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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 24.07.2009
Aktenzeichen: 11 K 199/09
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 173 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA -) den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 2005 wegen einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache ändern durfte.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger bezieht als selbstständiger Schornsteinfegermeister Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Mit der Steuererklärung für das Streitjahr - wie in den Jahren zuvor - erklärte der steuerliche Berater der Kläger einen Betrag über 7.048 Euro als Sonderaugaben in der Zeile 65, Kennziffer 32, des Vordrucks. Die Zeile fragt u.a. Abgaben zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen ab. Mit der Steuererklärung reichte der Berater eine Mitteilung über die Höhe der Beitragszahlungen des Klägers zur Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister (VdBS), Bayerische Versorgungskammer München, vom November 2004 ein. In dieser Mitteilung werden die jährlichen Zahlungen für den Kläger mit den geltend gemachten Betrag angeben.

Das FA veranlagte die Kläger insoweit antragsgemäß und erkannte den Betrag als (beschränkt abzugsfähige) Sonderausgaben an. Der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig.

Am 10. Februar 2009 (interne Dienstverfügung vom 21. Januar 2009) erhielt das FA durch eine Mitteilung der Oberfinanzdirektion Hannover Kenntnis davon, dass die Beiträge zur VdBS ab 2005 nicht mehr als Sonderausgaben abziehbar seien. Hintergrund für diese Rechtsänderung sei das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Alterseinkünftegesetz. Die VdBS sei eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts und keine berufsständische Versorgungseinrichtung auf landesrechtlicher Grundlage. Sie erbringe daher keine der gesetzlichen Rentenversicherung gleichstehende Leistungen.

Das FA änderte darauf hin den Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) wegen neuer Tatsachen zuungunsten der Kläger. Der gegen den Änderungsbescheid erhobene Einspruch war erfolglos.

Dagegen richtet sich die Klage.

Die Kläger tragen vor, die Voraussetzungen für eine Änderung seien nicht gegeben. Die Tatsache, dass im Jahr 2005 Zahlungen an die VdBS erfolgt seien, sei dem FA bei Bearbeitung der Steuererklärung 2005 im Jahr 2006 bekannt gewesen. Die Rechtsänderung durch das Alterseinkünftegesetz sei keine neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO. Zudem habe der Sachbearbeiter durch die Beitragsbescheinigung die Empfängereinrichtung erkennen können. Dies habe ihn aber offensichtlich weder zu Rückfragen hinsichtlich des rechtlichen Status der VdBS noch zu anderen rechtlichen Konsequenzen veranlasst. Dieses Verhalten müsse als Ermittlungsfehler des FA angesehen werden, der eine Änderung ausschließe. Die Kläger seien ihrer Mitwirkungs- und Erklärungspflicht jedenfalls durch Vorlage der Beitragsbestätigung nachgekommen, auch wenn der Zahlbetrag nach der Rechtslage für 2005 -anders als in den Vorjahren - nicht mehr in Zeile 65 hätte eingetragen werden dürfen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid vom 9. März 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. April 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Auffassung, dass die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben seien. Ein Ermittlungsfehler des FA liege nicht vor. Die Kläger hätten mit der Steuererklärung auch Angaben zum Rechtsstatut der VdBS machen müssen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Änderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Er ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen, bestandskräftigen Bescheids 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen nicht vor.

Nach dieser Vorschrift können bestandskräftige Steuerbescheide zuungunsten der Steuerpflichtigen wegen nachträglich bekannt gewordener, steuererheblicher Tatsachen geändert werden.

Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH, Urteile vom 1.Oktober 1993 - III R 58/92, BStBl. II 1994, 346 , vom 18. Dezember 1996 - XI R 36/96, BStBl. II 1997, 264, und vom 14. Januar 1998 - II R 9/97, BStBl. II 1998, 371).

Keine Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 AO sind dagegen Rechtsnormen und Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere steuerrechtliche Bewertungen (BFH, Urteil vom 27. Oktober 1992 - VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569).

Tatsachen werden nachträglich bekannt, wenn sie einem für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten (BFH, Urteile vom 9. November 1984 - VI R 157/83, BStBl. II 1985, 191, und vom 20. Juni 1985 - IV R 114/82, BStBl II 1985, 492) bekannt werden, nachdem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen worden ist (Abzeichnung der Verfügung; BFH, Urteil vom 18. März 1987 - II R 226/84, BStBl II 1987, 416).

