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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 12 K 376/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 70 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 4
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

12 K 376/06 Kg

Tenor:

Unter Abänderung des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2006 wird der Aufhebungsbescheid vom 09.09.2002 aufgehoben und die Bekl. verpflichtet, für das Kind E Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich für den Zeitraum Januar 2002 bis einschließlich September 2002 festzusetzen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Zu entscheiden ist, ob ein bestandskräftiger Aufhebungsbescheid aufgehoben oder abgeändert werden kann, wenn der Familienkasse nachträglich die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge des Kindes im Prognosejahr bekannt wird, nach deren Abzug die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag i. S. v. § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht überschreiten.

Der Kläger (Kl.) ist Vater zweier Kinder, darunter des am 20.10.1981 geborenen Sohnes E. Der Kl. bezog für beide Kinder Kindergeld.

Der Sohn befand sich im Jahr 2002 in einer Ausbildung zum Automobilmechaniker. Ausweislich einer Ausbildungsbescheinigung vom 24.06.2002, welche der Kl. bei der Bekl. am 17.07.2002 eingereicht hatte, erhielt der Sohn in 2002 eine Ausbildungsvergütung inklusive Sonderzuwendungen i. H. v. insgesamt 8.847,83 EUR. Die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge des Sohnes war in der Ausbildungsbescheinigung nicht ausgewiesen.

Nach Aufforderung durch die Beklagte (Bekl.) reichte der Kl. eine Erklärung zu den Werbungskosten (WK) seines Sohnes in 2002 ein. Wegen Einzelheiten wird auf die Erklärung, Bl. 63 der Kindergeldakte (Kg-A.), verwiesen.

Mit Bescheid vom 09.09.2002 hob die Bekl. gegenüber dem Kl. die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn rückwirkend ab Januar 2002 auf und forderte den Kl. zugleich zur Erstattung des für Januar 2002 bis einschließlich Juni 2002 erhaltenen Kindergeldes i. H. v. insgesamt 924,00 EUR auf.

Zur Begründung des Bescheides führte die Bekl. an, dass die Einkünfte und Bezüge des Sohnes in 2002 (voraussichtlich) die maßgebliche Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i. H. v. 7.188,00 EUR überschreiten werden.

Dabei ging die Bekl. von einer Ausbildungsvergütung i. H. v. 8.847,00 EUR (brutto) aus und zog davon WK i. H. v. 1.069,00 EUR ab. Hierbei erkannte die Bekl. Aufwendungen für Fahrten an 142 Tagen zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte mit der erklärten Entfernung von 15 km sowie Fahrten zur Berufsschule an 88 Tagen mit der erklärten Wegstrecke für die Hin- und Rückfahrt von 20 km an, wonach sich Fahrtkosten i. H. v. insgesamt rund 1.323,00 EUR ergaben. Davon zog die Bekl. eine dem Vorjahr betragsmäßig entsprechende Arbeitgeberzahlung für Fahrtenkosten i. H. v. rund 254,00 EUR ab. Die im Übrigen erklärten WK erkannte die Bekl. dagegen nicht an.

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Davon abgesetzt enthielt der Bescheid nach einer in Fettdruck formatierten und unterstrichenen Überschrift "Wichtiger Hinweis: " folgenden Text:

"Falls nach Ablauf des Jahres feststeht, dass die Einkünfte und Bezüge ihres Kindes den jährlichen Grenzbetrag nicht überschritten haben, können sie einen erneuten Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes stellen."

Gegen den Bescheid vom 09.09.2002 erhob der Kl. am 09.10.2002 zunächst Einspruch, welchen er damit begründete, dass die weiteren erklärten WK ebenfalls zu berücksichtigen seien. Diesen Einspruch nahm der Kl. am 11.12.2002 zurück.

