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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: 8 K 3734/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 74 Abs. 1 S. 1
EStG § 74 Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

8 K 3734/06 Kg

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2006 sowie der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2006 verpflichtet, der Klägerin ab dem 01.07.2006 Kindergeld in Höhe von 154 EUR monatlich auszuzahlen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, ab dem 01.07.2006 das Kindergeld nicht an den beigeladenen kindergeldberechtigten Vater, sondern an die Klägerin (Klin.) auszuzahlen.

Die am 14.06.1988 geborene Klin. ist die Tochter des Beigeladenen. Die Klin. besuchte ein Fachseminar für Alten- und Familienpflege in I. Die Ausbildung begann am 17.10.2005 und sollte am 16.10.2007 beendet werden. Der Beigeladene bezog aufgrund des Bescheides der Beklagten (Bekl.) vom 01.08.2005 für die Klin., die damals noch bei ihm wohnte, und für eine weitere Tochter Kindergeld. Die Klin. zog am 01.07.2006 aus dem Haushalt ihres Vaters aus und lebt seitdem gemeinsam mit ihrem Freund unter der im Rubrum angegebenen Anschrift. Am 26.06.2006 beantragte die Klin. die Auszahlung des auf sie entfallenden Kindergeldes an sie.

Der Beigeladene teilte gegenüber der Bekl. auf dem ihm zur Verfügung gestellten Formular mit, dass die Klin. weiterhin die Möglichkeit habe, in seinem Haushalt zu wohnen und verpflegt zu werden. Diese Sachleistung (Naturalleistung) habe er der Klin. permanent angeboten.

Die Bekl. lehnte mit Bescheid vom 12.07.2006 den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes mit der Begründung ab, die Klin. könne weiterhin im Haushalt ihres Vaters leben und verpflegt werden. Sie berief sich dabei auf § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG).

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug die Klin. vor, sie lebe seit ca. vier Monaten nicht mehr zuhause bei ihrem Vater. Sie und ihr Vater hätten sich familiär so zerstritten, dass ein gemeinsames Zusammenleben nicht mehr möglich sei. Zur Zeit befinde sie sich in einer schulischen Ausbildung zur Familienpflegerin ohne Ausbildungsvergütung. In dieser Zeit habe ihr Vater sie in keiner Weise finanziell unterstützt. Sie habe sich weder Schulbücher, Kleidung, Essen oder Sonstiges kaufen können. In dieser Phase hätten ihre Freunde und ihr Freund versucht, ihr soweit wie möglich zu helfen. Ihr Vater habe ihr einfach die finanzielle Unterstützung nicht gegeben und das erhaltene Kindergeld für seine Zwecke verbraucht.

