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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 03.07.2007
Aktenzeichen: 1 K 2766/04 F
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 3
EStG § 16 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

1 K 2766/04 F

Tenor:

Der geänderte Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1996 vom 20.12.2002 und die Einspruchsentscheidung vom 30.04.2004 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Gründe:

Streitig ist, ob ein Feststellungsbescheid nach § 174 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

Die Kläger (Kl.) sind die alleinigen Gesellschafter der M Beteiligungs GmbH & Co GbR (GbR). An der GbR sind die Kl. zu 1. und 2. mit je 25,5 %, der Kl. zu 3. mit 49 % beteiligt. Die Firma M Beteiligungs GmbH (GmbH) ist an der GbR kapitalmäßig nicht beteiligt.

Die GbR ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße 103 in 00000 S. Dieses Grundstück war seit langem an die Fa. IM GmbH (Betriebs - GmbH) vermietet.

Es bestand insoweit eine Betriebsaufspaltung.

Die Anteile an der Betriebs - GmbH wurden mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 18.01.1996 in die Fa. XYZ GmbH & Co KG eingebracht. Dadurch entfielen die Voraussetzungen der bisherigen Betriebsaufspaltung.

Das Mietverhältnis für das Grundstück A-Straße 103 besteht jedoch bis heute unverändert fort.

In der Steuererklärung für das Streitjahr 1996 erklärte die GbR weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb, da nach der damaligen Rechtsprechung die GmbH & Co GbR eine gewerbliche Prägung der Einkünfte i.S.d. § 15 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) bewirkte.

Das beklagte Finanzamt führte die einheitliche und gesonderte Feststellung für das Streitjahr 1996 zunächst erklärungsgemäß durch.

Der Feststellungsbescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO .

In der Folgezeit fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Großbetriebsprüfung I statt. Auf Grund der Betriebsprüfung erging ein nach § 164 Abs. 2 AO geänderter Feststellungsbescheid in dem die der Höhe nach geänderten Einkünfte aus Gewerbebetrieb den einzelnen Beteiligten weiterhin entsprechend ihrer Beteiligungsquote als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet wurden.

Den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Bekl. auf.

In der Feststellungserklärung für das Kalenderjahr 1999 erklärte die GbR erstmals Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (V+V) für das Objekt A-Straße 103 in S. Dieser rechtlichen Beurteilung schloss sich der Bekl. an.

Auf Grund der Feststellungserklärung 1999 änderte er mit Feststellungsbescheid vom 20.12.2002 jedoch nochmals die Besteuerungsgrundlagen der GbR für 1996.

In dem nach § 174 Abs. 3 AO geänderten Bescheid erhöhte der Bekl. den Gewinn aus Gewerbebetrieb um die im Grundstück A-Straße 103 enthaltenen stillen Reserven. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb betrugen danach 1.372.100 DM und wurden den Beteiligten wie folgt zugerechnet:

LM, Kläger zu 1. 349.885,50 DM

JM, Klägerin zu 2. 349.885,50 DM

KM, Kläger zu 3. 672.329,00 DM.

Die bisherigen laufenden Einkünfte qualifizierte der Bekl. in solche aus V+V um.

Er begründete die Änderungen mit der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Danach könne auf Grund des Urteils vom 27.09.1999 - II ZR 371/98 - die Haftung der Gesellschafter einer GbR für die im Namen der Gesellschaft begründeten Verpflichtungen nur durch individualrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen werden, mit der letztendlichen Folge, dass nach Verwaltungsauffassung im vorliegenden Sachverhalt keine gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG mehr vorliege. Die stillen Reserven aus der "Entnahme" des Grundstücks seien zu versteuern, sofern nicht von einer Vertrauensschutzregelung Gebrauch gemacht werde. Auf die Anwendung dieser Vertrauensschutzregelung hätten die Kl. im Rahmen der Feststellungserklärung 1999 ausdrücklich verzichtet, da sie von einer unbesteuerten Entstrickung der stillen Reserven wegen Bestandskraft der Feststellungsbescheide 1995 und 1996 ausgegangen seien.

