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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 28.10.1997
Aktenzeichen: 6 K 3077/95
Rechtsgebiete: VwZG, AO
Vorschriften:
VwZG § 15 | |
AO § 110 |
Finanzgericht Münster
In dem Rechtsstreit
...
hat der 6. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 28.10.1997, an der teilgenommen haben:
1. Vorsitzender Richter am Finanzgericht xxx
2. Richter am Finanzgericht xxx
3. Richterin am Finanzgericht xxx
4. Ehrenamtlicher Richter xxx
5. Ehrenamtlicher Richter xxx
aufgrund mündlicher Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
Streitig ist, ob ein Haftungsbescheid wirksam zugestellt worden ist, bzw. ob er rechtmäßig ist.
Der Kläger war vor dem Streitjahr 1983 u.a. Gesellschafter-Geschäftsführer der xxx GmbH mit Sitz in xxx. Die Anteile und Geschäftsführerfunktion hatte er im April 1987 von seinem Sohn xxx übernommen. Für die GmbH war seit 1968 in xxx eine Betriebsstätte angemeldet worden. In der Gewerbeanmeldung vom November 1988 war als Anschrift des Geschäftsführers xxx angegeben. Bei dieser Adresse handelt es sich um ein Einfamilienhaus des Kl. und seiner Ehefrau. Im August 1992 stellte der Kl. für die GmbH Konkursantrag, den das Amtsgericht im März 1993 mangels Masse ablehnte.
Seit August 1992 ist der Steuerberater xxx nicht mehr für die xxx GmbH tätig. Die xxx Steuerberatungsgesellschaft GmbH aus xxx hat dem Finanzamt mit Schreiben vom 20.10.1992 angezeigt, daß ihre Zustellungsbevollmächtigung erloschen sei.
Am 4.1.1993 erließ das Finanzamt gegen den Kläger wegen Steuerschulden der GmbH einen auf die §§ 34, 69, 191 AO gestützten Haftungsbescheid, der mit PZU an die obige Adresse zugestellt wurde. Der Bescheid kam mit dem postalischen Vermerk "unbekannt verzogen" zurück. Daraufhin holte der Sachbearbeiter bei der Betriebsprüfung eine Auskunft ein. Die Amtsbetriebsprüfungsstelle hatte im August 1992 bei der GmbH eine steuerliche Betriebsprüfung angeordnet. Im Rahmen der Prüfungsvorbereitung (vgl. Vermerk vom 15.1.1993) kam der Prüfer im Hinblick auf eine anonyme Anzeige vom 8.4.1991 zu der Vermutung, daß der Kläger in den neuen Bundesländern tätig sei und dort Osttransporte, vorzugsweise nach Polen, durchführe. Nach des Prüfers Einschätzung war die oben genannte Anschrift des Klägers weiterhin zutreffend (Vermerk vom 17.2.1993). Ein weiterer Zustellungsversuch mit PZU blieb erfolglos. Der Postbeamte vermerkte am 22.2.1993 "Empfänger verzogen, Nachsendeantrag liegt nicht vor". Am 23.2.1993 teilte das Einwohnermeldeamt xxx dem Finanzamt auf Anfrage telefonisch mit, daß sich der Kläger nach xxx Polen, xxx abgemeldet habe. Nach dem Vermerk vom gleichen Tage äußerte das Einwohnermeldeamt die Vermutung, daß es sich um eine Scheinadresse handele, da sich schon mehrere Personen unter Angabe dieser Anschrift abgemeldet hätten. Daraufhin wurde der auf den 24.2.1993 datierte Haftungsbescheid über eine Haftungssumme von insgesamt 196.968,24 DM am 24.2.1993 öffentlich zugestellt.
Mit Schreiben vom 22.9.1993 meldeten sich die Kläger-Vertreter mit dem Hinweis, daß angeblich gegen ihren Mandanten ein Haftungsbescheid ergangen sein solle, der jedoch wegen seines Aufenthaltes in Polen nicht zugestellt werden konnte. Sie baten um Übersendung einer Kopie. Dies geschah am 27.9.1993. Daraufhin legten die Kläger-Vertreter mit Schreiben vom 30.9.1993 Einspruch gegen den in Abschrift übersandten Haftungsbescheid vom 24.2.1993 ein.