Sie legte dem Einspruchsschreiben ein Schreiben des Fachbereiches Jugend und Soziales von der Stadt I vom 16.06.2006 bei, in dem bestätigt wurde, dass die Beziehungen der Klin. zu ihrem Vater nach wie vor so gestört seien, dass die Klin. nicht mehr im Haushalt ihres Vaters leben könne. Die Stadt I bat darin, einem von der Klin. gestellten Antrag auf Leistungen stattzugeben.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung -EE- vom 31.07.2006). Die Bekl. meint, dass die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht gegeben seien. Eine Abzweigung scheide hier aus, weil der kindergeldberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht erfülle. Als Unterhaltsleistungen seien dabei nicht nur Geldzahlungen, sondern auch Sach- und Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Bei einem unverheirateten Kind könnten Eltern bestimmen, in welcher Art sie Unterhalt gewähren wollten, dieses Recht bestehe auch bei erwachsenen unverheirateten Kindern. Vorliegend habe der kindergeldberechtigte Kindesvater erklärt, dass die Klin. die Möglichkeit habe, weiterhin bei ihm im Haushalt zu wohnen und verpflegt zu werden. Es stehe der Klin. frei, die angebotenen Unterhaltsleistungen anzunehmen.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klin. ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, bis zum 01.07.2006 habe sie zumindest zeitweise noch mit ihrem Vater, dem Beigeladenen, zusammengelebt. Das Verhältnis sei jedoch äußerst angespannt gewesen. Es sei immer wieder zu Streit gekommen. Der Vater sei langzeit erkrankt und bekomme bereits seit einem Jahr Krankengeld. Zudem habe er sich finanziell übernommen. Seiner Meinung nach solle die Klin. die schulische Ausbildung aufgeben und arbeiten gehen, um die Schulden des Vaters abzuzahlen. Hierüber sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Entsprechend seiner Haltung habe der Vater den Kauf von Schulbüchern, Kleidung, Hygieneartikel usw. verweigert. Er habe ihr keinerlei Taschengeld gewährt. Ihr Vater leiste definitiv keinerlei Unterhalt für sie. Es genüge auch nicht, dass hier, ohne dass an der Störung des Gesamtverhältnisses gearbeitet werde, der Naturalunterhalt angeboten werde. Die Unterhaltsbestimmung müsse als Gesamtkonzept unterschiedliche Leistungen enthalten wie Wohnung, Verpflegung, Taschengeld und Geldleistungen für zweckgebundene Ausgaben (Hinweis auf OLG FamRZ 99/404). Ein solches Gesamtkonzept zu unterbreiten liege dem Beigeladenen fern. Er sei nicht bereit, über das reine Wohnen in seinem Hause und Teilhabe evtl. an den vorhandenen Lebensmitteln der Klin. weiteren Unterhalt zu gewähren. Zudem sei das Verhältnis derartig gestört, dass ihr nicht zugemutet werden könne, in das Haus des Vaters zurückzukehren.

Da hier zu keinem Zeitpunkt eine wirksame Unterhaltsbestimmung ausgesprochen worden sei, müsse auch keine Entscheidung des Familiengerichts herbeigeführt werden, denn eine Änderung durch das Familiengericht setze eine wirksame Bestimmung voraus.

Die Klin. beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheides der Bekl. vom 12.07.2006 und der EE vom 31.07.2006 die Bekl. zu verpflichten, ab dem 01.07.2006 Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR an sie auszuzahlen.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen und

hilfsweise

im Unterliegensfalle die Revision zuzulassen.

Sie meint, das für ein Kind gezahlte Kindergeld könne - wenn der Kindergeldberechtigte diesem gegenüber seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme - an das Kind selbst ausgezahlt werden (§ 74 Abs. 1 Satz 1 EStG). Vorliegend würde der Kindergeldberechtigte, der Beigeladene, immateriellen Unterhalt leisten, da er seiner Tochter die Möglichkeit eingeräumt habe, auch weiterhin bei ihm zu wohnen und verpflegt zu werden. Da die Klin. den immateriellen Unterhalt nicht in Anspruch nehme, sei sie unterhaltsrechtlich in Annahmeverzug; dies sei einer tatsächlichen Unterhaltsgewährung gleichzusetzen. Sie habe daher zu Recht den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes abgelehnt.

Zwar heiße es in § 1612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren sei. Weiterhin werde jedoch ebenfalls ausgeführt, dass der Unterhaltsverpflichtete verlangen könne, dass ihm die Unterhaltsgewährung in anderer Art gestattet werde, wenn besondere Gründe es rechtfertigen würden. Hätten Eltern einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren, so könnten sie entscheiden, in welcher Art der Unterhalt gewährt werden solle. Deshalb sei auch der immaterielle Unterhalt zu berücksichtigen; er könne in der Weise erbracht werden, dass die leiblichen Eltern dem Kind weiterhin die Möglichkeit böten, im elterlichen Haus zu wohnen und verpflegt zu werden.

Außerdem weist die Bekl. auf die Möglichkeit hin, durch Antrag beim zuständigen Amtsgericht (Familiengericht) das bestehende Bestimmungsrecht des Vaters nach § 1612 Abs. 2 BGB ändern zu lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Bekl. vorgelegten Kindergeldakte verwiesen.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 13.09.2007 den Vater der Klin. gemäß § 60 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beigeladen.

