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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 3 K 3466/05 E
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 24 Abs. 1a
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

3 K 3466/05 E

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 08.11.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.07.2005 wird dahingehend geändert, dass der in den Einkünften enthaltene steuerpflichtige Teil der Abfindungszahlung in Höhe von 27.729 Euro gem. § 34 EStG ermäßigt besteuert wird.

Die Steuerberechnung wird dem Beklagten auferlegt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Die Parteien streiten darüber, ob eine im Streitjahr 2003 gezahlte Abfindung gem. § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) ermäßigt zu besteuern ist.

Die Kläger (Kl.) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr 2003 zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Der Kl. arbeitete als Werkzeugmacher in einem im Bereich Werkzeug- und Vorrichtungsbau tätigen Betrieb. Seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit beliefen sich im Jahr 2002 auf 88.287 Euro. Weitere Einkünfte bezogen die Eheleute nicht. Auf die Angaben der Kl. und den ESt-Bescheid 2002 in der Steuerakte wird insoweit Bezug genommen.

Mit am 28.05.2002 ausgehändigten Schreiben kündigte der Arbeitgeber des Kl. das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 31.12.2002 und bot dem Kl. ab dem 01.01.2003 den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit geänderten finanziellen und arbeitszeitlichen Bedingungen an. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Kündigungsschreibens (Bl. 28 der GA) Bezug genommen. Am 01.06.2002 erklärte sich der Kl. mit den geänderten Bedingungen einverstanden. Auf die Kopie des Schreibens (Bl. 29 GA) wird hingewiesen.

Am 24.03.2003 schlossen der Kl. und sein Arbeitgeber einen Abwicklungsvertrag. Unter Bezugnahme auf die betriebsbedingte Kündigung vom 30.11.2002 (vgl. Kopie Bl. 52 GA) zum 30.06.2003 vereinbarten die Vertragsparteien, dass der Kl. unter Freistellung von der Arbeitsverpflichtung ein monatliches Nettogehalt von 1.665 Euro erhalten und bei vorzeitigem Rentenbeginn das Arbeitsverhältnis enden solle. Ausserdem verpflichtete sich der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung gem. §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz, § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 40.000 Euro netto. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Abwicklungsvertrages (Bl. 26/27 GA) Bezug genommen.

Seit dem 01.02.2003 erhält der Kl. eine Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie eine Berufsunfähigkeitsrente aus der Lebensversicherungs AG sowie eine Betriebspension. Außerdem zahlte der Arbeitgeber des Kl. die vereinbarte Abfindung. Für den Monat Januar 2003 erhielt der Kl. das in der Änderungskündigung vereinbarte Gehalt.

Mit der ESt-Erklärung für das Streitjahr 2003 beantragte der Kl. die ermäßigte Besteuerung des steuerpflichtigen Teils der Abfindungszahlung. Nach Abzug des Freibetrages i. S. d. § 3 Nr. 9 EStG belief sich der steuerpflichtige Teil der Abfindung auf 27.729 Euro. Der Bekl. lehnte die ermäßigte Besteuerung gem. § 34 EStG ab, da es an einer Zusammenballung von Einkünften im Streitjahr fehle. Er setzte die ESt für die Kl. durch Bescheid vom 08.11.2004 auf 5.424 Euro zzgl. Nebenleistungen fest. Zu den Einzelheiten wird auf den Bescheid (Bl. 40 - 42 der Steuerakte) Bezug genommen. Der dagegen gerichtete Einspruch der Kl. war erfolglos.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kl. das Begehren auf ermäßigte Besteuerung der Abfindungszahlung weiter.

Sie vertreten die Auffassung, dass man entgegen der Ansicht des Bekl. zu der Frage, ob eine Zusammenballung der Einkünfte vorliege, nicht auf die Einkommensverhältnisse des Vorjahres abstellen dürfe. Der Bekl. verkenne insoweit, dass durch die Änderungskündigung vom 28.05.2002 für das Jahr 2003, in dem auch die Abfindung gezahlt worden sei, mit dem Jahr 2002 nicht vergleichbare Verhältnisse geschaffen worden seien.

Die Kl. beantragen sinngemäß,

den ESt-Bescheid 2003 vom 08.11.2004 in Gestalt der EE vom 21.07.2005 zu ändern und auf den steuerpflichtigen Teil der in den Einkünften enthaltenen Entschädigungszahlung i.H.v. 27.729 Euro § 34 EStG anzuwenden.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Auffassung fest, dass es entsprechend dem Urteil des BFH vom 04.03.1998 (XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787) und dem BMF-Schreiben vom 24.05.2004 (BStBl. I 2004, 505) bei der Frage der Zusammenballung der Einkünfte auf die Lohneinkünfte des Vorjahres ankomme. Bereits durch die Änderungskündigung vom 28.05.2002 sei das bestehende Arbeitsverhältnis gestört gewesen.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der steuerpflichtige Teil der Abfindungszahlung, die der Kl. aufgrund des Auflösungsvertrages vom 24.02.2003 erhalten hat, ist gem. § 34 EStG ermäßigt zu besteuern.

Gem. § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 EStG unterliegen Entschädigungen i. S. d. § 24 Nr. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung.

