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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 13.02.2007
Aktenzeichen: 11 V 205/06
Rechtsgebiete: AktG, AO 1977


Vorschriften:

AktG § 273 Abs. 4
AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
AO 1977 § 166
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

11 V 205/06

Zur Reichweite des § 166 AO

Gründe:

I. Streitig ist in der Hauptsache die Haftung des Antragstellers nach §§ 34, 69 Abgabenordnung (AO).

Der Antragsteller war bis zur Liquidation der X GmbH (GmbH) alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter. Die GmbH betrieb ein Hotel in Y. Eigentümer des Hotel-Grundstücks war der Antragsteller. Dieses Grundstück hatte der Antragsteller mit Vertrag vom 30. Juni 1993 für die Dauer von 10 Jahren der GmbH überlassen. Die Gesellschaft sollte in dem Zeitraum auch die anstehenden Renovierungsarbeiten durchführen. Eine Entschädigung für die entstandenen Aufwendungen der GmbH wurde bis zu einer Höhe von 250.000 DM vereinbart.

Am 7. März 2002 wurde die Auflösung der GmbH im Handelsregister eingetragen. Der Alleingeschäftsführer wurde zum Liquidator bestellt. Von der Auflösung der Gesellschaft hatte der Antragsgegner spätestens seit dem 10. April 2002 nach Übersendung eines Handelsregisterauszuges Kenntnis. Am 19. Mai 2003 wurde die GmbH im Handelsregister gelöscht. Zwischenzeitlich hatte der Antragsteller eine Selbstanzeige bei dem für ihn zuständigen Wohnsitzfinanzamt erstattet mit der Begründung, dass nunmehr seine Steuererklärungen für die Jahre 1994 - 2001 gefertigt würden. Der Antragsteller beantragte, insbesondere die Einkommen- und Umsatzsteuer entsprechend festzusetzen. Zugleich bat er das Finanzamt jedoch darum, angesichts des Umfanges zunächst von eigenen Ermittlungen bis zur Abgabe der Steuererklärungen abzusehen.

Mit Schreiben vom 6. August 2003 stellte der Antragsgegner beim Amtsgericht A einen Antrag auf Anordnung der Nachtragsliquidation mit der Begründung, dass noch Bescheide bekannt zu geben seien. Es wurde vorgeschlagen, den Antragsteller zum Nachtragsliquidator zu bestellen. Das beklagte FA beabsichtigte, bei der GmbH eine Betriebsprüfung durchzuführen und ihr eine entsprechende Prüfungsanordnung zuzustellen. Der Inhalt der Prüfungsanordnung wurde dem damaligen Steuerberater der Klägerin mit Schreiben vom 7. August 2003 nachrichtlich zur Kenntnis gegeben.

Mit Datum vom 17. September 2003 erteilte der Antragsteller seine Zustimmung, ihn zum Nachtragsliquidator zu bestellen. Die Anordnung der Nachtragsliquidation erfolgte durch Beschluss des Amtsgerichts A vom 23. September 2003. Antragsgemäß wurde der ehemalige Geschäftsführer der Klägerin zum Nachtragsliquidator bestellt. Zum Aufgabenkreis des Liquidators wurde die Vertretung der Gesellschaft bei der Abwicklung ihrer steuerlichen Angelegenheiten festgelegt.

Mit Datum vom 1. Oktober 2003 ordnete der Antragsgegner gegenüber dem Nachtragsliquidator eine Außenprüfung für die Besteuerungszeiträume 1999 - 2001 an. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2003 erweiterte der Antragsgegner die Außenprüfung auf die Jahre 1997 und 1998.

Am 21. Januar 2004 beantragte der Nachtragsliquidator, die Anordnung der Nachtragsliquidation wieder aufzuheben. Zur Begründung führte er an, der Antragsgegner habe die Nachtragsliquidation beantragt, um noch eine Betriebsprüfung durchzuführen und nach Ablauf einer Jahresfrist noch Forderungen geltend machen zu können. Dies sei nach dem Sinn und Zweck einer Nachtragsliquidation unzulässig. Das Amtsgericht A hob die Anordnung der Nachtragsliquidation jedoch nicht auf.

Die sofortige Beschwerde der GmbH wurde vom Landgericht A zurückgewiesen. Das Landgericht A führte darin aus, dass die Beschwerde gegen Bestellung des Nachtragsliquidators unzulässig sei. Auch wenn dies in der Literatur umstritten sei, sei die Beschwerde aber jedenfalls auch unbegründet. Gemäß § 273 Abs. 4 Aktiengesetz (AktG), welcher auch für das Recht der GmbH entsprechend gelte, sei die Bestellung von Nachtragsabwicklern trotz Fehlens verteilungsfähigen Vermögens gerechtfertigt, wenn noch Erklärungen für die Gesellschaft abzugeben seien oder andere Handlungen für sie oder an sie vorgenommen werden müssten. Die Anordnung der Außenprüfung selbst wurde von der GmbH nicht angefochten.