Der Senat hat in diesem Verfahren am 21.02.2008 mündlich verhandelt. Auf die Niederschrift hierüber wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die beklagte Familienkasse (FK) ist verpflichtet, der Klin. ab dem 01.07.2006 Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR auszuzahlen.

Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG kann das Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Hinsichtlich der gesetzlichen Unterhaltspflicht knüpft diese Vorschrift an die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) an.

Der Unterhalt ist bei einem volljährigen auswärts lebenden Kind nach § 1612 Abs. 1 BGB regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Die Gewährung von Unterhalt durch Betreuung im Rahmen der Personensorge bzw. Naturalunterhalt kommt grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht (§§ 1612 Abs. 2 Satz 3, 1612 a BGB). Nur ausnahmsweise kann der Unterhaltsverpflichtete bei Vorliegen besonderer Gründe auch gegenüber einem volljährigen Kind verlangen, Unterhalt in anderer Weise - insbesondere durch Naturalunterhalt - zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 17.03.2006 III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285 m. w. N.).

Nach §§ 1601 ff BGB war der beigeladene Vater der Klin. auch für die Zeit ab dem 01.07.2006 dieser gegenüber zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, da diese sich selbst nicht unterhalten konnte, weil sie sich von Oktober 2005 bis Oktober 2007 in der Ausbildung befand.

Die FK beruft sich zu Unrecht darauf, der Beigeladene sei seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Klin. auch für die Zeit ab 01.07.2006 nachgekommen, weil er der Klin. nach ihrem im Juni 2006 erfolgten Auszug aus der gemeinsamen Wohnung immer wieder Kost und Logis in seiner Wohnung angeboten habe. Diese Auffassung ist zum einen unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Umstände bereits deshalb unzutreffend, weil hier das Angebot des Beigeladenen (Beigl.) gegenüber der Klin. auf Gewährung von Naturalunterhalt (Kost und Logis) bereits zivilrechtlich nicht ausreichend ist, um die Klin. in Annahmeverzug hinsichtlich des vom Beigl. ihr geschuldeten Unterhalts zu setzen. Zum anderen ist diese Auffassung im Rahmen des steuerlichen Familienleistungsausgleiches unzutreffend, weil der Beigl. jedenfalls nicht im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nachgekommen ist.

Zivilrechtlich führt der Umstand, dass ein Kind Unterhalt der in einer zulässigen Weise bestimmten Form nicht entgegennimmt, dazu, dass die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht befreit werden (Palandt-Diederichsen, BGB-Kommentar, 65. Aufl., 2006, § 1612 BGB Rdnr. 14), sie ihre Unterhaltspflicht also nicht verletzen (können).

Zivilrechtlich kann der Unterhaltspflichtige nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Gründe auch gegenüber einem volljährigen Kind verlangen, Unterhalt in anderer Form als durch eine Geldrente - insbesondere durch Naturalunterhalt - zu gewähren.

Derartige Gründe liegen hier unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beziehungen der Klin. zu ihrem Vater auf Dauer so gestört waren, dass die Klin. nicht mehr im Haushalt des Beigeladenen leben konnte, nicht vor. Dies wird durch das Schreiben der Stadt I (Fachbereich Jugend und Soziales) vom 16.06.2006, welches die Klin. der FK im Einspruchsverfahren vorgelegt hat, bestätigt. Darin hat die Stadt I dementsprechend in dem Schreiben ergänzend gebeten, einem von der Klin. gestellten Antrag auf Leistungen stattzugeben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die ab dem 14.06.2006 volljährige Klin. bereits seit Juni 2006 bei ihrem Freund wohnt.

