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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: 10 K 4881/07 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
EStG § 70 Abs. 2
EStG § 70 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

10 K 4881/07 Kg

Tenor:

Der Bescheid vom 16.10.2007 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes für die Monate Januar bis Oktober 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.10.2007 wurde zur Kindergeldfestsetzung und Rückforderung für die Monate Januar bis August 2006 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht ab Januar 2006 die Kindergeldfestsetzung für das Kind T..... aufgehoben und das für die Monate Januar bis Oktober 2006 gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.540 EUR zurückgefordert hat.

Der Kläger erhielt für seine Tochter T....., geb. am 22.12.1981, fortlaufend Kindergeld bis einschließlich Oktober 2006.

Die Tochter hatte am 27.1.2004 ihre Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation abgeschlossen. Seit August 2005 besuchte die Tochter das Weiterbildungskolleg X..... Abendgymnasium zunächst als Vollzeitunterricht und in der Folgezeit als Teilzeitunterricht mit wöchentlich 20 Unterrichtsstunden.

In der Zeit von Februar bis September 2006 erhielt die Tochter Arbeitslosengeld II i.H.v. 4.748,10 EUR. Seit dem 15.8.2006 geht die Tochter einer Vollzeitbeschäftigung nach. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 22.2.2007 erzielte die Tochter daraus einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 6.742 EUR.

Unter Ansatz einer Kostenpauschale von 180 EUR, der Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge mit pauschal 20 % und des Arbeitnehmerpauschbetrags i.H.v. 920 EUR ermittelte die Beklagte Einkünfte und Bezüge der Tochter für das Jahr 2006 i.H.v. 9.041,70 EUR.

Wegen Überschreitung des Grenzbetrages des § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) hob die Beklagte mit Bescheid vom 16.10.2007 die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter T..... ab Januar 2006 auf und forderte die Erstattung des für Januar bis Oktober 2006 gezahlten Kindergeldes i.H.v. insgesamt 1.540 EUR.

Den dagegen erhobenen Einspruch des Klägers wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26.10.2007 als unbegründet zurück.

Mit der dagegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor, bis einschließlich August 2006 bestehe ein Anspruch auf Kindergeld. Erst zu diesem Zeitpunkt habe die Tochter eine Vollzeiterwerbstätigkeit angetreten. Für die Berechnung, ob die Einkunftsgrenze der Tochter gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten sei, sei zwischen dem Zeitraum von Januar bis August 2006, in dem die Tochter arbeitslos gewesen sei, und der Zeit der Vollzeiterwerbstätigkeit zu trennen. Für den Zeitraum von Januar bis August 2006 hätten die Leistungen des Arbeitslosengeldes II den Grenzbetrag nicht überschritten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 16.10.2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.10.2007 dahin zu ändern, dass die Kindergeldfestsetzung erst ab September 2006 aufgehoben und nur das für die Monate September und Oktober gezahlte Kindergeld zurückgefordert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, für die Prüfung, ob die Einkunftsgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten sei, sei auf die Gesamtbezüge des Kindes im Kalenderjahr 2006 abzustellen, da die Tochter während des gesamten Kalenderjahres die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG erfüllt habe. Diese Beurteilung entspreche auch der Entscheidung des BFH vom 16.11.2006, III R 15/06, BStBl. II 2008, 56. Durch diese Entscheidung sei klargestellt worden, dass entgegen der früheren Auffassung die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht als Kürzungsmonate zu berücksichtigen seien.

II.

Die Klage ist hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung und der Rückforderung für die Monate Januar bis August 2006 begründet. Das ursprüngliche auch auf die Monate September und Oktober 2006 gerichtete Klagebegehren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.7.2008 insoweit eingeschränkt.

Die Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeldes zu Unrecht für die Monate Januar bis August 2006 aufgehoben und das für diese Monate gezahlte Kindergeld zurückgefordert.

1. Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergeldes gem. § 70 Abs. 2 EStG mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern. Nach § 70 Abs. 4 EStG ist die Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Im Streitfall ist der Beklagten als Veränderung der Verhältnisse nachträglich nach Bewilligung und Leistung des Kindergeldes zum einen die Aufnahme eines Vollzeiterwerbs der Tochter und zum anderen die Höhe ihrer erzielten Einkünfte und Bezüge im Jahre 2006 bekannt geworden.

2. Mit der Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit der Tochter ab dem 15.8.2006 sind die Voraussetzungen für eine Kindergeldgewährung nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG ab dem Monat September 2006 entfallen. Durch die Vollzeiterwerbstätigkeit ist die dem § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG zugrunde liegende Unterhaltssituation entfallen und überschreiten die Einkünfte und Bezüge der Tochter in den Monaten ab September 2006 den anteiligen Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 EStG.

3. In den Monaten Januar bis August 2006 liegen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG vor und der anteilige Grenzbetrag ist nicht überschritten. Die Zeit der Vollerwerbstätigkeit und die daraus erzielten Einkünfte sind in die Grenzbetragsberechnung nicht einzubeziehen.

