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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.11.2008
Aktenzeichen: 11 K 87/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 233a
EStG § 20 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob die nach § 233a Abgabenordnung (AO) gezahlten Steuererstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen sind.

Der Kläger war Sachgebietsleiter in einem Finanzamt. Er wurde zusammen mit seiner Ehefrau mit Einkommensteuerbescheid vom 4. September 2006 zur Einkommensteuer für das Jahr 2003 veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung 2003 erklärten sie, dass ihre gesamten Einnahmen aus Kapitalvermögen im Jahr 2003 nicht mehr als 3.202 EUR betragen hätten. Eine Anlage KAP wurde nicht abgegeben.

Der Beklagte berücksichtigte im Rahmen der Veranlagung Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.690 EUR. Dem lag eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes ... vom 11. November 2003 zugrunde, in der im Jahr 2003 erhaltene Zinsen gemäß § 233a AO in Höhe von 4.892 EUR ausgewiesen waren. Nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrages (102 EUR) und des Sparerfreibetrages (3.100 EUR) ergab sich der angesetzte Betrag von 1.690 EUR. Als Begründung führte der Beklagte aus, dass als Einnahmen aus Kapitalvermögen die im Jahr 2003 erhaltenen Zinsen auf Steuererstattungen in Höhe von 4.892 EUR erfasst wurden. Die Erstattungszinsen nach § 233 a AO betrafen geänderte Einkommensteuerbescheide der Jahre 1991 bis 1997.

Die Kläger hatten im Streitjahr und davor Zinsaufwendungen für private Kredite, die die Erstattungszinsen der Summe nach überstiegen. Im Rahmen einer Vereinbarung über einen Kontokorrentkredit vom 18. März 2003 wurde zur Absicherung des Kredits im Rahmen des Gesamtengagements eine Abtretung des Steuerrückerstattungsanspruchs vereinbart. Weiterhin legte der Kläger im Klageverfahren Schuldzinsbescheinigungen vor, die die Jahre 2000 bis 2003 betreffen. Die Zinsaufwendungen betreffen Kontokorrentzinsen und ein Kreditkartenkonto.

Gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 vom 4. September 2006 legten die Kläger Einspruch ein. Dieser hatte nur teilweise Erfolg. Eine Änderung zu Gunsten der Kläger erfolgte wegen nachgereichter Zahlungsbelege über Betriebsausgaben der Klägerin. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2007, die im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurückwies, erhoben die Kläger Klage.

Die Kläger tragen vor, die Erfassung der Zinsen auf Steuererstattungsbeträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen verstoße gegen die Systematik einer rechtstaatlichen Steuererhebung. Sie hätten zur Finanzierung des angeblich dem Beklagten überlassenen Kapitals Kredite aufgenommen. Die Erstattungszinsen seien daher nicht, wie der Beklagte ausführe, bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung, sondern seien genau das Gegenteil. Die Steuererstattungsansprüche stellten keine Kapitalüberlassung zur Nutzung dar.

Der Gesetzgeber habe mit der Verzinsung keine neue Quelle für die Besteuerung von Kapitaleinkünften eröffnet. Er habe vielmehr eine rechtstaatlich gebotene Anpassung an die zivilrechtlich bestehende gesetzliche Verzinsungspflicht als pauschalierten Schadensersatz bei rechtsgrundloser Vorenthaltung einer geschuldeten Leistung vorgenommen. Wenn der Beklagte ungeachtet des Fehlens einer Absicht zur Einkunftserzielung allein aufgrund einer von ihr bemühten objektiven wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Zinsen nach der AO als steuerbares Entgelt behandele, dann müsse er nach derselben objektiven wirtschaftlichen Betrachtungsweise die zur Finanzierung des angeblich überlassenen Kapitals angefallenen Finanzierungskosten als Werbungskosten anerkennen. Da die geltend gemachten Werbungskosten das hier unterstellte erzielte Entgelt bei weitem übersteige, verbleibe kein zu versteuernder Betrag.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 4. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2007 zu ändern und die Steuer soweit herabzusetzen, wie sie sich bei Außerachtlassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.690 EUR ergibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, Erstattungszinsen gehörten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist unbegründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 4. September 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Zu Recht ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die den Klägern im Streitjahr 2003 zugeflossenen Erstattungszinsen (§ 233a AO) steuerpflichtige Einnahmen aus Kapitalvermögen sind (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz - EStG -).

1. Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass vom Finanzamt geleistete Erstattungszinsen der Steuerpflicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen. (vgl. BFH-Urt. v. 18. Februar 1975 VIII R 104/70, BStBl II 1975, 568; Urt. v. 8. April 1986 VIII R 260/82, BStBl II 1986, 557, m.w.N.; Urt. v. 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BStBl II 1995, 121; Beschl. v. 14. April 1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165; Urt. v. 8. November 2005 VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527; in diesem Sinne auch FG München Beschl. v. 7. November 2001 13 V 3786/01, [...]; FG Düsseldorf Urt. v. 16. Dezember 2002 7 K 6126/01 E, EFG 2003, 461, Niedersächsisches FG Urt. v. 18. Februar 2004 3 K 252/02, EFG 2004, 1213).

Auch Schrifttum und Finanzverwaltung gehen übereinstimmend davon aus, dass eine erzwungene Kapitalüberlassung zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen kann (Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 27. Aufl. 2008, § 20 Rz. 161, 162; Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt), § 20 EStG Anm. 850, Stichwort "Erstattungszinsen bzw. Prozesszinsen"; Harenberg/Irmer, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 4. Aufl. 2007, Rz. 1327; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar (Loseblatt), § 20 EStG Rz. 298; Loose, EFG 2004, 501; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar (Loseblatt), Vor § 233 AO Tz. 17; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar (Loseblatt), Vor §§ 233 bis 239 AO Rz. 16; Schreiben des Bundesministerium der Finanzen v. 20. November 2000 IV B 4 -S 1300- 222/00, Ertragsteuerliche Erfassung der Zinsen auf Steuernachforderungen und Steuererstattungen gemäß § 233a AO, BStBl I 2000, 1508; Oberfinanzdirektion Magdeburg, Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen, Verfügung v. 27. August 2003 -S 2252- 68-St 214, DB 2003, 2040).

An dieser Rechtsprechung hält auch der Senat fest. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist eine "sonstige Kapitalforderung jeder Art" i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Kläger haben Erstattungszinsen als Gegenleistung dafür erhalten, dass sie dem Steuerfiskus - wenn auch erzwungenermaßen - Kapital überlassen haben, zu dessen Leistung sie letztlich nicht verpflichtet waren. Demgemäß hat der BFH auch in anderen Fällen nichtvertraglicher Kapitalüberlassung die daraus entstandenen Zinsen (z.B. Zinsen für Enteignungsentschädigung, Zinsen auf Wiedergutmachungsentschädigung oder Prozesszinsen) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (heute: § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) erfasst (vgl. BFH a.a.O. BStBl II 1986, 557, m.w.N.).

Dass die Kläger hinsichtlich der Erstattungszinsen nicht von vornherein mit konkreter Einkunftserzielungsabsicht gehandelt haben, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH a.a.O. BStBl II 1975, 568) beruhen Erstattungszinsen darauf, dass die Finanzverwaltung die zuviel erhobenen Steuern so verzinsen soll, als habe sie in dieser Höhe ein Darlehen erhalten, während der Steuerpflichtige (hier: die Kläger) so gestellt werden soll, als habe er ein Darlehen bewilligt. Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen materiell-rechtlich erst in dem Augenblick entsteht, in dem eine Überzahlung der Steuer erfolgt, kann erst bei Kenntnis der Überzahlung eine konkrete und auf den jeweiligen Erstattungsfall bezogene Einkunftserzielungsabsicht entstehen. Da Kapital zwischen fremden Dritten in der Regel aber nicht unentgeltlich, sondern gegen Entgelt zur Nutzung überlassen wird, ist davon auszugehen, dass Steuerpflichtige, die von den ihnen zustehenden Erstattungsansprüchen Kenntnis erlangen, die aufgrund eines solchen Anspruchs gezahlten Erstattungszinsen als Entgelt für entgangene anderweitige Kapitalnutzung betrachten. Damit ist vom Bestehen einer Einkunftserzielungsabsicht, die grundsätzlich auch bei Kapitaleinkünften Voraussetzung für die Besteuerung ist, auszugehen. Das folgt auch aus der Überlegung, dass es - entgegen der Auffassung der Kläger - gerade bei Ansprüchen, die nicht auf vertraglichen Grundlagen beruhen, sondern - wie hier - kraft Gesetzes entstehen, nicht allein auf die Vorstellung des Steuerpflichtigen ankommen kann. Eine Besteuerung allein nach Absichten und Vorstellungen der Steuerpflichtigen würde gegen das Gebot der Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähigkeit verstoßen; maßgeblich sind vielmehr die objektiven Verhältnisse des Einzelfalles (vgl. Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, § 15 Rz. 25, m.w.N.).

