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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: 9 K 1716/05
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 88 | |
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1 |
Finanzgericht München
Einkommensteuer 1992 und 1995 bis 1998 (als Erben nach ....)
In der Streitsache
hat der 9. Senat des Finanzgerichts München
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2007
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Einkommensteuer(ESt)-Bescheide 1992 und 1995 bis 1998 aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert werden konnten.
Der während des Klageverfahrens verstorbene Großvater der Kläger (Gesamtrechtsnachfolger) erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte und wurde im Jahr 1992 allein, in den Jahren 1995 bis 1998 zusammen mit seiner Ehefrau, die neben ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit ebenfalls Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte bezog, beim Finanzamt (FA) M (= der Beklagte) zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Die Ehefrau des Großvaters der Kläger verstarb am 11. Januar 1999. Alleiniger Rechtsnachfolger war der Großvater der Kläger.
Die ESt-Erklärungen der Jahre 1992 und 1995 bis 1998 wurden jeweils im zweiten Jahr nach Ende des jeweiligen Veranlagungszeitraums abgegeben. Die der ESt-Erklärung für 1992 beigefügte Anlage KSO enthielt auf Seite 1 Angaben zu Zinseinkünften, auf der Seite 2 jedoch keine Angaben über etwaige Renteneinkünfte (insbesondere Altersruhegeld bzw. Altersrenten aus Arbeiterrenten-oder Angestelltenversicherungen). In den Steuererklärungen der Jahre 1993 bis 1998 wurden u.a. Renteneinkünfte der Ehefrau des Großvaters der Kläger aus einer Altersrente bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ab 1. September 1993 und des Großvaters der Kläger aus einer Leibrente der B-Lebensversicherung ab 1. Januar 1994 als sonstige Einkünfte erklärt.
Die ESt-Bescheide 1992 vom 31. August 1994 (ESt: 84.969 DM), 1995 vom 27. August 1997 (ESt: 73.062 DM), 1996 vom 13. August 1998 (ESt: 33.983 DM) und 1997 vom 10. Juni 1999 (ESt: 19.294 DM) wurden im Rahmen der regulären Veranlagung letztmalig am 8. August 2000 (1992 - ESt: 84.960 DM und 1995 - ESt: 67.744 DM), 7. September 1998 (1996 - ESt: 30.429 DM) und 27. Juli 1999 (1997 - ESt: 18.168 DM) geändert. Der ESt-Bescheid 1998 erging am 12. Mai 2000 (ESt: 32.315 DM). Die ESt-Bescheide für 1992 und 1995 ergingen endgültig. Die ESt-Bescheide für 1996 bis 1998 waren vorläufig im Hinblick auf anhängige Revisionsverfahren und Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, im Übrigen endgültig.
Alle Bescheide wurden mit Ausnahme der für vorläufig erklärten Punkte bestandskräftig.
Mit Bericht vom 14. März 2002, eingegangen beim Beklagten am 27. März 2002, teilte die Steuerfahndung R dem Beklagten bisher nicht erklärte Kapitaleinkünfte des Großvaters der Kläger und dessen Ehefrau in den Jahren 1989 bis 1998 mit. Die Schlussbesprechung über die Feststellungen der Steuerfahndung, bei der über das Prüfungsergebnis Einigung erzielt worden war, fand am 11. März 2002 statt. Verteidiger im Strafverfahren war der Prozessbevollmächtigte der Kläger. Dieser hatte auch die ESt-Erklärungen erstellt.
Das FA wertete die Feststellungen aus, änderte die ESt-Bescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu Ungunsten des Großvaters der Kläger und setzte die ESt nach abschließender Zeichnung der Sachbearbeiterin am 24. Mai 2002 und des Sachgebietsleiters am 28. Mai 2002 jeweils unter dem Datum vom 13. Juni 2002 (Rechentermin 3. Juni 2002) 1992 mit 46.146,14 EUR (= 90.254 DM), 1995 mit 47.619,17 EUR (= 93.135 DM), 1996 mit 28.614,96 EUR (= 55.966 DM), 1997 mit 33.661,92 EUR (= 65.837 DM) und 1998 mit 26.078,95 EUR (= 51.006 DM) fest.
