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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 03.11.2004
Aktenzeichen: 10 K 3345/03 L
Rechtsgebiete: EStG, Buch SGB IV


Vorschriften:

Buch SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 3 Nr. 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 03.11.2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...

Richter am Finanzgericht ...

Richter am Finanzgericht ...

Ehrenamtlicher Richter ...

Ehrenamtliche Richterin ...

im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Gründe

Streitig ist für die Frage der Steuerfreiheit des Arbeitsentgelts aus einer geringfügigen Beschäftigung nach § 3 Nr. 39 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.03.1999, BGBl. I S. 388 (EStG), ob auch tarifvertraglich geschuldetes, tatsächlich aber vom Arbeitgeber nicht gezahltes und vom Arbeitnehmer nicht gefordertes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin beschäftigte neben weiteren Arbeitnehmern im Jahre 1999 neun, im Jahr 2000 sieben und im Zeitraum 1.1. bis 31.3.2001 fünf Aushilfen, für die Bescheinigungen zur Steuerfreistellung des Arbeitslohnes für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse vorlagen. Die Aushilfskräfte erhielten jeweils das vereinbarte Monatsentgelt von 630,00 DM ausgezahlt, für das die Klägerin Beiträge nach § 168 Abs. 1 Nr. 1b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtete.

Für die Klägerin und deren Arbeitnehmer galt in den Streitjahren 1999 bis 2001 der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Elektrohandwerke Nordrhein-Westfalen (Tarifvertrag). Danach erhielt jeder Arbeitnehmer eine Urlaubsvergütung, die sich aus 100 % des für den Urlaub fortzuzahlenden regelmäßigen Arbeitsentgeltes und einem zusätzlichen Urlaubsgeld in Höhe von 50 % des für den Urlaub fortzuzahlenden regelmäßigen Arbeitsentgelts zusammensetzte (§ 9 Abs. 2 Tarifvertrag). Das Urlaubsentgelt und das zusätzliche Urlaubsgeld waren auf Wunsch des Arbeitnehmers vor Antritt des Urlaubs zu zahlen, sofern der Urlaub mindestens 2 Wochen umfasste (§ 9 Abs. 3 Tarifvertrag). Diese Regelung galt auch für Teilzeitbeschäftigte (§ 9 Abs. 4 Tarifvertrag).

Dieses Urlaubsgeld nach § 9 Tarifvertrag wurde weder den Aushilfen gezahlt noch von ihnen eingefordert.

Nach einer Lohnsteueraußenprüfung für den Zeitraum 1.4.1998 bis 31.3.2001 vertrat der Prüfer die Auffassung, das den Aushilfen tarifrechtlich zustehende Urlaubsgeld sei, auch wenn keine Auszahlung erfolgt sei, auf jeden Beschäftigungsmonat des Kalenderjahres zu verteilen. Bei zusätzlicher Berücksichtigung dieses Urlaubsgeldes seien die Entgeltgrenzen des § 3 Nr. 39 EStG überschritten. Insoweit seien die ab dem 1.4.1999 gezahlten Arbeitsentgelte der Aushilfen in Höhe von insgesamt 40.320,00 DM in 1999, 44.730,00 DM in 2000 und 8.190,00 DM für den 1.1. bis 31.3.2001 pauschal zu versteuern.

Mit Nachforderungsbescheid vom 11.6.2001 nahm der Beklagte die Klägerin gem. §§ 40, 40a, 40b EStG für 18.648,00 DM Lohnsteuern, 1.025,64 DM Solidaritätszuschläge, 848,48 DM evangelische Kirchensteuern und 456,88 DM römisch-katholische Kirchensteuern in Anspruch.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit der Begründung zurück, eine geringfügige Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei nicht gegeben, da bei Einbeziehung des tarifvertraglich geschuldeten Urlaubsgeldes die Geringfügigkeitsgrenze von 630,00 DM überschritten sei. Nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes vom 26.10.1982 12 RK 8/91, BSGE 54/136 und vom 30.8.1994 12 RK 59/92, BSGE 75/61 seien Beiträge zur Sozialversicherung für geschuldetes, bei Fälligkeit aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt auch dann zu entrichten, wenn der Anspruch auf Arbeitsentgelt wegen einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist erloschen sei und deshalb der entsprechende Arbeitslohn vom Arbeitnehmer rechtswirksam nicht mehr verlangt werden könne.

