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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 26.06.2009
Aktenzeichen: 8 K 1338/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 173 Abs. 1
EStG § 2 Abs. 1
EStG § 8 Abs. 1
EStG § 19 Abs. 1
Keine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn es für die zutreffende rechtliche Subsumtion eines Aktienbezugsrechts unter § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG auf die erst nachträglich bekanntgewordene Höhe eines Aktienbezugs nicht ankommt.

Zu den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei, an rechtlichen Vorqualifikationen des Finanzamts orientiertem, rechtlich konsequentem Verhalten.

Zur Ermittlungspflicht des Finanzamts bei offensichtlich wertmäßig erheblichen Besteuerungstatbeständen.


In der Streitsache

...

hat der 8. Senat des Finanzgerichts München

auf Grund mündlicher Verhandlung

vom 26. Juni 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Unter Abänderung der Änderungsbescheide vom 25. Februar 2002 und 13. Oktober 2003 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2007 wird die Einkommensteuer für 1999 auf 2.486,41 EUR (= 4.863 DM) herabgesetzt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die nachträgliche Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1999 wegen des Bekanntwerdens neuer Tatsachen rechtmäßig war.

Die Klägerin arbeitet als Schulbuchautorin und Lektorin. Als Lektorin war sie im Streitjahr 1999, wie bereits in den Vorjahren, bei der X GmbH, einer Tochtergesellschaft der TV AG nichtselbständig beschäftigt.

Die TV AG ist im Oktober 1997 an die Börse gegangen. Mit Vertrag vom 21. Oktober 1997 hat die Klägerin der TV ein Darlehen über 5.000 DM gewährt. Das mit 2% verzinsliche Darlehen war mit dem Recht ausgestattet, erstmalig am 28. Oktober 1999 für maximal 50% der Darlehenssumme eine Wandlung des Rückzahlungsanspruches in Aktien der TV AG im Nennbetrag von je 5 DM durchzuführen. Die Wandlung der weiteren 50% konnte frühestens zum 28.10.2001 ausgeübt werden.

Die Klägerin hat ihre Steuererklärung für 1997, die sie ohne Zuhilfenahme eines steuerlichen Beraters erstellt hatte, im Dezember 1998 zunächst ohne Hinweis auf den Darlehensvertrag mit der TV AG und dem damit verbundenen Wandelungsrecht eingereicht. Die Einkommensteuerveranlagung 1997 war daraufhin mit Bescheid vom 15. Januar 1999 ohne Berücksichtigung von Einkünften, die mit dem Darlehen vom 21. Oktober 1997 verbunden sein könnten, erfolgt.

In einem Schreiben vom 14. Mai 1999 teilte die Klägerin dem Finanzamt (Eingang dort am 17. Mai 1999) unter dem Betreff "Berichtigung der Einkommensteuererklärung 1997 - Anlage N" mit, dass sie am 21. Oktober 1997 von der Möglichkeit der Zeichnung eines Wandeldarlehens Gebrauch gemacht habe. Sie verwies auf eine Mitteilung des Finanzvorstands der TV vom 7. Mai 1999, wonach sie mit der Zeichnung des Darlehens einen steuerpflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 6.736,50 DM erzielt habe. Dem Schreiben der Klägerin war die Mitteilung des Finanzvorstands der TV AG vom 7. Mai 1999, ein Schreiben der Landesbank W vom 27. April 1999 zur Berechnung des Wandelschuldverschreibungspreises sowie der vollständige mit der TV AG abgeschlossene Darlehensvertrag vom 21. Oktober 1997 beigefügt. In diesem 5 Seiten umfassenden Vertrag sind die Einzelheiten beschrieben, in welcher Form das Wandlungsrecht auszuüben ist, wie es erlischt und wie sich der zu zahlende Wandlungspreis errechnet, wie sich dieser reduziert. Ebenso geregelt sind Bekanntgabepflichten und Ausnahmen zur Ermäßigung des zu zahlenden Wandlungspreises.

Auf die Nachmeldung der Klägerin änderte das Finanzamt die Einkommensteuerveranlagung 1997 unter Bezugnahme auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung - AO - mit Änderungsbescheid vom 30. Juni 1999. Unter Berücksichtigung der nachgemeldeten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit erhöhte sich die Einkommensteuer 1997 um 1.959 DM auf 5.934 DM.

Ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 gab die Klägerin am 15. März 2000 ab. Die Einkommensteuererklärung war unter Mithilfe des Steuerberaters T erstellt. Im Mantelbogen, Zeile 31, war angekreuzt, dass Einnahmen aus Kapitalvermögen unter dem für dieses Jahr geltenden Sparer-Freibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung) bezogen worden sind. Auf einem der Steuererklärung als Anlage beigefügten Din-A4-Blatt war unter der Überschrift " Erläuterung zu Zeile 31, Mantelbogen " ausgeführt: "Aus den 1999 aus Wandelanleihen bezogenen TV-Aktien sind noch keine Dividenden zugeflossen (vgl. Schreiben vom 14.5.1999 zu Einkommensteuer 1997)." Des weiteren war eine Zinsbestätigung beigefügt, welche Zinsen zu einer Darlehenssumme von 5.000 DM bis 31. Oktober 1999 auswies und ab 1. November 1999 für eine Darlehenssumme von 2.500 DM. Darin ist vermerkt, dass der Rückgang der Darlehenssumme auf die vorgenommene Wandlung zurückzuführen ist. Die Zinsbestätigung ist mit TV AG gezeichnet.

Das Finanzamt wich bei der Einkommensteuerfestsetzung 1999 von der Erklärung der Klägerin nur insoweit ab, als es Leistungen in die Instandhaltungsrücklage bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht zum Abzug zuließ. Der entsprechende Bescheid vom 9. Mai 2000 ist nicht angefochten worden.

Am 14. Dezember 2000 übersandte das Finanzamt M für Körperschaften dem beklagten Finanzamt eine nach § 38 Abs. 4, § 41c Abs. 4 Einkommensteuergesetz - EStG - vom Arbeitgeber unter dem Datum "Stand 11.4.2000" erstattete Anzeige über nicht vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer mit der Bitte um Auswertung. Aus der beigefügten tabellarischen Aufstellung ist zu entnehmen, dass die Klägerin am 29. Oktober 1999 einen Teilbetrag ihres Wandeldarlehens in Höhe von 2.500 DM in 25.000 Aktien gewandelt hatte und hierfür Anschaffungskosten in Form des nach Darlehensvertrag geschuldeten Wandelungspreises in Höhe von 19.702,35 DM aufgewandt hat.

Das Finanzamt legte nun den vom Finanzamt für Körperschaften ermittelten tiefsten Aktienkurs der TV Aktie im Jahr 1999 mit 88,07 DM (45,03 EUR) zu Grunde und errechnete einen geldwerten Vorteil aus dem Bezug der Aktien in Höhe von 2.183.048,49 DM. Mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändertem Bescheid vom 25. Februar 2002 setzte es deshalb die Einkommensteuer für 1999 auf 588.287,84 EUR (= 1.150.591 DM) herauf. Wegen anderer, nicht streitiger Punkte, erfolgte eine nochmalige Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1999 mit Bescheid vom 13. Oktober 2003 auf 588.199,89 EUR (= 1.150.419 DM). Der gegen den (ersten) Änderungsbescheid vom 25. Februar 2002 rechtzeitig erhobene Einspruch blieb mit Einspruchsentscheidung vom 16. März 2007 ohne Erfolg.

Mit ihrer Klage wendet die Klägerin ein, eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides vom 9. Mai 2000 wegen der 1999 ausgeübten Wandelungsoption sei aus verfahrensrechtlichen wie auch aus materiell-rechtlichen Gründen rechtswidrig.

Für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO fehle es an neuen Tatsachen im Sinne der Vorschrift. Alle für den Besteuerungstatbestand des § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 EStG relevanten Tatsachen - hier der geldwerte Vorteil aus der Ausübung des Wandelungsrechtes - seien dem Finanzamt auf Grund der im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1997 erstatteten Anzeige vom 14. Mai 1999 sowie den Angaben über die Ausübung des Wandelungsrechtes in der Einkommensteuererklärung 1999 bereits bei Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides für 1999 am 9. Mai 2000 bekannt gewesen. Die Klägerin habe lediglich den genauen Zeitpunkt, zu dem sie ihr Wandelungsrecht ausgeübt hatte, nicht explizit ausgeführt und die Anzahl der bezogenen Aktien und den sich hieraus errechnenden Börsenwert zum Bezugszeitpunkt nicht mitgeteilt. Dies berechtige aber nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Das Finanzamt habe sich bereits bei der Einkommensteuerveranlagung für 1997 abschließend dafür entschieden, dass der mit dem Wandeldarlehen einhergehende geldwerte Vorteil im Zeitpunkt der Zeichnung des Darlehens, also im Jahr 1997, und nicht erst bei Ausübung des Wandelungsrechts im Jahr 1999 zu versteuern sei. Es hätte daher auch dann, wenn sie, die Klägerin, die vorgenannten Daten mitgeteilt hätte, die Einkommensteuer für 1999 nicht anders festgesetzt. Dass die Einkommensteuer 1999 später wegen des Aktienbezugs höher festgesetzt wurde, sei in erster Linie auf die geänderte rechtliche Beurteilung des Aktienbezugs durch das Finanzamt und nicht auf die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen zurückzuführen.

