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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: 11 K 1162/05 AO
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 37 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

11 K 1162/05 AO

Tenor:

Der Bescheid vom 27.02.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 24.02.2005 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Zu entscheiden ist, ob der Beklagte (Bekl.) zu Recht von der Klägerin (Klin.) einen Betrag zurückfordert, den er auf ein von dieser für die F. H. GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) geführtes Konto überwiesen hat.

Am 11.07.2003 reichten die Eheleute F. H. jun. und N. H. ihre Einkommensteuer(ESt)-Erklärung für das Jahr 2002 beim Bekl. ein. Darin gaben sie als ihre Bankverbindung ein Konto bei der Dresdner Bank in X. an. In ihren Erklärungen für die Jahre 2000 und 2001 hatten sie demgegenüber jeweils ein bei der Klin. geführtes Konto mit der Nummer 000000001 als ihre Bankverbindung bezeichnet und in diesem Zusammenhang auch jeweils erklärt, dass Kontoinhaber Herr F. H. jun. sei. Tatsächlich handelt es sich bei dem Konto mit der Nummer 000000001 aber um ein auf den Namen der KG lautendes Konto.

Die Klin. hatte der KG auf diesem Konto einen Universalkredit in Höhe von 5.112.919,00 Euro und mit Schreiben vom 02.07.2003 einen weiteren Überziehungsrahmen bis zur Gesamtinanspruchnahme von 9 Mio. Euro eingeräumt, der am 15.08.2003 vertragsgemäß auslaufen sollte.

Mit Bescheid vom 07.08.2003 führte der Bekl. die ESt-Veranlagung der Eheleute H. durch und kündigte zugleich an, den von ihm errechneten Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 169.414,49 Euro (Einkommensteuer: 160.535,20 Euro; Solidaritätszuschlag: 8.879,29 Euro) auf das Konto Nummer 0000000001 bei der Klin. zu erstatten, sofern dieser nicht mit etwaigen Gegenansprüchen zu verrechnen sei.

Entsprechend seiner Ankündigung überwies der Bekl. den sich aus der ESt-Veranlagung der Eheleute H. für 2002 ergebenen Erstattungsbetrag in Höhe von 169.414,49 Euro zusammen mit für das Jahr 1997 zu erstattenden Zinsen in Höhe von 0,89 Euro, mithin einen Betrag in Höhe von insgesamt 169.415,38 Euro, im Rahmen des sogenannten beleglosen Datenträgeraustausches auf das bei der Klin. geführte Konto der KG. Dabei gab sie allerdings als Empfänger "F. H. jun." und als Verwendungszweck unter anderem "Erstattung Zinsen 97", "Einkommensteuer 02" und "SOLID.ZUSCHL. EST 02" an. Der vom Bekl. überwiesene Betrag wurde dem Konto der KG am 12.08.2003 gutgeschrieben mit der Folge, dass sich der im Zeitpunkt der Gutschrift bestehende debitorische Kontostand von ca. 8.600.000,00 Euro um den gutgeschriebenen Betrag verminderte. Die KG ihrerseits verbuchte den überwiesenen Betrag auf dem "Konto 1.100 Sparkasse X." mit dem Hinweis "Finanzamt Irrläufer".

Nachdem Herr F. H. jun. die Klin. im Rahmen einer "Bankenrunde" darüber informiert hatte, dass sich die KG auf eine insolvenzrechtlich relevante Situation hin bewege, widerrief die Klin. mit Schreiben vom 15.8.2003 die der KG gegebenen Kreditzusagen, kündigte die Kreditverträge mit sofortiger Wirkung und untersagte unter anderem auch Verfügungen zu Lasten des Kontos 000000001.

Am 27.10.2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet.

Mit Bescheid vom 27.02.2004 forderte der Bekl. die Klin. unter Hinweis darauf, dass die Überweisung des den Eheleuten H. zustehenden Erstattungsbetrages in Höhe von 169.415,38 Euro auf das bei der Klin. geführte Konto der KG erfolgt sei, obwohl die Eheleute H. eine andere Verfügung getroffen hätten, zur Rückzahlung des versehentlich auf das Konto der KG überwiesenen Betrages auf.

Mit Schreiben vom 03.03.2004 teilte die Klin. dem Bekl. daraufhin zunächst mit, dass sie einen Geldeingang in Höhe von 169.415,38 Euro auf dem Konto Nummer 000000001 im Zeitraum 01.08.2003 - 30.09.2003 nicht feststellen könne. Mit weiterem Schreiben vom 15.03.2004 bestätigte sie sodann zwar einen entsprechenden Geldeingang, weigerte sich jedoch, diesen Betrag zurückzuzahlen.