Mit Schreiben vom 21.11.2005 legte der Kl. "gegen den Ablehnungsbescheid auf Gewährung von Kindergeld für 2002/2003 frist- und formwahrend Einspruch" ein. Zur Begründung verwies er auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02, NJW 2005, 1923, wonach die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes bei der Berechnung der für den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgeblichen Einkünfte und Bezüge des Kindes in Abzug zu bringen seien. Weiter forderte der Kl. die Bekl. auf, ihm für die Jahre 2002 und 2003 rückwirkend Kindergeld zu gewähren. Dem Schreiben beigefügt war die Lohnsteuerkarte 2002 des Sohnes (vgl. Bl. 84 f. Kg-A). Danach erhielt der Sohn im Jahr 2002 - abweichend von der Ausbildungsbescheinigung vom 24.06.2002 - eine Ausbildungsvergütung i. H. v. 8.894,01 EUR (brutto) sowie eine Fahrtkostenerstattung i. H. v. 262,68 EUR; daneben wies die Lohnsteuerkarte 2002 Sozialversicherungsbeiträge des Sohnes i. H. v. 1.786,15 EUR aus.

Das Schreiben des Kl. wertete die Bekl. sowohl als (erneuten) Einspruch gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 09.09.2002 als auch als Antrag auf rückwirkende Festsetzung von Kindergeld u. a. für 2002. Den Einspruch wies die Bekl. mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 04.01.2006 als unzulässig zurück, da ein erneuter Einspruch gegen den (bestandskräftigen) Bescheid vom 09.09.2002 nach Rücknahme des am 09.10.2002 eingelegten Einspruches nicht zulässig sei.

Mit Bescheid vom 11.01.2006 setzte die Bekl. Kindergeld rückwirkend für den Zeitraum Oktober 2002 bis einschließlich Dezember 2002 i. H. v. 154,00 EUR monatlich fest. Eine Festsetzung von Kindergeld für den Streitzeitraum Januar 2002 bis einschließlich September 2002 lehnte sie dagegen ab. Diesbezüglich verwies die Bekl. darauf, dass eine Änderung des bestandskräftigen Aufhebungsbescheides vom 09.09.2002, welcher Bindungswirkung von Januar 2002 bis einschließlich September 2002 entfalte, nicht in Betracht komme.

Mit am 08.02.2006 bei der Bekl. eingegangenem Schreiben (Bl. 93 Kg-A) machte der Kl. geltend, dass ihm Kindergeld für das Jahr 2002 insgesamt zustehe. Den Einspruch gegen den Aufhebungs-/Rückforderungsbescheid habe er nur aufgrund der damaligen "Rechtsgrundlage" zurückgenommen. Diese habe sich durch die Entscheidung des BVerfG geändert. Der Bekl. - so behauptet er - sei zum damaligen Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, dass ein Musterverfahren anhängig gewesen sei. Daher hätten alle Bescheide "unter Vorbehalt" ergehen müssen. Dem Schreiben fügte der Kl. eine Ausbildungsbescheinigung der Ausbildungsstelle vom 25.01.2006 bei (vgl. Bl. 94 f. Kg-A). Danach erhielt der Sohn im Jahr 2002 - abweichend von der Lohnsteuerkarte 2002 - eine Brutto-Ausbildungsvergütung inklusive Sonderzuwendungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) i. H. v. 8.768,97 EUR und leistete Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung i. H. v. insgesamt 1.768,45 EUR.

Im zuvor genannten Schreiben machte der Kl. geltend, dass bei der Grenzbetragsberechnung die Einkünfte und Bezüge des Sohnes entweder um eine "Pauschale (i. H. v.) 1.020,00" EUR oder um Fahrtkosten ("230 Arbeitstage: 142 x 15 km; Berufsschule 88 x 10 km") und daneben um Aufwendungen für die "Berufskleidung" und für "Fachliteratur" jeweils "pauschal" zu mindern seien.

