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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Beschluss verkündet am 10.06.2007
Aktenzeichen: 9 V 181/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a)
EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. aa)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

9 V 181/07

Aufhebung der Vollziehung in Sachen Einkommensteuer 2005 Solidaritätszuschlag 2005

In der Streitsache

...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung

des Vizepräsidenten des Finanzgerichts, des Richters am Finanzgericht und der Richterin am Finanzgericht

ohne mündliche Verhandlung

am 08. Mai 2007

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob die Besteuerung der vom Antragsteller bezogenen Renten nach Maßgabe der Regelung in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) aa) Einkommensteuergesetz (EStG) verfassungswidrig ist.

Der Antragsteller bezieht seit 1. August 2004 jeweils eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Im Einkommensteuerbescheid 2005 vom 7. November 2006 unterwarf der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) die Renten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) aa) EStG zu 50% der Besteuerung. Dagegen legten die Antragsteller Einspruch ein mit der Begründung, die pauschale Heraufschleusung des steuerpflichtigen Teils der Renten auf 50% durch das Alterseinkünftegesetz sei grob verfassungswidrig. Der Antragsteller sei als selbständiger Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer nicht sozialversicherungspflichtig gewesen. Er sei bei der BfA und beim WPV Wirtschaftsprüferversorgungswerk freiwillig rentenversichert und habe seine Beiträge stets aus versteuertem Einkommen geleistet, da diese den Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen um ein Vielfaches überstiegen hätten. Steuerfreie Arbeitgeberbeiträge habe er nicht erhalten. Die hälftige Besteuerung der Rentenbezüge stelle daher eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung dar.

Das FA hat über den Einspruch noch nicht entschieden. Den beim FA gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte dieses ab. Mit dem bei Gericht gestellten Antrag auf AdV tragen die Antragsteller vor, die Fülle paralleler Rechtsbehelfsverfahren und die Kritik von Rechtsprechung und Lehre zur Verfassungswidrigkeit des Alterseinkünftegesetzes, soweit es - wie im vorliegenden Verfahren - zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung führe, rechtfertigten unter objektiven Kriterien ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Die Besteuerung der Rentenbezüge sei in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) bb) EStG mit einem Anteil von 18% vorzunehmen. Dadurch verringere sich das zu versteuernde Einkommen auf 22.433 EUR. Die AdV werde in Höhe der vom FA im Schreiben vom 22. Dezember 2006 eingeforderten Beträge beantragt.

Die Antragsteller beantragen,

die Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2005 vom 7. November 2006 in Höhe von 766 EUR Einkommensteuer und 38,56 EUR Solidaritätszuschlag,

hilfsweise

die Zulassung der Beschwerde zum Bundesfinanzhof.

Das FA beantragt

die Ablehnung des Antrags.

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Der Antrag ist unbegründet. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 und Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids bestehen nach Aktenlage nicht.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache, wenn der Verwaltungsakt schon vollzogen ist ( § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO), wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BStBl II 2003, 663, m.w.N.). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60, BStBl I 1961, 63; BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BStBl II 2004, 367 m.w.N.). Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zur Folge, dass das Fachgericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 24. Juni 1992 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, 389; BFH in BStBl II 2004, 367 m.w.N.).

2. Im Streitfall kann offen bleiben, ob der Gesetzgeber mit der Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) aa) EStG das vom BVerfG im Urteil vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BStBl II 2002, 618 ) angeordnete Gebot, die Rentenbesteuerung so auszugestalten, dass Rentenzahlungen nicht erneut der Besteuerung unterworfen werden, soweit sie auf Beitragszahlungen beruhen, die aus versteuertem Einkommen erbracht worden sind, zutreffend interpretiert hat (vgl. BFH-Beschluss vom 1. Februar 2006 X B 166/05, BStBl II 2006, 420/427). Denn die Antragsteller beschränken sich auf die pauschale Behauptung, die Verfassungswidrigkeit der durch das Alterseinkünftegesetz eingeführten neuen Rentenbesteuerung sei deshalb evident, weil der Antragsteller als Selbständiger die in der Vergangenheit freiwillig geleisteten Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung und in die berufsständische Versorgungseinrichtung stets aus versteuertem Einkommen entrichtet habe, da er keine steuerfreien Arbeitgeberbeiträge zugewiesen erhalten habe und die geleisteten Beiträge den Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen Jahr für Jahr um eine Vielfaches überstiegen hätten. Nachvollziehbare Berechnungen, aus denen sich der Umfang der Zweifachbesteuerung erkennen lässt, legen sie jedoch nicht vor. Es ist weder bekannt, wie lange und in welcher Höhe der Antragsteller in die gesetzliche Rentenversicherung bzw. in die berufsständische Versorgungseinrichtung freiwillig Beiträge einbezahlt hat, noch in welchem Umfang er für diese Beiträge den Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen in Anspruch genommen hat, so dass das Ausmaß, in welchen Umfang die Rentenbezüge des Antragstellers auf bereits besteuerten Rentenbeiträgen beruhen und damit einen erfolgsneutralen Vermögenstausch darstellen (zum Prinzip der Nichtsteuerbarkeit von Vermögensumschichtungen vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1999 X R 132/95, BStBl II 2000, 82 m.w.N.), überhaupt nicht abgeschätzt werden kann (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 21. Dezember 2004 2 BvR 2197/04, BFH/NV 2005, Beilage 2, 110). Auch tragen die Antragsteller nicht vor, warum für die Besteuerung der streitgegenständlichen Renten nicht die nur auf Antrag anzuwendende Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) bb) Satz 2 EStG, die eingefügt wurde, um eine Zweifachbesteuerung in außergewöhnlichen Fällen zu vermeiden, angewendet werden kann. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) aa) EStG vollumfänglich verfassungswidrig ist, sondern - wenn man davon ausgeht, dass die dem Gesetzgeber vom BVerfG eingeräumte Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung dort ihre Grenzen hat, wo es zu einer doppelten Besteuerung kommt (vgl. BVerfG in BStBl II 2002, 618 /640 unter D II.) -nur partiell, wäre es Sache der Antragsteller gewesen, den Umfang ihrer doppelten Besteuerung zu benennen und glaubhaft zu machen, denn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil ein Steuerpflichtiger die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet (BVerfG in BStBl I 1961, 63).

3. Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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