Wegen der fehlenden besonderen Gründe für eine Unterhaltsgewährung in anderer Form als eine Geldrente, kann es dahinstehen, ob, wenn man gemäß § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB von einem Bestimmungsrecht des Beigeladenen zur Art der Gewährung von Unterhalt ausgehen würde, hier dann überhaupt eine wirksame Unterhaltsbestimmung vorliegen würde.

Eine wirksame Unterhaltsbestimmung muss nämlich inhaltlich hinreichend bestimmt sein, also im Rahmen eines Gesamtkonzepts alle notwendigen einzelnen und unterschiedlichen Leistungen anbieten. Sie muss daher grundsätzlich den gesamten Lebensbedarf eines Kindes umfassen, insbesondere Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld und Geldleistungen für zweckgebundene Ausgaben, ein allgemeines Angebot von Kost und Logis genügt nicht (Beschluss des OLG Celle vom 05.05.2006 17 WF 60/06 NJW - RR 2006, 1304; FamRZ 2007, 762 m. w. N.). Dies ist bei dem vom Beigeladenen gemachten Angebot zur Unterhaltsgewährung zweifelhaft. Zwar hat er in der mündlichen Verhandlung am 21.02.2008 behauptet, er habe der Klin. nicht nur Kost und Logis angeboten sondern auch weitere Leistungen zur Unterhaltsgewährung (z. B. auch Kleidung). Er habe der Klin. kein Geld zahlen wollen, weil er befürchtet habe, dass diese, da sie sozial etwas abgerutscht gewesen sei, das Geld zweckwidrig gerade nicht für ihren Unterhalt einsetzen würde.

Der Senat sieht es aber unter Berücksichtigung der o. a. Erwägungen für die Entscheidung als unerheblich an, ob der Beigeladene tatsächlich im Rahmen eines Gesamtkonzeptes alle notwendigen einzelnen und unterschiedlichen Leistungen der Klin. angeboten hat. Entscheidend ist hier, dass es der Klin. wegen der dauerhaft gestörten Beziehungen zu ihrem Vater nicht zumutbar war, mit ihm zusammen in seinem Haushalt zu leben.

Unabhängig von diesem Ergebnis, wonach der Beigl. die Klin. bereits zivilrechtlich nicht hinsichtlich der Annahme der ihr angebotenen Unterhaltsleistungen mit Erfolg in Annahmeverzug gesetzt hat und deshalb dem Grunde nach zivilrechtlich weiterhin unterhaltsverpflichtet geblieben ist, kommt es bei der Entscheidung einer eventuellen Auszahlung an eine andere Person als den Kindergeldberechtigten im Rahmen des steuerrechtlichen Familienleistungsausgleichs auf das Ergebnis, ob der Beigl. die Klin. zivilrechtlich wirksam in Annahmeverzug gesetzt hat, nicht an.

Der Beigl. ist nämlich hiervon unabhängig seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen, da er jedenfalls die zum Lebensbedarf der Klin. gehörenden Aufwendungen nicht getragen hat.

Der "Unterhaltspflicht nicht nachkommen" bedeutet, dass der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt.

Eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG setzt nicht voraus, dass der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht schuldhaft nicht erfüllt oder gar den Straftatbestand der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b des Strafgesetzbuches) verwirklicht. Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es deshalb nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 23.02.2006 III R 65/04, BFH/NV 2006, 1575).

Dies steht auch im Einklang mit dem Zweck des Kindergeldes. Zweck des Kindergeldes ist es, Eltern einen Ausgleich wegen ihrer Unterhaltsleistungen für ihre Kinder zu verschaffen. Eines solchen Ausgleichs bedarf es nicht, wenn Eltern tatsächlich nicht mit Leistungen für den Unterhalt ihrer Kinder belastet sind (vgl. BFH-Beschluss vom 03.06.2004 VIII S 12/04, [...]; BFH-Urteil vom 17.02.2004 VIII R 58/03, BStBl. II 2006, 130; BFH-Urteil vom 27.10.2004 VIII R 65/04, BFH/NV 2005, 538).

