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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 29.08.2007
Aktenzeichen: 10 K 224/04
Rechtsgebiete: EStG, GG, BKGG
Vorschriften:
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a | |
EStG § 32 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 | |
EStG § 62 | |
EStG § 63 Abs. 1 S. 2 | |
GG Art. 3 Abs. 1 | |
BKGG § 2 Abs. 2 S. 4 a.F. |
Finanzgericht Niedersachsen
Kindergeld/Einkommensteuer
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger für seinen Sohn T. über dessen 27. Lebensjahr hinaus für den Monat März 2004 Kindergeld zusteht.
T. vollendete im Mai 2003 sein 27. Lebensjahr. Er absolvierte zu diesem Zeitpunkt ein im Oktober 1999 begonnenes Studium, das er im März 2004 beendete. Davor hatte er vom 03.07.1995 bis 30.04.1996 seinen Grundwehrdienst abgeleistet, nachdem er im Mai 1995 die Abiturprüfung bestanden hatte. Vom 01.08.1996 bis zum 31.07.1999 befand er sich in einer Ausbildung zum Steuerfachgehilfen.
Mit Bescheid vom 20.02.2004 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für T. ab März 2004 auf. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, den die Beklagte mit der Begründung zurückwies, die Höchstbezugsdauer für das Kindergeld sei abgelaufen. Diese verlängere sich zwar für die Dauer des geleisteten Grundwehrdienstes über das vollendete 27. Lebensjahr des Sohnes hinaus. T. sei jedoch für den Monat Juli 1995 bei der Kindergeldfestsetzung berücksichtigt worden, weil sein Wehrdienst erst am 03.07.1995 begonnen habe. Durch die Verlängerung der Kindergeldfestsetzung um die Dauer des geleisteten Wehrdienstes solle nur die Ausbildungsverzögerung, die nach dem 18. Lebensjahr entstehe, ausgeglichen werden. Daraus folge, dass nur die Monate des Wehrdienstes als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden könnten, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres abgeleistet wurden und nicht wegen eines Verlängerungstatbestands bereits zu einem Kindergeldanspruch geführt haben. Folglich seien nur noch die Monate August 1995 bis April 1996 (9 Monate) zur Verlängerung der Kindergeldfestsetzung über das 27. Lebensjahr hinaus heranzuziehen gewesen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, der Wehrdienst seines Sohnes habe 10 Monate umfasst, somit sei für die Zeit vom 01.06.2003 bis zum 31.03.2004 Kindergeld zu gewähren. Ob in der früheren Zeit durch die Kindergeldkasse für bestimmte Zeiträume unberechtigt Kindergeld gewährt wurde, sei für diesen Sachverhalt unbedeutend.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
Kindergeld für seinen Sohn T. unter Abänderung des Aufhebungsbescheids vom 20.02.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.04.2004 für den Monat März 2004 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren. Nach ihrer Ansicht haben die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld für T. noch bis einschließlich Juli 1995 vorgelegen. Dieser Monat des Grundwehrdienstes könne mithin als Verlängerungstatbestand nicht berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Monat März 2004 kein Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn T. zusteht. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich für den Kläger aus § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002 (BGBl. I S. 4210) - EStG -.
1. Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise u.a. dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergelds wird dann um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum (hier: 10 Monate) hinausgeschoben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift steht dem Kläger danach Kindergeld für den Zeitraum bis März 2004 zu. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Sachzusammenhang der einkommensteuerrechtlichen Kindergeldvorschriften noch dem Sinn und Zweck des Verlängerungstatbestandes in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG.
