehen. Die im Verfahren maßgeblichen Geschäftsunterlagen der GmbH wurden vielmehr im Zuge der durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen in der Privatwohnung des Klägers in S gefunden.
Der Fahndungsprüfer kam im Fahndungsbericht vom 29. Oktober 1998 u.a. zu dem Ergebnis, dass der Kläger 1989 als Geschäftsführer verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe von 524.995 DM vorgenommen habe, die bei der GmbH zu einer Körperschaftsteuer 1989 von 294.324 DM geführt hätten. Hinsichtlich der Feststellungen wird ergänzend auf den Fahndungsprüfungsbericht vom 29. Oktober 1998 Bezug genommen. Mit Bescheid vom 3. März 1999 hat der Beklagte (das Finanzamt -FA-) den Kläger gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) persönlich für rückständige Körperschaftsteuer in Höhe von 294.324 DM in Haftung genommen. Als faktischer Geschäftsführer und Verfügungsberechtigter über die Mittel der GmbH sei er u.a. verpflichtet gewesen, für 1989 eine Körperschaftsteuererklärung abzugeben. Der Verpflichtung zur fristgerechten Erklärungsabgabe sei er vorsätzlich nicht nachgekommen. Bei rechtzeitiger Festsetzung und Fälligkeit hätte der Steueranspruch aus Mitteln der GmbH erfüllt werden können. Hinsichtlich der weiteren Begründung und der Ermessensausübung wird auf die Anlage 2 zum Haftungsbescheid Bezug genommen.
Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Zusätzlich zu § 71 AO stützte das FA in der Einspruchsentscheidung den Haftungsanspruch auf §§ 69, 35 AO (Haftung als Verfügungsberechtigter). Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 18. April 2000 Bezug genommen.
Mit der Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen seine Haftungsinanspruchnahme. Er vertritt die Auffassung, die Ermittlungen der Steuerfahndung seien unzutreffend und nicht vollständig. Er bestreite, Steuern hinterzogen zu haben. Es könne ihm jedoch nicht zugemutet werden, vor dem Abschluss des gegen ihn laufenden Strafverfahrens Erklärungen in der Sache abzugeben. Er sei auch weder rechtlich noch tatsächlich in der Lage gewesen, Steuererklärungen für die GmbH abzugeben. Dies sei Aufgabe des H gewesen. Dem FA sei bekannt, dass er seinen Wohnsitz ab 1. Mai 1990 in Slowenien gehabt habe. H habe schriftlich bestätigt, dass er alle Geschäftsunterlagen übernommen habe. Die bei ihm gefundenen Belege seien lediglich ein kleiner Rest einer Vielzahl von Unterlagen und ungeeignet, um daraus -wie die Steuerfahndung- eine Buchhaltung zu entwickeln. Da bis heute keine Steuererklärung eingegangen sei, obwohl dem FA der letzte Geschäftsführer bekannt sei, könne er nicht beurteilen, ob die Forderung gegen ihn auf einer Schätzung beruhe bzw. was tatsächlich die Grundlage hierfür sei. Er wisse auch nicht, ob sich H "hauptsächlich in Thailand" aufgehalten habe. Dieser habe jedenfalls für seine Tätigkeit 10.000 DM erhalten. Eine Frau J habe er niemals kennen gelernt. Er bestreite die Behauptung des FA, Verluste aus 1990 könnten nicht auf 1989 zurück getragen werden. Auch sei es nicht zutreffend, dass er ohne Belege Gelder ohne Rechtsgrundlage übertragen habe. Zu gegebener Zeit werde er den Gegenbeweis erbringen. Er sei nach dem 30. März 1990 nicht mehr für die GmbH tätig geworden. Unerklärlich sei ihm der Vortrag des FA hinsichtlich der Ltd. Die Steuerfahndung habe Unterlagen (notarielle Urkunden), aus denen sich der Gesellschafter und der Geschäftsführer der Ltd. ergäben. Bei Zweifeln an der Existenz der Firma mangels Ermittlung unter der angegebenen Anschrift, hätte sich das FA deren Existenz durch den beurkundenden Notar bestätigen lassen können. Überdies habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Die Geschäftsunterlagen habe er seinem Nachfolger übergeben. Er sei weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der Ltd. gewesen und habe auch nicht über die gesamte Korrespondenz verfügt. Nachweise hierfür habe das FA nicht vorgelegt. Nachdem das FA der Meinung sei, dass die Ansprüche gegen H verjährt seien, mache er auch Verjährung geltend. Im Übrigen müsse sich das FA vorhalten lassen, dass es selbst "wegen seiner Arbeitsgeschwindigkeit" nicht ganz unschuldig daran sei, dass die GmbH nicht mehr zu Steuerzahlungen herangezogen werden könne. Immerhin werde seit 1995 gegen ihn ermittelt. Das FA hätte sich wohl auch vor dieser Zeit nach 1990 um die Sache kümmern können. Alle Vorwürfe gegen ihn beträfen im Ergebnis Kontenbewegungen. Es sei daher nie seine Absicht gewesen, etwas zu verschleiern. Auch die Höhe des Haftungsbetrages sei unzutreffend.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 3. März 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. April 2000 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt das FA vor, dass der Geschäftsführerwechsel am 27. Dezember 1989 zum 1. April 1990 beschlossen worden sei. H habe sich indes vom 23. Januar bis 30. August 1990 in Thailand befunden. Den Empfang der Unterlagen habe H zwar auf einem nicht datierten Schreiben bestätigt, bestreite dies aber in seiner Zeugenaussage. Die Unterlagen hätten daher schon vor dem 23. Januar 1990 übernommen oder nach Thailand versandt werden müssen. Es sei jedoch nicht anzunehmen, dass die Unterlagen bereits vor dem Geschäftsführerwechsel übergeben worden seien, da der amtierende Geschäftsführer diese ständig zur Verfügung haben müsse. Für einen Versand nach Thailand lägen keine Anhaltspunkte vor. Im Übrigen habe sich H nie mit der GmbH befasst. Daher sei auch nicht glaubhaft, dass der Kläger auf Anweisung von H gehandelt habe. Schlicht unwahr sei die Behauptung des Klägers, er habe nach dem 30. März 1990 nicht über Gelder der GmbH verfügt. Auch nach dem 30. März 1990 habe der Kläger noch Kontovollmacht gehabt. Die letzten bekannten Verfügungen habe er im November 1990 getroffen. Er sei auch nach dem 30. März 1990 wie ein Geschäftsführer handelnd nach außen aufgetreten und sei im Briefkopf der GmbH weiterhin als Geschäftsführer bezeichnet. Bei den Schreiben handele es sich teilweise um Finanzierungsverhandlungen mit der D-Bank, also nicht um nebensächliche Angelegenheiten. Der Kläger habe auch Frau J gekannt, die der GmbH ein Domizil zur Verfügung gestellt habe. Er sei Vertragspartner und einziger Ansprechpartner gewesen. Die eingehende Post sei an ihn gesandt worden. Das Vertragsverhältnis habe am 1. Juni 1990 geendet. Die Verfügungsmacht des Klägers über die Mittel der GmbH und seine beherrschende Gesellschafterstellung begründeten eine Verfügungsberechtigung im Sinne des § 35 AO, die dazu führe, dass er die Pflichten der GmbH zu erfüllen gehabt habe.
Die Ltd. sei vom Bundesamt für Finanzen als Briefkastenfirma und ab 13. Mai 1986 als Scheinfirma eingestuft worden (Bl. 16, 17 Rückseite). Die angeblichen Direktoren seien bei über 100 Briefkastenfirmen als Funktionsträger bekannt (Bl. 17). Der Kläger sei von den Direktoren der Scheinfirma am 26. Juni 1989 mit einer der Geschäftsführerstellung vergleichbaren Vollmacht ausgestattet worden (vgl. Bl. 4). Er habe auch den Gründungsaufwand vom Konto seiner Ehefrau beglichen (Bl. 9). Daher sei anzunehmen, dass er eine Art Gesellschafter oder Hintermannstellung gehabt habe. Zumindest habe er über die Vollmacht jederzeit 100% des Stammkapitals vertreten.
