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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 9 K 3675/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 26a Abs. 2 S. 1
EStG § 33 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

9 K 3675/04

Einkommensteuer 2002 (Sprungklage)

In der Streitsache

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht,

der Richterin am Finanzgericht und

des Richters am Finanzgericht sowie

der ehrenamtlichen Richter und

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 08. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand:

Die verheiratete Klägerin wird beim Beklagten (= das Finanzamt -FA -) zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Für das Streitjahr 2002 hat sie die Durchführung einer getrennten Veranlagung nach § 26a Einkommensteuergesetz (EStG) beantragt. In ihrer ESt-Erklärung 2002 machte sie die Aufwendungen in Höhe von 105.518 EUR für die Pflege ihrer Eltern im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 EStG geltend, die der Beklagte im nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten ESt-Bescheid 2002 vom 21. Juli 2004 antragsgemäß berücksichtigte. Die zumutbare Belastung i. S. des § 33 Abs. 3 EStG ermittelte das FA mit (6 v. H. aus Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin in Höhe von 688.623 EUR + Gesamtbetrag der Einkünfte des Ehemannes der Klägerin in Höhe von 115.823 EUR = 804.446 EUR =) 48.266 EUR.

Mit der hiergegen erhobenen Sprungklage, der das FA innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zugestimmt hat, wendet sich die Klägerin gegen die Ermittlung der zumutbaren Belastung. Zur Begründung trägt sie vor, dass die vom FA vorgenommene Auslegung des § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach die außergewöhnlichen Belastungen bei getrennter Veranlagung wie im Falle der Zusammenveranlagung zu ermitteln seien, vom Wortlaut der Vorschrift nur gedeckt werde, wenn die Ehegatten keine andere Aufteilung als den jeweils hälftigen Abzug der außergewöhnlichen Belastungen beantragten.

Falls -wie im Streitfall -eine andere Aufteilung beantragt werde, seien die außergewöhnlichen Belastungen wie bei einer getrennten Veranlagung zu ermitteln. Aber selbst wenn die Auslegung des FA zutreffend und vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt sein sollte, werde sie hierdurch in verfassungswidriger Weise gegenüber unverheirateten Paaren benachteiligt, die außergewöhnliche Belastungen ohne die Zusammenrechnung der Einkünfte in wesentlich höherem Umfang abziehen könnten. Hierin lägen Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Auf den mittels Telefax am 3. November 2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 3. November 2006 wird ergänzend Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

in Änderung der angefochtenen Entscheidung die ESt 2002 auf 293.120 EUR herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Er verweist darauf, dass § 26a Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 Nr. 1 EStG dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 GG, Ehegatten nicht schlechter zu stellen als Unverheiratete, ausreichend Rechnung trage. § 26a EStG behandele die Ehegatten grundsätzlich als selbständige Steuerpflichtige und berücksichtige das Eheverhältnis nur begrenzt. Dies habe das Bundesverfassungsgericht (BverfG) als mit dem GG vereinbar angesehen. Die angegriffene Berechnung der zumutbaren Belastung sei auch sachlich gerechtfertigt, da die Ehegatten bei einer anderen Betrachtungsweise gehindert wären, eine ihrer Ansicht nach zutreffende Aufteilung vorzunehmen. Im Hinblick auf die gemeinsamen Interessen und Zweckvorstellungen innerhalb einer Ehe sei es nach dem Beschluss des BverfG vom 25. Januar 1972 1 BvL 30/69, (Bundessteuerblatt -BStBl -II 1972, 325) zulässig, wenn der Gesetzgeber die Ehegatten insoweit als eine Einheit ansehe.

Auf die Sitzungsniederschrift vom 8. November 2006 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1. Das FA hat die zumutbare Belastung der Klägerin im Rahmen des § 33 EStG zutreffend ermittelt.