Abgesehen davon, dass der Veranlagungsbeamte nach Erlass des Bescheides vom 9. Mai 2000 nach Auffassung der Klägerin keine Kenntnis von neuen, entscheidungserheblichen Tatsachen erhalten habe, habe dieser Bescheid auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden können. Denn das Finanzamt habe grob gegen seine Ermittlungspflichten verstoßen. Schließlich habe sie, die Klägerin, im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1997 nicht nur alle maßgebenden Unterlagen vorgelegt, sondern in den vorgelegten Unterlagen zusätzlich auf die Besteuerungsproblematik hingewiesen. Bei ordnungsgemäßer Sichtung dieser Unterlagen hätte das Finanzamt daher unschwer erkennen können und müssen, dass der steuerliche Sachverhalt "Zeichnung des Wandeldarlehens" im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1997 nicht abschließend steuerlich gewürdigt werden könne. Es hätte daher die Einkommensteuerveranlagungen 1997 und 1999 gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchführen und weitere Ermittlungen anstellen können und nach Sachlage auch müssen.

Hinzu komme, dass das Finanzamt mit der nachgeholten Besteuerung eines mit dem Wandeldarlehen verbundenen geldwerten Vorteils bei der Einkommensteuer 1997 einen Vertrauenstatbestand gesetzt habe. Die Klägerin habe aus dem Umstand, dass der Einkommensteuerbescheid 1997 ohne weitere Nachfragen und Ermittlungen und ohne Vorbehalt der Nachprüfung erging, folgern können und müssen, dass das Finanzamt den Sachverhalt abschließend gewürdigt und sich für die Besteuerung des geldwerten Vorteils im Zeitpunkt der Gewährung des Wandeldarlehens (Anfangsbesteuerung) entschieden habe. Damit sei aus Sicht der Klägerin der Vorgang "Besteuerung des geldwerten Vorteils aus dem Wandeldarlehen" abgeschlossen gewesen mit der Folge, dass sie im Rahmen der Einkommensteuererklärung 1999 von weiteren Angaben im Zusammenhang mit dem Wandeldarlehen absehen konnte. Um sicher zu gehen, habe sie in ihrer Einkommensteuererklärung für 1999 nochmals darauf hingewiesen, dass sie 1999 von ihrem Wandelungsrecht Gebrauch gemacht habe.

Der Vorwurf des Finanzamts, dass sie, die Klägerin, eine "sukzessiv bruchstückweise Sachverhaltsdarlegung" mit einer "offenbar gezielten Unvollständigkeitstaktik" betrieben habe, um sich "unter planmäßiger Ausnutzung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung und des Systems der aktenlosen Veranlagung im Arbeitnehmerbereich einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen", treffe in keiner Weise zu. Schließlich habe sie bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 1997 überhaupt noch nicht wissen können, ob und in welchem Umfang sie später im Jahr 1999 wandeln werde. Sie habe demzufolge hierzu auch keine Angaben machen können. Die getrennten Sachverhalte "Gewährung des Wandeldarlehens" sowie "Ausübung des Wandelungsrechts" seien nicht sukzessive und bruchstückweise, sondern in den jeweils zutreffenden Veranlagungszeiträumen vollständig dargelegt worden. Im Übrigen hätte der Sachbearbeiter durch einfaches Lesen des vorliegenden Darlehensvertrages bereits im Rahmen der Veranlagungsarbeiten 1997 erkennen können, dass ab dem Jahr 1999 die Möglichkeit einer Wandelung bestand und sich entsprechende Notizen für eine Rückfrage im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1999 machen können. Dass die Finanzverwaltung im Arbeitnehmerbereich eine aktenlose Veranlagung durchführe, könne nicht auf sie abgewälzt und als Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflicht gewertet werden. Es handele sich insoweit allenfalls um ein Organisationsverschulden der Finanzverwaltung. Der Umstand, dass sie die Einkommensteuererklärung 1999 frühzeitig am 15. März 2000 eingereicht habe, könne ihr ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Die Abgabenordnung sehe Sanktionen nur für den Fall der verspäteten Abgabe der Steuererklärung vor.