Mit der ESt-Erklärung 1999 vom 8. April 2002, eingegangen beim FA am 11. April 2002, wurden erstmals Einkünfte aus einer Altersrente des Großvaters der Kläger bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erklärt. Aus der zusätzlich eingereichten "Ergänzungsliste zur Anlage KSO" und einer Anlage "Einzelangaben zur ESt-Erklärung 1999" ergab sich, dass die Altersrente seit 1. März 1992 von der Bundesversicherungsanstalt gezahlt worden war und mit dem Tod des Großvaters der Kläger erlöschen würde. Angaben über die Höhe der Rentenzahlungen in den Jahren vor 1999 und den tatsächlichen Beginn der Zahlungen der Altersrente wurden mit der ESt-Erklärung 1999 nicht eingereicht.
Mit Schreiben vom 16. April 2002 forderte die zuständige Bearbeiterin des Veranlagungsbezirks mit Frist bis zum 13. Mai 2002 eine Aufstellung der jeweils gezahlten Rentenbeträge an und mahnte diese mangels Antwort seitens des Großvaters der Kläger mit Schreiben vom 11. Juni 2002, verfasst am 6. Juni 2002, an.
Mit Schreiben vom 6. Juni 2002, eingegangen beim FA am Freitag den 7. Juni 2002, teilte der Großvater der Kläger die Höhe der Einnahmen wie folgt mit und erklärte diese nach: 1992 8.146,10 DM 1995 10.693,86 DM 1996 10.771,56 DM 1997 10.911,84 DM 1998 11.025,48 DM Das FA änderte daraufhin die ESt-Bescheide 1992 und 1995 bis 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu Ungunsten des Großvaters der Kläger jeweils unter dem Datum vom 21. Januar 2003 und setzte die ESt mit 46.687,60 EUR (= 91.313 DM - 1992), 48.416,78 EUR (= 94.695 DM - 1995), 29.283,22 EUR (= 57.273 DM - 1996), 34.405,34 EUR (= 67.291 DM - 1997) und 26.744,66 EUR (= 52.308 DM - 1998) fest. Die dagegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg (vgl. zusammengefasste Einspruchsentscheidung vom 18. März 2005).
Jeweils unter dem Datum vom 26. Juni 2007 änderte das FA die ESt-Bescheide 1997 und 1998 aufgrund einer Mitteilung über einen geänderten Feststellungsbescheid erneut nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und setzte die ESt mit 34.855,79 EUR (= 68.172 DM - 1997) und 26.689,44 EUR (= 52.200 DM - 1998) fest.
Mit der vorliegenden Klage wenden sich die Kläger weiterhin gegen die Änderung der ESt- Bescheide vom 13. Juni 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und tragen zur Begründung vor, der Beklagte habe - wie er selbst einräume - Kenntnis von der Tatsache des Bezugs der Altersrente ihres Großvaters gehabt. Die Auffassung des Beklagten, diese Kenntnis sei unzureichend, weil sie ihn ohne Angabe der Einzeltatsachen des Besteuerungstatbestandes hinsichtlich der Höhe und des Zuflusszeitpunkts der Renteneinkünfte nicht in die Lage versetzt habe, diese Renteneinkünfte in die Steuerbescheide einfließen zu lassen, stehe im Widerspruch zur Gesetzesauslegung, wie sie den für den Beklagten verbindlichen Richtlinien für die Anwendung der AO zugrunde lägen. Der Begriff der Gesamttatsache wie ihn das Finanzamt verwende, könne nur bedeuten, dass dies den Besteuerungstatbestand darstelle.
Der Besteuerungstatbestand sei aber nicht identisch mit dem Begriff der Tatsache in § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Der Großvater habe Renteneinkünfte seiner Ehefrau seit 1993 und eigene Renteneinkünfte seit 1994 jeweils in seiner ESt-Erklärung erklärt. Diese seien auch steuerlich erfasst worden.