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos - Einspruchsentscheidung vom 6.6.1995 -.
Mit der nachfolgenden Klage macht der Kläger erneut geltend, am 24.3.1995 sei nicht gemäß § 15 VwzG ein Haftungsbescheid wirksam bekannt gegeben worden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hätten nicht vorgelegen. Eine Zustellung unter der Anschrift in xxx sei ohne weiteres möglich gewesen. Er habe sich auch nicht willkürlich einer Zustellung des Haftungsbescheides entzogen. Im übrigen hätte das Finanzamt die in xxx weiterhin wohnhafte Ehefrau des Kl. nach seinem Aufenthalt befragen können.
Der Kl. beantragt,
den Haftungsbescheid vom 24.2.1993 und die Einspruchsentscheidung vom 6.6.1995 aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, das Finanzamt habe den Bescheid öffentlich zustellen dürfen, da der Aufenthalt des Klägers unbekannt gewesen sei. Nach Auskunft des xxx Einwohnermeldeamtes habe sich der Kläger nach xxx und nicht wie der Kl. in seiner Klageschrift behauptet nach xxx abgemeldet. Wie er - der Bekl. - durch eine Auskunft der Konsularabteilung der Polnischen Botschaft in Köln nachträglich festgestellt habe, sei unter dieser Anschrift eine Firma K.J. xxx gemeldet. Die Polnische Botschaft habe weder im Streitjahr eine Anmeldung noch eine Umsiedlung des Kl. an diese Adresse festgestellt. Zwar sei dem FA durch die Anmeldung verschiedener Fahrzeuge beim Straßenverkehrsamt bekannt, daß sich der Kl. im Bundesgebiet aufhalte, es habe aber an einer postalischen Anschrift gefehlt. Die Befragung der Ehefrau hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt.
Der Senat hat am 28.10.1997 mündlich verhandelt. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom gleichen Tage wird Bezug genommen.
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Denn die nach § 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes erfolgte öffentliche Zustellung vom 24.2.1993 ist wirksam gewesen. Damit ist der am 30.9.1993 erhobene Einspruch verspätet. Die Voraussetzungen des § 110 Abgabenordnung liegen nicht vor.
Die Voraussetzungen des § 15 Verwaltungszustellungsgesetz sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann ein Bescheid durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Der Aufenthaltsort des Empfängers ist nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde die Anschrift des Empfängers im Zeitpunkt der beabsichtigten Bekanntgabe nicht kennt. Der Aufenthaltsort muß vielmehr allgemein unbekannt sein. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15.1.1991 VII R 86/89 BFH/NV 1992, 81). Die Behörde muß sich, bevor sie den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewißheit darüber verschaffen, daß der Aufenthaltsort des Empfängers nicht nur ihr, sondern allgemein unbekannt ist. Erst wenn solche Ermittlungen zu keinem Erfolg geführt haben und weitere zumutbare Ermittlungen nicht mehr möglich sind oder keine Aussicht auf Erfolg versprechen, ist Raum für eine öffentliche Zustellung. Den Anforderungen an die Prüfungspflicht wird die Behörde in aller Regel gerecht, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch Anfrage bei der Polizei beziehungsweise beim Einwohnermeldeamt zu ermitteln. Dies reicht dann nicht aus, wenn die konkrete Gestaltung des Sachverhaltes es nahelegt, noch andere Personen oder Einrichtungen zu befragen. Da es sich bei der öffentlichen Bekanntmachung um eine Art von Ermessensentscheidung handelt, kann es nur auf den Stand der Erkenntnisse in diesem Zeltpunkt ankommen. Erkenntnisse, die das Finanzamt später gewinnt, können den vorher fehlenden Wissensstand oder unterlassene Nachforschungen nicht ersetzen.