Gegen den geänderten Feststellungsbescheid legten die Kl. am 07.01.2003 Einspruch ein. Zur Begründung führten sie zunächst aus, der Feststellungsbescheid 1996 sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, da eine Einzelbekanntgabe erfolgt sei.

Eine Änderung gem. § 174 Abs. 3 AO sei überdies nicht möglich, da eine bestandskräftige Feststellung erfolgt sei und die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift nicht vorlägen. Die Änderung der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung stelle keinen Sachverhalt dar, der bislang steuerlich unberücksichtigt geblieben sei. Es bestehe außerdem ein zusätzlicher Vertrauensschutz gem. § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO.

Der Bekl. wies den Einspruch der Kl. mit Einspruchsentscheidung vom 30.04.2004 als unbegründet zurück. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.

Mit der am 25.05.2004 erhobenen Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter.

Sie vertreten weiterhin die Auffassung, die Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 AO lägen nicht vor. Voraussetzung für eine Änderung sei, dass ein bestimmter Sachverhalt in einer Veranlagung nicht berücksichtigt worden sei. Vorliegend sei ein Sachverhalt durch die Finanzbehörde lediglich rechtlich falsch beurteilt worden. Bereits deswegen sei § 174 Abs. 3 AO nicht anwendbar.

Die Nichtberücksichtigung müsse darüber hinaus in der Annahme geschehen sein, dass dieser Sachverhalt in einer anderen Festsetzung zu berücksichtigen sei. Hierfür reiche nicht aus, dass die stillen Reserven des Betriebsgrundstücks irgendwann einmal versteuert werden müssten, nämlich, wenn der Grundbesitz verkauft oder entnommen werde oder die Gesellschafter die Gesellschaft auflösten. Es sei vielmehr notwendig, dass der Veranlagungsbeamte konkret die Vorstellung habe, dass dieser Sachverhalt in einer anderen Steuerfestsetzung berücksichtigt werden müsse. Wegen der Klagebegründung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 08. Juni 2004 Bezug genommen.

Die Kl. beantragen,

den geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1996 vom 20.12.2002 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30.04.2004 ersatzlos aufzuheben, für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen und für den Fall des Unterliegens die Revision

zuzulassen.

Die Klage ist begründet.

Der geänderte Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 1996 vom 20.12.2002 sowie die Einspruchsentscheidung (EE) vom 30.04.2004 sind rechtswidrig.

Der Bekl. war nicht berechtigt, den auf Grund der Feststellungen der Groß-Betriebsprüfung (GroßBP) nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Feststellungsbescheid vom 23.03.2000 erneut zu ändern.

Der Bekl. beruft sich für die geänderte Steuerfestsetzung zwar auf das BMF-Schreiben vom 28.08.2001 (Az: IV A 6 - S 2240 - 49/01, BStBl. I 2001, 614). Entgegen der dort vertretenen Auffassung liegen jedoch nach Beurteilung durch den Senat die Tatbestandsvoraussetzungen von § 174 Abs. 3 AO nicht vor (vgl. z.B. von Gronau/Konold, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2001, 1926 f.; Ellesser/Lahme, Der Betrieb - DB - 2001, 2419, 2420 ff.; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 2002, 66, 67 f.; Tiepke/Szczesney, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2002, 3733, 3735 f.; von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 174 AO 1977, Rz. 71). Der BFH hat sich - soweit ersichtlich - mit der hier zu beurteilenden Streitfrage noch nicht befasst.

Satz 1 der vorbezeichneten Änderungsvorschrift eröffnet der Finanzbehörde eine Korrekturmöglichkeit, wenn ein "bestimmter Sachverhalt" erkennbar in der Annahme in einem Steuerbescheid nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei. Stellt sich diese Annahme nachträglich als unrichtig heraus, kann die Steuerfestsetzung, bei der die Beurteilung des Sachverhalts unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden.

Ein bestimmter Sachverhalt, der in dem Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung vom 23.03.2000 erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, liegt im Streitfall indes nicht vor.

