Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 30.04.2009
Aktenzeichen: 11 K 998/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1
EStG § 65 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 09.01.2006 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 08.02.2006 wird dahingehend geändert, dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für E. rückgängig gemacht wird, für K. das Kindergeld auf monatlich 69,90 € festgesetzt und ein Betrag in Höhe von 1.850,20 € zurückgefordert wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens tragen zu 27 % die Klägerin und zu 73 % die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die alleinerziehende Klägerin (Klin.) für den Zeitraum, wo sie in den Niederlanden erwerbstätig war, keinen Anspruch auf Kindergeld in der Bundesrepublik hatte und das gezahlte Kindergeld zurückzahlen muss.

Mit Antrag vom 10. Januar 2002 beantragte die Klin. für ihre Söhne E., geboren am 2. April 1985, und K., geboren am 7. Februar 1992, Kindergeld. Sie gab dabei an, dass sie vom Vater der Kinder dauernd getrennt lebe. Mit Bescheid vom 26. Februar 2002 setzte die Beklagte (Bekl.) das Kindergeld für die beiden Söhne ab Januar 2002 mit monatlich jeweils 154,00 ( fest. Der Klin. wurde fortlaufend Kindergeld in entsprechender Höhe gezahlt. Im Mai 2005 wurde der Bekl. durch einen Antrag der Klin. auf Kindergeldzuschlag bekannt, dass die Klin. in den Niederlanden erwerbstätig war. Mit Verfügung vom 18. Mai 2005 teilte die Bekl. mit, dass ein Anspruch auf Kindergeld nicht mehr bestehe und bat um Übersendung eines Arbeitsvertrages und Mitteilung, ob sie in den Niederlanden die Familienleistungen beantragt oder erhalten habe. Die Klin. teilte daraufhin mit, dass sie in den Niederlanden noch kein Kindergeld erhalten und auch noch keinen Antrag gestellt habe. Sie übersandte in Kopie ihre Arbeitsverträge. Mit Verfügung vom 29. Juni 2005 teilte die Bekl. der Klin. mit, dass sie möglicherweise für den Zeitraum von Juli 2003 bis April 2005 für ihre Söhne Kindergeld erhalten habe, obwohl ein entsprechender Anspruch nicht bestanden habe. Es handele sich dabei um einen Betrag in Höhe von 6.776,00 (. Zur Begründung führte die Bekl. aus, dass die Klin. seit dem 25. April 2003 in den Niederlanden erwerbstätig gewesen sei und somit ab Juli 2003 Anspruch auf Familienleistungen in den Niederlanden gehabt habe. Dabei komme es nicht darauf an, ob sie diesen Anspruch auch verwirklicht oder wegen fehlender Antragstellung keine Leistungen erhalten habe.

Im Rahmen der Anhörung teilte die Klin. mit, dass sie keinerlei Kenntnis davon gehabt habe, dass sie in den Niederlanden einen Antrag auf Familienleistungen hätte stellen müssen. Mit Verfügung vom 15. Juli 2005 hob die Bekl. die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2003 auf und forderte einen Betrag in Höhe von 6.776,00 ( von der Klin. zurück.

Mit Schreiben vom 20. Juli 2005 hat die Klin. hiergegen Einspruch eingelegt. Zur Begründung teilte sie mit, dass Kindergeld für E., der inzwischen volljährig sei, aufgrund eines eigenen Antrags gezahlt worden sei. Für E. bestehe ein Kindergeldanspruch im Sinne von § 2 Abs. 2 Ziffer 1 Bundeskindergeldgesetz. Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 8. Februar 2006 hat die Bekl. den Einspruch der Klin. als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass nach den Regelungen der Verordnung (EWG) 1.408/71 (VO) bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 (DVO) deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar sei und die Klin. durch ihre Betätigung in den Niederlanden dort einen Anspruch auf Familienleistungen habe. Das deutsche Kindergeld sei somit zu Unrecht festgesetzt und gezahlt worden. Die Festsetzung sei nach § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aufzuheben und nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zurückzufordern. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die EE der Bekl. vom 8. Februar 2006 verwiesen, die sich in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen befindet.

