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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.03.2006
Aktenzeichen: 15 K 4885/02 Kg
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 218 Abs. 2
EStG § 74 Abs. 2
SGB X § 104 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

15 K 4885/02 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Kindergeld für ein volljähriges, behindertes Kind, das u. a. Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hat, an den mangels eigener finanzieller Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtigen Vater auszuzahlen ist.

Der Kläger (Kl.) ist der Vater des am 26.04.1962 geborenen Kindes M.... M... ist zu 100 % schwerbehindert und war bis Oktober 1999 stationär in C... untergebracht. Die Kosten trug der Landschaftsverband X.......... Der Kl. und seine Ehefrau waren mangels eigener finanzieller Leistungsfähigkeit nicht an den Kosten beteiligt. Ab 01.11.1999 bewohnte M... eine eigene Wohnung. Er erhielt von der Stadt C...... Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) i. H. v. monatlich 1.588 DM, Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 BSHG i. H. v. monatlich 3.397 DM (ab 01.06.2000: monatlich 2.660 DM) sowie ab 01.01.2001 Hilfe zur Pflege. Es wird wegen der Bezüge des M... auf das Schreiben der Stadt C...... an die Beklagte (Bekl.) vom 11.01.2001 Bezug genommen. Der Kl. und seine Ehefrau wurden für den Unterhalt von M... von der Stadt C...... nicht in Regress genommen. Die Stadt C...... meldete bei der Bekl. Erstattungsansprüche an.

Der Kl. beantragte am 08.01.2000 für M... Kindergeld. Die Bekl. setzte ab Dezember 1999 Kindergeld für M... fest und teilte gleichzeitig mit, dass der Anspruch von Dezember 1999 bis Juni 2002 i. H. v. 4.088,90 EUR wegen des Erstattungsanspruchs der Stadt C...... als erfüllt gelte (Bescheid vom 04.02.2002).

Dagegen legte der Kl. Einspruch ein. Der Kl. trug zur Begründung vor, die Stadt C...... habe gar keinen Erstattungsanspruch gegen ihn. Eine Auszahlung des Kindergelds an den Träger der Sozialhilfe gemäß § 74 Abs. 1 EStG komme nicht in Betracht, weil der Kl. eigenen Aufwand zur Betreuung seines Kindes habe. Eine Überleitung des Kindergeldanspruchs auf die Stadt C...... sei rechtswidrig, weil die Stadt C...... keine Unterhaltsansprüche gegen den Kl. habe. Der Einspruch wurden mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 02.08.2002 als unbegründet zurückgewiesen.

Neben dem Kl. machte auch M... mit Schreiben vom 18.07.2002 für den Zeitraum Dezember 1999 bis Juni 2002 Kindergeldansprüche geltend.

Am 05.09.2002 erhob der Kl. Klage. Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf seinen Einspruch und trägt ergänzend vor, die Bekl. sei irrig davon ausgegangen, dass das Kindergeld dem M... zustehe. Tatsächlich stehe es aber dem Kl. zu. M... sei in der Vergangenheit und auch noch heute auf ständige Hilfe seiner Eltern angewiesen. Diese leisteten einen finanziellen Beitrag, der das monatliche Kindergeld übersteige. Wegen der Einzelheiten der Unterstützungsleistungen wird auf den Schriftsatz des Kl. vom 09.03.2006 Bezug genommen.

Der Kl. beantragt,

den Bescheid der Bekl. vom 04.07.2002 in der Fassung der EE vom 02.08.2002 aufzuheben und die Bekl. zu verpflichten, dem Kl. antragsgemäß Kindergeld für Dezember 1999 bis Juni 2002 in Höhe des noch nicht gezahlten Teils von 4.088,90 EUR auszuzahlen.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, in Höhe des streitigen Betrags von 4.088,90 EUR sei das Kindergeld an die Stadt C...... gezahlt worden, da diese für den Zeitraum Dezember 1999 bis Juni 2002 ohne Anrechnung des Kindergelds Hilfe zum Lebensunterhalt an M... gezahlt habe. Der den Erstattungsbetrag übersteigende Betrag i. H. v. 276,10 EUR sei an den Kl. ausgezahlt worden. Die Stadt C...... habe an M... Sozialleistungen erbracht und dabei das Kindergeld nicht angerechnet, daher habe sie gegenüber der vorrangig zur Leistung verpflichteten Bekl. einen Erstattungsanspruch.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kl. nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