Das Schreiben des Kl. vom 08.02.2006 wertete die Bekl. als Einspruch gegen den Bescheid vom 11.01.2006, welchen sie mit der nach Klageerhebung ergangenen EE vom 27.03.2006 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies sie auf die Bestandskraft des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 09.09.2002, welche bis zum Ablauf des Monates seiner Bekanntgabe reiche. Weiter führte sie aus, dass keine der gesetzlichen Korrekturvorschriften (§§ 172 ff. Abgabenordnung (AO) sowie § 70 Abs. 2 bis 4 EStG) einschlägig sei. Insbesondere scheide eine Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aus, weil eine nachträgliche Änderung der Rechtsprechung keine neue Tatsache i. S. d. Vorschrift sei.

Mit Klageschrift vom 14.01.2006, beim Finanzgericht Münster eingeganggen am 27.01.2006, in deren Betreff auf eine "Einspruchsentscheidung vom 11.1.06" verwiesen wird, wendet der Kl. ein, dass ihm aufgrund des Urteils des BVerfG Kindergeld für das gesamte Kalenderjahr 2002 und nicht nur für die Monate Oktober bis Dezember 2002 zustehe. Die Rechtsprechung des BVerfG sei als neue Tatsache zu berücksichtigen.

Der Kl. beantragt sinngemäß,

die Bekl. unter Abänderung des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt der EE vom 27.03.2006 zu verpflichten, gegenüber dem Kl. Kindergeld für seinen Sohn E von Januar 2002 bis einschließlich September 2002 i. H. v. 154,00 EUR monatlich festzusetzen.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Bekl. ist der Ansicht, die Klage sei unzulässig, da das Einspruchsverfahren im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht erfolglos durchgeführt worden war. Die abschlägige EE sei erst am 27.03.2006 ergangen. Weitergehend ist die Bekl. der Ansicht, eine Änderung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 09.09.2002 sei nach keiner der im Gesetz vorgesehenen Korrekturvorschriften möglich. Insbesondere komme eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG nicht in Betracht, da eine Änderung der Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung kein nachträgliches Bekanntwerden i. S. dieser Vorschrift sei. Auch negative Prognoseentscheidungen entfalteten Bestandskraft bis einschließlich des Bekanntgabemonats, da die Familienkasse damit eine Entscheidung über die Rechtslage in einem abgelaufenen Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe träfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogene Kg-Akte (KG-Nr. 175154) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten (vgl. Bl. 11 sowie 13 der Gerichtsakte (GA)) entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

I.

Die Klage richtet sich gegen den Bescheid vom 11.01.2006 in Gestalt der EE vom 27.03.2006. Nicht angefochten ist dagegen (isoliert) die EE vom 04.01.2006.

Wenngleich der Kl. im Betreff der Klageschrift den Begriff "Einspruchsentscheidung" verwendet, was für sich genommen dafür spräche, dass er sich vorliegend gegen die EE vom 04.01.2006 wendet, da die EE vom 27.03.2006 bei Klageerhebung noch nicht ergangen war, spricht die Datumsangabe ("11.1.06") dafür, dass der Kl. den Bescheid vom 11.01.2006 angreift, mit welchem sein Antrag auf rückwirkende Festsetzung von Kindergeld für die Monate Januar bis September 2002 abgelehnt worden war. Den weiteren Ausführungen in der Klageschrift ist - und dies ist für die Feststellung des Klagebegehrens letztlich entscheidend - zu entnehmen, dass der Kl. eine rückwirkende Gewährung von Kindergeld für die Zeit von Januar 2002 bis September 2002 erstrebt. Zur Erreichung dieses Begehrens bedarf es allein der Abänderung des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt der EE vom 27.03.2006. Einer Aufhebung der EE vom 04.01.2006 bedarf es dagegen nicht.

Der Kl. erhebt mit seiner Klage auch keinerlei Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der EE vom 04.01.06. Dafür, dass der Kl. auch eine Aufhebung dieser EE vom 04.11.2006 begehrt, bestehen danach keine Anhaltspunkte.