Bereits aus dem Vorstehenden ergebe sich, dass das Finanzamt bei der Veranlagung 1999 zweifelsohne seine Ermittlungspflicht nach § 88 AO schwerwiegend verletzt habe. Es hätte auf Grund der ihm vorgelegten Unterlagen zum Wandeldarlehen und dem Hinweis auf die Ausübung des Wandelungsrechts Zeitpunkt und Umfang der Wandelung aufklären und sich mit der Frage, ob der damit verbundene geldwerte Vorteil im Zeitpunkt der Zeichnung des Darlehens (Anfangsbesteuerung) oder aber bei Ausübung der Wandelung zu versteuern ist (Endbesteuerung), auseinandersetzen müssen. Im Februar 2000 sei die Frage, wann der geldwerte Vorteil im Zusammenhang mit Aktienoptionsrechten bzw. Wandelschuldverschreibungen zu versteuern sei, äußerst kontrovers diskutiert worden. Es habe hierzu bereits die ersten Urteile von Finanzgerichten gegeben. Um sicherzustellen, dass der geldwerte Vorteil im Zusammenhang mit dem Wandeldarlehen auch zum Zeitpunkt der Ausübung der Wandelung (Endbesteuerung) besteuert werden kann, hätte der Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 9. Mai 2000 daher keinesfalls endgültig ergehen dürfen. Der für die Klägerin zuständige Sachbearbeiter im Finanzamt habe daher grob fahrlässig gehandelt, als er die Veranlagung nicht unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellte. Die in Nr. 1 des Einführungserlasses zu § 88 AO zum Ausdruck gebrachte und im Streitfall vom jeweiligen Sachbearbeiter verinnerlichte "ertragsorientierte Denkweise", nach der sich der Umfang der Ermittlungen am Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Arbeitsaufwand und dem angestrebten steuerlichen Erfolg orientiere, widerspreche klar dem Besteuerungsgrundsatz des § 85 AO, nach dem die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben hätten. Es könne nicht die Aufgabe des Steuerpflichtigen sein, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch überhöhte Mitwirkungspflichten sicherzustellen.

Die Klägerin habe auch keine Mitwirkungspflichten verletzt. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung müssten im Rahmen des Zumutbaren die bei objektiver Betrachtung wesentlichen Tatsachen vorgetragen werden. Die Klägerin habe bei objektiver Betrachtung davon ausgehen können, dass die Besteuerung des Wandeldarlehens im Wege der Anfangsbesteuerung erfolgt sei. Es sei ihr nicht zumutbar gewesen, nur kurze Zeit später davon abweichend von einer Endbesteuerung auszugehen. Die Erklärungen zur Wandlung des Darlehens seien daher nicht versteckt gewesen, sondern nur konsequent.

Selbst, wenn man zu einer Verletzung der Mitwirkungspflichten der Klägerin kommen sollte, überwiegte doch das Fehlverhalten der Finanzbehörde. Diese habe aufgrund vorangegangenen Verhaltens (Anfangsbesteuerung) eine gesteigerte Mitverantwortung getragen.

Materiell-rechtlich sei nach Ansicht der Klägerin bei Wandelschuldverschreibungen, in Anknüpfung an die zivilrechtlichen Folgen, ohnehin auf den Erwerb der Schuldverschreibung abzustellen. Eine Anfangsbesteuerung sei auch deshalb rechtlich zutreffend, weil es sonst zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung im Vergleich zu Nichtarbeitnehmern käme und dies gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstieße.

Die Klägerin beantragt,

ihre Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit 1999 ohne den Ansatz eines geldwerten Vorteils aus der Ausübung ihres Wandelungsrechtes anzusetzen und die Einkommensteuer 1999 unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 13. Oktober 2003 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 16. März 2007 auf 2.486,41 EUR (= 4.863 DM) herabzusetzen,

hilfsweise

die vom Beklagten angesetzten außerordentlichen Einkünfte i.H.v. 2.183.048 DM ermäßigt gem. § 34 Abs. 1 EStG zu versteuern (erster Hilfsantrag) und für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag die Revision zuzulassen (zweiter Hilfsantrag).

Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt,

die Klage insoweit abzuweisen, als der Klageantrag über den ersten Hilfsantrag (ermäßigte Besteuerung der streitigen Einkünfte gem. § 34 Abs. 1 EStG) hinausgeht.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2007. Dort ist ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Einkommensteuerfestsetzung 1999 am 9. Mai 2000 ein in den Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 494 veröffentlichtes Urteil des FG München 10 K 3851/94 vom 24. Juni 1999 zu einem ähnlich gelagerten Fall nicht handelbarer Wandelschuldverschreibungen vorlag. Mit Urteilen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juni 2005 (BFH/NV 2005, 1702 und 1706) sei dann höchstrichterlich entschieden worden, dass bei nicht handelbaren Wandelschuldverschreibungen, wie auch bei Wandeldarlehen eine Endbesteuerung vorzunehmen sei. Nach dieser Rechtsprechung hätte das Finanzamt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Vornahme der Endbesteuerung eine höhere Steuer festgesetzt, wenn ihm die später bekannt gewordenen Tatsachen bereits bei der ursprünglichen Veranlagung bekannt gewesen wären.