Nach den für den Streitzeitraum geltenden gesetzlichen Regelungen wird ein volljähriges und über 21 Jahre altes Kind bei der Kindergeldgewährung u.a. berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und für den Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG) sowie die Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr betragen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Liegen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG nur in einem Teil des Kalenderjahres vor, sind die Einkünfte und Bezüge nur anteilig zu berücksichtigen (§ 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG).

Im Streitfall war die Tochter des Klägers in den Monaten Januar bis August 2006 arbeitslos und besuchte in Form von Vollzeitunterricht das Weiterbildungskolleg X..... Abendgymnasium um einen höheren Schulabschluss und damit die Möglichkeit einer höheren beruflichen Qualifikation zu erlangen. Sie befand sich damit in diesen Monaten im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG in einer Berufsausbildung. Mit der Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit endete dieser Kindergeldberechtigungstatbestand, obgleich die Tochter die Ausbildung in Form des Teilzeitunterrichts fortführte.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist, auch wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG - wie im Streitfall - vorliegen, d.h. in allen Monaten tatsächlich z.B. eine Ausbildung stattfindet, ein Kind in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht als Kind i.S.d. Kindergeldrechts zu berücksichtigen. Die Zeit der Vollzeiterwerbstätigkeit wird insoweit nicht als Ausbildungszeit im kindergeldrechtlichen Sinn des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG angesehen. Der Grund liegt darin, dass es in den Zeiten des Vollzeiterwerbs an einer verminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern durch eine Unterhaltssituation des Kindes fehlt (BFH v. 15.9.2005, III R 67/04, BStBl. II 2006, 305). Dementsprechend sind bei der Ermittlung, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes überschritten ist, die Einkünfte der Vollzeiterwerbstätigkeit für die übrige Zeit des Kalenderjahres, in dem die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG vorliegen, auszuscheiden (BFH a.a.O.).

An diesen Grundsätzen hat der BFH in seiner Entscheidung vom 16.11.2006, III R 15/06, BStBl. II 2008, 56 festgehalten, wie er in der Entscheidung ausdrücklich feststellt. Er hat seine bisherige Rechtsprechung allerdings unter dem Blickwinkel, dass das Kindergeld der Unterhaltssituation der Eltern und ihrer dadurch geminderten Leistungsfähigkeit Rechnung tragen soll, fortentwickelt. Er hat die bisherige Rechtsprechung zur Auswirkung einer Vollzeiterwerbstätigkeit des Kindes dahin ergänzt, dass ausnahmsweise die Vollzeiterwerbstätigkeit den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG dann nicht entfallen läßt, wenn unter Einbeziehung der Einkünfte aus dem Vollzeiterwerb der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wird, weil in einer solchen Situation die Unterhaltssituation und die dadurch geminderte Leistungsfähigkeit der Eltern fortbesteht.

Die Konsequenz dieser Rechtsprechungsentwicklung ist, dass weiterhin ein Kindergeldanspruch für die Monate des Vollzeiterwerbs entfällt, wenn die Einkünfte aus dieser Vollzeiterwerbstätigkeit den ggfls. anteiligen Jahresgrenzbetrag übersteigen. Für die Zeit, in der keine Vollzeiterwerbstätigkeit vorliegt, sind für die Prüfung, ob der Grenzbetrag überschritten ist, die Einkünfte aus dem Vollzeiterwerb auszuscheiden.

Wird ausnahmesweise einschließlich der Vollzeiterwerbseinkünfte der Jahresgrenzbetrag unterschritten, besteht auch für die Zeit der Vollzeiterwerbstätigkeit ein Kindergeldanspruch (Grube, [...]Praxisreport Steuerrecht 12/2007 Anm. 5).

Entsprechend diesen Grundsätzen der fortentwickelten Rechtsprechung, denen sich der Senat anschließt, liegt in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG nicht vor und sind diese Monate keine Ausbildungsmonate, da es wegen der über dem anteiligen Grenzbertrag liegenden Einkünfte des Kindes an der typischen Unterhaltssituation für die Eltern fehlt. Die anrechenbaren Einkünfte von 3.553,60 EUR (6.742,- EUR brutto abzüglich 20% Sozialabgaben und Werbungskostenpauschbetrag von 920,-EUR) liegen über dem anteiligen Grenzbetrag von 2.560,- EUR.

Der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG ist daher nur für die Monate Januar bis August 2006 erfüllt. Der auf diese Monate entfallende anteilige Grenzbetrag von 5.120,- EUR (7.680,-EUR x 8/12) wird durch das von der Tochter bezogene Arbeitslosengeld II i.H.v. 4.748,10 EUR nicht überschritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da die Familienkassen die Entscheidung des BFH vom 16.11.2006, III R 15/06 dahin auslegen, dass die Einkünfte aus einer zeitweiligen Vollzeiterwerbstätigkeit stets in die Ermittlung des Jahresgrenzbetrages einzubeziehen sind, wenn auch in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit eine Situation i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG wie eine ganzjährige Ausbildung vorliegt.



Ende der Entscheidung

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