a) Mit der Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass -abweichend von der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Jahressteuergesetz 1996- Kinder während der Ableistung ihres Wehr- oder Zivildienstes steuerlich nicht berücksichtigt werden (BTDrucks 13/1558, S. 155 f.). Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass das Kind während der Dauer des Wehr- oder Zivildienstes oder der Tätigkeit als Entwicklungshelfer einer Berufsausbildung nicht nachgehen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2002, VIII 68/01, BFH/NV 2003, 460). Nach der Rechtsprechung des BFH gebieten der Zweck des § 32 Abs. 5 EStG und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zwar eine zeitliche Begrenzung des nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG verlängerten Bezugszeitraums unter dem Gesichtspunkt, dass für den Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 EStG maßgebend nur der Zeitraum sein kann, um den die Berufsausbildung durch den Wehr- oder Zivildienst tatsächlich unterbrochen wurde (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2002 VIII R 68/01, BFH/NV 2003, 460 unter 1 b der Entscheidungsgründe; BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BStBl. II 2002, 807 unter II a cc). Dieser Gesichtspunkt vermag im vorliegenden Fall jedoch zu keiner zeitlichen Begrenzung des Verlängerungstatbestands über den Wortlaut des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG hinaus zu führen.
b) Der Zweck des § 32 Abs. 5 EStG und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebieten nach dem Urteil des BFH vom 14 Oktober 2002 VIII R 68/01 eine Begrenzung des nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG verlängerten Bezugszeitraums dann, wenn ein Teil des Verlängerungstatbestandes bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres berücksichtigt wurde (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG; § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz i.d.F. vom 31.01.1994, BGBl I, 168 - BKGG a.F. -). Nach Vollendung des 27. Lebensjahres kann dann nur noch die Differenz zum gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es entgegen dem Zweck des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Ergebnis zu einer Verlängerung des Bezugs von Kindergeld über die Dauer des (tatsächlich geleisteten) gesetzlichen Dienstes hinaus, also zu einer doppelten Berücksichtigung der bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres "verbrauchten" Monate des Verlängerungstatbestandes. Steuerpflichtige, deren Kinder unmittelbar nach der Vollendung des 18. Lebensjahres den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet und anschließend eine Berufsausbildung begonnen haben, die bei Vollendung des 27. Lebensjahres noch andauert, wären willkürlich benachteiligt.
Vorliegend handelt es sich um einen nicht vergleichbaren Fall, da sich der Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG bei dem Sohn des Klägers nach Vollendung des 21. Lebensjahres noch nicht ausgewirkt hat. Der Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist daher für den Sohn des Klägers nach dessen Vollendung des 27. Lebensjahres noch "unverbraucht". Es besteht nicht die Gefahr der doppelten Berücksichtigung des geleisteten Dienstes als Verlängerungstatbestand nach der Vollendung des 21. und des 27. Lebensjahres.
c) Im Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01 hat der BFH allerdings zu erkennen gegeben, dass er dazu neigt, den Verlängerungstatbestand auch dann nicht zur Anwendung zu bringen, wenn das Kind noch während der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes eine Berufsausbildung aufgenommen hat. Auch das Finanzgericht Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 31. März 1998 1 K 96/97 (EFG 1998, S. 1068) in diesem Fall die Notwendigkeit einer Begrenzung des Verlängerungstatbestandes des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG angenommen, da in diesem Fall eine Verlängerung um den Zeitraum der vollen gesetzlichen Dienstzeit, in welcher sich das Kind schon in Berufsausbildung befand und Kindergeld bezogen wurde, eine Begünstigung ohne sachlichen Grund gegenüber dem Personenkreis darstellen würde, dessen Kind während der gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstzeit keine Berufsausbildung betreiben kann (so schon BSG-Urteil vom 30. April 1979 8b RKg 5/78, SozR 5870 § 2 Nr. 14).
d) Der Senat kann offen lassen, ob er dem folgen würde. Denn der vorliegende Fall ist insoweit schon nicht vergleichbar, weil der Sohn des Klägers für den Monat Juli 1995 nicht deswegen noch bei der Kindergeldfestsetzung berücksichtigt wurde, weil er zeitgleich zur Ableistung seines Wehrdienstes sich zugleich in Berufsausbildung befand. Vielmehr konnte der Sohn des Klägers einer Berufsausbildung im Monat Juli 1995 gerade aufgrund des Beginns seines Wehrdienstes nicht mehr nachgehen. Daher entspricht es auch dem Sinn und Zweck des Verlängerungstatbestands des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG den Monat Juli noch zu berücksichtigen. Wie oben bereits ausgeführt wollte der Gesetzgeber mit dem Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG dem Umstand Rechnung tragen, dass das Kind während der Dauer des Wehr- oder Zivildienstes einer Berufsausbildung nicht nachgehen konnte.