Unbeschadet unterbliebener Ermittlungen auf Seiten des Finanzamts sei eine Änderung nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil die Klägerin die ihr obliegende Pflicht, den Sachverhalt deutlich und vollständig zur Prüfung vorzulegen, verletzt habe.

Auch die, bezogen auf das Jahr 1997 vorgenommene Anfangsbesteuerung eines Vorteils wegen der Einräumung des Wandeldarlehens stehe dem nicht entgegen, denn der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung habe zur Folge, dass eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum frühest möglichen Zeitpunkt geändert werden könne.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO -, sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2009 verwiesen.

II. 1. Die Klage ist begründet.

Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 9. Mai 2000 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen im Streitfall nicht vor.

Ein Steuerbescheid ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dabei müssen die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen rechtserheblich für die ursprüngliche Veranlagung gewesen sein; auf einer geänderten Rechtsansicht dagegen darf die Korrektur nicht beruhen.

Im Streitfall sind dem Finanzamt zwar nachträglich neue Tatsachen bekannt geworden (dazu unter 1.1); diese waren aber nicht rechtserheblich für die ursprüngliche Veranlagung (dazu unter 1.2). Unabhängig davon stehen im vorliegenden Fall auch die Grundsätze von Treu und Glauben einer Änderung des bestandskräftigen Bescheids vom 9. Mai 2000 entgegen (dazu unter 1.3).

1.1 Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich handeln um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BStBI II 2004, 911). Rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen, sind demgegenüber keine Tatsachen. Ebenso stellt eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, keine Tatsache i.S. von § 173 Abs. 1 AO dar (BFH, Urteil vom 13. Januar 2005 II R 48/02, BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451; Rüsken in Klein, AO, 9. Auflage § 173 Rz. 21, 22).

Keine Tatsache ist grundsätzlich auch der Wert einer Sache im Gegensatz zu den wertbildenden Eigenschaften (vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler § 173 Rz. 66 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die der Wertfindung zu Grunde liegenden wertbegründenden Eigenschaften erfüllen den Tatsachenbegriff. Dies voraussetzend ist jede nachträglich bekannt werdende - d.h. in der Steuererklärung noch nicht explizit dargelegte bzw. bei der Bearbeitung des Falles dem Bearbeiter im Finanzamt auch nicht anderweitig bekannte - wertbegründende Eigenschaft eines Gegenstandes (Rechtes) dazu geeignet, eine Berichtigung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auszulösen (vgl. BFH, Beschluss vom 9. Dezember 2008 I B 135/08, n.v.).

Dem Finanzamt waren bei der Veranlagung 1999 alle Tatsachen bekannt, um den streitgegenständlichen Sachverhalt "Aktienbezug" dem Grunde nach unter den Tatbestand und die Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu subsumieren.

Nach den Mitteilungen der Klägerin und den von ihr mit dem Schreiben vom 14. Mai 1999 und der Steuererklärung 1999 eingereichten Unterlagen wusste das Finanzamt vom Bestehen des Aktienbezugsrechts aus dem Wandeldarlehen ebenso wie vom Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis der Klägerin. Bekannt war darüber hinaus auch der Zeitpunkt der Ausübung des Bezugsrechts. Ausweislich der von der Klägerin mit der Steuererklärung 1999 vorgelegten Zinsbestätigung sind ab dem Zeitraum November 1999 Zinsen nur noch auf die Hälfte des Darlehens ausgewiesen, verbunden mit dem Hinweis, dass der Rückgang der Darlehenssumme aus der vorgenommenen Wandlung resultiert. Dies legt den Wandelungszeitpunkt unzweifelhaft auf Ende Oktober 1999 fest, denn ergänzend geht aus dem, dem Finanzamt seit 17. Mai 1999 vorliegenden Darlehensvertrag unter § 6 hervor, dass das Wandelungsrecht erstmalig zum 28. Oktober 1999 ausgeübt werden kann.

Nicht bekannt war allerdings die Höhe des geldwerten Vorteils. Dieser errechnet sich aus der Differenz zwischen dem Kurswert der bezogenen Aktien und dem Übernahmepreis bei der Ausübung des Wandelungsrechts.

Wie sich der Übernahmepreis errechnet, geht zwar aus der Zinsbestätigung im Zusammenhang mit dem, dem Finanzamt seit 17. Mai 1999 vorliegenden Darlehensvertrag hervor. Die konkrete Berechnung erweist sich aber als sehr komplex und ohne Kenntnis zusätzlicher Daten nicht möglich. Bereits insoweit ist nach Auffassung des Senats von einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auszugehen.

