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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: 5 K 6335/04 U
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, UStG, GG


Vorschriften:

AO 1977 § 163
AO 1977 § 227
FGO § 102
UStG § 4 Nr. 14
GG Art. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

5 K 6335/04 U

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen.

Der Kläger ist Plastischer Chirurg. Anlässlich einer Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass ärztliche Leistungen des Klägers nur insoweit gem. § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz - UStG - von der Umsatzsteuer befreit seien, als es sich um Heilbehandlungen handele. Heilbehandlungen im Sinne der Befreiungsvorschrift lägen nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nur vor, wenn die Leistungen des Arztes der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienten. Die Umsatzsteuerbefreiung für ästhetischplastische Leistungen eines Chirurgen hänge demzufolge davon ab, ob die Leistungen medizinisch indiziert seien oder nicht. Wegen der erschwerten Sachverhaltsermittlung bezüglich der Höhe der Umsätze aus medizinisch nicht indizierten Leistungen sowie der abzugsfähigen Vorsteuerbeträge trafen die Beteiligten am 16. Juni 2004 eine tatsächliche Verständigung. Von dieser tatsächlichen Verständigung sollten ausdrücklich die Rechtsfragen, ob medizinisch nicht indizierte Leistungen eines Chirurgen der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien und wenn ja, ob ggf. eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen in Betracht komme, ausgenommen werden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die tatsächliche Verständigung vom 16. Juni 2004 und den BpBericht vom 29. Juni 2004 Bezug genommen (Bl. 28 - 40 GA).

Der Beklagte erließ am 3. September 2004 für die Streitjahre 1998 bis 2002 erstmalig USt-Bescheide. Die hiergegen eingelegten Einsprüche nahm der Kläger nach Ergehen des BFH-Urteils vom 15. Juli 2004 V R 27/03 (BStBl II 2004, 862) zurück.

Er beantragte stattdessen eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen. Zur Begründung trug er vor, dass seit Geltung des Umsatzsteuergesetzes 1968 die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt gem. § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei seien. Es werde noch in der UStHandausgabe 2002 mit keinem Hinweis erwähnt, dass medizinisch nicht indizierte Schönheitsoperationen ästhetischplastischer Art von der Umsatzsteuerbefreiung ausgeschlossen seien. Erstmals sei mit BMFSchreiben vom 8. November 2001 (BStBl I 2001, 826) im Anschluss an das EuGHUrteil vom 14. September 2000 ( Rs. C384/98 - in Slg. 2000, I - 6795, UR 2000, 432) die Umsatzsteuerbefreiung auf solche Leistungen beschränkt worden, die der medizinischen Betreuung von Personen durch Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienten. Dieses BMF-Schreiben enthalte bereits eine Billigkeitsregelung dahingehend, dass, soweit die Regelungen zur Steuerpflicht in diesem Schreiben über die Regelungen im BMF-Schreiben vom 13. Februar 2001 (BStBl. I 2001, 157) hinausgingen, die zusätzliche Steuerpflicht erst für Umsätze gelte, die nach dem 31.12.2001 erbracht würden. Im Übrigen verwies er auf die Verfügung der OFD Stuttgart vom 25. August 2003 (S 7170). Hätte er gewusst, dass die Rechtsprechung seine Umsätze als plastischer Chirurg der USt unterwerfen würde und die Finanzverwaltung ohne Billigkeitsregelung für zurückliegende Zeiträume dieser Rechtsprechung folgen würde, hätte er selbstverständlich seine Honorarrechnung mit Umsatzsteuer ausgewiesen und diese ohne eigenen finanziellen Schaden steuerneutral erhalten. Zivilrechtlich sei es ihm nachträglich verwehrt, von seinen Auftraggebern die Umsatzsteuer nachzufordern, da die Vertragslage dies nicht zulasse. Ihm sei bekannt, dass die OFD Münster mit Verfügung vom 20. Juni 2002 (S 7170-49-St 11-32), zuletzt aktualisiert am 12. Oktober 2004, jeglichen Vertrauenstatbestand für die Vergangenheit abgelehnt habe und die Steuerpflicht auf alle offenen Fälle anwende. Hiergegen werde der Einwand der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Grundgesetz (GG)) in Gestalt des Gleichbehandlungsgebots erhoben. Es stelle einen groben Ermessensverstoß dar, je nach Bundesland gleiche Sachverhalte steuerlich ungleich zu behandeln, obwohl das UStG als Bundesgesetz als auch die Abgabenordnung - AO - eine bundeseinheitliche Auslegung erfordere.