Nach § 33 Abs. 1 EStG kann die ESt ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Abgezogen vom Gesamtbetrag der Einkünfte wird der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt.

a) Die zumutbare Belastung ermittelt sich bei getrennter Veranlagung gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Nach § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG werden außergewöhnliche Belastungen gleichermaßen ermittelt wie bei einer Zusammenveranlagung und anschließend -unabhängig davon, in wessen Person sie entstanden sind -grundsätzlich je zur Hälfte bei beiden Ehegatten berücksichtigt, wenn die Eheleute nicht gemeinsam eine andere Aufteilung beantragen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bezieht sich die Regelung, dass die außergewöhnlichen Belastungen wie bei einer Zusammenveranlagung zu ermitteln sind, nicht lediglich auf den Fall, dass die Ehegatten keine andere Aufteilung als die hälftige Zuordnung der außergewöhnlichen Belastungen bei jedem Ehegatten geltend machen. Für die von der Klägerin begehrte Auslegung der Vorschrift gibt deren Wortlaut keine Anhaltspunkte. Vielmehr lautet die grundsätzliche Regelung, dass die außergewöhnlichen Belastungen in Höhe des bei der Zusammenveranlagung in Betracht kommenden Betrages abzuziehen sind. Die Einschränkung im zweiten Halbsatz bezieht sich erkennbar nur auf die hälftige Zuordnung der Aufwendungen, für die die Ehegatten eine andere Aufteilung wählen können.

b) Die vorstehend dargelegte Regelung in § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Bereits im Urteil vom 24. Januar 1958 (VI 9/56 S, BStBl III 1958, 77) hat der Bundesfinanzhof (BFH) zu der im Regelungsgehalt dem § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG i. d. Fassung des Streitjahres vergleichbaren Vorschrift des § 26a Abs. 3 Satz 1 EStG 1957 entschieden, dass die gesetzliche Regelung im Rahmen des möglichen Ermessens des Gesetzgebers liegt und unter Anwendung der allgemeinen einkommensteuerlichen Grundsätze sinnvoll die besonderen Verhältnisse von zusammenlebenden Eheleuten als Verbrauchsgemeinschaft berücksichtigt. Die Aufwendungen nach § 33 EStG sind grundsätzlich Ausgaben der Lebensführung, die der Steuergesetzgeber aus besonderen Gründen zum Abzug zulässt. Da Kosten dieser Art regelmäßig von beiden Eheleuten aus der gemeinschaftlichen Kasse getragen werden und eine klare Aufteilung der Kosten im Allgemeinen ohne ein unerwünschtes Eindringen der Finanzverwaltung in die privaten Lebensverhältnisse kaum möglich wäre, ist die streitige Regelung sachlich gerechtfertigt und daher frei von Willkür (BFH-Urteil vom 28. Juni 1963 VI 39/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 429). Die Vorschrift benachteiligt auch nicht einseitig Eheleute, sondern stellt in vielen Fällen sogar eine klare Begünstigung für diese dar (BFH-Urteil in BStBl III 1958, 77). So können z.B. Aufwendungen des einen Ehegatten, die sich bei diesem steuerlich nicht auswirken, bei dem anderen Ehegatten berücksichtigt werden. Nach der Rechtsprechung des BverfG ist für Ehegatten gegenüber Ledigen eine gesetzliche Benachteiligung aber hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes -wie im Streitfall -auf Gleichbehandlung ausgeht und die Ehegatten teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt werden, die gesetzliche Regelung sich aber vorteilhaft oder zumindest "eheneutral" auswirkt und wenn die gesetzlichen Vorteile denen zugute kommen, die zu den von der Benachteiligung Betroffenen gehören (vgl. Beschluss des BverfG in BStBl II 1972, 325, 327 m.w.N.). Ebenso wenig gebietet Art. 6 Abs. 1 GG, dass Ehegatten einkommensteuerrechtlich in jeder Hinsicht wie fremde Einzelpersonen behandelt werden müssten, wenn dies günstiger sei (vgl. BFH in BStBl III 1958, 77). Letztlich soll die Behandlung von getrennt veranlagten Eheleuten für die Berechnung der außergewöhnlichen Belastungen als steuerliche Einheit auch verhindern, dass diese durch geschickte Verteilung der Aufwendungen i. S. des § 33 EStG eine höhere steuerliche Entlastung erwirken als zusammen veranlagte Ehegatten.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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