An sein auf die Abänderung des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt der EE vom 27.03.2006 gerichtetes Klagebegehren ist der Senat gebunden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Danach kann der Senat offen lassen, ob die Bekl. das Schreiben des Kl. vom 21.11.2005, bei dem der Kl. offenbar einen Vordruck verwendete, im Ergebnis zutreffend als Einspruch gegen den Bescheid vom 09.09.2002 gewertet hat, obgleich ein solcher offensichtlich verfristet war, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) nicht mehr in Betracht kam und der Kl. nach den weiteren Ausführungen im Schreiben eine "rückwirkende Gewährung" von Kindergeld begehrte.

II.

Die in dieser Weise erhobene Klage ist zulässig und auch begründet.

1) Die Klage ist zulässig, da die EE vom 27.03.2006 während des Klageverfahrens erging und der Kl. seine Klage daraufhin weiterhin aufrechterhielt. Dem Zweck des § 44 Abs. 1 FGO ist damit genügt. Die Klage kann durch eine nachgeholte EE in die Zulässigkeit hineinwachsen. Die Durchführung eines gänzlich oder teilweise erfolglosen Vorverfahrens ist keine gesetzliche Zugangsvoraussetzung, sondern allein Sachurteilsvoraussetzung (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl. II 1985, 521).

2) Die Klage ist auch begründet. Der Kl. hat einen Anspruch auf Kindergeld auch für den Zeitraum Januar 2002 bis einschließlich September 2002. Der Aufhebungsbescheid vom 09.09.2002 ist, auch wenn er bestandskräftig geworden ist, entgegen der Ansicht der Bekl. noch aufhebbar. Rechtsgrundlage hierfür ist § 70 Abs. 4 EStG. Ob auch der "wichtige Hinweis" eine nachträgliche Änderung des Bescheides ermöglicht, kann der Senat offen lassen.

a) Der Kl. hat für den Zeitraum Januar bis einschließlich September 2002 für seinen Sohn E gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG Anspruch auf Kindergeld i. H. v. 154,00 EUR monatlich.

Der Sohn des Kl. hatte in 2002 das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet und wurde im gesamten Jahr für einen Beruf ausgebildet, so dass der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG im gesamten Kalenderjahr 2002 erfüllt war. Auch überschritten die Einkünfte und Bezüge des Sohnes nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge im Kalenderjahr 2002 nicht den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i. H. v. 7.188,00 EUR. Dies gilt unabhängig davon, ob der Senat von den Jahresbeträgen laut Lohnsteuerkarte 2002 oder nach der Ausbildungsbescheinigung vom 25.01.2006 ausgeht; die Angaben in der älteren Ausbildungsbescheinigung vom 24.06.2002 können als für den Streitzeitraum überholt angesehen werden. Ausweislich der Lohnsteuerkarte 2002 hatte der Sohn Einkünfte und Bezüge i. H. v. insgesamt 9.156,69 EUR (Bruttoausbildungsvergütung + Fahrtgeld). Nach der Ausbildungsbescheinigung vom 25.01.2006 erzielte der Sohn Einkünfte i. H. v. insgesamt 8.768,97 EUR. Davon abzusetzen sind - anstelle des niedrigeren Werbungskostenpauschbetrages i. H. v. 1.044,00 EUR (§ 9 a Satz 1 Nr. 1 EStG 2002) - die von der Bekl. bereits anerkannten Fahrtkosten i. H. v. rund 1.323,00 EUR. Die darüber hinaus weiterhin vom Kl. geltend gemachten Aufwendungen für "Berufskleidung" und "Fachliteratur" können nicht daneben - wie vom Kl. zuletzt begehrt - "pauschal" in Abzug gebracht werden. Danach ergeben sich nach Abzug der unstreitigen Fahrtkosten Einkünfte und Bezüge i. H. v. 7.833,69 EUR (Lohnsteuerkarte 2002) bzw. i. H. v. 7.445,97 EUR (Ausbildungsbescheinigung vom 25.01.2006). Sie liegen damit zwar oberhalb des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i. H. v. 7.188,00 EUR. Nach Abzug der vom Sohn entrichteten Sozialversicherungsbeiträge wird aber der Grenzbetrag i. H. v. 7.188,00 EUR unterschritten. Bei der Beurteilung ist von den im gesamten Kalenderjahr 2002 erzielten Einkünften und Bezügen sowie vom Jahresgrenzbetrag auszugehen, wenngleich der Streitzeitraum nicht das gesamte Kalenderjahr 2002 erfasst, da die Voraussetzungen für eine Kindergeldgewährung im gesamten Kalenderjahr 2002 und nicht nur im Streitzeitraum (Januar bis September 2002) vorlagen, so dass eine Kürzung des Jahresgrenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG 2002 nicht in Betracht kommt.