Die Anzahl der bezogenen Aktien erfuhr das Finanzamt erst im Dezember 2000 durch die Kontrollmitteilung des Finanzamts München für Körperschaften. Auch insoweit liegt eine neue Tatsache i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

Ob der Kurswert einer Aktie zu einem bestimmten Zeitpunkt, den das Finanzamt ohnehin aus öffentlich zugänglichen Quellen ermittelt oder zumindest ermitteln kann, als neue Tatsache i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu werten ist, kann dahingestellt bleiben, da es hierauf letztlich nicht ankommt.

1.2 Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass die Festsetzung der höheren Steuer auf dem Bekanntwerden der neuen Tatsache und nicht auf einer Änderung der bisherigen Rechtsauffassung beruht (so auch Loose in Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 173 Rz. 54). Weil § 173 AO keine Rechtsgrundlage für die Beseitigung von Rechtsfehlern bietet, verlangt die Anwendung dieser Vorschrift auch im einzelnen Korrekturfall die Kontrolle, dass nicht rechtliche Erwägungen die eigentliche Ursache für die Aufhebung oder Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids sind (BFH, Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853).

Maßstab hierfür ist, ob das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der später bekannt werdenden Tatsachen schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Steuer gelangt wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; Urteile vom 27. Oktober 1998 X R 157/95, BFHE 187, 445, BStBl II 1999, 91; vom 15. Dezember 1999 XI R 38/99, BFH/NV 2000, 820, und vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533).

Dabei ist die Frage, wie die Finanzbehörde den Sachverhalt bei Kenntnis der neuen Tatsache gewürdigt hätte grundsätzlich unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Veranlagung vorliegenden Rechtsprechung und der damaligen Verwaltungsauffassung zu beurteilen, wobei davon auszugehen ist, dass eine rechtlich zutreffende Entscheidung ergangen wäre (z.B. Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; Beschluss vom 14. September 2005, VI R 18/03, BFH/NV 2006, 13).

Für den Streitfall kann unter Berücksichtigung dieser Grundsätze das spätere Bekanntwerden der Höhe des geldwerten Vorteils nicht als rechtserheblich für die ursprüngliche Veranlagung im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO qualifiziert werden. Denn im Streitfall beruht die Änderung nach der Überzeugung des Senats darauf, dass das Finanzamt hinsichtlich des Zuflusszeitpunktes zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt ist. Die neuen Erkenntnisse zur Anzahl und zum Wert der im Jahr 1999 bezogenen Aktien sind erst dann rechtserheblich geworden, nachdem das Finanzamt seine Rechtsansicht zum Zuflusszeitpunkt geändert hat.

a) Für die Frage, wann geldwerte Vorteile im Zusammenhang mit Wandeldarlehen zu besteuern sind - bei Einräumung des Bezugsrechts oder bei Erhalt der Aktien - sind sowohl Anzahl als auch Wert der erhaltenen Aktien unerheblich. Maßgebend ist insoweit allein die Ausgestaltung des Bezugsrechtes (vgl. BFH, Urteile vom 23. Juni 2005 VI R 124/99, BFHE 209, 549, BFH/NV 2005, 1702 , und in BFHE 209, 559, BFH/NV 2005, 1706; BFH, Beschluss vom 14. September 2005 VI B 12/06, BFH/NV 2006, 13). Diese war dem Finanzamt in Form des bereits seit Mai 1999 vorgelegten Darlehensvertrages in allen Einzelheiten bekannt.

Dass es auf die Kenntnis der Anzahl der bezogenen Aktien ankomme, um eine Subsumtion unter den Besteuerungstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 , § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG vornehmen zu können, lässt sich gerade nicht den vom Finanzamt angeführten Urteilen des FG München 10 K 3851/94 vom 24. Juni 1999 (EFG 2000, 494) und des BFH vom 23. Juni 2005 (BFH/NV 2005, 1702) entnehmen. Obwohl der Finanzbehörde sämtliche Tatsachen für das "ob" einer Besteuerung nach § 19 EStG bekannt waren, hat es beim Erlass des später geänderten Bescheides für 1999 weiterhin an der Anfangsbesteuerung festgehalten. Die später bekannt gewordene Anzahl der in 1999 bezogenen Aktien war folglich für die Veranlagung 1999 zunächst unerheblich.