Mit Bescheid vom 12. November 2004, auf den Bezug genommen wird, lehnte der Beklagte den Antrag auf abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer für die Streitjahre ab. Zur Begründung führte er aus, dass Treu und Glauben im Rahmen einer gleichmäßigen Ermessensausübung eine Billigkeitsmaßnahme erfordern könnte, wenn die Behörde ihr Ermessen durch Richtlinie rechtmäßig gebunden habe. Die Steuerpflicht der Leistungen aus der Tätigkeit ästhetischplastischer Chirurgen sei nach den Erörterungen auf Bundesebene nicht mit einer bundeseinheitlichen Übergangsregelung versehen worden. Eine Anwendungsregelung sei nach dem Beschluss der Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder nur möglich, soweit in den jeweiligen Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände z.B. durch Erlass oder Verfügungen geschaffen worden seien. Nach dem Erlass des Finanzministeriums NRW vom 8. Juli 2003 seien in NordrheinWestfalen in der Vergangenheit keine Regelungen zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG getroffen worden, die etwaige Vertrauenstatbestände begründen könnten. Die vom Kläger angeführten BMFSchreiben vom 13. Februar 2001 (a.a.O.) und 8. November 2001 (a.a.O.) enthielten weder eine Neuregelung noch eine Aussage zu Billigkeitsmaßnahmen bei der umsatzsteuerlichen Behandlung von Umsätzen aus medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen. Eine Änderung von Verwaltungsanweisungen liege insoweit nicht vor. Auch sei eine Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BFH vom 15. Juli 2004 V R 27/03 (a.a.O.) nicht eingetreten.

Im Übrigen sei der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt. Die uneinheitliche Behandlung in den Bundesländern hinsichtlich der Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen begründe sich allein dadurch, dass einzelne Länder in der Vergangenheit z.B. durch Erlasse oder Verfügungen Vertrauenstatbestände geschaffen hätten, die durch die dadurch ausgelöste "Selbstbindung der Verwaltung" eine Anwendungsregelung erforderlich gemacht hätten.

Der Kläger hat hiergegen - mit entsprechender Zustimmung des Beklagten - die vorliegende Sprungklage erhoben. Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, dass der BFH in seinem Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03 (a.a.O.) am Schluss der Urteilsgründe angemerkt habe, dass bei der Frage nach Billigkeitsmaßnahmen die bisherige Behandlung der Schönheitsoperationen durch die Finanzverwaltung eine Rolle spielen könne. Folglich habe der BFH, auch wenn die Anwendung des § 163 AO in dem Urteil nicht Streitgegenstand gewesen sei, einen eindeutigen rechtlichen Hinweis gegeben, den der Beklagte vergeblich zu ignorieren versuche.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 12. November 2004 den Beklagten zu verpflichten, aus sachlichen Billigkeitsgründen nach Maßgabe des § 163 S. 1 AO die Umsatzsteuer 1998 bis 2002 nach Abzug der von ihm erzielten Umsätze aus plastischkosmetischen Schönheitsoperationen von der Bemessungsgrundlage sowie die darauf entfallenden Nachzahlungszinsen niedriger festzusetzen,

hilfsweise,

für den Fall der Unterliegens, die Zulassung der Revision.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, dass ein Vertrauensschutz zu Gunsten des Klägers vorliegend nicht gegeben sei. Soweit sich der Kläger auf die Verfügung der OFD Stuttgart vom 25. August 2003 (a.a.O) berufe, sei offensichtlich, dass in den hier betroffenen Streitjahren bis 2002 Dispositionen im Vertrauen auf diese Verfügung nicht getroffen worden sein könnten. Andere Anweisungen, aus denen sich ein Vertrauensschutz ergeben könnte, seien weder vom Kläger angeführt noch anderweitig bekannt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Finanzamts-Akten verwiesen.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Entscheidung des Beklagten, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

Gem. § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603).