Die weiteren Alterseinkünfte seit 1992 seien erstmals in der ESt-Erklärung 1999 dem Beklagten zur Kenntnis gebracht worden. Zahlenmaterial zu den Vorjahren habe er zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachmelden können, da es noch nicht vorgelegen habe. Bei dieser Sachlage könne nicht davon ausgegangen werden, dass auch Höhe und Zufluss der Einkünfte eine einheitliche Gesamttatsache darstellten. Dies sei nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1994, 346 nur dann der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger Einkünfte einer Einkunftsart überhaupt nicht erklärt habe.
Der Beklagte hätte die ESt-Bescheide vom 13. Juni 2002 daher zurückhalten oder sich eine weitere Änderung der Steuerfestsetzungen in den Bescheiden im Rahmen von § 164 AO oder § 165 AO offen halten müssen. Er hätte die Einkünfte auch schätzungsweise ansetzen können. Im Streitfall habe daher das Vertrauen auf die getroffene Entscheidung des Beklagten Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzung.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der ESt-Bescheide 1992, 1995 und 1996, jeweils vom 21. Januar 2003 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 18. März 2005 und unter Abänderung der ESt-Bescheide 1997 und 1998, jeweils vom 26. Juni 2007 die ESt nach Maßgabe der jeweiligen Bescheide vom 13. Juni 2002 mit 46.146,14 EUR (= 90.254 DM) für 1992, 47.619,17 EUR (= 93.135 DM) für 1995, 28.614,96 EUR (= 55.966 DM) für 1996 sowie für 1997 und 1998 die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung der von der Bundesversicherungsanstalt an den Großvater der Kläger gezahlten Renten festzusetzen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung und führt weiter aus, die Information "Bezug einer Rente ab 1992" in der ESt-Erklärung 1999 reiche nicht aus, um Einkünfte nach § 22 EStG in den Steuerbescheiden verarbeiten zu können.
Der Besteuerungstatbestand Renteneinkünfte setze sich vielmehr aus mehreren Einzeltatsachen wie vor allem Höhe und Zufluss der Einkünfte zusammen, die dem FA erst nach Fertigung der Änderungsbescheide vom 13. Juni 2002 bekannt geworden seien. Im Übrigen habe eine Änderung auch nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 c AO erfolgen können.
Auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 19. September 2007 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat das FA die ESt-Bescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
1. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr.1 AO liegen vor.
a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in der im Streitjahr geltenden Fassung sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt, also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen. Dabei kann es sich um einzelne Tatsachen, aber auch um eine Summe von Tatsachen handeln, die ihrerseits den Sachverhalt ausmachen, der unter das Gesetz subsumiert wird. Keine Tatsachen stellen steuerrechtliche Würdigungen dar. Ebenso stellen Vermutungen, Verdachtsmomente und Wahrscheinlichkeiten keine Tatsachen dar. Eine Tatsache besteht erst, wenn über einen Lebensvorgang Gewissheit herrscht. Nachträglich werden Tatsachen bekannt, wenn sie nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden. Hierbei kommt es auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde, und zwar der Personen an, die innerhalb der Behörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten. Dabei gilt für jede Stelle innerhalb der Behörde das als bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt.
Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten der Finanzverwaltung den Berechnungsbogen oder den Eingabewertbogen abschließend unterzeichnen (BFH-Urteile vom 5. Dezember 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588 m.w.N.;vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BStBl II 1990, 1047;7. Juli 2005 IX R 66/04, BFH/NV 2006, 256; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Tzn. 1 -3, 25, 33, 37, 44).
Der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben verbietet allerdings dem FA, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu erlassen, wenn dem FA die Tatsache vor dem Erlass des zu ändernden Bescheides infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) verborgen geblieben ist. Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift nach der ständigen Rechtsprechung des BFH indes nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat.
Das FA verletzt seine Ermittlungspflicht (§ 88 AO), wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502 m.w.N.).
Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des FA kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen, insbesondere darauf an, ob der Steuerpflichtige dem FA die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung unterbreitet hat. Ist dies zu verneinen, kann sich der Steuerpflichtige - unabhängig von einem eventuellen eigenen Verschulden - nicht auf eine Nachlässigkeit des FA bei der Ermittlung der für die Besteuerung wesentlichen tatsächlichen Verhältnisse berufen. Dies gilt in verstärktem Maße dann, wenn die Steuererklärung - wie im Streitfall - unter Mitwirkung eines steuerlichen Beraters angefertigt wurde (BFH in BFH/NV 2004, 1502).
Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH in BFH/NV 2004, 1502).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte die Bescheide zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
aa) Entgegen der Ansicht der Kläger stellt das Vorliegen der Renteneinkünfte zusammen mit deren Höhe und dem Zuflusszeitpunkt eine einheitliche neue Tatsache dar. Die Grundsätze des BFH-Urteils in BStBl II 1994, 346 sind nach Auffassung des Senats auf den Streitfall übertragbar. Denn es geht im Streitfall nicht darum, die bereits besteuerten Renten hinsichtlich der Höhe der Bemessungsgrundlage zu ändern. Vielmehr ergab sich ein weiterer Rentenbezug für die Streitjahre aus der ESt-Erklärung 1999. Dass bereits sonstige Einkünfte i.S. des § 22 EStG aus anderen Rechtsgründen (Ansprüchen) in den ursprünglichen Bescheiden erklärt waren, steht dem nicht entgegen, da jede Rente für sich zu betrachten und der entsprechende Ertragsanteil gesondert zu ermitteln ist. Der Fall der erstmaligen Erklärung einer Rente aus einem bisher nicht erfassten Rechtsgrund ist daher dem Fall der erstmaligen Erklärung von Einkünften einer Einkunftsart gleichzustellen. Ein anderes Ergebnis würde zu einer Schlechterstellung derjenigen Steuerpflichtigen führen, die nur Rentenbezüge aus einem Rechtsgrund beziehen, obwohl die Ermittlungen in beiden Fällen gleich sind. Würde man nur im Vergleichsfall - des Bezugs einer Rente lediglich aus einem einzigen Rechtsgrund - auch die Höhe der Rentenzahlung als neue Tatsache ansehen, wäre das eine nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Einen Widerspruch zur Gesetzesauslegung im Rahmen der Richtlinien für die Anwendung der AO vermag der Senat dabei nicht zu erkennen.
bb) Die Tatsache ist dem FA auch nachträglich bekannt geworden. Das Schreiben des Großvaters der Kläger vom 6. Juni 2002 hinsichtlich der Höhe der Rentenbezüge ging erst nach abschließender Zeichnung des Falles durch die Bearbeiterin und den Sachgebietsleiter und sogar erst nach erfolgtem Rechentermin beim FA ein. Auf den Zeitpunkt, an dem der Steuerbescheid das FA verlassen hat, kommt es - entgegen der Ansicht der Kläger - nicht an (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Tz. 44).
cc) Die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
(1) Insbesondere liegt kein Ermittlungsverschulden des FA vor. Die zuständige Sachbearbeiterin hat ihre Ermittlungen hinsichtlich der Höhe der erstmals in der ESt-Erklärung 1999 vom 8. April 2002 angegebenen Alterseinkünfte bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Schreiben vom 16. April 2002 mit Antwortfrist am 13. Mai 2002 aufgenommen.
Es ist auch unschädlich, dass das FA von den Möglichkeiten einer Schätzung nach § 162 AO bzw. einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO oder einer vorläufigen Festsetzung nach § 165 AO keinen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr setzt die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gerade voraus, dass der Bescheid insoweit - wie im Streitfall - bestandskräftig ist (vgl. v.Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler - H/H/Sp - AO/FGO, § 173 AO Rz. 31). Auch das Abstellen auf die Erfüllung der Sachaufklärungspflicht im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr.1 AO rechtfertigt sich u.a. mit der Erwägung, dass es grundsätzlich im Ermessen der Finanzbehörde steht, den Eintritt der Bestandskraft nach §§ 164, 165 AO hinauszuschieben (v.Groll in H/H/Sp, a.a.O. § 173 AO Rz. 241). Das FA ist also in der Entscheidung frei. Eine Ermessenreduzierung auf Null ist nicht ersichtlich.