Unter diesen Umständen kann gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei früherer Kenntnis der später bekannt gewordenen Tatsachen, die allein den Umfang und den sich daraus ergebenden Wert des erworbenen Vorteils verdeutlichen, schon bei der ursprünglichen Veranlagung durch Vornahme der Endbesteuerung eine höhere Steuer festgesetzt worden wäre.

b) Auch als ergänzender Tatsache kommt dem Bekanntsein der Höhe des Bezugswerts der Aktien keine besondere Bedeutung i.S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu. Wird ein steuerlicher Tatbestand durch mehrere Tatsachen, die zusammenfassend zu würdigen sind, verwirklicht, so ist jede dieser einzelnen Tatsachen, die nach der Veranlagung bekannt wird neu, wenn sie den Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lässt (BFH-Urteil vom 7. September 1965 I R 69/63 U, BStBI III 1965, 677). Die Mitteilung über den Umfang der tatsächlich bezogenen Aktien war allenfalls geeignet die Bedeutsamkeit des Besteuerungsvorgangs eindrücklich zu machen, nicht jedoch den Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen zu lassen (vgl. insoweit BFH, Urteil vom 7. September 1965 I R 69/63 U, BStBI III 1965, 677).

1.3 Unabhängig von der mangelnden Rechtserheblichkeit der neuen Tatsachen stand einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ebenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.

Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung darf die Finanzbehörde trotz nachträglichen Bekanntwerdens einer zur Steuererhöhung führenden Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO nicht erlassen, wenn ihr die Tatsache infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht zunächst unbekannt geblieben ist, vorausgesetzt jedoch, der Steuerpflichtige hat die ihn treffende Mitwirkungspflicht in zumutbarem Umfang erfüllt (BFH, Urteile vom 11. November 1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, 336 f., BStBl II 1988, 115, und vom 10. Februar 1988 II R 206/84, BFHE 152, 412 f., BStBl II 1988, 482; 17. Oktober 1989 VII R 58/87, BStBl II 1990, 249; Beschluss vom 30. Juni 2003 IX B 121/02 n.v). Macht allerdings der Steuerpflichtige in der Steuererklärung falsche oder unvollständige Angaben oder drückt er sich bewusst missverständlich aus und ruft er dadurch bei der Finanzbehörde einen Irrtum hervor, verstößt die Änderung des Bescheides nicht gegen Treu und Glauben (BFH, Urteile vom 20. April 2004 XI R 39/01, BStBI II 2004, 1072 und vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BStBI II 2006, 835).

Nach den Besonderheiten des Streitfalls hat die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht in zumutbarem Umfang genügt. Sie hat sich auch nicht bewusst missverständlich ausgedrückt, um bei der Finanzbehörde einen Irrtum hervorzurufen. Demgegenüber hat das Finanzamt sich aufdrängende Ermittlungspflichten verletzt.

a) § 90 AO verpflichtet die Klägerin zur Mitteilung der steuerrelevanten " Tatsachen", nicht jedoch zu einer, insbesondere aus Sicht des Finanzamts, zutreffenden rechtlichen Subsumtion.

Bei objektiver Betrachtung erweisen sich die von der Klägerin zum Bezug der Aktien in der Steuererklärung 1999 gemachten Angaben als von Seiten des Finanzamts durch dessen rechtliche Behandlung des Bezugsrechts im Jahr 1997 veranlasst und konsequent. Von einem "Verstecken" kann nicht die Rede sein, weil es letztlich dem Finanzamt vorbehalten ist, die - seiner Ansicht nach zutreffenden - rechtlichen Schlüsse aus den von den Steuerpflichtigen mitgeteilten Tatsachen zu ziehen. Trifft das Finanzamt eine rechtliche Einschätzung, im Streitfall in der Form, dass es den Zeitpunkt der Besteuerung des Aktienbezugsrechts der Klägerin im Zusammenhang mit den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit in das Jahr 1997 legt und dies, ungeachtet rechtlicher Zweifel durch Rechtsprechung und Literatur, ohne Vorläufigkeitsvermerk belässt, kann es der Klägerin nicht als "Verstecken" (vgl. BFH, Beschluss vom 24. März 2004 X B 110/03, BFH/NV 2004, 1070) angelastet werden, wenn sie auf dieser rechtlichen Einschätzung des Finanzamts aufbauend, die folgerichtige rechtliche Subsumtion der Folgebesteuerung, nämlich Besteuerung der damit neu geschaffenen Einkunftsquelle in Form von Einkünften aus Kapitalvermögen, als rechtlich zutreffend erachtet. Von der Klägerin zu verlangen, dass sie - entgegen der von Seiten des Finanzamts für das Jahr 1997 ohne Einschränkung vertretenen Rechtsauffassung - nochmals Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erklärt, ist nicht zumutbar.