Die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidungen darf das Gericht nach § 102 FGO nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

Dem Bescheid vom 12. November 2004, mit dem der Antrag auf abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 1998 bis 2002 abgelehnt worden ist, vermag der erkennende Senat keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die darauf schließen lassen, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Vorschrift des § 163 AO nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Der Beklagte hat in seiner Entscheidung zutreffend das Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen, die eine abweichende Steuerfestsetzung gem. § 163 AO rechtfertigen könnten, verneint.

Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt -, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. Beschluss des BVerfG vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441).

Der Beklagte hat in seinem Ablehnungsbescheid unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung das Vorliegen sachlicher Billigkeitsgründe verneint. Die Umsatzsteuerbelastung der von dem Kläger getätigten und der Umsatzbesteuerung unterworfenen Umsätze entspricht den Wertungen des Gesetzgebers.

Nach § 4 Nr. 14 UStG sind u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der Umsatzsteuer befreit.

§ 4 Nr. 14 UStG beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (so auch die Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 14 UStG). Die Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c lautet:

"(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedsstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedsstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."

Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen; befreit sind nur diejenigen Leistungen, deren Zweck der Schutz der menschlichen Gesundheit ist; die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (EuGH-Urteil vom 14. September 2000 - RS. C-384/98 - in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432). Dieser Auffassung hat sich auch der BFH in seiner Entscheidung vom 15. Juli 2004 (V R 27/03, a.a.O.) angeschlossen.

Bereits zu § 4 Nr. 14 UStG 1967, auf den der Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG 1993 zurückgeht, hat der BFH entschieden, dass nicht alle vom Arzt ausgeführten Umsätze steuerfrei sind, sondern nur diejenigen, die er in Ausübung seiner heilkundlichen Tätigkeit bewirkt. Solche Umsätze als Arzt lägen nach § 2 Abs. 4 der Bundesärzteordnung in der Fassung vom 4. Februar 1970 vor, wenn eine Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" gegeben sei. In Anlehnung an § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes vom 17. Februar 1939 werde unter Ausübung der Heilkunde jede berufs- oder erwerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden am Menschen verstanden (BFH-Urteil vom 26. Mai 1977 V R 95/76, BStBl II 1977, 879).

Da der Gesetzgeber mit § 4 Nr. 14 UStG 1980, der - soweit die Tätigkeit als Arzt betroffen ist - mit der in den Streitjahren gültigen Fassung des § 4 Nr. 14 UStG wortgleich ist, nur die Richtlinienvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL umsetzen wollte und nach der nationalen Regelung medizinisch nicht indizierte Eingriffe nicht in Ausübung der heilkundlichen Tätigkeit erbracht werden, sind nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers die vorliegend strittigen Umsätze des Klägers nicht nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

Damit läuft die Festsetzung der Umsatzsteuer nicht den Wertungen des Gesetzgebers zuwider.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Finanzverwaltung durch ihr Verhalten auch keinen Vertrauenstatbestand gesetzt, auf dessen Einhaltung der Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vertrauen durfte.

Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt voraus. Ein solcher Vertrauenstatbestand besteht in einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen kann, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. Diese Vertrauenssituation kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden, nicht hingegen durch den Erlass allgemeiner Verwaltungsrichtlinien (st. Rspr., vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1988 VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284). Als im vorstehenden Sinn unbeachtliche Verwaltungsvorschriften sind insbesondere die norminterpretierenden Verwaltungsanweisungen gemeint, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden sicherstellen sollen, die aber keine Bindung aller Rechtsanwender wie durch eine Rechtsverordnung erreichen können und bei unzutreffender Gesetzesauslegung das Gericht nicht binden. Der zumindest konkludente Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt zudem vor allem dann, wenn - wie hier - die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610).

Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Abgesehen davon, dass für die Streitjahre keine allgemeinen Verwaltungsrichtlinien existierten, die besagt hätten, dass medizinisch nicht indizierte Leistungen eines plastischen Chirurgen gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei zu belassen seien, hat der Kläger vor Aufnahme seiner Tätigkeit weder eine verbindliche Zusage noch eine Auskunft beim Finanzamt darüber eingeholt, wie diese Umsätze steuerlich zu beurteilen seien. Im Übrigen enthält Abschn. 88 Abs. 2 der Umsatzsteuerrichtlinie 1996 den Hinweis, dass die Tätigkeit als Arzt die Ausübung der Heilkunde unter der Berufbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" sei. Zur Ausübung der Heilkunde gehöre jede Maßnahme, die der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen diene. Hiermit hat die Finanzverwaltung bereits vor den Streitjahren eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass nicht alle Umsätze eines Arztes unter die Steuerbefreiungsnorm fallen.

Medizinisch nicht indizierte Operationen - wie sie der Kläger ausgeführt hat, dienen gerade nicht der Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden.

Im Schreiben vom 13. Februar 2001 (BStBl I 2001, 157) hat das Bundesministerium der Finanzen - BMF - ausgeführt, dass bestimmte Umsätze im Zusammenhang mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachten, die bislang nach Abschnitt 88 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 UStR nach Auffassung der Finanzverwaltung unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG fielen, im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 14. September 2000 abweichend von der bisherigen Regelung in Abschnitt 88 Abs. 3 UStR nunmehr als steuerpflichtig zu behandeln seien. Die von dem Kläger geltend gemachte Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 8. November 2001 betrifft ebenfalls nur Umsätze im Zusammenhang mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens und ist an die Stelle des BMF-Schreibens vom 13. Februar 2001 getreten. Dies letztgenannte BMF-Schreiben ist teilweise, z.B. bezüglich Abschnitt 88 Abs. 3 Nr. 5 UStR, über die Regelung im Schreiben vom 13. Februar 2001 hinausgegangen. Nur soweit dies geschehen ist, wurde dem Steuerpflichtigen aus Billigkeitsgründen ein Wahlrecht eingeräumt, diese geänderte Verwaltungsauffassung erst auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2001 erbracht worden sind.

Beide BMF-Schreiben betreffen jedoch nicht Umsätze aus medizinisch nicht indizierten Leistungen eines plastischen Chirurgen.

Die im BMF-Schreiben vom 8. November 2001 gewährte Übergangsregelung kann auch nicht analog im Streitfall zu Gunsten des Klägers angewandt werden.

Übergangsregelungen stehen nicht im Belieben der Finanzverwaltung, sondern müssen jeweils durch § 163 oder § 227 AO gedeckt sein, andernfalls das Verordnungsrecht der Verwaltungsbehörden unkontrollierbar erweitert, damit in die Legislative eingegriffen und außerdem das aus Art. 20 des GG abgeleitete Recht der Rechtsprechung auf Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt würde.

Ungeachtet des Fehlens einer allgemeinen Verwaltungsanordnung hat der Beklagte zudem zutreffend geprüft, ob die Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des erstmals ergangenen höchstrichterlichen Urteils zu ändern ist. In fehlerfreier Ausübung seines Ermessens hat er eine derartige Maßnahme abgelehnt. Dies gilt zunächst für die Frage, ob im Wege einer allgemeinen Übergangsregelung ein Erlass der Steuer vorzunehmen gewesen wäre und der Kläger dem entsprechend hätte gestellt werden müssen, als wäre eine solche generelle Regelung ergangen. Der Beklagte hat hierzu in seiner ablehnenden Entscheidung ausgeführt, dass die Steuerpflicht der Leistungen aus der Tätigkeit ästhetischplastischer Chirurgen nach Erörterungen auf Bundesebene nicht mit einer bundeseinheitlichen Übergangsregelung versehen worden sei. Eine Anwendungsregelung sei ggf. auf Länderebene möglich, soweit in den jeweiligen Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände z.B. durch Erlasse oder Verfügungen geschaffen worden seien. Da es nach den vorstehenden Ausführungen keine bundeseinheitliche Richtlinienregelung oder ein BMFSchreiben zu Gunsten des Klägers gab, war mangels eines entsprechenden Vertrauenstatbestandes eine allgemeine Übergangsregelung anders als bei den in Abschnitt 88 Abs. 3 UStR genannten Umsätzen nicht erforderlich und geboten. Die Ablehnung einer allgemeinen - bundeseinheitlich gültigen - Übergangsregelung ist daher im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.

