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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 02.04.2008
Aktenzeichen: 9 K 1126/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
Kein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG, wenn der nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer zwar tatsächlich erwerbstätig war und dies der Ausländerbehörde bekannt war, ihm jedoch keine Arbeitserlaubnis erteilt worden ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG bestehen insoweit nicht. Auch war das Verfahren nicht nach § 74 FGO auszusetzen.
Finanzgericht München

9 K 1126/06

Kindergeld

In der Streitsache

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vizepräsidenten des Finanzgerichts,

des Richters am Finanzgericht ... und

des Richters am Finanzgericht ... sowie

der ehrenamtlichen Richterinnen

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 2. April 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die verheiratete Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und lebt seit 1988 in der Bundesrepublik Deutschland. Nach Ablehnung ihres Asylantrags war ihr Aufenthalt vom 10. Juni 1996 bis 30. Juni 1998 geduldet. Vom 24. Juni 1998 bis 15. Juli 2005 hatte sie eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Ausländergesetz (AuslG). Am 6. Juli 2005 erhielt die Klägerin eine bis 5. Juli 2007 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis enthielt den Hinweis "Erwerbstätigkeit nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet". Seit 2. August 2007 ist die Klägerin im Besitz einer unbefristeten Freizügigkeitsbescheinigung.

Vom 1. September 2005 bis zum 31. Dezember 2006 war die Klägerin im Autohaus A als Büroangestellte nichtselbständig tätig. Am 24. Januar 2006 wurde dem für die Klägerin zuständigen Ausländeramt, dem Landratsamt E, eine Arbeitgeberbescheinigung für Ausländer mit Gehaltsabrechnungen der Firma A vorgelegt. Auf den Aktenvermerk des Landratsamtes E vom 20. November 2007, auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 24. Januar 2006 an das Landratsamt E, auf die Arbeitgeberbescheinigung vom 23. Januar 2006 und auf die Lohnsteuerbescheinigung für 2006 wird Bezug genommen. Im Jahr 2007 war die Klägerin arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld.

Am 6. September 2005 beantragte die Klägerin für ihre Kinder N, J und F Kindergeld. Nach einer vorgelegten Haushaltsbescheinigung der Gemeinde V vom 22. September 2005 war der Sohn N nicht bei der Klägerin gemeldet. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 lehnte die beklagte Familienkasse (die Familienkasse) den Antrag auf Kindergeld ab, da die Voraussetzungen des § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) für einen Kindergeldanspruch von ausländischen Staatsangehörigen nicht gegeben seien. Der Bescheid wurde am 12. Januar 2006 nochmals per Fax übermittelt, weil der Ehemann der Klägerin angegeben hatte, dass die Klägerin den Bescheid nicht erhalten habe. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 13. März 2006). Am 21. März 2006 wurde das Kind C geboren.

Die Klage richtet sich gegen den Ablehnungsbescheid vom 21. Dezember 2005 und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 13. März 2006. Die Klägerin verweist auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BFH/NV 2005 Beilage 2, 114) und ist der Auffassung, aus den dort genannten Gründen einen Kindergeldanspruch ab Juli 2005 zu haben. Auch durch § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhalts-vorschuss vom 13. Dezember 2006 ergebe sich nunmehr ein Kindergeldanspruch. Zwar sei ihr die im Aufenthaltstitel vom 6. Juli 2005 für eine Erwerbstätigkeit vorgeschriebene Erlaubnis der Ausländerbehörde nicht ausdrücklich erteilt worden. Der Ausländerbehörde sei ihre Erwerbstätigkeit jedoch bekannt gewesen. Sie habe dem Landratsamt im Kontext mit dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ihren Ehemann und die Kinder am 24. Januar 2006 eine Arbeitgeberbescheinigung über ihre Beschäftigung ab 1. September 2005 überreicht. Einwände hiergegen seien nicht erhoben worden, vielmehr sei in der Folge die Aufenthaltserlaubnis für ihren Ehemann verlängert worden, weil sein Lebensunterhalt durch ihre Erwerbstätigkeit gesichert gewesen sei. Damit sei - zumindest ab Januar 2006 - inzident die Erwerbstätigkeit gestattet worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Dezember 2005 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 13. März 2006 zu verpflichten, ab September 2005 Kindergeld für die Kinder N, J und F sowie ab März 2006 auch für das Kind C festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und führt zur Begründung aus, die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch lägen im hier maßgebenden Kindergeldzeitraum von Juli 2005 bis März 2006 nicht vor. Ein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG bestehe nicht, da ihr keine Arbeitserlaubnis erteilt worden sei. Das Landratsamt E mag zwar Kenntnis von der Tätigkeit der Klägerin genommen haben. Die Tatsache, dass sie die Arbeitsbescheinigung im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels an ihren Ehemann zu dessen Akte genommen habe, bedeute aber nicht, dass dadurch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin durch die Ausländerbehörde geprüft und gestattet worden sei.

Auf die Sitzungsniederschrift vom 2. April 2008 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse hat es zu Recht abgelehnt, Kindergeld im streitigen Zeitraum von September 2005 bis März 2006 festzusetzen.

1. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen, die § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 13. Dezember 2006 (Bundessteuerblatt - BStBl - I 2007, 62), der gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG im vorliegenden Fall anzuwenden ist, an die Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer stellt. Nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG hat ein Ausländer einen Anspruch auf Kindergeld unter anderem nur, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Die Klägerin war im Zeitraum von September 2005 bis März 2006 im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG und hat sich bereits seit mindestens drei Jahren zumindest geduldet im Bundesgebiet aufgehalten. Jedoch fehlt es an der Voraussetzung der berechtigten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet.

