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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 10.07.2002
Aktenzeichen: 8 K 7260/98 L
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
EStG § 40
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

8 K 7260/98 L

Tenor:

Unter Änderung des Bescheides vom 7. August 1997 sowie der Einspruchsentscheidung vom 29.09.1998 wird die Festsetzung der Lohnsteuer im Nachforderungsbescheid insoweit aufgehoben, als für den Zeitraum 12/88 bis 11/1991 Nachforderungen zu Unrecht erhoben wurden. Die geänderte Berechnung der Steuerbeträge nach Maßgabe dieses Urteils wird dem Finanzamt übertragen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden bis zur Antragstellung in der mündlichen Verhandlung der Klägerin zu 56 % und dem Beklagten zu 44 % auferlegt, die Kosten für die Zeit danach hat die Klägerin in vollem Umfang zu tragen.

Gründe:

Streitig ist die lohnsteuerliche Behandlung von Fahrtkosten vom häuslichen Arbeitszimmer zur Betriebsstätte des Arbeitgebers.

Die Klin. ist eine KG, die in den Streitjahren 1988 bis 1995 im gesamten Bundesgebiet zahlreiche Vertriebsbeauftragte beschäftigte, welche als Fachberater - unter Aufsicht des jeweils zuständigen Verkaufsleiters - festgelegte Vertriebsregionen betreuten. Nach dem Anstellungsvertrag hatten die Fachberater die Aufgabe, in ihren Verkaufsbezirken die ihnen jeweils übertragene Produktpalette an Handwerksbetriebe, Fachingenieure sowie Baugesellschaften und Hausverwaltungen zu veräußern. Den Beratern wurde in der jeweiligen Niederlassung kein eigener Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Die mit ihrer Außendiensttätigkeit verbundenen Vor- und Nachbereitungsarbeiten wie Angebote zu erstellen, Besuchsberichte zu schreiben, Aufträge weiterzuleiten und Umsatz- und Absatzkontrollen durchzuführen, organisierten die Mitarbeiter grundsätzlich selbst und eigenverantwortlich vom häuslichen Arbeitszimmer aus. Die durchschnittliche Bürotätigkeit im vom Arbeitgeber mit den erforderlichen Arbeitsmitteln wie Telefon, Telefax und Computer ausgestatteten Arbeitszimmer betrug ca. 2 bis 3 Stunden täglich. Ihre jeweilige Niederlassung suchten die Fachberater einmal im Monat zu einer Fachberatertagung auf. Die Treffen, die in großen Besprechungsräumen abgehalten wurden, fanden wegen der zu dieser Zeit schlecht erreichbaren Kundschaft häufig Freitags von 12.00 Uhr bis 16.00 Uhr statt. In der Niederlassung N wurden die Tagungen regelmäßig nur alle zwei Monate durchgeführt. Ferner suchten die Fachberater die Niederlassungen meist ein bis zweimal im Monat auf, um kurze Besprechungen durchzuführen oder Lagerbestände zu ergänzen.

Für ihre beruflichen Fahrten wurde ihnen entweder ein Firmen-PKW zur Verfügung gestellt oder es wurde ihnen bei Benutzung eines Privat-PKWs die Möglichkeit gegeben, die Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen abzurechnen.

Wegen weiterer Einzelheiten und der nicht streitigen Höhe der Kosten wird auf den Prüfungsbericht der Lohnsteueraußenprüfung vom 21.05.1997 und die Schriftsätze im Einspruchs- und Klageverfahren verwiesen.

Im Rahmen der mit Bescheid vom 14.12.1995 angeordneten und in der Zeit vom 24.06 1996 bis 10.01.1997 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung vertrat der Bekl. die Auffassung, dass die Außendienstmitarbeiter sowohl in den häuslichen Arbeitszimmern als auch in den Niederlassungen jeweils eine regelmäßige Arbeitsstätte gehabt hätten. Die entsprechenden Vorteile aus der Überlassung der Firmenwagen für die Fahrten zur jeweiligen Niederlassung bzw. die Differenzbeträge der nach Dienstreisegrundsätzen erstatteten Fahrtkosten wurden auf Antrag der Klin. pauschal nach § 40 EStG lohnversteuert. Auf die einzelnen Ausführungen und Berechnungen in den Tzen 5 a, 6 a sowie 8 des Lohnsteueraußenprüfungsberichts sowie in den dazu gehörenden Anlagen wird insoweit verwiesen.

Gegen die Lohnversteuerung der Fahrten zwischen den Wohnungen der Fachberater und den jeweiligen Niederlassung wegen der nur begrenzten Abzugsfähigkeit der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG richtet sich die vorliegende Klage.