Der Bekl. wertete das Schreiben der Klin. vom 15.03.2004 als Einspruch, den er mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 24.02.2005 zurückwies.

Hiergegen richtet sich die von der Klin. mit Schriftsatz vom 17.03.2005 erhobene Klage.

Die Klin. ist der Auffassung, dass sie zur Rückzahlung des Betrages in Höhe von 169.415,38 Euro nicht verpflichtet sei, da sie hinsichtlich dieses Betrages nicht als Leistungsempfängerin im Sinne des § 37 Abs. 2 AO angesehen werden könne und sich auch zu keinem Zeitpunkt selbst als Zahlungsempfängerin oder gar Berechtigte des überwiesenen Betrages angesehen habe. Der überwiesene Betrag sei vielmehr entsprechend den bestehenden vertraglichen Verpflichtungen dem Konto der KG gutgeschrieben worden, wo er mit anderen Verfügungen in das Kontokorrentverhältnis eingeflossen sei, ohne dass sie (die Klin.) von diesem Vorgang bewusst Kenntnis erlangt habe.

Für sie sei auch in keiner Weise erkennbar gewesen, dass der Bekl. mit der Überweisung des den Eheleuten H. zustehenden Erstattungsbetrages auf das Konto der KG gegen Weisungen der Eheleute H. verstoßen habe. Herr H. jun. habe zudem weder bei der Besprechung am 13.08.2003, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sei, dass der ihm und seiner Ehefrau zustehende Erstattungsbetrag der KG zugeflossen sei, noch bis zum Wirksamwerden der Kreditkündigung auf die anweisungswidrige Zahlung des Bekl. hingewiesen.

Demgegenüber könne sich der Bekl. auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er bei der von ihm veranlassten Überweisung als Zahlungsempfänger Herrn F. H. jun. angegeben habe. Denn im Rahmen des beleglosen Datenträgeraustausches sei sie - wie dem Bekl. bekannt sei - berechtigt, die Bearbeitung ausschließlich anhand der numerischen Angaben vorzunehmen. Ein Abgleich, ob der im Überweisungsauftrag genannte Empfänger auch der Inhaber des genannten Kontos sei, müsse nicht durchgeführt werden.

Die Klin. beantragt,

den Bescheid vom 27.02.2004 und die Einspruchsentscheidung (EE) vom 24.02.2005 aufzuheben.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Klin. Leistungsempfängerin im Sinne des § 37 Abs. 2 AO sei, da zwischen der Klin. und den Eheleuten H., die Empfänger des Betrages von 169.415,38 Euro sein sollten, kein Girokontovertragsverhältnis bestanden habe, das den Auftrag beinhaltet habe, Zahlungen für diese in Empfang zu nehmen und zu verbuchen. Nur im Rahmen eines solchen Vertragsverhältnisses nehme eine Bank eingehende Zahlungen als Vertreter oder als Zahlstelle ihres Kunden entgegen, wenn diese Zahlungen für diesen bestimmt seien. Bestehe ein solches Auftragsverhältnis nicht, handele die Bank nicht im Namen des erstattungsberechtigten Steuerpflichtigen, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Der überwiesene Betrag sei zudem unmittelbar der Klin. zugute gekommen, da sich hierdurch deren auf dem Konto der KG ausgewiesene Forderung vermindert habe. Mangels einer zwischen der KG und ihm (dem Bekl.) bzw. der Klin. und ihm bestehenden Schuldverhältnisses könne die Klin. nach den Umständen des Streitfalles nicht als bloße Zahlstelle angesehen werden.

Soweit sich die Klin. auf die Bedingungen für den beleglosen Datenträgeraustausch berufe, könne sie damit nicht gehört werden, da durch diese Regelung ein etwaiger ihm (dem Bekl.) zustehender Bereicherungsanspruch nicht ausgeschlossen werden solle. Vielmehr gehe es in diesen Bedingungen um den Ausschluss von Ansprüchen aus § 823 BGB wegen Verschuldenshaftung. Diese Regelung könne daher entgegen der Meinung der Klin. keinesfalls einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen des fehlgeleiteten Betrages darstellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die vom Bekl. vorgelegten Besteuerungsvorgänge verwiesen.

Der Senat hat am 10.11.2006 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet.