Im Streitfall ist die Zahlung an das VdBS (Tatsache) dem FA sowohl dem Empfänger nach als auch der Höhe nach bei Bearbeitung der Steuererklärung bekannt gewesen. Diese Tatsache rechtfertigt also keine Änderung. Ob der Umstand, dass die Aufwendungen an die VdBS ab dem Veranlagungszeitraum (VZ) 2005 nicht mehr als Sonderausgaben abziehbar sind, eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist fraglich. Die Beantwortung kann im konkreten Streitfall aber dahin gestellt bleiben. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, hätte keine Änderung durchgeführt werden dürfen, da das FA einen die Änderung ausschließenden Ermittlungsfehler bei der Bearbeitung begangen hat, der sich nicht zuungunsten Kläger auswirken darf.

Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann das FA - selbst auch wenn es von einer rechtserheblichen Tatsache nachträglich Kenntnis erhält - daran gehindert sein, einen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zuungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern (BFH, Urteil vom 13. November 1985 - II R 208/82, BStBl. II 1986, 241). Hat der Steuerpflichtige nämlich die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt, kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht, wenn die spätere Kenntnis der Tatsache auf einer Verletzung der dem FA obliegenden Ermittlungspflicht beruht.

Das FA braucht den Steuererklärungen zwar nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern darf regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Veranlagt es aber trotz (bekannter) Zweifel an der Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen oder hätte es nach der Steuererklärung und den beigefügten Unterlagen Zweifel hegen müssen, endgültig, so ist eine spätere Änderung der Steuerfestsetzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen (BFH, Urteil vom 27. Oktober 1992 - VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569).

Im Streitfall haben die Kläger durch ihren Berater mit der Angabe der Beitragszahlungen in der Steuererklärung unter Beifügung der Beitragsmitteilung der VdBS ihre Mitwirkungspflicht vollständig erfüllt. Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Finanzverwaltung, die Kläger hätte noch auf das Rechtsstatut der VdBS als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts hinweisen müssen, um den Sachbearbeiter auf das Rechtsproblem und die Änderung der Rechtslage im VZ 2005 aufmerksam zu machen.

Der Steuerbürger kann vielmehr davon ausgehen, dass Finanzbeamte im Rahmen der Fortbildung oder durch Verwaltungsanweisungen auf gesetzliche Änderungen und die damit verbundenen Probleme für die Bearbeitung von Steuererklärungen - auch im Massenverfahren - zeitnah hingewiesen werden. Es ist nicht Aufgabe der Steuerbürger oder ihrer Berater, in der Steuererklärung auf Gesetzesänderungen hinzuweisen. Der Steuerbürger ist lediglich verpflichtet, alle steuerlich relevante Angaben in der Steuererklärung wahrheitsgemäß und vollständig zu machen. Das ist vorliegend geschehen. Die rechtliche Einordnung der Angaben, wie z.B. die Frage, ob Aufwendungen, die in den Vorjahren als Sonderausgaben berücksichtigt wurden, auch im aktuellen Veranlagungsjahr berücksichtigungsfähig sind, obliegt vielmehr der Finanzverwaltung.

Im Streitfall hätte der Sachbearbeiter des FA bei Kenntnis der Problematik aufgrund der beigefügten Beitragsmitteilung vom November 2004 entweder bei der Versorgungskammer oder dem Kläger nachfragen müssen oder die Steuerfestsetzung - wie offensichtlich in anderen Bundesländern üblich - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stellen müssen. Da das nicht geschehen ist, hat das beklagte FA die Folgen der durch die Oberfinanzdirektion erst am 10. Februar 2009 erfolgten Aufklärung zu tragen.

An dieser Einschätzung vermag auch die für den VZ 2005 unrichtige Eintragung der Aufwendungen in die Zeile 65, Kennziffer 32, durch den Berater der Kläger nichts zu ändern. Der VZ 2005 war der erste VZ nach den umfangreichen Gesetzesänderungen durch das Alterseinkünftegesetz mit seinen vielen rechtlichen Unsicherheiten. Der Sonderausgabenabzug der betroffenen Aufwendungen war in den Vorjahren immer gegeben, weshalb die erneute Eintragung in dieser Zeile 65, zumal unter Vorlage der Bescheinigung des Empfängers der Aufwendungen, als unbedeutend anzusehen ist.

Der bestandskräftige Steuerbescheid 2005 der Kläger durfte daher nicht mehr geändert werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Ende der Entscheidung

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