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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 23.10.2008
Aktenzeichen: 5 K 4269/06 Kg
Rechtsgebiete: AufenthG, EStG


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 3
EStG § 52 Abs. 61 S. 2 Buchst. a
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c)
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

5 K 4269/06 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die verwitwete Klägerin (Klin.) ist ausländische Staatsangehörige. Sie lebt seit Januar 2004 gemeinsam mit ihrem am 19. Februar 1989 geborenen Sohn S und ihrer am 22. Juni 1994 geborenen Tochter T in Deutschland. Vom 16. Februar 2004 bis zum 9. Juni 2005 war sie im Besitz einer Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens, danach bis zum 29. Juni 2005 im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Seit dem 29. Juni 2005 ist sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Die Klin. ist nicht erwerbstätig. Sie bezieht seit dem 9. März 2004 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bzw. nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Anträge der Klin. auf Gewährung von Kindergeld für ihre beiden Kinder vom 14. Juli 2005 und vom 21. Oktober 2005 wurden jeweils durch die Beklagte (Bekl.) abgelehnt. Der Bescheid der Bekl. vom 3. August 2005, mit dem der Kindergeldantrag vom 14. Juli 2005 abgelehnt wurde, enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Bescheid der Bekl. vom 11. Januar 2006, mit dem der Kindergeldantrag vom 21. Oktober 2005 abgelehnt wurde, enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung. Gegen diese Ablehnungen wandte sich die Klin. zunächst nicht. Am 17. August 2006 beantragte die Klin. Kindergeld für ihr Kind T rückwirkend ab dem 29. Juni 2005. Die Bekl. lehnte den Antrag am 14. September 2006 unter Verweis auf § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der damals gültigen Fassung (a.F.) ab.

Hiergegen legte die Klin. am 19. September 2006 Einspruch ein, den sie damit begründete, dass § 62 EStG a.F. verfassungs- und menschenrechtswidrig sei. Sie verwies auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97), des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 25. Oktober 2005 (59140/00) und des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23. Januar 2006 (16 K 12/04). Durch Einspruchsentscheidung vom 20. September 2006 wies die Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück, da die genannte Entscheidung des BVerfG nicht einschlägig sei.

Am 5. Oktober 2006 hat die Klin. Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass § 62 EStG auch in seiner Neufassung (n.F.) gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG) und gegen den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verstoße. Die Neufassung entspreche nicht den Vorgaben des BVerfG. Auch die Bundestagsfraktionen der FDP, von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken hielten die Neufassung für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe die vom BVerfG vorgegebene Frist für die Einführung der Neuregelung nicht eingehalten. Die Klin. ist ferner der Ansicht, sie habe bereits unmittelbar aus Art. 28 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 einen Anspruch auf Kindergeld. Nach dieser Vorschrift seien Personen, die subsidiären Schutz nach dieser Richtlinie genössen, im Hinblick auf Sozialleistungen den deutschen Staatsangehörigen gleich zu stellen.

Die Klin. beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 14. September 2006 und vom 20. September 2006 der Klin. rückwirkend ab Juni 2005;

hilfsweise ab Antragstellung, Kindergeld für das Kind T, zu gewähren,

hilfsweise,

den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung der Frage vorzulegen, ob subsidiär Geschützte im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 Anspruch auf Kindergeld haben so wie deutsche Staatsangehörige.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, nach der vorliegend einschlägigen Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG habe die Klin. keinen Anspruch auf Kindergeld, da sie nur eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitze und weder erwerbstätig sei noch Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehe.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. Juni 2008 (Klin.) bzw. vom 19. August 2008 (Bekl.) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 14. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. September 2006 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klin. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Der Klin. steht für ihr Kind T kein Kindergeld für den streitigen Zeitraum zu.

Für den Zeitraum ab Juni 2005 bis einschließlich August 2005 ergibt sich dies bereits aus der bestandskräftig gewordenen Ablehnung des Kindergeldes vom 3. August 2005. Die Ablehnung von Kindergeld bindet bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids. Ab dem Folgemonat kann erneut - auch rückwirkend - Kindergeld beantragt werden (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89).