Die verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß Tz. 27 des Fahndungsberichtes seien aufgrund der bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel erwiesen. Ein Verlustrücktrag sei wegen der Beschränkung des § 8 Abs. 5 Körperschaftsteuergesetz ausgeschlossen. Eine Verjährung der Steueransprüche sei wegen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO noch nicht eingetreten, so dass auch nach § 191 Abs. 3 und 5 AO noch ein Haftungsbescheid habe ergehen dürfen. Für einen Haftungsbescheid nach § 71 AO sei weder eine strafgerichtliche Verurteilung erforderlich noch seien das FA oder das Finanzgericht hieran gebunden. Ergänzend werde auf die vorgelegte Anklageschrift Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 30. Juni 2000 7 V 1729/00 hat der Senat eine Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides abgelehnt. Auf den Beschluss wird ergänzend Bezug genommen. Mit Schreiben vom 3. März und 8. Mai 2003 hat der Berichterstatter des erkennenden Senats, den Kläger aufgefordert, bis spätestens 30. Juni 2003 die angekündigten ergänzenden Erklärungen zur Sache vorzutragen.
Mit Schriftsatz vom 12. April 2004 trägt der Kläger ergänzend vor, der angefochtene Haftungsbescheid sei unzulässig, da ein entsprechender Steuerbescheid gegen die GmbH nie ergangen sei. H sei an der GmbH interessiert und keinesfalls ein Strohmann gewesen; H habe - von wo aus auch immer - die Geschäfte der GmbH geführt. Daher habe auch nur H die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen erfüllen müssen; H sei danach für die Steuerschuld vorrangig in Haftung zu nehmen. Er, der Kläger, habe nicht über Gelder der GmbH verfügt, sondern die Konten der GmbH nur als ihm zuzurechnende Treuhandkonten genutzt. Zum Nachweis für die genannten Angaben legte der Kläger zusammen mit seinem Schriftsatz vom 12. April 2004 verschiedene Unterlagen vor, auf die Bezug genommen wird. Daneben wurde Zeugenbeweis durch nicht näher bezeichnete Personen angeboten.
Durch Beschluss vom 6. Oktober 2003 hat der Senat auf Antrag des Klägers die Akten der Staatsanwaltschaft T in der Strafsache gegen ... wegen Steuerhinterziehung, Az ... zum Verfahren beigezogen. Das von der Staatsanwaltschaft T betriebene Strafverfahren wurde mit Beschluss vom 7. Mai 2004 gemäß § 154 der Strafprozessordnung im Hinblick auf eine anderweitig wegen Beihilfe zur Gläubigerbegünstigung verhängte Freiheitsstrafe eingestellt.
Der Senat hat in der Streitsache am 9. November 2004 die mündliche Verhandlung durchgeführt. Auf das Sitzungsprotokoll sowie auf die vorgelegten Akten wird Bezug genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger insbesondere erklärt, die GmbH sei in der Zeit, in der er, der Kläger die Geschäfte geführt habe, eine äußerst lebendige Firma gewesen, die sich mit Finanzdienstleistungen befasste. Die Erwerberin der GmbH, die Ltd., sei nur an dem Firmenmantel interessiert gewesen. Als Folge des Mantelkaufs habe er, der Kläger, die früheren Geschäfte der GmbH noch selbst abwickeln müssen; hierzu sei er von den Gesellschaftern der Ltd. bzw. von H bevollmächtigt worden. Die Abwicklung habe einige Monte gedauert.
Die Vertreterin des Finanzamts hat im Termin zur mündlichen Verhandlung insbesondere darauf verwiesen, dass der Kläger den Gründungsaufwand für die ... selbst getragen habe.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet.
1. Nach § 69 der Abgabenordnung (AO) haften die in §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Nach § 34 Abs. 1 AO haben u.a. die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Insbesondere haben sie dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Die gleiche Verpflichtung trifft den als Verfügungsberechtigten im eigenen oder fremden Namen Auftretenden, soweit er diese Pflichten rechtlich und tatsächlich erfüllen kann (§ 35 AO). Nach der Rechtsprechung reicht es für die Stellung als Verfügungsberechtigter im Sinne dieser Vorschrift aus, dass sich die Person nach außen hin so geriert, als könne sie über fremdes Vermögen verfügen und sie faktisch die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnimmt (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1991 I R 56/89, BFH/NV 1992, 76 und Beschluss vom 10. Oktober 1994 I B 228/93, BFH/NV 1995, 662).