Es steht fest, dass der Beigeladene ab dem 01.07.2006 in der von ihm gegenüber der Klin. bestimmten Weise (Kost und Logis - bzw. wie in der mündlichen Verhandlung erstmals behauptet - angebotener weiterer Leistungen) tatsächlich keinen Unterhalt zugunsten der Klin. erbracht hat. In dieser Form hatte er den Unterhalt nur angeboten. Das bloße Angebot zur Erfüllung von Unterhalt rechtfertigt nicht den Schluss, dadurch werde tatsächlich Unterhalt geleistet, die Unterhaltspflicht also tatsächlich erfüllt. Würde man bereits allein das Angebot als eine Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht im Sinne des § 74 EStG bewerten, würde dies dazu führen, dass Personen, die tatsächlich nicht mit Unterhalt belastet sind, obendrein noch Kindergeld ausbezahlt würde (vgl. zum Vorstehenden: Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 04.07.2005 14 K 5656/04 Kg EFG 2005, 1787 unter Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 25.11.2004 5 K 429/02 Kg, EFG 2005, 792 ).

Da jedoch nach Auffassung des BFH - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich die Möglichkeit besteht, Kindergeld auch dann abzuzweigen, wenn der Kindergeldberechtigte selbst - unabhängig von der Frage der Verletzung einer etwaigen Unterhaltspflicht - tatsächlich keinen Unterhalt leistet, ist in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der unterhaltsverpflichtete Kindesvater tatsächlich weder Bar- noch Naturalunterhalt leistet, eine Abzweigung von Kindergeld an das in Berufsausbildung befindliche Kind möglich.

Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG für eine Abzweigung erfüllt sind, hatte die FK das ihr in dieser Vorschrift eingeräumte Rechtsfolgeermessen, ob und ggfl. in welcher Höhe das Kindergeld an die Klin. auszuzahlen ist, auszuüben (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.2004 VIII R 30/04 BFH/NV 2005, 692 m. w. N.).

Die FK ist als Folge ihrer Auffassung, dass der Tatbestand des § 74 Abs. 1 EStG mangels Unterhaltspflichtverletzung des Beigeladenen nicht erfüllt sei, ihrer Pflicht zur Ermessensausübung nicht nachgekommen (sog. Ermessensunterschreitung).

Im vorliegenden Fall ist jedoch von dem Erlass eines Bescheidungsurteils gemäß § 101 Satz 2 FGO abzusehen, weil die FK zur Auszahlung des gesamten Kindergeldes an die Klin. verpflichtet ist. Im Streitfall ist einzig und allein die Ermessensentscheidung rechtmäßig, das Kindergeld in vollem Umfang an die Klin. auszuzahlen (sog. Ermessensreduzierung auf Null).

Die FK hat bei Ausübung des ihr in § 74 Abs. 1 EStG eingeräumten Ermessens den Zweck des Kindergeldes zu berücksichtigen (§ 5 der Abgabenordnung - AO -). Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG).

Der erkennbare Zweck des § 74 Abs. 1 EStG liegt darin, dass dann, wenn der Kindergeldberechtigte keine Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes trägt, das Kindergeld nicht ihm, sondern entweder dem Kind oder aber demjenigen zugute kommen soll, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewährt. Dieser Zweck kann im Streitfall nur dadurch erreicht werden, dass das Kindergeld an das Kind, die Klin. des vorliegenden Verfahrens, ausgezahlt wird, da der Beigeladene unstreitig keine Aufwendungen für das Kind trägt.