Für den Zeitraum ab September 2005 hat die Klin. nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 c) EStG n.F. keinen Anspruch auf Kindergeld. Nach dieser Vorschrift erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, nur dann Kindergeld, wenn er sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldzahlungen nach dem SGB III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Die durch Gesetz vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915) eingeführte Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ist gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.

Die Klin. ist seit dem 29. Juni 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Da sie sich seit dem 16. Februar 2004 gestattet in Deutschland aufhält, ist zwar die Dreijahresfrist seit Februar 2007 abgelaufen. Die Klin. ist jedoch im gesamten streitigen Zeitraum weder erwerbstätig gewesen noch hat sie Leistungen nach dem SGB III bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen. Die von ihr bezogenen Leistungen beruhten auf dem AsylbLG und auf dem SGB II.

Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, sind sowohl die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die zeitliche Anwendungsregelung (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG) verfassungsgemäß (BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, HFR 2007, 672;vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, HFR 2008, 353;vom 21. Februar 2008, III R 79/03, HFR 2008, 709, BFH/NV 2008, 1036). In den beiden letztgenannten Entscheidungen tritt der BFH ausdrücklich den Entscheidungen des Finanzgerichts Köln vom 9. Mai 2007 (10 K 1690/07, EFG 2007, 1247; 10 K 983/04, EFG 2007, 1254) entgegen, das die Neuregelungen für verfassungswidrig hält. Nach dem von der Klin. angeführten Urteil des BVerfG vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, HFR 2005, 162) liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die Gewährung von Kindergeld allein von der Art des Aufenthaltstitels abhängt. Da § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG im Hinblick auf die in § 62 Abs. 2 c) EStG genannten Aufenthaltstitel eine Differenzierung vornimmt, wird gerade nicht mehr allein auf den Aufenthaltstitel abgestellt, so dass nach Auffassung des Senats kein Verfassungsverstoß vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, HFR 2008, 353).

Die Klin. hat auch keinen Anspruch auf Kindergeld aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 28 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, diese Bestimmungen gegenüber allen nicht richtlinienkonformen nationalen Vorschriften herangezogen werden (EuGH-Urteil vom 30. April 1996, Rs. C-194/94, Slg. 1996 I-2201, Rn. 42 m.w.N.). Aus Art. 28 der genannten Richtlinie ergibt sich nach Auffassung des Senats nicht, dass Personen mit subsidiärem Schutzstatus einen Anspruch auf Kindergeld haben.

Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

"Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der die jeweilige Rechtsstellung gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaates erhalten."

Nach Art. 28 Abs. 2 kann die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränkt werden.

Der Klin., die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist, ist unstreitig der subsidiäre Schutzstatus im Sinne der Richtlinie zuerkannt worden. Das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld stellt jedoch keine Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie dar. Der Begriff der "Sozialhilfe" ist nach den Grundsätzen des Europarechts auszulegen. Danach zeichnet sich die Sozialhilfe dadurch aus, dass das Merkmal der Bedürftigkeit als besondere persönliche Anspruchsvoraussetzung gegeben ist. Dagegen fallen solche Leistungen, die keine Beurteilung nach dem Einzelfall vorsehen, nicht unter die Sozialhilfe (vgl. EuGH-Urteil vom 5. Mai 1983 C-139/82, Slg. 1983, 1427, Rn. 11). Das Kindergeld wird dagegen nach § 62 EStG unabhängig davon gewährt, ob der Anspruchsberechtigte bedürftig ist oder nicht.

Selbst wenn das Kindergeld abweichend von dieser Auffassung als "Sozialhilfe" in diesem Sinne anzusehen sein sollte, stellen die in § 62 Abs. 2 EStG vorgenommenen zusätzlichen Voraussetzungen eine zulässige Beschränkung auf Kernleistungen für Personen mit subsidiärem Schutzstatus gemäß Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie dar. Nach der Richtlinie soll sichergestellt werden, dass ein Mindesteinkommen und eine Unterstützung unter anderem bei Elternschaft gewährt wird (vgl. Erwägungsgrund 34). Diese Unterstützungsleistungen werden aber bereits durch die Leistungen nach dem AsylbLG und dem SGB II abgedeckt, die auch der Klin. zustehen und von ihr im streitigen Zeitraum in Anspruch genommen wurden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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