Nicht streitig ist, dass dem Kl. für den Sohn E ein monalticher Kindergeldbetrag i. H. v. 154,00 EUR (§ 66 Abs. 1 EStG) zusteht.

b) Der Bescheid vom 09.09.2002 ist mit Rücknahme des am 09.10.2002 eingelegten Einspruchs zwar formell bestandskräftig geworden. Die Bindungswirkung des Bescheides erstreckte sich auch auf den Zeitraum von Januar 2002 bis einschließlich September 2002, da die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Januar 2002 aufgehoben und der Aufhebungsbescheid gegenüber dem Kl. unstreitig im September 2002 bekannt gegeben wurde.

So ergibt sich der Umfang der Bindungswirkung eines Bescheides aus seinem Regelungsgehalt. Als Verwaltungsakt trifft er eine Regelung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bescheiderteilung. Ein Bescheid, durch den ein Antrag auf Festsetzung von Kindergeld abgelehnt oder eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, erschöpft sich in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum. Über die in der Zukunft liegenden und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche kann ein Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid noch keine Regelung treffen (vgl. BFH-Urteile vom 28.01.2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786, vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88 sowie vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89).

c) Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 09.09.2002 kann vorliegend allerdings nach der zum 01.01.2002 in Kraft getretenen (vgl. Art. 1 Nr. 21 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001, BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 4 EStG durchbrochen werden.

Ob bereits der den Bescheid abschließende "wichtige Hinweis", dass der Kl. einen neuen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld stellen könne, falls nach Ablauf des Jahres feststünde, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den jährlichen Grenzbetrag nicht überschritten hätten, (ebenfalls) eine Änderung des Bescheides vom 09.09.2002 ermöglicht, da darin im Wege der Auslegung ein Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 155 Abs. 4 AO und § 31 Satz 3 EStG), ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 155 Abs. 4 AO und § 31 Satz 3 EStG) oder aber eine eigenständige, nicht normierte Änderungsgrundlage nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (so wohl das FG Hessen, Urteil vom 6. April 2006 3 K 370/05, EFG 2006, 1181) zu sehen sein könnte, war daher nicht zu entscheiden.

d) Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten.

Die Vorschrift soll sicher stellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein volljähriges Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag entgegen einer früheren Prognose der Familienkasse im Laufe eines Kalenderjahres über- oder unterschreiten. Derartige Prognoseentscheidungen im Verlaufe eines Kalenderjahres tragen stets den Charakter der Vorläufigkeit in sich und sind daher nach Sinn und Zweck des § 70 Abs. 4 EStG änderbar, wenn sich die Prognose nach Abschluss des Kalenderjahres als unzutreffend herausstellt.

Mit der Änderungsmöglichkeit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass § 31 Satz 3 und § 71 EStG einerseits eine monatliche Zahlung des Kindergeldes vorsehen, während der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Jahresbetrag konzipiert ist (vgl. BFH-Urteile vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BFHE 212, 213; vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überschreiten oder nicht, kann erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres abschließend beurteilt werden (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86; vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Im Gegensatz dazu kann die Familienkasse über das Vorliegen oder Nichtvorliegen anderer Tatbestandsmerkmale, wie z. B. der Absolvierung einer Ausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG) jederzeit befinden und über die Weitergewährung von Kindergeld zeitnah unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse entscheiden. Dies ist im Hinblick auf ein Überschreiten des Jahresgrenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Laufe des Kalenderjahres dagegen noch nicht möglich.