Bei der Abfindung lt. Auflösungsvertrag vom 24.02.2003 handelt es sich um eine Entschädigung i. S. v. § 24 Abs. 1 a EStG, da der Kl. die Zahlung zum Ausgleich für die Nachteile wegen der betriebsbedingten Auflösung seines Dienstverhältnisses durch die Kündigung vom 30.11.202 erhalten hat.

Eine derartige Entschädigung ist nur dann tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einkünften innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, wenn die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums (Jahresende) entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnis nicht bezogen hätte. Eine Zusammenballung von Einkünften ist danach nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige in Folge der Entschädigungszahlung in einem Veranlagungszeitraum mehr erhält, als er bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte. Nur in diesem Fall ist die Ermäßigung des Steuersatzes gerechtfertigt, da die Regelung des § 34 EStG bezweckt, die progressionsbedingte Mehrbelastung von Einkünften, deren Zufluss sich normalerweise auf mehrere Jahre verteilt hätte, zu verringern. Erhält der Steuerpflichtige dagegen weniger oder ebenso viel, wie er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, so besteht für eine Milderung der Progression kein Anlass. Der Senat schließt sich hinsichtlich dieser Grundsätze der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 04.03.1998 (XI R 46/97, BStBl. II 1998, 787) an.

Zur Feststellung, ob eine Zusammenballung von Einkünften gegeben ist, sind zunächst die Einkünfte zu berechnen, die der Steuerpflichtige bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Abfindungsjahr erhalten hätte. Zu einer Tarifbegünstigung i. S. d. § 34 EStG kommt es dann, wenn dieser Betrag durch die anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung so wie ggfls. weitere Einnahmen, die bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen worden wären, überstiegen wird. Für die Berechnung der Einkünfte, die der Steuerpflichtige bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Abfindungsjahr erhalten hätte, hat sich der BFH in seiner Entscheidung vom 04.03.1998 (a. a. O.) an den Lohneinkünften der Vorjahre orientiert. Dieser Vorgehensweise haben sich die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben vom 24.05.2004 (BStBl I 2004, 505; III 2.2) und auch Teile der Kommentarliteratur (z. B. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 34 EStG Rdz 54) angeschlossen.

Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass die Orientierung an den Lohneinkünften des Vorjahres nicht für jeden Fall zu mit dem Gesetzeszweck in Einklang stehenden Ergebnissen führt.

In dem vom BFH entschiedenen Fall ging es um die Abfindungszahlung an einen Handelsvertreter, der neben einem festen Monatsgehalt eine Vergütung auf Provisionsbasis erhielt. Für die Frage, welche Einkünfte der Handelsvertreter bei normalem Verlauf im Jahr der Abfindungszahlung erhalten hätte, war daher eine Prognoseentscheidung zu treffen. Für diese Prognoseentscheidung war es sachgerecht, sich an den Provisionseinkünften der Vorjahre zu orientieren.

Der vorliegend zu entscheidende Fall liegt aber anders. Für die Frage, welche Einkünfte der Kl. ohne den Auflösungsvertrag im Streitjahr erzielt hätte, ist eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf variable Gehaltsbestandteile nicht erforderlich. Eine Orientierung an den Vorjahren wäre daher nicht sachgerecht. Der Senat geht vielmehr wie auch der Kl. davon aus, dass aufgrund der vom Kl. akzeptierten Änderungskündigung vom 28.05.2002 für das Streitjahr gegenüber dem Vorjahr hinsichtlich der Lohnansprüche des Kl. veränderte Verhältnisse vorliegen. Ab dem 01.01.2003 stand dem Kl. nur noch ein wesentlich geringerer Lohn bei entsprechend angepasster Arbeitzeit zu. Dieser Lohnanspruch ist der oben geschilderten Vergleichsberechnung zur Feststellung, ob eine Zusammenballung von Einkünften vorliegt, zugrundezulegen. Nach Auffassung des Senats ist auch in der Änderungskündigung vom 28.05.2002 nicht das schadensstiftende, die Abfindungszahlung auslösende Ereignis zu sehen. Denn der Kl. war damit einverstanden, zu den Bedingungen laut Änderungskündigung weiter zu arbeiten. Das schadensstiftende Ereignis liegt vielmehr erst in der weiteren Kündigung vom 30.11.2002, durch die das Arbeitsverhältnis in der Gestalt, die es durch die Änderungskündigung gefunden hatte, gegen Abfindungszahlung beendet wurde. Dass dem Auflösungsvertrag vom 24.02.2003 dieses neue Arbeitsverhältnis zu Grunde lag, wird auch dadurch deutlich, dass sich die Abfindung an dem neuen Arbeitslohn orientiert hat. Die Höhe der Abfindung entspricht nämlich in etwa dem 18-fachen des lt. Änderungskündigung maßgeblichen Bruttolohns von ca. 2.400 Euro (vgl. dazu § 10 Kündigungsschutzgesetz).

Aufgrund der vom Kl. vorgelegten Vergleichsberechnung (vgl. Bl. 39 der GA), die der Senat für zutreffend hält, ergibt sich, dass im Streitjahr eine Zusammenballung von Einkünften i. S. d. § 34 EStG gegeben und dem Kl. deshalb die Tarifermäßigung zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO, die zur Vollstreckbarkeit auf §§ 155, § 151 Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708, 709, 711 ZPO.

Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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