b) Hinsichtlich der, sich dem Finanzamt aufdrängenden Ermittlungspflichten, ist im Streitfall besonders zu beachten, dass es die Klägerin nicht bei der einfachen, durch das Steuererklärungsformular eingeräumten Mitteilung belassen hat, es seien keine steuerlich relevanten Einkünfte aus Kapitalvermögen angefallen (vgl. Mantelbogen, Zeile 31). Sie hat in Form ihrer Erläuterung zu Zeile 31 Mantelbogen und der Vorlage der Zinsbestätigung ergänzende Angaben gemacht, die es dem Finanzamt ohne weiteres erlaubt hätten, eine von der Klägerin und bis dato auch vom Finanzamt vertretene Rechtsauffassung, dass nämlich eine Besteuerung des Aktienbezugsrechts bereits im Jahr 1997 erfolgt ist, neu zu beurteilen.

Durch die ergänzenden Angaben der Klägerin ist das Finanzamt explizit darauf hingewiesen worden, dass im Oktober 1999 zu einem Darlehensnennbetrag von 2.500 DM Aktien bezogen wurden.

Ins Gewicht fällt, dass die Zinsbestätigung den besonderen Hinweis enthält, dass sich das Bezugsrecht auf TV Aktien bezieht. Angesichts des Umstandes, dass diese in Streit stehende Aktie von ihrem Börsengang im Oktober 1997 bis Juli 1999 innerhalb von 2 Jahren ein Kursplus von 20.000 Prozent verzeichnet hatte (vgl. zusammenfassende Darstellung von Dr. Matthias Kurp www.medienmaerkte.de) und im Februar 2000 mit einem Kursplus von 33.000 Prozent nach Übernahme der J H Company gehandelt wurde (vgl. Kurp a.a.O), war die Bedeutsamkeit des Bezuges von TV Aktien öffentliches Kenntnisgut und jedem der sich diesem Umstand nicht aktiv verschloss, auch ohne konkrete Nennung von Werten hinreichend bekannt.

Der Kurshöchststand der TV Aktie datiert auf Februar 2000 mit 120 DM (vgl. Kurp a.a.O) und konnte angesichts besonderer Medienberichterstattung wegen der sogar historisch bedeutsamen Wertsteigerung der Aktie zum Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung 1999 im März 2000 auch der Finanzbehörde nicht unbekannt sein. Selbst bei nur überschlägiger Beachtung der Basisdaten des Aktienbezugsrechts - Umwandlung eines Darlehens in Höhe von 2.500 DM, Erwerb von 5 DM Nennbetrags-Aktien per je 5 DM Darlehensbetrag (vgl. Ziff. 5.1 des Darlehensvertrages) musste sich der Behörde, auch ohne Bekanntsein weiterer Daten bereits die Bedeutsamkeit des Besteuerungstatbestandes aufdrängen. Legt man nur diese einfachen Werte zu Grunde ergibt sich bei überschlägiger Betrachtung bereits ein zu beachtender geldwerter Vorteil von 60.000 DM (2.500 DM : 5 DM x 120 DM Kurswert = 60.000 DM), so dass bereits die dergestalt bekannten Daten der Finanzbehörde einen eklatant höheren Bezugswert als die im Jahr 1997 nachversteuerten 6.736,50 DM nahelegten. Das Finanzamt konnte aufgrund der sich zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung im Gange befindlichen öffentlichen Diskussion das Ausmaß des Erwerbsvorgangs und seine steuerrechtlichen Konsequenzen ohne weiteres abschätzen. Die in Nr. 1 des Einführungserlasses zu § 88 AO zum Ausdruck gebrachte und vom jeweiligen Sachbearbeiter verinnerlichte "ertragsorientierte Denkweise", nach der sich der Umfang der Ermittlungen am Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Arbeitsaufwand und dem angestrebten steuerlichen Erfolg orientiere, war angesichts des Börsenwerthochflugs der TV Aktie direkt angesprochen. Gleichwohl hat es das Finanzamt unterlassen, die sich danach aufdrängenden Ermittlungen zur Anzahl und zum Wert der bezogenen Aktien anzustellen.

Die Verletzung dieser sich aufdrängenden Ermittlungspflicht überlagert den Umstand, dass die Klägerin die Anzahl der bezogenen Aktien nicht von sich aus mitgeteilt hat, weil ihre Mitteilungen in der logischen Konsequenz der rechtlichen Subsumtion des Finanzamts für 1997 erfolgten und sie darüber hinaus sämtliche Angaben gemacht hat, die zum Veranlagungszeitpunkt 9. Mai 2000 eine andere rechtliche Qualifikation durch das Finanzamt zugelassen hätten.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Absatz 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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