e) Auch dass dem Kläger für seinen Sohn im Monat Juli 1995 Kindergeld gewährt wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Selbst wenn eine fehlende Unterbrechung der Berufsausbildung nach Sinn und Zweck des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG den Wortlaut der Vorschrift einzuschränken vermöchte, so kann dieses nach Auffassung des Senats jedoch nicht die bloße Gewährung von Kindergeld während des Grundwehrdienstes oder zivilen Ersatzdienstes, sofern diese darauf beruht, dass der Leistungszeitraum für das Kindergeld nach dem sog. Monatsprinzip (vgl. § 9 Abs. 1 BKKG a.F., § 66 Abs. 2 EStG) nach Monaten bemessen ist und deshalb Kindergeld für jeden vollen Monat zu gewähren ist, in dem wenigstens an einem Tag die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben -z. B. BFH-Beschluss vom 8. März 2002 VIII B 185/01, BFH I NV 2002, 1289- (im Ergebnis so auch Greite in Korn, EStG, § 32 Rz. 96; zu weit geraten demgegenüber die Umsetzung des Urteils des BFH vom 14. Mai 2002 durch das Bundsamt für Finanzen in der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs vom 6. März 2003, St I 4 - FG 2020 - 75/2002, zu DA 63.5 Abs. 3, BStBl I 2003, 184 f. ).
aa) Dem Kläger ist für seinen Sohn im Monat Juli 1995 aufgrund des Monatsprinzips zu Recht Kindergeld gewährt worden. Nach den zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Vorschriften des BKGG a.F. war die Zeit zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Wehrdienstes als eine sog. Übergangszeit zu berücksichtigen, sofern der Wehrdienst spätestens im vierten auf die Beendigung der Schulausbildung folgenden Monat begann. Obwohl nach dem eindeutigen Wortlaut von § 2 Abs. 2 S. 4 BKGG a.F. nur Zwangspausen zwischen zwei Ausbildungsabschnitten zu berücksichtigen waren, wurde nämlich auch die Zeit zwischen Schulausbildung und der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes als Übergangszeit im Sinne des Gesetzes anerkannt (vgl. BSG-Urteil vom 26.07.1977 - 8/12 RKg 2/77 - BSGE 44, S. 197; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 2 BKGG Rz. 215a). Es kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob die Schulausbildung von T. bereits mit der Abitursprüfung im Mai 1995 oder erst mit Ablauf des regulären Schuljahrs im Juni geendet hat, da auch bei Maßgeblichkeit des Zeitpunkts Mai die Übergangszeit nicht überschritten war. Vorliegend hatte T. im Mai 1995 die Abiturprüfung bestanden, am 03.07.1995 hat er seinen Wehrdienst angetreten. Nach dem in § 9 Abs.1 BKKG a.F. geregelten Monatsprinzip war für T. Kindergeld daher bis Ende Juli 1995 zu gewähren.
Das Monatsprinzip wurde vom Gesetzgeber als allgemeines für den Leistungszeitraum von Kindergeld geltendes Prinzip festgesetzt, auf das alle Steuerpflichtigen sich gleichermaßen berufen können. Daher vermag die hier umstrittene Verlängerung nach § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zu keiner willkürlichen Bevorzugung des Klägers zu führen, die eine Begrenzung des Verlängerungstatbestands unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte.
bb) Selbst wenn der Kläger keinen Anspruch auf das für Juli 1995 gewährte Kindergeld gehabt hätte, wäre das Ergebnis kein anderes. Denn eine materiell falsche Gewährung von Kindergeld kann nicht etwa durch Kürzung des Verlängerungstatbestandes im Ergebnis rückgängig gemacht werden. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Regelung in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Derartige Fälle können nur nach den Regeln des Verfahrensrechts korrigiert werden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach hat die beklagte Agentur für Arbeit als unterlegene Beteiligte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Ende der Entscheidung
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