Mit der Klage vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, die Arbeitentgelte der Aushilfen seien nach § 3 Nr. 39 EStG steuerfrei.

Bei Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buch SGB IV sei es bereits unschädlich, wenn die wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden oder der Monatslohn von 630,00 DM ausnahmsweise überschritten werde. Dies ergebe sich aus dem Begriff "regelmäßig", der damit auch für die Lohnsteuer gelte.

Außerdem lägen die Voraussetzungen für eine an die sozialrechtliche Beurteilung anknüpfende steuerliche Behandlung nicht vor. Die sozialversicherungsrechtliche Pauschalierung sei in ihrem Falle von den zuständigen Stellen bislang nicht beanstandet worden. Es entspreche auch nicht der gängigen Prüfungspraxis der Sozialversicherungen, im Bereich der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse "künstliche" beitragsrechtliche Besonderheiten zu fiskalischen "Fallen" aufzubauen, in dem bei ansonsten identischer Entlohnung ungeachtet der willentlichen Vertragsgestaltung im Bereich eines Manteltarifvertrages andere Abgabenlasten als ohne Manteltarifvertrag entstehen.

Zudem habe die ab 1.4.1999 geltende Begrenzung des monatlichen Arbeitsentgeltes auf einheitliche 630,00 DM gegenüber der vorher geltenden Regelung eine Vereinfachung darstellen sollen. Es entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers, nicht realisierte Gehaltsansprüche in das regelmäßige Arbeitsentgelt einzubeziehen. Nicht zuletzt deshalb habe der Gesetzgeber diese offenkundige Ungerechtigkeit ab 2003 durch explizite Aufgabe des Entstehungsprinzips für den Bereich der geringfügigen Beschäftigungen gelöst.

Schließlich seien die hier streitigen Aushilfslohnverhältnisse dahingehend auszulegen, dass in den monatlich gezahlten Vergütungen nach dem Willen der Parteien eventuell noch zustehende Sondervergütungen wie das Urlaubsgeld bereits enthalten seien.

Die Klägerin beantragt,

die Nachforderungen für 1999 und 2001 in voller Höhe aufzuheben sowie die Nachforderung für 2000 der Gestalt zu abzuändern, dass die gesamte Nachforderung um einen Teilbetrag von 10.064,25 DM, entsprechend 5.145,77 EUR, herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs.1 Nr. 1 Buch SGB IV liege nicht vor.

Das laut Tarifvertrag geschuldete, nicht zur Auszahlung gelangte Urlaubsgeld gehöre mit der Folge zum beitragspflichtigen Entgelt, dass die Geringfügigkeitsgrenze von 630,00 DM überschritten sei. Die jährliche Sonderzahlung sei bei der Berechnung des "regelmäßig im Monat" im Sinne von § 8 Abs. 1 Buch SGB IV erzielten Arbeitsentgelts auf die einzelnen Monate des Jahres zu verteilen. Insoweit liege jeden Monat eine Überschreitung des Monatslohns von 630,00 DM vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Steuerakten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Die Klage ist begründet.

Der Nachforderungsbescheid vom 11.06.2001 ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Eine Pauschalierung der Lohnsteuer gemäß §§ 40, 40a, 40b EStG war nicht vorzunehmen, da die Arbeitsentgelte der Aushilfskräfte nach § 3 Nr. 39 EStG steuerfrei waren.

Nach dieser Vorschrift ist steuerfrei das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buch SGB IV, für das der Arbeitgeber Beiträge nach § 168 Abs. 1 Nr. 1b (geringfügig versicherungspflichtig Beschäftigte) oder nach § 172 Abs. 3 (versicherungsfrei geringfügig Beschäftigte) SGB VI zu entrichten hat, wenn die Summe der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers nicht positiv ist.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat 630,00 DM nicht übersteigt.