Die Klin. ist hinsichtlich des vom Bekl. auf das von ihr für die KG geführte Konto Nr. 000000001 überwiesenen Betrages i.H.v. insgesamt 169.415,38 EUR nicht als Leistungsempfänger i .S.d. § 37 Abs. 2 S. 1 AO anzusehen und daher auch nicht zur Rückzahlung dieses Betrages verpflichtet.

Zwar ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt, dass der tatsächliche Empfänger einer Zahlung u.a. dann zugleich auch Leistungsempfänger i.S.d. § 37 Abs. 2 S. 1 AO ist, wenn die Finanzbehörde an ihn eine Zahlung in der irrigen Annahme vorgenommen hat, er sei von dem Rechtsinhaber ermächtigt, für diesen Zahlungen entgegenzunehmen, in Wahrheit jedoch eine diesbezügliche Rechtsbeziehung zwischen dem Zahlungsempfänger und dem Rechtsinhaber nicht besteht, dieser z.B. bei der Bank, die wegen einer Gutschrift des Erstattungsbetrages angewiesen wird, ein Konto nicht oder nicht mehr unterhält. Denn für die Bestimmung des Leistungempfängers ist nicht der innere Wille des Leistenden, sondern die Sicht des Zuwendungsempfängers entscheidend. Auch eine Bank kann jedoch nicht annehmen, die Finanzbehörde würde sie als Zahlstelle eines Steuerpflichtigen in Anspruch nehmen wollen, wenn sie wüsste, dass dieser bei ihr ein Konto nicht oder nicht mehr unterhält, er sie also zur Entgegennahme für ihn bestimmter Zahlungen nicht ermächtigt hat (vgl. Beschluss des BFH vom 06.06.2003 - VII B 262/02, BFH/NV 2003, 1532).

Dementsprechend führt in dem Fall, dass bei einem im beleggebundenen Überweisungsverkehr erteilten Überweisungsauftrag Empfängerbezeichnung und Kontoinhaber auseinanderfallen, die Gutschrift des überwiesenen Betrages auf dem angegebenen Konto dazu, dass die Bank als Leistungsempfänger anzusehen ist, da im beleggebundenen Überweisungsverkehr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich von der angegebenen Bezeichnung des Empfängers auszugehen ist (vgl. Urteil des BFH vom 13.06.1997 - VII R 62/96, BFH/NV 1998, 143 m.w.N.) und damit die mit der Weiterleitung des Überweisungsbetrags beauftragte Bank nicht ohne weiteres annehmen darf, die Finanzbehörde würde sie als Zahlstelle in Anspruch nehmen, wenn sie wüsste, dass die von ihr im Überweisungsauftrag als Empfänger bezeichnete Person nicht identisch mit der Person des Kontoinhabers ist.

Demgegenüber ist in dem Fall, dass - wie im Streitfall - bei einem im beleglosen Überweisungsverkehr erteilten Überweisungsauftrag angegebener Empfänger und Kontoinhaber auseinanderfallen, bei Bestehen eines - noch ungekündigten - Vertragsverhältnisses zwischen Kontoinhaber und Bank nicht die mit der Weiterleitung des Überweisungsbetrags beauftragte Bank, sondern der Kontoinhaber als Leistungsempfänger anzusehen. Denn anders als im beleggebundenen Überweisungsverkehr ist das mit der Weiterleitung des Überweisungsbetrages beauftragte Kreditinstitut bei einem im beleglosen Überweisungsverkehr erteilten Überweisungsauftrag nicht zu einem Vergleich des angegebenen Empfängernamens mit dem Namen des Kontoinhabers verpflichtet (vgl. Urteiles des BGH vom 12.10.1999 - XI ZR 294/98, DB 1999, 2507 und vom 15.11.2005 - XI ZR 265/04, NJW 2006, 503).

Danach ist auch im Streitfall nicht die Klin. als Leistungsempfängerin des vom Bekl. auf das Konto der KG überwiesenen Betrages i.H.v. 169.415,38 EUR anzusehen. Vielmehr konnte und durfte sich die Klin. bei der Entgegennahme und Weiterleitung des Überweisungsbetrages im Hinblick auf die seinerzeit noch bestehende und nicht gekündigte Geschäftsverbindung mit der KG allein an der angegebenen Kontonummer orientieren und somit von einer Überweisung an die KG ausgehen. Aufgrund des zum Zeitpunkt des Eingangs des Überweisungsbetrages noch mit der KG bestehenden Vertragsverhältnisses war sie dementsprechend - worauf die Klin. zu Recht hinweist - nicht nur berechtigt, sondern sogar auch verpflichtet, den Überweisungsbetrag dem Konto der KG gutzuschreiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. § 709 ZPO.

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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