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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: 11 K 12314/02
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 218 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute.

Der Kläger ist Landwirt und ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 Einkommensteuergesetz durch Betriebsvermögensvergleich. Gewinnermittlungszeitraum ist das Wirtschaftsjahr vom 1. Juli bis 30. Juni des Folgejahres. Zum Betriebsvermögen seines landwirtschaftlichen Betriebes gehört eine Beteiligung an der X GmbH (GmbH) an der die Kläger je zur Hälfte beteiligt sind. Am 2. April 1992 bescheinigte die GmbH den Klägern jeweils Ausschüttungen von 115.810,94 DM, die im Mai 1992 ausgezahlt wurden.

Die Ausschüttungen der GmbH wurden in voller Höhe erklärungsgemäß im Einkommensteuerbescheid 1992 vom 17. August 1994 zunächst jeweils als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst.

In der Anrechnungsverfügung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids 1992 wurde Kapitalertragsteuer von 37.060,00 DM, Solidaritätszuschlag von 2.779,46 DM und Körperschaftsteuer von 83.384,00 DM angerechnet. Diese Beträge waren in der Steuerbescheinigung der GmbH vom 2. April 1992 bescheinigt.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung ergaben sich u.a. Änderungen bei der Höhe einer verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) der GmbH an den Kläger sowie bei der Zuordnung der GmbH-Ausschüttungen zu einer Einkunftsart in den Wirtschaftsjahren 1991/1992 bis 1995/1996. Die Ausschüttungen des Klägers wurden nunmehr als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erfasst.

Für den Veranlagungszeitraum (VZ) 1991 erfolgte keine Änderung des Steuerbescheids, weil insoweit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Nach Vorlage entsprechender Steuerbescheinigungen über die verdeckten Gewinnausschüttungen vom 23. September 1999 erließ der Beklagte am 7. Februar 2000 einen geänderten Steuerbescheid für das Streitjahr 1992, wobei er alle Ausschüttungen der GmbH an den Kläger für das Wirtschaftsjahr 1991/1992 als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zur Hälfte erfasste (§ 4a Abs. 2 Nr. 1 EStG). Auch die anrechenbaren Steuern (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag) wurden nur hälftig auf die für 1992 festgesetzte Steuer angerechnet. Somit reduzierte sich der Anrechnungsbetrag in der Anrechnungsverfügung für Körperschaftsteuer von 83.384,00 DM auf 73.276,00 DM. Ebenso verringerte sich der Anrechnungsbetrag für Kapitalertragsteuer von 37.060,00 DM auf 27.795,00 DM. Daneben betrug der anrechenbare Solidaritätszuschlag statt 2.779,46 DM nunmehr 2.084,60 DM.

Die Gewinne aus dem Wirtschaftsjahr 1992/1993, zu denen auf Grund der Betriebsprüfung auch die Gewinnanteile des Klägers an der GmbH gehörten und die im Wirtschaftsjahr 1992/1993 erzielt wurden, erfasste der Beklagte zur Hälfte ebenfalls im VZ 1992.

Für den VZ 1993 wurden im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 7. Februar 2000 die andere Hälfte der Ausschüttungen aus dem Wirtschaftsjahr 1992/1993 erfasst. In der Anrechnungsverfügung vom selben Tag wurden aber die vollen Anrechnungsbeträge, wie sie sich aus den Steuerbescheinigungen der GmbH für das Wirtschaftsjahr 1992/1993 ergaben, angesetzt.

Mit ihrem Einspruch begehrten die Kläger die anrechenbaren Steuern und Nebenabgaben aus dem Wirtschaftsjahr 1991/1992 in voller Höhe im Jahr 1992 zu berücksichtigen. Der Beklagte legte diesen Einspruch als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides aus.

Gegen den daraufhin ergangenen Abrechnungsbescheid legten die Kläger erneut Einspruch ein, der als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Dagegen richtet sich die Klage.

Die Kläger tragen vor, die Anrechnungsbeträge zur Einkommensteuer 1993, soweit sie auf die GmbH-Ausschüttungen entfielen, seien zur Hälfte auf die Einkommensteuer 1992 anzurechnen. Es solle beim hälftigen Ansatz der GmbH-Ausschüttungen aus dem Wirtschaftsjahr 1992/1993 im VZ 1992 verbleiben, aber zusätzlich die Anrechnung der hälftigen sich aus der Steuerbescheinigung ergebenden Beträge in dem Wirtschaftsjahr 1992/1993 vorgenommen werden. Wenn es dadurch zu einer Doppelanrechnung in 1992 und 1993 komme, dann müsse dies nach einem Urteil des BFH vom 26. November 1997 (I R 110/97, BFH/NV 1998, 581) vom Beklagten hingenommen werden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 1992 vom 19. November 2001 in Gestalt des Einspruchsbescheides 25. April 2001 zu ändern und weitere Körperschaftsteuer in Höhe von 25.869,24 DM und Kapitalertragsteuer in Höhe von 6.733,94 DM anzurechnen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die anrechenbaren Steuern zu den im Wirtschaftsjahr 1992/1993 zugeflossenen Ausschüttungen seien bereits in voller Höhe im VZ 1993 berücksichtigt worden. Dies entspreche dem Antrag der Kläger in ihrer Steuererklärung 1993. Auch nach der Außenprüfung sei aus Vereinfachungsgründen an der vollen Anrechnung im Jahr 1993 festgehalten worden, da eine Aufteilung auf die Kalenderjahre 1992/1993 insgesamt gesehen für die Kläger weder positive noch negative Auswirkung habe.

