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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 07.05.2008
Aktenzeichen: 9 K 1411/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 218 Abs. 2 S. 1
AO § 231 Abs. 1
AO § 232
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

9 K 1411/06

Zahlungsverjährung

In der Streitsache

...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

[...] sowie

der ehrenamtlichen Richter und ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07. Mai 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufgrund Zahlungsverjährung erloschen sind.

Der Kläger und die Klägerin wurden im Jahr 1995 zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geladen. Auf Einwendungen der Kläger wurden die Termine aufgehoben und die Verfahren eingestellt.

Nachdem im Erhebungsverfahren Streit über das Bestehen von Steueransprüchen des Beklagten (Finanzamt) entstanden war, stellte dieser mit Abrechnungsbescheid vom 22. Juli 2005 fest, dass die im Steuerkonto zur Steuernummer der Kläger geführten und bis zum 31. Dezember 1994 entstandenen Rückstände nicht aufgrund Zahlungsverjährung erloschen sind.

Der hiergegen eingelegte Einspruch der Kläger blieb erfolglos. Das Finanzamt führte in der Einspruchsentscheidung vom 17. März 2006 aus, dass die Zahlungsverjährung der streitigen Steueransprüche durch verjährungsunterbrechende Vollstreckungsmaßnahmen wiederholt unterbrochen worden sei. Insbesondere hätten die Ladungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 16. März 1995 eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung bewirkt. Damit sei zum 31. Dezember 1999 keine Zahlungsverjährung der bis zum 31. Dezember 1994 fällig gewordenen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis eingetreten. Durch die Zahlungsaufforderung vom 27. September 2000 sei die Zahlungsverjährung ein weiteres Mal unterbrochen worden.

Im Jahr 2005 versuchte das Finanzamt wiederholt die streitigen Steuerrückstände zu vollstrecken. Mit Schreiben vom 21. März 2005 forderte der Vollziehungsbeamte die Kläger zur Zahlung der zu diesem Zeitpunkt offenen Rückstände auf.

Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger geltend, dass die Zahlungsverjährung durch die Ladungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht unterbrochen worden sei. Die Ladungen vom 16. März 1995 seien nichtig gewesen. Sie seien vor Ablauf der dreijährigen Schutzfrist erfolgt. Die Verletzung des § 284 Abs. 4 Satz 3 Abgabenordnung (AO) stelle einen schwerwiegenden und offenkundigen Fehler dar, der zur Nichtigkeit der Anordnungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 125 Abs. 1 AO führe. § 284 Abs. 4 Satz 3 AO stelle eine zwingende Vollstreckungsvoraussetzung dar. Ein Vollstreckungsaufschub vom 11. Januar 1995 bis 31. Januar 1995 sei ihnen nicht bekannt.

Die Kläger beantragen,

in Abänderung des Abrechnungsbescheids vom 22. Juli 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. März 2006 festzustellen, dass die bis zum 31. Dezember 1994 fällig gewordenen Einkommen- und Umsatzsteuern sowie die davon abhängigen Zinsen und die bis zum 31. Dezember 1994 fällig gewordenen Säumnis- und Verspätungszuschläge aufgrund Zahlungsverjährung nach §§ 228, 232 AO erloschen sind,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt trägt vor, dass die Ladungen vom 16. März 1995 nicht nichtig seien, da ein schwerwiegender Fehler nicht vorliege. Gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 AO habe der Vollstreckungsschuldner der Behörde auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und gemäß § 284 Abs. 3 AO über die von ihm verlangten Angaben eine eidesstattliche Versicherung abzugeben. Dabei handle es sich um eine zweistufige Ermessensentscheidung, die in einer einzigen Verfügung zusammengefasst werden könne. Die Finanzbehörde habe vor Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zu befinden, ob aufgrund besonderer Umstände von der Abnahme abgesehen werden könne. Die Anfrage beim Amtsgericht gemäß § 284 Abs. 4 Satz 3 AO sei nicht zwingende Voraussetzung für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.

Im Übrigen sei den Klägern mit Verfügung vom 11. Januar 1995 bis 31. Januar 1995 Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO gewährt worden.