Bestimmter Sachverhalt im vorgenannten Sinne kann vorliegend allein die mit Vertrag vom 18.01.1996 erfolgte Einbringung der bisherigen Betriebs-GmbH in die Firma XYZ sein. Durch diese Übertragung ist der bis dahin vorliegende Tatbestand der Betriebsaufspaltung, dies ist zwischen den Parteien unstreitig, durch Wegfall sowohl der personellen als auch der sachlichen Verflechtung mit der Folge entfallen, dass eine Betriebsaufgabe ( § 16 Abs. 3 EStG) des Besitzunternehmens mit voller Gewinnrealisierung im Betriebsvermögen anzunehmen gewesen wäre, sofern nicht die Klin. den Tatbestand einer gewerblich geprägten Personengesellschaft erfüllt hätte ( vgl. hierzu Schmidt/Wacker EStG 26. Aufl., § 15 RdZiff. 865 m.w.N. ).

Hiervon ist der Bekl. auch noch nach Durchführung der Betriebsprüfung bei der Klin. ausgegangen, und hat dementsprechend von der Ermittlung eines Aufgabegewinns abgesehen und statt dessen die laufenden Einkünfte der Klin. weiterhin als Einkünfte aus Gewerbebetrieb beurteilt.

Damit steht aber fest, dass ein bestimmter Lebenssachverhalt nicht unberücksichtigt geblieben ist, sondern lediglich steuerliche Folgen an den bestimmten Sachverhalt geknüpft wurden, nämlich dass durch die Einbringung der vormaligen Betriebs - GmbH in die Fa. XYZ die stillen Reserven der Klin. als Besitzuntzernehmen nicht aufgedeckt würden, sondern steuerverstrickt blieben. Diesen Sachverhalt hat der Bekl. nach dem BGH-Urteil vom 27.09.1999 (Az. II ZR 371/98, BGHZ 142, 315-323) damals insoweit rechtlich falsch beurteilt, dass die Klin. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist.

Wenn dies aber so ist, greift § 174 Abs. 3 AO nicht ein. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl der Finanzgerichte als auch des BFH eröffnet eine falsche Beurteilung eines berücksichtigten Sachverhaltes nicht den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 3 AO (vgl. Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.04.2000, 1 K 75/99, EFG 2001, 335; FG Nürnberg, Urteil vom 26.06.1990, II 193/86, EFG 1990, 555; BFH, Urteil vom 03.09.1997, IV B 166/96, BFH/NV 1998, 148, 150).

Im Streitfall konnte sich ferner die von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO geforderte Annahme, dass ein bestimmter Sachverhalt - im Streitfall die Einbringung der bisherigen Betriebsgesellschaft in die Firma XYZ - in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, nicht als unrichtig herausstellen. Eine Gewinnrealisierung durch Wegfall der bisherigen Betriebsaufspaltung wäre in jedem Fall im Streitjahr 1996 steuerlich zu erfassen gewesen. Auf Grund der damaligen steuerlichen Beurteilung der Klin. als gewerblich geprägte Personengesellschaft wäre eine spätere Realisierung von im Betriebsvermögen noch vorhandenen stillen Reserven zwingend auf Grund eines anderen Lebenssachverhaltes als der im Streitjahr 2006 erfolgten Einbringung der Besitzgesellschaft erfolgt.

Damit ist aber die Besteuerung verschiedener Sachverhalte betroffen (vgl. von Gronau/Konold, DStR 2001, 1927 ; Ellesser/Lahme, DB 2001, 2419 /2421; Paus, DStZ 2002, 66/67), während § 174 Abs. 3 Satz 1 AO nur die Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts regelt (vgl. Frotscher in Schwarz, AO, § 174 RdNr. 51 ff).

Der Senat braucht danach nicht abschließend zu entscheiden, ob der angefochtene Änderungsbescheid außerdem den Vertrauensschutzgrundsatz des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO verletzt, weil der Bekl. auf Grund des Urteils des BGH vom 27. Sept. 1999 entgegen der bisherigen Verwaltungsauffassung nunmehr davon ausgeht, dass eine GbR auch bei Beteiligung einer Kapitalgesellschaft keine gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO), die Abwendungsbefugnis des Bekl. er gibt sich aus § 155 FGO i.V.m. § 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Ende der Entscheidung

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