Wenn für die Verwaltung danach keine Notwendigkeit für eine allgemeine - bundeseinheitliche Übergangsregelung im Billigkeitswege bestand, war der Beklagte dennoch gehalten zu prüfen, ob aufgrund von Erlassen der nordrheinwestfälischen Finanzverwaltung bzw. Verfügungen der zuständigen Oberfinanzdirektion im vorliegenden Fall eine abweichende Festsetzung geboten war.

Der Beklagte hat auch dies zutreffend geprüft und verneint. Seine Ablehnung einer solchen Maßnahme lässt keinen Ermessensfehler erkennen. Zutreffend durfte der Beklagte darauf abstellen, dass es vorliegend im Bereich der nordrheinwestfälischen Finanzverwaltung und speziell im Bereich der OFD Münster an einem schützenswerten Vertrauen des Klägers gefehlt habe, da keine entsprechenden Verwaltungsanweisungen zu seinen Gunsten existierten. Ein Anlass, auf den bisherigen Zustand zu vertrauen, ist auch deshalb vorliegend zu verneinen, weil die Rechtslage unklar und bis zum Ergehen des Urteils des FG Berlin (vom 12 November 2002 7 K 7264/02, EFG 2003, 418) und nachfolgend der Entscheidung des BFH in der Rechtsprechung überhaupt noch nicht beantwortet war.

Schließlich vermag auch der Einwand des Klägers, dass die OFD Stuttgart eine Übergangsregelung für medizinisch nicht indizierte Leistungen eines plastischen Chirurgen bis zum 31.12.2002 getroffen hat, keine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu rechtfertigen. Hatte die OFD Stuttgart zuvor, anders als die OFD Münster und die Finanzverwaltung NRW durch eine entsprechend lautende Verfügung eine ausdrückliche Steuerfreiheit für die hier strittigen Leistungen geregelt, so liegt bereits eine andere Ausgangssituation vor als im Streitfall, die auch eine andere Behandlung - hier: Übergangsregelung - rechtfertigt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, wonach Gleiches gleich zu behandeln ist, wäre dann bereits aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssitutation nicht gegeben. Die OFD Stuttgart hätte dann nur umgesetzt, was auf Bundesebene diesbezüglich erörtert worden ist, nämlich die Einzelfallprüfung für jedes Bundesland und ggf. jede einzelne OFD.

Hat die OFD Stuttgart, ohne dass sie zuvor einen entsprechenden Vertrauenstatbestand gesetzt hätte, jedoch die vorliegende Übergangsregelung getroffen, so kann sich der Kläger auf die - möglicherweise fehlerhafte - rechtswidrige Steuerfreiheit für Umsätze bis zum 31.12.2002 nicht berufen, denn der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis; insoweit gibt es keine "Gleichheit im Unrecht" (vgl. BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 107-108/89, BStBl II 1990, 1060).

Lagen damit sachliche Billigkeitsgründe, die eine abweichende Steuerfestsetzung gem. § 163 AO rechtfertigen könnten, nicht vor, so kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe berufen. Der Kläger hat im Verwaltungs- und später im Klageverfahren zwar dargelegt, dass die Besteuerung der hier strittigen Umsätze zu einer wirtschaftlich nicht tragbaren Situation führen würde, da er nachträglich nicht mehr die Möglichkeit habe, durch Erhöhung der Honorarrechnung die Umsatzsteuerbelastung finanziell auf seine Patienten abzuwälzen. Eine abweichende Festsetzung aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt jedoch voraus, dass der Steuerschuldner erlassbedürftig und erlasswürdig ist. Erlassbedürftigkeit ist dabei gegeben, wenn die Erhebung der Steuer die Existenz des Steuerschuldners vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Entgegen der ihm insoweit obliegenden Feststellungslast wurde eine eventuelle Existenzgefährdung von ihm jedoch weder durch substantiierte Darstellung seiner wirtschaftlichen Situation dargelegt, geschweige denn in irgendeiner Form geltend gemacht oder gar nachgewiesen. Der Beklagte hatte aus diesem Grund in seiner Entscheidung, durch welche eine abweichende Steuerfestsetzung abgelehnt wurde, keinerlei Anlass, der Frage des Vorliegens persönlicher Billigkeitsgründe weiter nachzugehen.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe gem. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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