Vor diesem Hintergrund hielt der BFH die Familienkassen vor Einführung des § 70 Abs. 4 EStG für befugt, eine Kindergeldfestsetzung, die vor oder während des Kalenderjahres erlassen worden war, rückwirkend wieder aufzuheben, wenn abzusehen war oder bekannt wurde, dass die Einkünfte des Kindes den Grenzbetrag überschreiten werden oder überschritten hatten (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BFHE 196, 265, BStBl II 2002, 85; vom 26.07.2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86; vom 26.07.2001 VI R 102/99, BFH/NV 2002, 178; vom 6. November 2001 VI R 76/01, BFH/NV 2002, 343, und vom 25. Februar 2003 VIII R 26/02, BFH/NV 2003, 1158). Dabei hat der BFH stets offen gelassen, ob die Änderung in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO oder auf § 70 Abs. 2 EStG gestützt werden konnte.

Eine nachträgliche Änderung nach diesen Grundsätzen beschränkte der BFH nicht nur auf Sachverhalte, in denen die Einkünfte und Bezüge des Kindes entgegen der Prognose den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Vielmehr sollte eine Familienkasse die Kindergeldfestsetzung auch dann rückwirkend aufheben können, wenn sie bei der Prognose voraussichtliche Aufwendungen des Kindes als Werbungskosten berücksichtigt hatte, die bei abschließender (rechtlicher) Prüfung nicht mehr als Werbungskosten anerkannt werden konnten (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl. II 2002, 86). In der zitierten Entscheidung wies der BFH darauf hin, dass die Familienkasse unter den gegebenen Umständen zwar an der Entstehung von Werbungskosten in der erklärten Höhe bereits bei der Festsetzung des Kindergeldes hätte zweifeln können. Maßgeblich sei jedoch, dass die tatsächliche Höhe der Werbungskosten im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung noch nicht feststand, so dass eine abschließende Entscheidung darüber, ob das Kind zu berücksichtigen war oder nicht, noch nicht getroffen werden konnte. Dabei ließ der BFH offen, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn der Familienkasse bei feststehendem Sachverhalt ein reiner Rechtsanwendungsfehler unterlaufen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl. II 2002, 86; ebenso Urteil vom 30.11.2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890).

Nach Ansicht des Senates kann jedenfalls seit Inkrafttreten des § 70 Abs. 4 EStG auch im umgekehrten Fall, dass eine Kindergeldfestsetzung im Laufe eines Kalenderjahres mit einer Prognoseentscheidung aufgehoben wurde, nichts anderes gelten, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge des. Kindes den Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) entgegen der Prognose nicht überschritten haben.

Die Entstehungsgeschichte des § 70 Abs. 4 EStG weist darauf hin, dass der Gesetzgeber aufgrund der bestehenden Unsicherheiten darüber, auf Grund welcher Änderungsvorschrift Prognoseentscheidungen nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden können, diese Regelung in das EStG aufnahm, um damit eine nachträgliche Korrektur sowohl zuungunsten als auch zugunsten des Kindergeldprätendenten zu ermöglichen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BFHE 212, 213). Nach der Gesetzesbegründung soll durch die Vorschrift sichergestellt werden, dass eine Kindergeldfestsetzung auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes entgegen der früheren Prognoseentscheidung den Jahresgrenzbetrag über- oder unterschreiten (BT-Drucks 14/6160 S. 14).

