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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 29.01.2009
Aktenzeichen: 10 K 333/07
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 2b
EStG § 7 Abs. 1
EStG § 7 Abs. 2
FGO § 100 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Abschreibungszeitraum der von der Klägerin betriebenen Windkraftanlagen. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid für ... vom ... über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom ....

Die Klägerin besteht in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Gesellschafter der Klägerin sind die allein zur Vertretung berechtigte Komplementärin sowie die im Rahmen eines geschlossenen Publikumsfonds an der Klägerin beteiligten Kommanditisten. In ihrem Anlageprospekt hatte sie mit einer Totalausschüttung von deutlich über 100 v.H. des eingezahlten Kapitals geworben, aus der sich eine Jahresrendite von - je nach persönlichem Steuersatz des Anlegers - etwa 7 bis 8 v.H. ergab.

Die Klägerin wurde ... gegründet, seit dem Streitjahr ... betreibt sie zwei Windkraftanlagen und zwei Photovoltaikanlagen im Raum ... und ....

In ihrem Jahresabschluss für ... setzte die Klägerin eine degressive Absetzung für Abnutzung nach § 7 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die von ihr betriebenen Windkraftanlagen in Höhe von ... an. Dabei ging sie von einer durch die amtlichen AfA-Tabellen festgesetzten betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 16 Jahren und dementsprechend von einem Abschreibungssatz von 12,5 v.H. vom Restwert aus.

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten steuerlichen Außenprüfung vertraten die Prüfer die Auffassung, die Absetzung sei abweichend von den amtlichen AfA-Tabellen nach einer Nutzungsdauer von 20 Jahren und damit mit einem degressiven Abschreibungssatz vom Restwert in Höhe von 10 v.H. zu bestimmen. Danach ergab sich für beide Windkraftanlagen im Streitjahr insgesamt ein Abschreibungsbetrag von lediglich .... Der Beklagte, das Finanzamt ..., machte sich diese Auffassung zu Eigen und erließ den geänderten Bescheid, dem neben der Änderung der Abschreibungsdauer noch weitere, zwischen der Klägerin und dem Finanzamt nicht streitige Änderungen zugrunde lagen.

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Das Finanzamt begründete seine Auffassung damit, die allgemeinen Vorbemerkungen zu den amtlichen AfA-Tabelle enthielte eine Ausnahme von der Verbindlichkeit der Tabelle für den Fall, dass eine Verlustzuweisungsgesellschaft (§ 2b EStG) nach ihrem eigenen Betriebskonzept von einer erheblich längeren Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts ausginge als in den amtlichen AfA-Tabellen angegeben und ihre Betriebsführung überwiegend auf diesem Umstand beruhe. In diesem Fall werde die in ihrem Betriebskonzept zugrunde gelegte Nutzungsdauer angewandt.

Die Klägerin habe zwar den Tatbestand des § 2b EStG nicht verwirklicht, weil die Prüfung ergeben habe, dass die Erzielung eines steuerlichen Vorteils nicht im Vordergrund stehe. Gleichwohl sei die Klägerin als Verlustzuweisungsgesellschaft im Sinne des § 2b EStG anzusehen, so dass die Abweichung von der AfA-Tabelle grundsätzlich möglich sei.

Die Klägerin habe nach ihrem in dem veröffentlichen Anlegerprospekt dargestellten Betriebskonzept eine Betriebsdauer von 20 Jahren erwartet. Dieser Zeitraum sei deshalb auch der Abschreibung zugrunde zu legen.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin geltend macht, die Abschreibungen ihrer Windkraftanlagen nach dem in der AfA-Tabelle vorgesehenen Abschreibungszeitraum von 16 Jahren vorzunehmen. Das Finanzamt habe keinen Sachverhalt vorgetragen, der es aus technischer oder tatsächlicher Sicht rechtfertige, von der AfA-Tabelle abzuweichen.