Im Streitfall überschreiten die allein streitigen Monatsentgelte der Aushilfen nicht die Entgeltgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buch SGB IV.

Der Senat verkennt nicht, dass nach der Sozialgerichtsrechtsprechung (vgl. z.B. Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein Westfalen vom 28.1.2003 L 5 KR 191/01, L 5 KR 197/01 und L 5 KR 73/02, jeweils juris, m.w.N.) die Entstehung von Beitragsansprüchen im Bereich der Sozialversicherung sich nicht nach dem vereinbarten und tatsächlich zugeflossenen, sondern dem auf Grund einschlägigen Tarifrechts geschuldeten Arbeitsentgelt der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer richtet. Danach ist es für die Entstehung von sozialversicherungsrechtlichen Beitragsansprüchen ausreichend, dass zum Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge ein Entgeltanspruch bestand (sog. Entstehungsprinzip, vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.8.1994, a.a.O.). Das sozialversicherungsrechtlich geschuldete Entgelt kann insoweit auch aus tarifvertraglich geschuldeten, tatsächlich aber nicht gezahlten und nicht mehr einforderbaren Arbeitsentgelt bestehen.

Der Senat kann aber im Streitfall dahinstehen lassen, ob diese Rechtsprechung ohne weiteres auf das Steuerrecht, in dem für den Bereich der Überschusseinkünfte regelmäßig das Zuflussprinzip nach § 11 EStG gilt, übertragen werden kann.

Denn selbst wenn der Senat den tariflichen Anspruch auf Urlaubsgeld in Höhe von jährlich jeweils 315,00 DM (1/2 des monatlichen Arbeitsentgelts) dem tatsächlichen Entgelt hinzurechnet, wird der Monatslohn von 630,00 DM noch nicht "regelmäßig" überschritten.

Wie bei § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist es nämlich unschädlich, wenn der Monatslohn von 630 DM ausnahmsweise geringfügig und einmalig überschritten wird.

Schädlich sind insoweit erst erhebliche und dauerhafte Überschreitungen, die -ohne dass es hierfür starre Grenzen gibt- beispielsweise bei einmalig 1.000,00 EUR oder regelmäßig monatlich 350,00 EUR liegen können (vgl. Schmidt/Heinike EStG, 23. Auflage, § 3 ABC "geringfügige Beschäftigung" b (1)).

Durch eine -wie hier bei Einbeziehung des tariflichen Urlaubsgeldes- jährlich einmalige Sondervergütung von 315,00 DM liegt nach Auffassung des Senats noch keine schädliche Überschreitung der Monatslohngrenze vor.

Bei dem Urlaubsgeld handelt es sich zum einen nicht um einen der Höhe nach erheblichen Betrag. Zum anderen wird hierdurch der maßgebliche Monatslohn nicht dauerhaft, sondern nur einmal im Jahr während des Urlaubsmonats überschritten. Das Urlaubsgeld ist nämlich nach der tariflichen Regelung nicht - wie der Beklagte meint - anteilig auf jeden einzelnen Monat des Jahres zu verteilen, sondern in einer Summe im Urlaubsmonat zu zahlen. Dies ergibt sich eindeutig aus § 9 Abs. 3 des Tarifvertrages.

Da die Arbeitsentgelte der Aushilfen steuerfrei waren, war der angegriffene Nachforderungsbescheid im vollen Umfang aufzuheben. Auch der laut Klageantrag für das Jahr 2000 herabzusetzende "Teilbetrag" entspricht im Ergebnis der insgesamt für dieses Jahr festgesetzten Nachforderung in Höhe von insgesamt 10.064,25 DM.

Die Kostenentscheidung folgt aus 135 Abs.1 FGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.08.2004, BGBl I 2004, 2198.

Ende der Entscheidung

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