Aufgrund der Besonderheit, dass eine Prognoseentscheidung i. S. v. § 70 Abs. 4 EStG denknotwendig nicht auf der Grundlage eines abgeschlossenen Sachverhaltes getroffen werden kann, da das Kalenderjahr im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgelaufen ist, eröffnet § 70 Abs. 4 EStG eine Möglichkeit zur Änderung oder Aufhebung nicht allein in Fällen, in denen nach Ergehen der Prognoseentscheidung ("nachträglich") ausschließlich Tatsachen bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nicht überschreiten, sondern auch in Fällen, in denen die Familienkasse bei Kenntniserlangung nach Ablauf des Kalenderjahres zu einer bestimmten Rechtsfrage eine geänderte Rechtsauffassung vertritt. In beiden Fällen wurde die Prognoseentscheidung nicht auf der Grundlage eines feststehenden Sachverhaltes i. S. d. BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl. II 2002, 86) getroffen. Ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten oder nicht überschreiten, kann erst abschließend geprüft werden, wenn deren Höhe tatsächlich feststeht, also im Regelfall erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BFHE 212, 213).

Dementsprechend wird im Tatbestand des § 70 Abs. 4 EStG allein darauf abgestellt, dass "nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 (EStG) über- oder unterschreiten". Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich dieser speziell für das Kindergeldrecht konzipierten Änderungsnorm in Kenntnis der zuvor zitierten BFH-Rechtsprechung auf Fälle des nachträglichen Bekanntwerdens von Tatsachen beschränken wollen, die sich unmittelbar auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes auswirken, wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber dies im Tatbestand des § 70 Abs. 4 EStG durch Verwendung des Begriffs "Tatsachen" zum Ausdruck gebracht hätte, wie er dies z. B. bei § 173 Abs. 1 AO getan hat.

Daher kann der Senat auch der gegenteiligen Ansicht der Bekl., welche sich mit der allgemeinen Verwaltungsauffassung und anderslautender Stimmen in der Literatur deckt (vgl. DAFamEStG 70.6 Satz 6 1. Spiegelstrich; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 70 EStG Rn. 72) nicht folgen, wonach eine auf Grund des Beschlusses des BVerfG geänderte Rechtsauffassung kein nachträgliches Bekanntwerden im Sinne der Vorschrift darstelle. § 70 Abs. 4 EStG eröffnet vielmehr stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Jahresgrenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt, und zwar auch dann, wenn die Korrektur - wie im Streitfall - auch auf einer geänderten Rechtsauffassung beruht.

e) Nach den zuvor aufgezeigten Grundsätzen handelt es sich bei dem Aufhebungsbescheid vom 09.09.2002 um eine Prognoseentscheidung der Bekl., welche nach § 70 Abs. 4 EStG zu korrigieren ist, da der Bekl. erst nach Ergehen des Aufhebungsbescheides vom 09.09.2002 und damit "nachträglich" bekannt wurde, dass die Einkünfte und Bezüge des Sohnes E den maßgeblichen Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 nicht überschritten haben.

Der Bekl. waren im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung (Bescheid vom 09.09.2002) weder die in den Folgemonaten erzielten Einkünfte und Bezüge noch die bis zur Prognoseentscheidung und die danach gezahlten Sozialversicherungsbeiträge der Höhe nach bekannt. Die Höhe der im gesamten Kalenderjahr 2002 erzielten Einkünfte und Bezüge sowie der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge wurden der Bekl. erst bekannt, als der Kl. die Lohnsteuerbescheinigung 2002 mit Schreiben vom 21.11.2005 bzw. die jüngere Bescheinigung der Ausbildungsstelle des Sohnes vom 25.01.2006 mit Schreiben vom 04.02.2006 vorlegte.

Entgegen der bisherigen Prognose überschritten die Einkünfte und Bezüge des Sohnes E den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 i. H. v. 7.188,00 EUR nach Abzug der in 2002 gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht mehr.