Diese Grundsätze hat das Finanzamt beachtet.
Im Streitfall hat das Finanzamt zwei Versuche unternommen, dem Kläger einen Haftungsbescheid mit Postzustellungsurkunde zustellen zu lassen. Dieser zweifache Versuch ist fehlgeschlagen, weil offensichtlich die Personen, die sich im Haus des .Klägers aufhielten, dem zustellenden Beamten mitgeteilt haben, daß der Kläger verzogen sei.
Nach dem ersten Zustellungsversuch, hat sich der Beamte des Veranlagungsbezirkes beim Betriebsprüfer seines Hauses erkundigt, ob der Kläger unter der zuletzt von ihm im Jahre 1988 angegebenen Adresse noch wohnhaft war. Dieser hatte am 15.1.1993 (vgl. Vermerk über die Prüfungsvorbereitung) nach Auswertung der Vollstreckungsakte festgestellt, daß der Kläger noch im Juli unter der Adresse angetroffen worden war. Im August 1992 war eine Prüfungsanordnung der Amtsbetriebsprüfungsstelle xxx für die xxx GmbH offensichtlich wirksam bekanntgegeben worden. Denn die Handakte des Prüfers enthält keine Hinweise darauf, daß der Kläger im anschließenden Telefongespräch, in dem als Prüfungsbeginn der Oktober 1992 vereinbart worden war, die unwirksame oder fehlende Anordnung gerügt hätte.
Nach dem zweiten erfolglosen Zustellungsversuch hat das Finanzamt sich beim Einwohnermeldeamt erkundigt. Der befragte Beamte hat daraufhin mitgeteilt, daß der Kläger sich nach Polen abgemeldet habe. Die vom Einwohnermeldeamt genannte Adresse war nach dessen damaligen Erkenntnissen vermutlich eine Scheinadresse. Denn an die gleiche Adresse hatten sich bereits verschiedene andere Personen abgemeldet.
Unter diesen Umständen hat das Finanzamt alles nach der Sachlage Gebotene unternommen, um den Aufenthalt des Klägers in Erfahrung zu bringen. Die Auffassung des Klägers, das Finanzamt habe sich nicht mit einer Anfrage beim Einwohnermeldeamt begnügen dürfen, sondern weitere Erkenntnismöglichkeiten nutzen müssen, trifft nicht zu. Das Finanzamt war nicht gehalten, weitere Einrichtungen oder Personen zu befragen.
Der Kläger bzw. seine GmbHs hatten zum Zeitpunkt der Entscheidung über die öffentliche Zustellung (24.2.1993) keine Steuerberater mehr, die als seine Bevollmächtigten hätten befragt werden können.
Da es auf den Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung ankommt, war für das Finanzamt auch nicht von Bedeutung, daß die Schwiegertochter des Klägers dem Finanzamt am 3.4.1993 mitgeteilt hat, der Kläger halte sich in xxx auf. Das Finanzamt war auch nicht verpflichtet, sich bei weiteren Personen über den Aufenthaltsort des Klägers zu informieren.
Die Möglichkeit, die Ehefrau des Klägers nach seinem Aufenthaltsort zu befragen, ist im vorliegenden Fall nur von theoretischer Bedeutung. Denn einmal handelt es sich um Haftungsschulden des Klägers, die der Ehefrau nicht bekannt gemacht werden durften. Zum anderen mußte das Finanzamt nach den beiden erfolglosen Versuchen einer Zustellung im Einfamilienhaus des Klägers davon ausgehen, daß eine Befragung der Ehefrau zu keinen neuen Erkenntnissen führen würde.
Im übrigen konnte das Finanzamt angesichts der Aktivitäten des Klägers im Osten und der Konkurse (vgl. Inhalt der Handakte des Prüfers) davon ausgehen, daß dieser sich den Zugriffen der Gläubiger seiner GmbHs entziehen werde. Unter diesen Umständen war der zeitaufwendige und schwierige Versuch einer Zustellung in Polen entbehrlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
Ende der Entscheidung
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