Der Senat legt den Antrag des Kl. der Gestalt aus, dass der Kl. sich gegen die Abrechnung gem. § 218 Abs. 2 AO wehren will, mit der das Erlöschen eines Teils seines Kindergeldanspruchs festgestellt wurde. Der Bescheid des Bekl. vom 04.07.2002 hat zwei Regelungsgegenstände. Zum einen wird darin das Kindergeld ab Dezember 1999 zu Gunsten des Kl. festgesetzt. Dagegen will der Kl. sich nicht wehren. Zum anderen wird aber auch das Erlöschen des Kindergeldanspruchs gemäß § 74 Abs. 2 EStG i. V. m. § 107 SGB X festgestellt. Diese Regelung stellt eine Abrechnung i. S. v. § 218 Abs. 2 AO dar. Für einen Abrechnungsbescheid ist nicht erforderlich, dass ein darauf gerichteter Antrag durch den Steuerpflichtigen gestellt wird, ein Abrechnungsbescheid kann auch von Amts wegen ergehen (Tipke-Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 218 AO Rn. 24).

Die von der Bekl. vorgenommene Abrechnung ist inhaltlich nicht zu beanstanden, denn der Kindergeldanspruch des Kl. ist durch die an die Stadt C...... erfolgte Erstattungszahlung gemäß § 107 SGB X erloschen.

Gemäß § 74 Abs. 2 EStG in der für den streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung (im Folgenden: EStG) i. V. m. § 104 Abs. 1 SGB X hat ein nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den vorrangig zur Leistung verpflichteten Sozialleistungsträger, soweit der nachrangig verpflichtete Leistungsträger Leistungen erbracht hat. Dies gilt gemäß § 74 Abs. 2 EStG i. V. m. § 104 Abs. 2 SGB X auch dann, wenn ein nachrangiger Sozialleistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht hat und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen hat (sh. dazu FG des Landes Sachsen-Anhalt, EFG 2000, 324; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, EStG § 74 Rn. 70; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 74 EStG Rn. C 2; Diering/Timme/Waschull, Sozialgesetzbuch X 1. Aufl. 2004, § 104 Rn. 22). Sozialhilfe ist gegenüber dem Kindergeldanspruch nachrangig (BFH/NV 2002, 1156; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.10.2002, 3 K 1503/02, Juris; Diering/Timme/Waschull a. a. O. Rn. 34). Ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt außerdem voraus, dass die von den verschiedenen Sozialleistungsträgern erbrachten Leistungen in der Weise gleichartig sind, dass sie dem selben Zweck dienen (BFH vom 07.12.2004, VIII R 57/04, Juris). Dies ist bei Kindergeld und laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG der Fall (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.10.2002, 3 K 1503/02, Juris).

Im Streitfall hat der Bekl. das Kindergeld zu Recht gemäß § 104 Abs. 1, Abs. 2 SGB X an die Stadt C...... erstattet mit der Folge, dass der Kindergeldanspruch des Kl. gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gilt. Entgegen der Auffassung des Kl. steht dem nicht der Umstand entgegen, dass nicht der die Sozialhilfe beziehende Sohn M..., sondern der Kl. gemäß § 62 EStG Anspruchsberechtigter der Kindergelds war. Diese Fallkonstellation hat der Gesetzgeber gesehen und in § 104 Abs. 2 SGB X geregelt. Der Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 SGB X besteht nach seinem Abs. 2 nämlich auch dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger (Stadt C......) für einen Angehörigen (M...) Sozialleistungen erbringt und ein anderer (der Kl.) mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen (Kindergeld) hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



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