Wegen des weiteren Sachverhalts und hinsichtlich des weiteren rechtlichen Vortrags wird auf die Einspruchsentscheidung, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften vom 7. Mai 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist unbegründet. Die auf dem Steuerkonto der Kläger bis zum 31. Dezember 1994 fällig gewordenen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und die davon abhängigen Zinsansprüche waren im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht aufgrund Zahlungsverjährung erloschen (§ 232 AO).

a) Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Verwaltungsakt. Verfahrensgegenstand eines Abrechnungsbescheids über bestimmte Steueransprüche kann die Feststellung sein, dass diese Ansprüche (noch) bestehen oder erloschen sind (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 15. April 2004 VII B 229/03, [...]). Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids im Rahmen einer Anfechtungsklage sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend. Spätere Änderungen der Steuerfestsetzung können nur in einem neu zu erteilenden Abrechnungsbescheid Berücksichtigung finden (BFH-Urteile vom 2. März 1971 VII R 74/68, BFHE 102, 7, BStBl II 1971, 498 undvom 4. Mai 1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285).

Gemäß § 232 AO erlöschen durch die (Zahlungs-)Verjährung der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm abhängenden Zinsen. Die Zahlungsverjährung beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO) und beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO wird die Zahlungsverjährung u.a. durch die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs, durch Vollstreckungsaufschub oder durch eine Vollstreckungsmaßnahme unterbrochen. Vollstreckungsmaßnahmen i.S.d. § 231 Abs.1 AO sind alle Handlungen der Finanzbehörde, die der zwangsweisen Durchsetzung des Zahlungsanspruchs im Vollstreckungsverfahren (§§ 249 ff. AO) dienen sollen. Hierzu zählt auch die Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (BFH-Urteil vom 24. September 1996 VII R 31/96, BFHE 181, 259, BStBl II 1997, 8).

Vollstreckungsmaßnahmen, die von Anfang an unheilbar nichtig sind, unterbrechen die Verjährungsfrist nicht (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1989 VII R 77/88, BFHE 158, 310, BStBl II 1990, 44). Soweit die Rechtswidrigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme nicht zur Nichtigkeit führt und die Maßnahme damit wirksam ist (Umkehrschluss aus § 124 Abs. 3 AO), tritt die Unterbrechungswirkung jedoch ein (vgl. Kruse in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 231 AO Rz. 4). Mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung vom 17. März 2006 den Abrechnungsbescheid vom 22. Juli 2005 zu Recht bestätigt, da die Zahlungsverjährung für die streitigen Steueransprüche noch nicht eingetreten war. Die Zahlungsverjährung war durch die Maßnahmen in den Jahren 1995, 2000 und 2005 wirksam unterbrochen worden, so dass diese im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung noch nicht erloschen waren.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zahlungsverjährung im Jahr 1995 - wie das Finanzamt vorträgt - bereits durch einen Vollstreckungsaufschub zu Beginn des Jahres unterbrochen wurde. Die Unterbrechung der Zahlungsverjährung ist jedenfalls durch die Ladungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 16. März 1995 wirksam unterbrochen worden. Soweit von den Klägern geltend gemacht wird, dass die Zahlungsverjährung der Steueransprüche aufgrund der Nichtigkeit der Ladungen mit Ablauf des Jahres 1999 eingetreten ist, trifft dies nicht zu. Die Ladungen waren zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig.

aa) Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

§ 125 Abs. 1 AO ist nur ausnahmsweise gegeben. In der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts wird als Ausnahme von dem Grundsatz angesehen, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trage (BFH-Urteil vom 26. September 2006 X R 21/04, BFH/NV 1995, 467). Ein besonders schwerwiegender Fehler kann nur dann angenommen werden, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ob dies erfüllt ist, muss von Fall zu Fall anhand der einschlägigen materiell-rechtlichen oder verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsvorschriften beurteilt werden (BFH-Urteil vom 31. August 1994 X R 2/93, BFH/NV 2007, 186). Reine Verfahrens- und Formfehler führen grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit (Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 125 AO Rz. 22).