Die Anwendung des § 164 AO war im Streitfall nicht möglich, denn der ursprüngliche Bescheid war nicht mit einem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO versehen. §§ 172 ff. AO lassen jedoch in diesem Fall grundsätzlich nicht zu, dass erstmalig der Änderungsbescheid durch einen Vorbehalt der Nachprüfung verschärft wird (Tipke/Kruse, a.a.O., § 164 AO Tz. 5).
Die vorläufige Festsetzung nach § 165 AO steht im Ermessen des FA. Ermessensfehler sind jedoch nicht ersichtlich. Das FA muss eine etwaige Ungewissheit grundsätzlich durch Sachaufklärung überwinden, will (oder kann) es - wie im Streitfall - nicht § 164 AO anwenden (BFH-Urteil vom 26. September 1990 II R 99/88, BStBl II 1990, 1043; Tipke/Kruse, a.a.O., § 165 AO Tz. 7). Eine vorläufige Steuerfestsetzung scheidet jedenfalls bei Unklarheiten aus, die durch einfache Rückfrage beim Steuerpflichtigen beseitigt werden können. Insgesamt geht es um Fälle schwieriger Sachverhaltsermittlung, die Zeit benötigt (Heuermann in H/H/Sp, a.a.O., § 165 AO Rz. 7b, 8). Im Streitfall ging es hingegen nur noch um die Mitteilung der entsprechenden Beträge, die dem Großvater der Kläger bekannt gewesen sein mussten und durch einfache Rückfrage aufgeklärt werden konnten.
Aus dem gleichen Grund war eine Schätzung nicht möglich. Auch insoweit geht die Ermittlungspflicht des FA vor. Eine Besteuerung auf bloßen Verdacht ist unzulässig. Die Schätzung ist "ultima ratio" (Tipke/Kruse, a.a.O., § 162 AO Tz. 3, 30).
Im Übrigen konnte im Streitfall im Rahmen der Erstellung der Bescheide vom 13. Juni 2002 keine umfassende Prüfung mehr erfolgen, da die Bescheide nach Abschluss des regulären Veranlagungsverfahrens in den hier streitigen Punkten bestandskräftig geworden waren. Es ging insoweit nur noch um die punktuelle Änderung beschränkt auf das anlässlich der Steuerfahndung aufgedeckte und nicht erklärte Kapitalvermögen des Großvaters der Kläger und dessen Ehefrau. Das FA musste angesichts dieser punktuellen Änderung die Frage einer Besteuerung der Rente aus der Bundesversicherungsanstalt nicht prüfen (vgl. auch Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 18. September 1996 7 K 1562/91 GE, EFG 1997, 140).
(2) Dagegen ist ein erhebliches Mitwirkungsverschulden des Großvaters der Kläger gegeben.
Dieses besteht zum einen darin, dass er die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte seit 1. März 1992 gezahlte Rente nicht in der jeweiligen ESt-Erklärung angegeben hat. Zum anderen hat er die Anfrage des FA vom 16. April 2002 ohne angemessene Gründe nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist (13. Mai 2002) beantwortet. Das Vorbringen, die Höhe der Rentenbezüge in den einzelnen Jahren hätte noch nicht vorgelegen, ist nicht glaubhaft. Dem Großvater der Kläger ist diese Rente monatlich zugeflossen.
Es war ihm damit ohne weiteres möglich, die genaue Höhe jederzeit anzugeben. Weitere Unterlagen waren dazu nicht erforderlich. Dass der Großvater der Kläger diese Beträge möglicherweise dem Prozessbevollmächtigten, der auch die damaligen ESt-Erklärungen erstellt hatte, erst später mitgeteilt und so die Beantwortung des Schreibens vom 16. April 2002 verzögert hat, ändert nichts am Verschulden des Großvaters der Kläger.
Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nach alledem nicht vor, so dass das FA berechtigt war, die ESt-Bescheide 1992 und 1995 bis 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.
2. Auf die - möglicherweise zu verneinende - Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 c AO kommt es daher für die Entscheidung nicht mehr an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.
Ende der Entscheidung
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