Dass es für die steuerrechtliche Beurteilung nicht entscheidend darauf ankommt, ob für den Kindergeldberechtigten zivilrechtlich eine Verpflichtung zur Unterhaltsleistung besteht, sondern darauf, ob der Kindergeldberechtigte tatsächlich Unterhalt leistet, hat der BFH bereits in seinem Urteil vom 16.04.2002 VIII R 50/01, BStBl. II 2002, 575, seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Darin hat er zu Recht entschieden, dass das Kindergeld, das zugunsten des Vaters einer Tochter, die eine Zweitausbildung absolviert, festgesetzt worden ist, in analoger Anwendung des § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG an die Tochter ausgezahlt werden kann, wenn der Vater tatsächlich keinen Unterhalt leistet und zivilrechtlich auch nicht dazu verpflichtet ist. Für den Senat ist diese Entscheidung des BFH nur ein Beispiel dafür, dass die Auszahlung des Kindergeldes an das Kind des Kindergeldberechtigten auch dann zulässig ist, wenn der Kindergeldberechtigte tatsächlich keinen Unterhalt leistet, und zwar selbst für den Fall, dass der Kindergeldberechtigte nicht andauernd seine Unterhaltspflicht dem Kind gegenüber verletzt, weil er bereits zivilrechtlich nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist. Für diesen vom BFH entschiedenen Fall wendet auch die Verwaltung, die sich aus der BFH-Rechtsprechung ergebenden Rechtsgrundsätze an (vgl. die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-Fam EStG) 74.11 Abs. 1 Satz 5).

Die Bekl. meint jedoch zu Unrecht, dass die genannten Rechtsgrundsätze der BFH-Rechtsprechung nicht in einem Fall, wie er hier gegeben ist, anzuwenden sind. Der BFH hat zutreffend in analoger Anwendung des § 74 Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG entschieden, dass eine Auszahlung an die Kinder des Kindergeldberechtigten auch dann zulässig ist, wenn der Kindergeldberechtigte tatsächlich keinen Unterhalt leistet und zivilrechtlich auch nicht dazu verpflichtet ist. Die Ansicht in der DA-Fam EStG 74.11 Abs. 1 Sätze 1, 3, wonach eine Abzweigung nur dann in Betracht kommt, wenn der Berechtigte seine Unterhaltspflicht dem Kind gegenüber andauernd verletzt, ist angesichts dessen überholt. Vielmehr besteht nach § 74 Abs. 1 EStG (analog) grundsätzlich die Möglichkeit, Kindergeld u. a. an das Kind selbst dann auszuzahlen, wenn der Kindergeldberechtigte - unabhängig von der Frage der Verletzung seiner etwaigen zivilrechtlichen Unterhaltspflicht - tatsächlich keinen Unterhalt leistet (vgl. zum Vorstehenden: Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 04.07.2005 14 K 5656/04 K, G, EFG 2005, 1787 mit Hinweis auf die BFH-Urteile vom 16.04.2002 VIII R 50/01, BStBl. II 2002, 575 undvom 28.01.2004 VIII R 21/02, BStBl. II 2004, 555 und auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 25.11.2004 5 K 429/02 K, G, EFG 2005, 792 ; vgl. auch BFH-Beschluss vom 17.03.2006 III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285).

Soweit der Vertreter der Bekl. hilfsweise in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass wegen der erst am 26.06.2006 erfolgten Antragstellung durch die Klin. die Bekl. ohnehin nicht das Kindergeld bereits ab dem 01.07.2006 an die Klin. hätte auszahlen können, das Kindergeld sei für den 01.07.2006 bereits für den Beigeladenen bestimmt und kassenmäßig angewiesen gewesen, und dass wegen der Pflicht, dem Beigeladenen rechtliches Gehör zu gewähren, das Kindergeld frühestens ab dem 01.08.2006 an die Klin. hätte ausgezahlt werden können, kann dieses Vorbringen zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn hinsichtlich der Frage, ob und wann Kindergeld an welche Person zu zahlen ist, kann es, wenn der erforderliche Antrag - wie hier - vor dem 01.07.2006 gestellt worden ist, nur auf die materielle Rechtslage und nicht auf die kassentechnische Abwicklung ankommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 analog, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO hierfür nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Entscheidung in einem Einzelfall auf der Grundlage der Rechtsgrundsätze der BFH-Rechtsprechung.



Ende der Entscheidung

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