Die Frage nach der Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beantwortet sich nach dem AufenthG. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt. Gemäß § 4 Abs. 2 AufenthG berechtigt ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern es nach diesem Gesetz bestimmt ist oder der Aufenthaltstitel die Ausübung der Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt. Jeder Aufenthaltstitel muss erkennen lassen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Einem Ausländer, der keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung besitzt, kann die Ausübung einer Beschäftigung nur erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall im hier maßgebenden Zeitraum jedoch nicht erfüllt. Dass der Ausländerbehörde im Verfahren, in dem es um die Aufenthaltserlaubnis des Ehemannes der Klägerin ging, die Erwerbstätigkeit der Klägerin mitgeteilt worden ist, führt nicht dazu, dass die Klägerin nunmehr die Erlaubnis zu einer Erwerbstätigkeit erhalten hat, denn eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit setzt eine entsprechende Willensbildung der für die Klägerin zuständigen Ausländerbehörde voraus und bedarf zudem der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Daran fehlt es jedoch. Dass die Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an den Ehemann der Klägerin u.a. davon abhängig gemacht hat, dass sein Lebensunterhalt gesichert sei und sie diesen möglicherweise zum Nachweis um Vorlage von Unterlagen über eine Erwerbstätigkeit der Klägerin gebeten hat, hat nicht die Folgewirkung, dass die Arbeitserlaubnis, bei der es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der Klägerin konkludent erteilt worden wäre. Voraussetzung für einen Verwaltungsakt ist u.a., dass die Behörde eine Regelung trifft (vgl. die gleichlautenden Vorschriften in § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - , § 118 Abgabenordnung - AO -, § 31 Sozialgesetzbuch X). Durch die Aufforderung, Nachweise vorzulegen, trifft die Behörde jedoch keine Regelung, vielmehr handelt es sich hierbei um eine unselbständige Verfahrenshandlung im Rahmen der Sachverhaltsermittlung (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG 9. Auflage § 35 Rdnr. 65), die zudem nicht das Verwaltungsverfahren der Klägerin, sondern das ihres Ehemannes betrifft. Dass für beide Verfahren dieselben Bearbeiter zuständig waren, spielt dabei keine Rolle. Die Ermittlungsmaßnahme der Ausländerbehörde konnte von den Beteiligten auch nicht als Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin verstanden werden, zumal diese durch einen Rechtsanwalt vertreten worden sind. Auch der Umstand, dass die Ausländerbehörde die Erwerbstätigkeit der Klägerin zur Kenntnis genommen und nicht auf die fehlende Arbeitserlaubnis hingewiesen hat, führt nicht zu einer konkludenten Erteilung einer Arbeitserlaubnis, da ein bloßes Schweigen einer Behörde nicht als Verwaltungsakt angesehen werden kann (Kopp/Ramsauer a.a.O. Rdnr. 22a).

2. Nach Auffassung des Senats unterliegt die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG jedenfalls in dem hier interessierenden Umfang keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung in § 62 Abs. 2 EStG dient dem Zweck, den Anspruch auf Kindergeld u.a. auf jene Ausländer zu beschränken, die legal in der Bundesrepublik leben und bereits in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind. Bei Ausländern, denen keine Erwerbstätigkeit gestattet ist, ging der Gesetzgeber davon aus, dass das Existenzminimum ihrer Kinder durch staatliche Fürsorgeleistungen in ausreichendem Maße gesichert ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 22. November 2007 III R 54/02, BFH/NV 2008, 457). Damit ist der Gesetzgeber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, BFH/NV 2005, 114) nachgekommen. Der Senat ist auch nicht der Ansicht, die in § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG angeordnete Rückwirkung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG auf noch nicht bestandskräftig entschiedene Fälle sei verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber den bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt habe (so FG Köln, Urteil vom 9. Mai 2007 10 K 983/04, EFG 2007, 1254 nrkr.). Zur Begründung wird auf die Gründe des BFH-Urteils vom 22. November 2007 III R 60/99 Bezug genommen, denen sich der Senat anschließt.

3. Die Klage war nicht im Hinblick auf die Beschlüsse des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1689/07 (DStRE 2008, 160) und 10 K 1690/07 (EFG 2007, 1247), mit denen dieses dem BVerfG die Frage der Vereinbarkeit des § 62 Abs. 2 EStG n.F. mit dem Grundgesetz vorgelegt hat, auszusetzen. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Aussetzung eines Klageverfahrens entsprechend § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den FG und dem BFH zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschluss vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BStBl II 1992, 408). Im Streitfall liegt jedoch eine gegenüber dem Beschluss des 10. Senats des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1689/07 andere Sacherverhaltskonstellation zugrunde. Während in dem der Entscheidung des FG Köln zugrunde liegenden Fall der Ausländer eine Arbeitserlaubnis, aber keine Beschäftigung hatte und dies für verfassungsrechtlich bedenklich angesehen wird, weil die erteilte Arbeitserlaubnis als Indiz für einen Daueraufenthalt ausreichend sein soll, hatte im Streitfall umgekehrt die Klägerin zwar eine Beschäftigung, aber keine Arbeitserlaubnis. Die Indizwirkung der Arbeitserlaubnis für einen Daueraufenthalt fehlt somit, so dass nach Auffassung des Senats an der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG jedenfalls insoweit keine Zweifel bestehen. Soweit das FG Köln im Beschluss vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 die Einschränkungen des § 62 Abs. 2 EStG auf den Kindergeldanspruch nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer generell für verfassungswidrig hält, hält der Senat diese Auffassung aus den in den BFH-Urteilen vom 22. November 2007 III R 60/99 und III R 54/02 genannten Gründen für unzutreffend (vgl. auch FG München, Urteil vom 5. Dezember 2007 9 K 3691/07 - [...] -) und die Vorlagen an das BVerfG für aussichtslos.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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