Im Übrigen spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 233a AO dafür, Erstattungszinsen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Einkommensteuer zu unterwerfen. Die mit Steuerreformgesetz 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BStBl I 1988, 224) in die AO eingeführte Regelung des § 233a AO sollte mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Sowohl Steuernachforderungen als auch Steuererstattungen sollten daher nach Ablauf einer Karenzzeit verzinst werden (vgl. Gesetzentwurf Bundesregierung vom 23. März 1988, BR-Drucks. 100/88, Art. 1 - Änderung des EStG -, Nr. 2 i). Der Finanzausschuss ist von der Steuerpflicht der Erstattungszinsen ausgegangen. Das ergibt sich sowohl aus der ersten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 21. Juni 1988 (BT-Drucks 11/2529) als auch aus dem ersten Bericht des Finanzausschusses des Bundestages vom 21. Juni 1988 (BT-Drucks 11/2536), in dem in der Einzelbegründung (zu Art. 1 - EStG) zum Wegfall des ursprünglich vorgesehenen § 3 Nr. 55 EStG ausgeführt wird: "Eine Steuerbefreiung für Erstattungszinsen bei Personensteuern hält der Ausschuss nicht für gerechtfertigt. Sie sollen entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) erfasst werden."

Es kann auch letztlich dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsprechung des BFH zur Einkunftserzielungsabsicht in den Fällen der Zahlung von Erstattungszinsen generell gilt; jedenfalls ist im Streitfall von einer Einkunftserzielungsabsicht der Kläger auszugehen. Als Sachgebietsleiter eines Finanzamtes und als Kläger gegen die Einkommensteuerbescheide 1991 bis 1997 handelte er mit zumindest bedingter Einkunftserzielungsabsicht. Ihm war bekannt, dass die begehrten Erstattungsbeträge nach Ablauf einer Frist durch den Beklagten zu verzinsen waren.

2. Soweit die Kläger vortragen, ihnen seien im gleichen oder in noch höherem Maße als die Erstattungszinsen Zinsaufwendungen entstanden, die für das dem Finanzamt hingegebene Kapital entstanden und somit als Werbungskosten zu berücksichtigen seien, führt der Vortrag nicht zum Erfolg. Ob Aufwendungen für die Fremdfinanzierung von Steuerzahlungen überhaupt als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Fall der Einnahmenerfassung von Erstattungszinsen zu berücksichtigen sind, kann dahingestellt bleiben (vgl. Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 27. Aufl. 2008, § 20 Rz.162). Es fehlt jedenfalls am Nachweis von entsprechenden Zinsaufwendungen. Die von den Klägern vorgelegten Nachweise über Zinsaufwendungen betreffen keine speziell für die Steuerzahlungen aufgenommenen Darlehen. Es ist daher nicht nachgewiesen, ob Zinsaufwendungen überhaupt für die Steuerzahlungen entstanden sind. Eine Schätzung des Zinsaufwandes ist nicht möglich, da es an einem geeigneten Aufteilungsmaßstab fehlt.

Soweit ersatzweise für aus dem Privatvermögen gezahlte Steuern später Darlehen für den Lebensunterhalt aufgenommen wurden, so dass mittelbar Zinsaufwendungen mit den gezahlten Steuern im Zusammenhang stehen, können ebenfalls Zinsaufwendungen für diese Darlehen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden. Es fehlt dazu am Veranlassungszusammenhang. Der Zusammenhang der Zinsaufwendungen mit den Steuerzahlungen wird in diesem Fall von privaten Motiven der Lebenshaltung überlagert.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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