Bei der Haftungsinanspruchnahme hat das FA im Anschluss an die von den Finanzgerichten voll überprüfbare Rechtsentscheidung über das Vorliegen des Haftungstatbestandes eine von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung zu treffen, ob und ggf. wen es von mehreren in Betracht kommenden Personen in Haftung nimmt (vgl. § 191 AO; § 102 FGO; BFH-Urteil vom 4. Oktober 1988 VII R 53/85, BFH/NV 1989, 274).
2. Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ist zu Unrecht erfolgt.
a) Im Streitfall kann unentschieden bleiben, ob der Kläger im Zeitpunkt der Abgabepflicht für die Steuererklärungen der GmbH als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO anzusehen war. Zwar ist der Kläger nach der Beendigung seiner formellen Geschäftsführerstellung zum 31. März 1990 weiterhin nach außen für die GmbH aufgetreten; ferner hatte er Verfügungsmacht über die Konten der GmbH bei der D-Bank und der C-Bank; schließlich wurde auch die Geschäftspost der GmbH an Adressen des Klägers gesandt. Diese Umstände könnten für die Stellung des Klägers als Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO sprechen; die Haftung nach den §§ 35, 69 AO setzt aber zudem voraus, dass zwischen einer Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden Kausalität besteht. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung nach den genannten Vorschriften. Ziel der Haftung ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO genannten Personen verursacht worden sind. Eine Haftung kommt danach nur in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Dies gilt nicht nur im Falle der Nichterfüllung einer Steuerschuld (§ 69 Satz 1 Alt. 2 AO), sondern auch bei der Verletzung von Steuererklärungspflichten, wie sie das FA im Streitfall dem Kläger zum Vorwurf macht (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100).
Zur Begründung der Kausalität bedarf es der Feststellung, dass die GmbH überhaupt in der Lage gewesen wäre, die Steuerschuld zu begleichen, wenn der Kläger die von dem FA geforderte Handlung pflichtgemäß erfüllt hätte. Im Streitfall hätte aber auch bei einer fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen eine Festsetzung der Steuerschuld nicht mehr stattgefunden, weil die GmbH bereits am 26. Juli 1991 gelöscht worden ist. In dieser Hinsicht ist davon auszugehen, dass für die nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung steuerlich vertretene GmbH die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen für 1989 allgemein bis zum 30. September 1990 verlängert war. Nach der Rechtsprechung wäre eine Festsetzung der Steuerschuld somit frühestens mit Ablauf der Steuererklärungsfrist für das Folgejahr - das Jahr 1990 - zu erwarten gewesen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 1100 und vom 18.03.1970 - I R 176/69. BStBl II 1970, 556). In diesem Zeitpunkt - dem 30. September 1991 - war die Klägerin aber bereits gelöscht.
b) Der Kläger konnte auch nicht nach § 71 AO als Steuerhinterzieher in Anspruch genommen werden.
Auch die Haftung nach § 71 AO hat Schadenersatzcharakter; auch insoweit bestimmt sich der Umfang der Haftung danach, inwieweit die Steuerhinterziehung für den Steuerausfall ursächlich war (s. hierzu auch Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 69 AO Rz. 30, m.w.N.). Dies war aber - wie dargelegt - hier nicht der Fall.
c) Ein Einstehen müssen des Klägers für fremde Steuerschulden kam danach im Streitfall wegen der insoweit einschränkenden Voraussetzungen der §§ 69, 71 AO nicht in Betracht. Der Senat verkennt nicht, dass die streitigen Geschäftsvorfälle möglicherweise eine persönliche Steuerschuld des Kläger als Empfänger der verdeckten Gewinnausschüttungen begründet haben könnten; darüber war aber im Streitfall nicht zu befinden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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