Mit ihrer am 7. März 2006 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klin. ihr Begehren weiter. Sie teilt mit, dass sie, nachdem sie von ihrem Anspruch auf Familienleistungen in den Niederlanden erfahren habe, erst dort einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Sie habe für das dritte und vierte Quartal 2004 und für das Jahr 2005 vierteljährlich 252,31 ( für ihren Sohn K. erhalten. Für ihren Sohn E. sei die Zahlung von Kindergeld in den Niederlanden abgelehnt worden. Die Klin. ist der Ansicht, dass durch die Regelungen in den EWG-Verordnungen das deutsche Einkommensteuerrecht nicht ausgeschlossen werde. Sie habe vielmehr einen Anspruch auf deutsches Kindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem deutschen und dem niederländischen Kindergeld.

Die Klin. beantragt,

den Bescheid vom 9. Januar 2006 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 2006 aufzuheben,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Bekl. beantragt,

unter Hinweis auf die Weisungslage,

das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Im Übrigen beantragt sie,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Sie ist der Ansicht, dass durch die oben benannten EWG-Regelungen ein Anspruch auf das deutsche Kindergeld im Einkommensteuergesetz ausgeschlossen werde. Die EWG-Regelungen sollten eine Kollision von Ansprüchen zwischen dem Beschäftigungsland und dem Wohnsitzland vermeiden. Insoweit sei eine Regelung zugunsten des Beschäftigungslandes getroffen worden. Danach habe die Klin. für den fraglichen Zeitraum einen Anspruch auf Kindergeld entsprechend den Leistungen in den Niederlanden gehabt. Die Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung sei somit zu Recht erfolgt.

Mit Beschluss vom 8. August 2007 wurde das Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens C-352/06 vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft angeordnet. Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom 20. Mai 2008 über die Sache entschieden hat, wurde mit Beschluss vom 1. September 2008 der Beschluss über das Ruhen des Verfahrens aufgehoben.

Die Klin. hat ergänzend darauf hingewiesen, dass nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ihr auch nach deutschem Kindergeldrecht Kindergeld gewährt werden könne. Die Bekl. weist darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof keine Verpflichtung des Wohnsitzstaates zur Gewährung von Familienleistungen ausgesprochen habe. Die Bekl. sei nicht bereit, vom Beschäftigungslandprinzip abzuweichen. Es diene der Gleichbehandlung aller in einem Mitgliedstaat erwerbstätigen Arbeitnehmer und der Einfachheit der Rechtsanwendung, es verhindere Einspruchskumulationen und Mitnahmeeffekte.

Der Senat hat am 30. April 2009 in der Sache mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Bekl. vom 9. Januar 2006 in der Form der EE vom 8. Februar 2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klin. in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als die Festsetzung von Kindergeld für E. in voller Höhe aufgehoben, für K. in Höhe des Differenzbetrages zwischen der niederländischen Familienleistung und dem Kindergeldanspruch nach deutschem Recht aufgehoben und entsprechend das Kindergeld zurückgefordert wird.

1. Ein Ruhen des Verfahrens gem. §§ 155 FGO i.V.m. 251 ZPO kam nicht in Betracht, da die Klägerin dies nicht beantragt hatte und der Senat an die Weisungslage der Beklagten nicht gebunden ist.

2. Die Klägerin hatte für den streitigen Zeitraum einen Kindergeldanspruch für ihren Sohn E. in Höhe von monatlich 154,00 €.

a. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - hat für Kinder im Sinne des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dass die Klägerin diese Voraussetzungen erfüllt, ist nicht streitig. Weiter wird bei mehreren Berechtigten - dem Kindesvater, soweit er ebenfalls seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat - demjenigen das Kindergeld gezahlt, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG. Diese Voraussetzung wird von der Klägerin ebenfalls erfüllt.

Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es einen Berücksichtigungstatbestand i.S. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG erfüllt und außerdem seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den jeweils maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. Bei E. lagen die Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Nach dieser Vorschrift besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. E. befand sich seit 1. August 2001 in der Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Dass die Ausbildung durch die Erkrankung des Sohnes im Streitzeitraum unterbrochen war und erst am 1. Oktober 2004 wieder aufgenommen werden konnte, steht der Kindergeldgewährung nicht entgegen (s. BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 69/04 BFH/NV 2006, 2067 und BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02 BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848).

b. Dieser grundsätzlich gegebene Kindergeldanspruch wird nicht durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem Kindergeld oder einer der unter Nr. 1 des § 65 Abs. 1 Satz 1 genannten Leistungen vergleichbar sind. Die Klägerin hat in den Niederlanden aufgrund des Alters von E. von über 18 Jahren keinen Anspruch auf Kindergeld oder vergleichbare Sozialleistungen. Es besteht somit ein Kindergeldanspruch nach deutschem Recht in Höhe von monatlich 154 € (vgl. FG Köln Urteil vom 25. September 2008 10 K 4830/05 EFG 2009, 269 und auch Niedersächsisches Finanzgericht , Urteil vom 24. Januar 2008 1 K 83/07, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2008, 1570).

c. Der Kindergeldanspruch der Klägerin für E. wird nicht durch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ausgeschlossen. Nach dem Urteil des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Große Kammer) vom 20. Mai 2008 C-352/06 (siehe [...]Datei) steht Artikel 13 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nummer 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG)-Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, diese wiederum durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. April 2005, nicht entgegen, dass ein Wanderarbeitnehmer, der dem System der sozialen Sicherheit des Beschäftigungsmitgliedstaats unterliegt, nach den nationalen Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates Familienleistungen im letztgenannten Staat bezieht. Damit hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass die oben benannten Regelungen einen nach deutschem Recht bestehenden Kindergeldanspruch nicht ausschließen.

3. Die Klin. hatte in dem hier fraglichen Zeitraum für K. einen Kindergeldanspruch in Höhe von monatlich 69,90 €.

a. Die allgemeinen Voraussetzungen gem. §§ 62 Abs. 1, 63 Abs.1 Satz 1, 64 Abs. 2 EStG für einen Kindergeldanspruch lagen bei K. ebenfalls vor.

Weiter besteht für ein minderjähriges Kind nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG ohne weitere Einschränkungen ein Anspruch auf Kindergeld.

b. Dieser grundsätzlich gegebene Kindergeldanspruch wird nicht durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem Kindergeld oder einer der unter Nr. 1 des § 65 Abs. 1 Satz 1 genannten Leistungen vergleichbar sind. Die Klin. hat danach zwar nach nationalem Recht keinen Anspruch auf Kindergeld, weil sie vergleichbare Leistungen in den Niederlanden für K. erhält, wobei die Höhe der Leistung in den Niederlanden nicht vergleichbar ist. Das nationale Recht wird aber im vorliegenden Fall durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt.

Die Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) Nr. 1408/71, die festlegen, welche Rechtsvorschriften auf Arbeitnehmer anzuwenden sind, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, bezwecken, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats unterliegen, um die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, zu vermeiden. Dieser Grundsatz kommt in Art. 13 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1408/71 zum Ausdruck, nach dem ein Arbeitnehmer, für den diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Juni 1986, 302/84, Slg. 1986, 1821, Rdnrn. 19 und 20).

Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO (EWG) Nr. 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Dass diese Bestimmung auf die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats als die auf einen Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften verweist, hat zur Folge, dass nur die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats auf ihn anwendbar sind (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Juni 1986 302/84 a.a.O. Rdnr. 23).

Im besonderen Zusammenhang der Familienleistungen sieht Art. 73 der VO (EWG) Nr. 1408/71 vor, dass ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Demnach findet vorliegend grundsätzlich das Recht des Beschäftigungsmitgliedstaats, d. h. niederländisches Recht, Anwendung (s. EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 C-352/06 abgedruckt in [...]).