Die Klägerin beantragt,

die Einkünfte der Klägerin für ... um ... niedriger mit ... festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt hält an seinem Rechtsstandpunkt aus dem Verwaltungsverfahren fest. Für die Verlängerung der Abschreibungsdauer sei es nicht erforderlich, dass die Klägerin die Rechtsfolgen des § 2b EStG auslöse. Hierfür spreche auch Hinweis H 5a der Einkommensteuerrichtlinien (EStR), der auf § 2b EStG und damit auf die dort verwendete Definition verweise. Abweichend hiervon benutze H 134b EStR den Begriff "Verlustzuweisungsgesellschaft" in einer anderen, auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zurückgehenden Weise.

Entscheidungsgründe:

1) Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten und gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

2) Anhaltspunkte für die Notwendigkeit von Beiladungen nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind weder von den Beteiligten vorgetragen noch aus den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten ersichtlich. Die Klage ist von der zur Vertretung der Klägerin berufenen Geschäftsführerin, der Komplementär-GmbH, erhoben worden. Daneben sind an der angefochtenen Feststellung ... beschränkt haftende Gesellschafter vorhanden, die von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind und deren Beiladung deshalb nach § 60 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 48 FGO unterbleibt.

3) Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Unrecht ist das Finanzamt bei der Bemessung der der Klägerin zustehenden Abschreibungen von einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der Windkraftanlagen von mehr als 16 Jahre ausgegangen.

a) Nach § 7 Abs.1 Satz 1 und 2 EStG ist bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen). Diese Absetzung bemisst sich nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts.

Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens kann der Steuerpflichtige statt der AfA in gleichen Jahresbeträgen die Absetzung für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen bemessen. Die Absetzung für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen kann nach einem unveränderlichen Hundertsatz vom jeweiligen Buchwert (Restwert) vorgenommen werden; der dabei anzuwendende Hundertsatz darf höchstens das Doppelte des bei der Absetzung für Abnutzung in gleichen Jahresbeträgen in Betracht kommenden Hundertsatzes betragen und 20 vom Hundert nicht übersteigen (§ 7 Abs. 2 EStG).

Unter der Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG ist der Zeitraum zu verstehen, in dem das Wirtschaftsgut erfahrungsgemäß verwendet oder genutzt werden kann. Die Ermittlung der Nutzungsdauer erfolgt im Schätzungswege.

b) Als Hilfsmittel für die Schätzung der Nutzungsdauer hat der Bundesminister der Finanzen - BMF - unter Beteiligung der Fachverbände der Wirtschaft AfA-Tabellen für allgemein verwendbare Anlagegüter und für verschiedene Wirtschaftszweige herausgegeben. Sie berücksichtigen sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes. Sie haben zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich, sind aber für die Gerichte nicht bindend (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999 III R 74/97, BStBl II 2001, 31; vom 26. Juli 1991 VI R 82/89, BStBl II 1992, 1000).

Ausgehend von diesen Grundsätzen beträgt die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer für Windkraftanlagen gemäß Ziffer 3.1.5. der AfA-Tabelle für Anlagegüter, die - wie im Streitfall - nach dem 31.12.2000 angeschafft oder hergestellt worden sind (BMF, IV D 2 - S 1551 - 188/00, B/2-2-337/2000 - S 1551 A, BStBl I 2000, 1532), 16 Jahre.

c) Der Senat schätzt entsprechend der AfA-Tabelle die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der hier streitigen Anlagen mit 16 Jahren. Denn es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, die Richtigkeit der AfA-Tabelle in Bezug auf die Nutzungsdauer einer Windkraftanlage in Zweifel zu ziehen. Dabei gilt, dass derjenige, der eine von der AfA-Tabelle abweichende Nutzungsdauer geltend macht, die hierfür sprechenden Gründe substantiiert vorzubringen hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 8. November 1996 VI R 29/96, BFH/NV 1997, 288). Nach Ansicht des Senats gilt dies nicht nur für den Steuerpflichtigen, der eine kürzere Nutzungsdauer, als in der AfA Tabelle vorgesehen, beansprucht, sondern auch für die Finanzverwaltung, wenn sie zu Lasten des Steuerpflichtigen und entgegen der AfA Tabelle von einer längeren Nutzungsdauer ausgeht. Dies ist aber hier durch den Beklagten - der eine von der AfA-Tabelle abweichende längere betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer geltend macht - nicht hinreichend geschehen:

aa) Zur Begründung seines Standpunkts hat sich der Beklagte auf Tz 7 b) der allgemeinen Vorbemerkungen zu den AfA-Tabellen (in der Fassung des BMF-Schreibens vom 6. Dezember 2001 IV D 2-S 1551 -498/01, BStBl I 2001, 860) berufen. Dort heißt es:

"Geht eine Verlustzuweisungsgesellschaft (§ 2b EStG) nach ihrem eigenen Betriebskonzept von einer erheblich längeren Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts aus als in den amtlichen AfA-Tabellen angegeben und beruht ihre Betriebsführung überwiegend auf diesem Umstand, wird die in ihrem Betriebskonzept zugrunde gelegte Nutzungsdauer angewandt."

Zu Recht macht die Klägerin geltend, dass diese Vorbemerkung im Streitfall nicht einschlägig ist. Denn in Tz 21 des Betriebsprüfungsberichts ist ausdrücklich festgehalten, dass bei der Klägerin die Erzielung eines steuerlichen Vorteils nicht im Vordergrund stünde. Dementsprechend geht der Senat im Einvernehmen mit den Beteiligten davon aus, dass die Klägerin den Tatbestand des § 2b EStG nicht verwirklicht hat. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob und ggf. welche Rechtsfolgen sich aus den Bedenken des BFH gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2b EStG (vergl. BFH-Beschluss vom 2. August 2007 IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270) in Bezug auf die Anwendung der Tz 7 b) der allgemeinen Vorbemerkungen zu den AfA-Tabellen ergeben könnten.

bb) Soweit der Beklagte dem entgegenhält, dass die Berufung auf die genannte Vorbemerkung zu den AfA-Tabellen nicht voraussetze, dass der Tatbestand des § 2b EStG verwirklicht werde, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Der Senat hat den Beklagten so verstanden, dass er der Auffassung ist, der BMF habe durch den Klammerzusatz "§ 2b EStG" lediglich klarstellen wollen, dass diese Vorbemerkung für solche Verlustzuweisungsgesellschaften gelte, deren Mitunternehmer zwar über Einkünfteerzielungsabsicht verfügten, bei denen jedoch trotzdem Modell bedingt die Erzielung eines steuerlichen Vorteils im Vordergrund stünde. Der Zusatz solle also abgrenzen von den in der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Verlustzuweisungsgesellschaften bezeichneten Gesellschaften, bei denen wegen einer negativen Totalprognose vom Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen sei und deren Mitunternehmer dementsprechend mit ihren Einkünften gar nicht der Besteuerung unterfielen.

Der Senat teilt die so verstandene Auffassung des Beklagten nicht. Er geht vielmehr davon aus, dass der BMF in den allgemeinen Vorbemerkungen zu den amtlichen AfA-Tabellen zu Ziffer 7 b) der allgemein üblichen Praxis gefolgt ist, durch die Angabe eines Paragraphen auf die in jenem Paragraphen näher bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen zu verweisen (Rechtsgrundverweisung), um dann eigene rechtliche Folgen für den Fall zu bestimmen, dass jene Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Der Senat schließt sich hierzu den überzeugenden Ausführungen in dem zu einem gleich gelagerten Sachverhalt ergangenen und den Beteiligten bekannten Urteil des Finanzgerichts Köln vom 27. November 2007 8 K 3037/06, EFG 2008, 836, an und verweist ergänzend auf die Ausführungen in Randziffer 51 bis 53 der dortigen Urteilsgründe.

Da nach Auffassung des Senats schon die Voraussetzungen der Vorbemerkungen (Tz. 7b) zu den amtlichen AfA-Tabellen nicht vorliegen, kann dahin stehen, ob die dortige Anknüpfung an das Betriebskonzept bei solchen Gesellschaften überhaupt zu einer abweichenden betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer führen kann. Der Versuch des Beklagten, die aus energiepolitischen Gründen vom Gesetzgeber gewährten Ertragsvorteile durch die Verlängerung des Abschreibungszeitraums teilweise wieder abzuschöpfen, findet nach alledem im geltenden Recht keine Grundlage. Die Klage ist deshalb in vollem Umfang begründet.

4) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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