Die Klin ist der Auffassung, dass die Lohnversteuerung der Fahrten zu den jeweiligen Niederlassungen zu Unrecht vorgenommen worden sei. Denn entgegen der Auffassung des Bekl. stelle die jeweilige Niederlassung keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Nach den mit den Fachberatern abgeschlossenen Arbeitsverträgen sei es deren Aufgabe gewesen, ihre Arbeitsleistung durch Kundenakquisition und Kundenbetreuung im Rahmen ihrer Außendiensttätigkeit zu erbringen. Da der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte im Einkommensteuergesetz nicht geregelt sei, könne das bürgerliche Recht zur Begriffsbestimmung herangezogen werden. Danach sei eine Arbeitsstätte der Ort, an dem der Arbeitnehmer die aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldeten Leistungen zu erbringen habe. Nach den vertraglichen Vereinbarungen sei der gesamte Verkaufsbezirk somit die Arbeitsstätte des jeweiligen Fachberaters, denn die geforderte Leistung sei insoweit so gut wie ausschließlich durch die Außendiensttätigkeit im Verkaufsbezirk zu erbringen gewesen. Eine Präsenz in der unter Umständen sehr weit entfernten Niederlassung sei dagegen in den abgeschlossenen Verträgen nicht gefordert worden. Die Fachberater hätten davon ausgehend eine Fülle von unterschiedlichen Arbeitsstätten im Verkaufsbezirk gehabt. Keiner dieser Orte hätte jedoch als regelmäßige Arbeitsstätte bezeichnet werden können. Eine regelmäßige Arbeitsstätte sei dagegen in den häuslichen Arbeitszimmern der Fachberater zu sehen gewesen, denn nur diese sei von den betroffenen Mitarbeitern arbeitstäglich für zeitintensive Verwaltungsarbeiten genutzt worden. Im Vergleich dazu seien die Fahrten zu den Niederlassungen unbedeutend gewesen. Die Fahrten zu den Fachberatertagungen hätten der allgemeinen Information und der Fortbildung gedient und insoweit auch keinen Teil der eigentlich geforderten Arbeitsleistung der Fachberater dargestellt. Ferner seien auch die Fahrten zur Niederlassung zwecks Ergänzung von Materialien und Ersatzteilen nicht so von Belang gewesen, dass dadurch eine regelmäßige Arbeitsstätte am jeweiligen Niederlassungsort begründet worden sei. Ferner sei zu beachten, dass auch die Änderungen in Abschnitt 37 Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 1996 und 1999 der Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte entgegen stehen würden.

Die Klin beantragt,

die bisher festgesetzte Lohnsteuernachforderung 1988 bis 1995 um einen Betrag von 234.522,39 DM zu mindern.

Der Bekl. beantragt,

die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass die bereits verjährten Lohnsteuernachforderungen Dezember 1988 bis November 1991 aufgehoben werden.

Er verweist auf die Gründe seiner EE und ist der Auffassung, dass die Niederlassungen in den Streitjahren regelmäßige Arbeitsstätten der Vertriebsmitarbeiter darstellten.

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Bekl. hat den streitigen Vorteil aus der Überlassung der Firmenfahrzeuge für die Fahrten zu den Niederlassungen und die entsprechenden Kostenerstattungen für Fahrten mit privaten Kraftfahrzeugen zu Recht als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit lohnversteuert. Bei der Steuerfestsetzung hat der Bekl. jedoch nicht beachtet, dass eine pauschale Steuer nach § 40 EStG nicht mehr für solche Sachverhalte festgesetzt werden darf, hinsichtlich derer bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Die pauschale Lohnsteuer entsteht nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 06.05.1994 - VI R 47/93, BFHE 174, 363; BStBl II 1994, 715) im Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns beim Arbeitnehmer. Damit war für einen Teil der Lohnzuflüsse der Kalenderjahre 1988 bis 1991 im Zeitpunkt des Erlasses des Nachforderungsbescheides im August 1997 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen.

Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO grundsätzlich vier Jahre. Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steueranmeldung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Der Arbeitgeber hat seine Lohnsteueranmeldung gemäß § 41a Abs.1 Satz 1 EStG spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines Lohnsteueranmeldungszeitraums abzugeben. Lohnsteueranmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat (§ 41a Abs.2 Satz 1 EStG). Danach waren die Lohnsteueranmeldung für die Löhne des Monats November 1991 bis spätestens zum 10. Dezember 1991 abzugeben, diejenigen für die vorangegangenen Monate jeweils einen Monat früher. Für die Lohnsteueranmeldungen Dezember 1988 bis November 1989 begann die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs.2 Nr. 1 AO am 1. Januar 1990, für die Lohnsteueranmeldungen Dezember 1989 bis November 1990 am 1. Januar 1991 und für die Lohnsteueranmeldungen Dezember 1990 bis November 1991 am 1. Januar 1992 zu laufen. Die vierjährige Festsetzungsfrist für diese Zeiträume war somit am 31.12.1995 bereits abgelaufen.