Bei der Grenzbetragsberechnung sind auch die vom Sohn im gesamten Kalenderjahr 2002 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung in Abzug zu bringen und nicht nur die nach dem Monat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 09.09.2002 gleisteten Sozialversicherungsbeiträge, so dass der Senat insbesondere nicht weiter aufklären musste, in welcher Höhe sich der in der Lohnsteuerkarte 2002 ausgewiesene Jahresbetrag der vom Sohn geleisteten Sozialversicherungsbeiträge auf die einzelnen Monate des Jahres 2002 verteilte.

So kann der Senat zum einen nicht der im Schrifttum vertretenen Ansicht folgen, wonach nur Tatsachen, welche nach dem Zeitpunkt der Festsetzung oder Ablehnung entstanden sind - hier: die in den Monaten nach Ergehen des Aufhebungsbescheides vom 09.09.2006 gezahlten Sozialversicherungsbeiträge -, zu einer Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG führen können (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 70 EStG Anm. 19). Hiergegen spricht bereits der Wortlaut von § 70 Abs. 4 EStG, wonach auf ein nachträgliches Bekanntwerden des Über- oder Unterschreitens des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG und nicht etwa auf ein nachträgliches Entstehen von Tatsachen mit unmittelbarer Auswirkung auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge abgestellt wird.

Zum anderen verlangt § 70 Abs. 4 EStG im Gegensatz zu § 173 Abs. 1 AO auch keine Prüfung, ob die Familienkasse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kindergeld festgesetzt bzw. nicht festgesetzt hätte, wenn ihr die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung bereits bekannt gewesen wären (vgl. zum Erfordernis der Rechtserheblichkeit nachträglich gekannt gewordener Tatsache bei § 173 Abs. 1 AO: Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BStBl. II 1988, 180; BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533). Dementsprechend ist nicht entscheidungserheblich, dass die Bekl. selbst in dem Fall, dass ihr die Höhe der bis September 2002 gezahlten Sozialversicherungsbeiträge bekannt gewesen wären, diese vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt ihrer Prognoseentscheidung (09.09.2002) maßgeblichen BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 27/02, juris m. w. N. zu vorausgegangenen BFH-Entscheidungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgezogen hätte. Gegen eine Prüfung der Rechtserheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen im Rahmen des § 70 Abs. 4 EStG spricht, zum einen dass bei einer Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG - anders als in Fällen des § 173 Abs. 1 AO - stets auch Tatsachen zu würdigen sind, welche im Rahmen der Prognoseentscheidung mangels Entstehung noch nicht rechtlich gewürdigt werden konnten. Die Rechtserheblichkeitsprüfung könnte damit nur im Hinblick auf Tatsachen erfolgen, welche im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung bereits entstanden, aber noch nicht bekannt waren. Nur insoweit könnte ernsthaft die Frage gestellt werden, ob allein das nachträgliche Bekanntwerden ursächlich für die vorzunehmende Korrektur ist (vgl. zur Ursächlichkeitsprüfung bei § 173 Abs. 1 AO von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO und FGO, 190. Lieferung August 2006, § 173 AO Rn. 125). Die Ansicht des Senats wird zum anderen durch den Wortlaut der Vorschrift gestützt, woraus gerade keine Beschränkung auf nachträglich bekannt gewordene Tatsachen ersichtlich wird. Auch die Gesetezsbegründung (BT-Drucks 14/6160 S. 14) enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Änderung nur dann zulassen wollte, wenn ausschließlich das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen für eine Korrektur ursächlich ist und nicht auch eine geänderte Rechtsansicht.

Der Kl. begehrte die Änderung bzw. Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 09.09.2002 auch innerhalb der Festsetzungsfrist. Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 155 Abs. 4 AO und § 31 Satz 3 EStG vier Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer - hier zu lesen: Steuervergütung i. S. v. § 31 Satz 3 EStG - entstanden ist. Dies war das Jahr 2002. Die Festsetzungsfrist läuft danach erst mit Ablauf des Jahres 2006 ab.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 3, 155 i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

V.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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