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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 25.06.2008
Aktenzeichen: 9 K 3238/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 52 Abs. 61a
EStG § 62 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

sowie

der ehrenamtlichen Richter und

ohne mündliche Verhandlung

am 25. Juni 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger ist gebürtiger Weißrusse und kam Ende 2002 als Asylbewerber in die Bundesrepublik.

Bis einschließlich 18. August 2004 erhielt er in Folge mehrere Aufenthaltsgestattungen nach § 63 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG). Aufgrund gerichtlicher Entscheidung vom 11. August 2005, die am 15. September 2005 rechtskräftig wurde, wurde der Kläger als Asylberechtigter anerkannt und erhielt infolgedessen am 21. Februar 2006 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Die Kinder A (geb. .... 1987) und B (geb. ...... 1996) reisten im September 2003 in die Bundesrepublik ein. Nach der Lebensbescheinigung vom 7. März 2006 lebten der Kläger und seine Ehefrau mit den Kindern jeweils in getrennten Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber. Seit 15. Mai 2006 hat der Kläger eine Wohnung in München angemietet.

Den am 31. März 2004 gestellten Kindergeldantrag lehnte die Beklagte (Familienkasse) mit Bescheid vom 26. April 2004 ab, da der Kläger weder im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis (§ 15 Ausländergesetz - AuslG) noch einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG) sei. Nachdem der Kläger am 7. März 2006 einen erneuten Antrag auf Kindergeld für A und B gestellt hatte, setzte die Familienkasse mit Bescheid vom 28. März 2006 ab Februar 2006 Kindergeld fest, da der Kläger nunmehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG sei. Mit dem dagegen gerichteten Einspruch begehrte der Kläger Kindergeld seit 31. August 2003, mindestens jedoch seit 15. September 2005 (rechtskräftige Anerkennung als Asylbewerber). Im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2006 änderte die Familienkasse den Bescheid vom 28. März 2006 insoweit, als sie Kindergeld auch für den Zeitraum September 2005 bis Januar 2006 bewilligte. Im Übrigen wies sie den Einspruch als unbegründet zurück, da für den Zeitraum vor der rechtskräftigen Anerkennung als Asylberechtigter mangels Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes kein Kindergeldanspruch gegeben sei. Auf die Einspruchsentscheidung wird ergänzend Bezug genommen.

Mit der dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger weiterhin, ihm Kindergeld ab 31. August 2003 bis einschließlich August 2005 zu gewähren. Zur Begründung weist er darauf hin, dass er anerkannter Asylberechtigter mit Aufenthaltserlaubnis und nicht Ausländer mit bloßer Duldung sei. Die Asylanerkennung sei nur deklaratorisch, nicht konstitutiv und bestätige sozusagen eine gegebene politische Verfolgung. Somit habe er von Anfang an einen rechtmäßigen, dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet. Die BFH-Entscheidung vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443; BFH/NV 2007,1234) verkenne Art. 3 und 20 des Grundgesetzes (GG). Im Übrigen werde im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 (EFG 2007,1247) beantragt, das Verfahren auszusetzen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des Bescheids vom 28. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2006, die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld ab 31. August 2003 zu gewähren,

hilfsweise

das Verfahren auszusetzen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass der Kindergeldanspruch für den Zeitraum vor Mai 2004 bereits an der Bestandskraft des Bescheides vom 26. April 2004 scheitere. Im Übrigen bestehe gemäß § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) kein Anspruch auf Kindergeld, da es im strittigen Zeitraum an einem dort genannten Aufenthaltstitel fehle, da der Kläger nur eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens gehabt habe. Unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443; BFH/NV 2007, 1234 ), 22. November 2007 III R 54/02 (BFHE 220, 45; BFH/NV 2008, 457) und III R 60/99 (BFHE 220, 39; BFH/NV 2008,846) bestünden keine verfassungsrechtlichen Zweifel an § 62 Abs. 2 EStG.

Auch nach Art. 2 Abs. 1 d des Vorläufigen Europäischen Abkommens über soziale Sicherheit in Verbindung mit Art. 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, 507) bestehe kein Anspruch auf Kindergeld, da der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht gewesen sei und er daher vor der Anerkennung als Asylberechtigter nicht in Deutschland gewohnt habe. Der Begriff "Wohnen" sei dabei nicht mit dem Wohnsitzbegriff des deutschen Rechts identisch, sondern setze voraus, dass der Betreffende über eine eigene Wohnung verfüge. Zwar könnten auch möblierte Zimmer eine Wohnung darstellen, nicht jedoch Gemeinschaftsunterkünfte und Hotelzimmer, da sie nicht zum dauerhaften Wohnen bestimmt und geeignet seien.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeiträume vor September 2005 keinen Anspruch auf Kindergeld.

Nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 13. Dezember 2006 (BStBl I 2007,62), der gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG im vorliegenden Fall rückwirkend anzuwenden ist, erhalten nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer Kindergeld nur, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis (Abs. 2 Nr. 1) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, außer sie ist nach §§ 16, 17, 18 Abs. 2, § 23 Abs. 1 oder §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt (Abs. 2 Nr. 2a -c) bzw. unter bestimmten Voraussetzungen eine in Nummer 2c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzen (Nr. 3a und b).

Der Kläger erfüllt in dem strittigen Zeitraum keine dieser Voraussetzungen.

August 2003 bis April 2004:

Für diesen Zeitraum ist - wie die Familienkasse zutreffend ausgeführt hat - ein Kindergeldanspruch formell schon deswegen nicht gegeben, weil der Kindergeldantrag vom 31. März 2004 mit Bescheid vom 16. April 2004 bestandskräftig abgelehnt worden war und damit Kindergeld nach dem erneuten Antrag (7. März 2006) frühestens ab dem dem Ablehnungsmonat folgenden Monat bewilligt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253; BStBl II 2001, 88).

Mai 2004 bis August 2005:

Für diesen Zeitraum hatte der Kläger lediglich eine Aufenthaltsgestattung nach den §§ 55 ff. AsylVfG, die unstreitig nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG erfüllt (vgl. auch Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. 2005, § 55 AsylVfG Rz. 35). Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass die letztlich festgestellte Anerkennung als Asylberechtigter lediglich deklaratorische Bedeutung hat und die Asylberechtigung nur rechtsverbindlich feststellt, kann dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Unabhängig davon, ob die Anerkennung konstitutiv oder deklaratorisch wirkt, ist der Ausländer erst mit der Bestandskraft des Anerkennungsbescheides als Asylberechtigter zu behandeln (Renner, a.a.O. § 2 AsylVfG Rz. 6). Im Hinblick auf die Feststellung des Rechtszustandes nach Art. 16a Abs. 1 GG wirkt zwar die Anerkennung letztlich nur deklaratorisch, doch eröffnet die Anerkennung weitergehende Rechtspositionen - wie vorliegend den Kindergeldanspruch -, die dem Asylberechtigten nicht schon von Verfassungs wegen zustehen, so dass der Anerkennungsbescheid insoweit konstitutive Wirkung entfaltet (vgl. Renner, a.a.O. Rz. 13, 14).

Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bezeichnete das Asylverfahren als Verfahren, das mit gleichsam konstitutiver Wirkung die Geltendmachung einer grundgesetzlichen Gewährleistung regelt (Beschluss vom 20. April 1982 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 295). Daher hat die Familienkasse dem Kläger Kindergeld zu Recht erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Anerkennung als Asylberechtigter (September 2005) zuerkannt.

Soweit sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung beruft, hat der BFH in mehreren Urteilen die Regelung als verfassungsgemäß angesehen (vgl. Urteile vom 15. März und 22. November 2007, a.a.O.). Der Senat macht sich die entsprechende Begründung des BFH auch hinsichtlich der rückwirkenden Anwendung zu eigen. Wenn sich der Kläger insoweit darauf beruft, dass der BFH Art. 3 und 20 GG verkenne, hat er eine Begründung hierfür nicht vorgetragen, so dass sich ein Eingehen hierauf erübrigt.

Die Klage war entgegen dem Antrag des Klägers auch nicht im Hinblick auf die Beschlüsse des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1689/07 (DStRE 2008, 160) und 10 K 1690/07 (a.a.O.), mit denen dieses dem BVerfG die Frage der Vereinbarkeit des § 62 Abs. 2 EStG mit dem GG vorgelegt hat, auszusetzen. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Aussetzung eines Klageverfahrens entsprechend § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, dem FG und dem BFH zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BFH anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschluss vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418; BStBl II 1992, 408). Der Senat hält jedoch, insbesondere im Hinblick auf die angeführten wiederholten Entscheidungen des BFH zur Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG (s. oben), die Vorschrift für verfassungsgemäß und die Vorlage an das BVerfG für aussichtslos.

Hinsichtlich eines Kindergeldanspruchs nach Art. 2 Abs. 1 d des Vorläufigen Europäischen Abkommens über soziale Sicherheit in Verbindung mit Art. 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, 507) sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er insoweit der Begründung in der Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2006 folgt (§ 105 Abs. 5 FGO). Der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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