bb) Nach § 284 Abs. 3 Satz 1 AO in der im Jahr 1995 gültigen Fassung (AO a.F.; nun § 284 Abs. 4 Satz 1 AO) ist ein Vollstreckungsschuldner, der die in § 284 AO oder die in § 807 der Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichnete eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, die im Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) noch nicht gelöscht ist, in den ersten drei Jahren nach ihrer Abgabe zur nochmaligen eidesstattlichen Versicherung nur verpflichtet, wenn anzunehmen ist, dass er später Vermögen erworben hat oder dass ein bisher bestehendes Arbeitsverhältnis mit ihm aufgelöst worden ist. Die Vollstreckungsbehörde hat von Amts wegen festzustellen, ob im Schuldnerverzeichnis eine Eintragung darüber besteht, dass der Vollstreckungsschuldner innerhalb der letzten drei Jahre eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat oder dass gegen ihn die Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung angeordnet ist (§ 284 Abs. 3 Satz 2 AO a.F.; nun § 284 Abs. 4 Satz 3 AO).

cc) Vorliegend hat das Finanzamt zwar gegen die Vorschrift des § 284 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. verstoßen, da es vor Ladung der Kläger zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht feststellte, ob die Kläger innerhalb der letzten drei Jahre eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten. Dieser Verstoß führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ladungen.

Die Schutzfrist des § 284 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. (nun § 284 Abs. 4 Satz 1 AO) soll es dem Schuldner ermöglichen, seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen und sich ohne permanenten Druck seiner Gläubiger finanziell wieder zu erholen. Sofern jedoch konkrete Umstände vorliegen, die darauf schließen lassen, dass der Vollstreckungsschulder wieder über pfändbares Vermögen verfügt, tritt der Schuldnerschutz hinter die Gläubigerbelange zurück (Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 284 AO Rz. 46). Die Ladung eines Vollstreckungsschuldners zur Abgabe einer weiteren eidesstattlichen Versicherung innerhalb der ersten drei Jahre nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung wird daher durch § 284 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine Ladung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist damit nicht offenkundig fehlerhaft, wenn sie innerhalb der Dreijahresfrist erfolgt.

Auch bei einem Verstoß gegen § 284 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. kann vom Betroffenen erwartet werden, dass er die Wirksamkeit der hoheitlichen Maßnahme zunächst anerkennt und die Rechtsverletzung in einem förmlichen Rechtsbehelfsverfahren geltend macht. § 284 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. stellt lediglich eine Verfahrensvorschrift dar, die der eingeschränkten Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners zur erneuten Abgabe der eidesstattlichen Versicherung innerhalb der Dreijahresfrist nach § 284 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. Rechnung trägt. Die Regelung soll unnötige Ladungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, die aufgrund § 284 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. (nun § 284 Abs. 4 Satz 1 AO) wieder aufzuheben wären, bereits im Vorfeld verhindern und hat somit vor allem auch einen verwaltungsökonomischen Hintergrund.

Weitere Gründe, die für eine Nichtigkeit der Ladungen sprechen, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.

c) Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Ladungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist auch nicht durch die Aufhebung des Termins und die Einstellung der Verfahren beseitigt worden.

Mit Schreiben - jeweils vom 30. März 1995 - hob das Finanzamt die zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termine auf und stellte die Verfahren ein. Dies führte aber zu keiner Beseitigung der Unterbrechungswirkung. Dabei kann offen bleiben, ob eine einmal durch Verwaltungsakt eingetretene Unterbrechung der Zahlungsverjährung überhaupt beseitigt werden kann (bejahend Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 231 AO Rz. 4; offen gelassen BFH-Urteil vom 28. November 2006 VII R 3/06, BFHE 216, 4, BFH/NV 2007, 733). Denn dies ist allenfalls denkbar, wenn der Verwaltungsakt rückwirkend mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird. Sofern ein Verwaltungsakt, wie vorliegend, lediglich für die Zukunft geändert wird, wird die Unterbrechungswirkung nicht beseitigt (so Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 231 AO Rz. 4; BFH-Urteil vom 12. November 1959 IV 46/59 U, BFHE 70, 75 BStBl III 1960, 29 zu § 147 Reichsabgabenordnung - RAO).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 AO.

3. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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