Die Kläger hätten weder im Rahmen der Außenprüfung noch in dem nachfolgenden Schriftwechsel, Einwände gegen diese Verfahrensweise vorgebracht. Die nunmehr beantragte Doppelberücksichtigung von Anrechnungsbeträgen widerspreche sowohl dem Grundsatz von Treu und Glauben als auch dem Sinn des Anrechnungsverfahren, eine Doppelbesteuerung beim Anteilseigner zu vermeiden.

Das von der Klägerseite zitierte Urteil des BFH vom 26. November 1997 sei nicht vollständig zitiert worden. Der BFH habe die Unbeachtlichkeit einer Doppelanrechnung nur auf den Fall bezogen, dass die entsprechenden Dividenden, also auch die Einnahmen im Folgejahr - nochmals berücksichtigt werden. Eine Doppelberücksichtigung von Anrechnungsbeträgen bei - wie im Streitfall - nur einmaliger Erfassung der Einnahmen habe der BFH in dieser Entscheidung nicht ausgesprochen.

Gründe

I. Die Klage ist begründet.

Der Abrechnungsbescheid vom 19. November 2001 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 25. April 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger können weitere Anrechnungsbeträge in Höhe von 25.869,24 DM Körperschaftsteuer und in Höhe von 6.733,94 DM Kapitalertragsteuer geltend machen. Die Hälfte der durch die GmbH im Wirtschaftsjahr 1992/1993 gezahlten Körperschaftsteuern und Kapitalertragsteuern, soweit sie auf den Kläger entfallen, ist noch zu berücksichtigen.

a. Nach § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen, durch Verwaltungsakt (Abrechnungsbescheid). Dabei sind Steuern und Nebenabgaben, soweit sie anrechenbar sind, zu berücksichtigen. Voraussetzung für die Anrechnung von Abzugs- und Anrechnungsbeträgen in einem VZ ist, dass eine Erfassung der entsprechenden Einkünfte im betreffenden VZ gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfolgt ist. Dies ergibt sich für die Kapitalertragsteuer im Streitjahr aus § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG und für die Körperschaftsteuer aus § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG.

b. Die zu den Anrechnungsbeträgen gehörenden Einnahmen aus dem Wirtschaftsjahr 1992/1993 sind im VZ 1992 erfasst worden. Aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung wurde die Hälfte der im Wirtschaftsjahr 1992/1993 erhaltenen Ausschüttungen aus der GmbH dem Kläger als Einnahmen aus Land- und Forstwirtschaft im Streitjahr zugerechnet. Somit sind auch die dazugehörenden Anrechnungsbeträge im Abrechnungsbescheid zu berücksichtigen. Da von der GmbH im Wirtschaftsjahr 1992/1993 laut Bescheinigungen für den Kläger an Körperschaftssteuer 51.738,47 DM und an Kapitalertragsteuer 13.467,87 DM gezahlt wurden, stand somit die Hälfte dieser Beträge für die Anrechnung im VZ 1992 zur Verfügung (25.869,24 DM Körperschaftsteuer und 6.733,94 DM Kapitalertragsteuer).

c. Diesem Ergebnis stehen nicht die bestandskräftigen Anrechnungsverfügungen zur Einkommensteuer 1992 vom 17. August 1994 und zur Einkommensteuer 1993 vom 7. Februar 2000 entgegen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des I. Senats des BFH, der keine Bindungswirkung eines Abrechnungsbescheides an vorausgegangene bestandskräftige Anrechnungsverfügungen annimmt. Besteht Streit über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, so muss die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid entscheiden. Der Erlaß des Abrechnungsbescheids dient dazu, endgültig zu entscheiden.

Das Verfahren gemäß § 218 Abs.2 AO ist vorrangig gegenüber dem Verfahren, das die Anrechnungsverfügung betrifft (BFH-Beschl. v. 20. Oktober 1987 VII R 32/87, BFH/NV 1988, 349). Im Verfahren gemäß § 218 Abs.2 AO besteht keine Bindung an die Anrechnungsverfügungen. Sie werden durch den Abrechnungsbescheid formell weder aufgehoben noch geändert. Ob die Anrechnungsverfügungen gemäß §§ 130, 131 AO geändert werden dürfen, ist für das Verfahren nach § 218 Abs.2 AO deshalb bedeutungslos. Sinn der in § 218 Abs.2 AO getroffenen Regelung ist es gerade, daß das FA über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden kann und muß. § 218 Abs.2 AO enthält daher eine gegenüber §§ 130, 131 AO vorgreifliche Sonderregelung (BFH-Urt. v. 28. April 1993 I R 123/91, BStBl II 1994, 147; Urt. v. 28. April 1993 I R 100/92, BStBl II 1993, 836; FG Rheinland-Pfalz Urt. v. 22. März 1995 1 K 2096/94, juris; offen gelassen BFH-Beschl. v. 17. September 1998 I B 2/98, BFH/NV 1999, 440; a.A. BFH-Urt. v. 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BStBl II 1987, 405; Urt. v. 15. April 1997 VII R 100/96, BStBl II 1997, 787; Kruse in Tipke/Kruse, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung (Loseblatt), § 218 AO Tz. 19; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 218 Tz. 28 m.w.Nachw. a.E.; Intemann in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2004, § 218 Tz. 58).

d. Soweit es durch die Anrechnung auf die Einkommensteuerschuld 1992 zu einer Doppelanrechnung der streitigen Anrechnungsbeträge kommt und der Beklagte keine Änderung der bestandskräftigen Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1993 vornehmen kann, ist dies Folge der rechtswidrig im VZ 1993 in voller Höhe angerechneten Körperschaftsteuer- und Kapitalertragsteuerbeträge aus dem VZ 1992. Zwar beruhte diese Vorgehensweise auf einer vereinbarten Praxis, gleichwohl war sie rechtswidrig, weil sie nicht der geltenden Rechtslage entsprach.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs.1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

III. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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