Das auf einen Arbeitnehmer, der sich in einer der von den Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) Nr. 1408/71 erfassten Situationen befindet, anzuwendende Recht ist anhand dieser Bestimmungen zu ermitteln, doch ist deswegen die Anwendung der Bestimmungen einer anderen Rechtsordnung nicht stets ausgeschlossen (s. EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 C-352/06 abgedruckt in [...]).

In der Entscheidung des EuGH heißt es wörtlich: "In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Bestimmungen der Verordnung Nummer 1408/71 im Licht des Artikels 42 EG auszulegen sind, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern soll und unter anderem impliziert, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben (vgl. Urteil vom 9. November 2006, Nemec, C-205/05, Slg 2006, I-10745, Rdnrn. 37 und 38).

In diesem Sinne wird im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nummer 1408/71 ausgeführt, dass die in der Verordnung enthaltenen Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zur Freizügigkeit von Personen gehören und zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen sollen. Angesichts dessen ist festzustellen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Wohnsitzmitgliedstaat nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren. Nach Artikel 13 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung Nummer 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt ist, zwar den Rechtsvorschriften dieses Staates, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt, doch soll der Wohnstaat mit dieser Verordnung nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren."

Der EuGH ging in seiner Entscheidung davon aus, dass es nicht zu einer Kumulierung der Leistungsansprüche aus dem Beschäftigungsland und aus dem Wohnsitzland und somit nicht zu einer Anwendung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) 574/72 komme, da im Beschäftigungsland Niederlande für über 18 Jahre alte Kinder kein Anspruch bestehe. Da im vorliegenden Fall für den Sohn K. im Rückforderungszeitraum aber ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland Niederlande bestand, kommt es zu einer Kumulation mit dem Kindergeldanspruch aus dem Wohnsitzland Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht nach deutschem Recht gem. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen (a.A. BZSt 6.5.2009, St II 2 - FG 2020 - 13/08), da § 65 EStG durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO (EWG) 574/72 bzw. das einfache Recht durch den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts verdrängt wird (s. BVerfG Vorlagebeschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570 dort Rz. 13, 16 und 23, wobei das BVerfG davon ausging, dass ein Anspruch auf Differenzkindergeld nicht bestehe, weil ausschließlich das Beschäftigungslandprinzip des Art 13 VO (EWG) 1408/71 zur Anwendung komme, a.A aber EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 C-352/06 a.a.O.).

Art. 10 VO (EWG) 574/72 enthält über den hier nicht einschlägigen Art. 76 VO (EWG) 1408/71 hinaus Vorschriften für das Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen oder -beihilfen für Arbeitnehmer und Selbständige unter anderem für den Fall, in dem der Erwerb eines Anspruchs nicht von einer Beschäftigung abhängt. Als Kollisionsnorm ist Art. 10 nicht nur einschlägig, wenn andere Personen ebenfalls Anspruch auf Familienleistungen haben, sondern auch in Bezug auf den Arbeitnehmer selbst (EuGH-Große Kammer , Urteil vom 7. Juni 2005, Rs. C-543/03 (Dodl und Oberhollenzer), Sammlung 2005 I, Rand Nr. 58). Art. 10 Abs. 1a VO (EWG) 574/72 regelt, dass der Anspruch auf Leistungen eines Mitgliedstaats, der nicht von einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Versicherung abhängig ist, ausgesetzt wird, wenn und soweit Familienleistungen gleichzeitig allein aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach den Art. 73 f., Art. 77 f. VO (EWG) 1408/71 geschuldet werden. Danach ruht in Höhe des Anspruchs auf niederländische Familienleistung der deutsche Kindergeldanspruch. Die Klin. hat lediglich einen Anspruch auf die Differenz zum deutschen Kindergeldanspruch in Höhe von 69,90 € monatlich.

4. Da der Klin. für K. für den Zeitraum von Juli 2003 bis April 2005 (22 Monate) insgesamt 3.388,00 € gezahlt worden sind, ihr aber nur 1.537,80 € (22 Monate mal 69,90 €) zustanden, war gem. § 37 Abs. 2 AO ein Betrag von 1.850,20 € zurückzufordern.

5. Die Kosten sind nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens gem. § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuteilen, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht auf den §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

Zurück