Insbesondere war der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Lohnsteueranmeldungen 12/1988 bis 11/1991 nicht nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO durch die am 14. Dezember 1995 bei der Klin. angeordnete und in der Zeit vom 24.06.1996 bis 10.01.1997 durchgeführte Lohnsteueraußenprüfung gehemmt. Denn nach § 171 Abs. 4 AO wird der Ablauf der Festsetzungsfrist nur für solche Steuerfestsetzungen gehemmt, bei denen vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen oder deren Beginn auf Antrag des Stpfl. hinausgeschoben wurde. Im Streitfall begann die im Dezember 1995 angeordnete Prüfung erst im Juni 1996. Zu diesem Zeitpunkt war für die Lohnsteuer bis 11/1991 jedoch bereits Festsetzungsverjärung eingetreten. Eine Änderung der Steuerfestsetzungen für die Anmeldungszeiträume 12/1988 bis 11/1991 hätte daher nicht mehr erfolgen dürfen.

Entgegen der Auffassung der Klin. hat der Bekl. jedoch zutreffend bei der Lohnversteuerung die Niederlassungen als Arbeitsstätten der Außendienstmitarbeiter angesehen.

Der Begriff der Arbeitsstätte ist _ wie die Klin. zutreffend ausgeführt hat _ in den Steuergesetzen nicht definiert. Zivilrechtlich ist die Arbeitsstätte der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Die Steuerrechtsprechung hat daran anknüpfend unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift den Begriff der Arbeitsstätte des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG EStG im Sinne eines wiederkehrenden Dauerelementes weit gefaßt. Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist danach ein ortsgebundener Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit, der mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht wird, um einen Teil der geschuldeten Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. Bergkemper in HHR § 9 Anm 453 m.w.N.). Danach ist eine Niederlassung des Arbeitgebers auch dann als Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen, wenn sie lediglich mit einer gewissen Regelmäßigkeit nur kurz aber ständig aufgesucht wird (vgl. Thürmer in Blümich EStG § 9 Rz 268 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 2.2.1994 VI R 109/89, BStBl II 1994, 422) ist es mit dem Begriff der Arbeitsstätte sogar vereinbar, den Betrieb des Arbeitgebers auch dann als Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen, wenn der Arbeitnehmer ihn regelmäßig nur aufsucht, um unwesentliche arbeitsvertraglich nicht geregelte Nebentätigkeiten zu erledigen. Entgegen der Darstellung der Klin. ist der Senat aber davon überzeugt, dass die Fachberatertagungen wegen der im Rahmen dieser Veranstaltungen durchgeführten Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen und des damit auch verbundenen Erfahrungs- und Meinungsaustausches durchaus von nicht unerheblicher Bedeutung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewesen sind. Eine Teilnahme wurde auch vom Arbeitgeber erwartet und gehörte somit zu der von den Fachberatern zu erbringenden Gesamtarbeitsleistung, auch wenn eine ausdrückliche Erwähnung in den Arbeitsverträgen unterblieben ist.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die

Außendienstmitarbeiter der Klin. im Streitzeitraum jeweils über ein regelmäßig arbeitstäglich genutztes häusliches Arbeitszimmer verfügten. Grundsätzlich können zwar Fahrten zwischen verschiedenen Arbeitsstätten nach Dienstreisegrundsätzen angesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht für Fahrten zwischen dem häuslichen Arbeitszimmer und weiteren Arbeitsstätten (vgl. zur Rechtslage BFH vom 28. Oktober 1998 IV B 21/98 BFH/NV 1999, 609 m.w.N.; Schmidt Drenseck EStG 20 Aufl. § 9 Rz 129, Bergkemper in HHR EStG § 9 Anm. 453, Thürmer in Blümich EStG § 9 Rz 267). Der Bekl. hat die streitigen Zuwendungen aus den Kraftfahrzeugüberlassungen bzw. aus den Kostenerstattungen daher zu Recht als steuerpflichtige Lohnzahlungen behandelt. Soweit sich die Klin. im Übrigen auf die Verwaltungsanweisung in Abschnitt 37 Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 1996/1999 beruft, folgt der Senat dieser Richtlinie aus den oben genannten Gründen nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 FGO.

Die Entscheidungen zur Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO, 55 FGO.



Ende der Entscheidung

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