Schwerpunkt der Außenprüfung, die am 6. Oktober 2003 begann, war der oben genannte Vertrag zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und der GmbH über die Nutzung des Hotelgrundstücks. Von der Vertragsgestaltung im Einzelnen erhielt der Antragsgegner erst im Rahmen der Außenprüfung Kenntnis. Mit Übernahme der ab 1996 angefallenen Reparatur- und Renovierungskosten erzielte die GmbH erhebliche Verluste aus dem Hotelobjekt. Im Zeitraum der Überlassung des Hotelgrundstücks umfassten die Sanierungsmaßnahmen einen Betrag von ca. 2,04 Mio. DM. Der Außenprüfer sah die Übernahme der Aufwendungen durch die GmbH als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst an und setzte in entsprechender Höhe verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) für die Jahre 1997 - 2001 an. Die gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Übernahme der Aufwendungen durch die GmbH und der Ansatz der vGA in entsprechender Höhe ist zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig.

Aufgrund der Ergebnisse der Außenprüfung erließ das Finanzamt geänderte Steuerbescheide für die Jahre 1997 - 2001, soweit sich Änderungen aufgrund der Außenprüfung ergeben haben. Den gegen die Änderungsbescheide eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner als unbegründet zurück.

Die daraufhin erhobene Klage gegen die Änderungsbescheide (Az. 6 K 959/04) wurde mit Urteil vom 15. September 2005 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (Az. I B 172/05) nahm der Antragsteller zurück.

Da die entstandenen Steuerschulden durch die GmbH nicht mehr beglichen werden konnten, nahm der Antragsgegner den Antragsteller mit Haftungsbescheid vom 19. Juli 2005 gem. §§ 34, 69 AO in Haftung. Die Haftung umfasste einen Betrag von 381.992,29 EUR. Im Einzelnen wurden folgende Beträge geltend gemacht:

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Über den Einspruch ist bisher noch nicht entschieden worden.

Gleichzeitig beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung beim Antragsgegner. Der Antrag wurde abgelehnt. Dagegen erhob der Antragsteller Einspruch, der unbegründet zurückgewiesen wurde. Daraufhin beantragte der Antragsteller die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides.

Der Antragsteller trägt vor, die Steuerfestsetzungen auf Grund der Außenprüfung seien rechtswidrig, da eine Nachtragsliquidation nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Auch sei die Pflichtverletzung des Antragstellers durch den Antragsgegner nicht dargestellt worden. Sie sei auch nicht erkennbar. Als Liquidator habe der Antragsteller die Geschäfte der GmbH ordnungsgemäß abgewickelt. Dem Antragsgegner sei auch der Vorgang bekannt gewesen. Der Antragsteller habe die jeweiligen Belege im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen beim Beklagten vorgelegt. Weder der Antragsgegner noch der Steuerberater B habe dem Antragsteller auf die verdeckte Gewinnausschüttung hingewiesen.

II. Der Antrag ist unbegründet.

1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466).

aa. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. So ist die Einwendung, eine Nachtragsliquidation hätte nicht durchgeführt werden dürfen, nicht beachtlich. Der Antragsteller ist mit sachlichen Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen nach § 166 AO im Haftungsverfahren ausgeschlossen. Die Änderungsbescheide nach der Außenprüfung sind ihm als Nachtragsliquidator bekannt gegeben worden. Die von ihm eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Das Haftungsverfahren dient nicht dazu, dem Haftungsschuldner eine erneute Überprüfungsmöglichkeit der Steuerfestsetzungen im Haftungsverfahren zu ermöglichen, wenn er bereits kraft eigenen Rechts zur Anfechtung der Steuerfestsetzungen befugt war oder die Steuerfestsetzungen wie im Streitfall bereits erfolglos angefochten hat (RFH-Urt. v. 17. Januar 1939 I 345/38, RStBl. 1939, 325 zur Vorgängervorschrift § 119 Abs. 2 RAO; vgl. BFH-Urt. v. 28. Juli 1966 V 64/64, BStBl III 1966, 610, 611; FG Saarland Urt. v. 17. Dezember 1964 II 227/64, EFG 1965, 196/197; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung (Loseblatt), § 166 AO Tz. 14; Heuermann in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung (Loseblatt), § 166 AO Tz. 3).

bb. Soweit der Antragsteller vorträgt, ihm sei keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, da er die Liquidation der GmbH ordnungsgemäß durchgeführt habe, kann dies ebenfalls nicht zur Aussetzung der Vollziehung führen. Einerseits bezieht sich der Vorwurf der Pflichtverletzung des Antragsgegners nicht auf den Zeitraum der Liquidation, sondern auf den Zeitraum davor, als er als Geschäftsführer die Sanierungsmaßnahmen am Hotel hat durchführen lassen und nicht die erforderlichen steuerlichen Konsequenzen daraus gezogen hat. Andererseits ist aber auch im vorliegenden summarischen Verfahren nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei Beachtung der steuerlichen Erklärungspflichten die Steuerschulden nicht hätte bezahlen können bzw. der Antragsgegner nicht die Steuerschulden hätte im Vollstreckungswege eintreiben können, so dass eine Haftungsbegrenzung in Betracht kam. Hierzu hat der Antragsteller weder den entsprechenden Sachverhalt substantiiert vorgetragen, noch ist aus den Akten ersichtlich, dass die GmbH im Haftungszeitraum keine Mittel zur Bezahlung der Steuerschulden gehabt hätte. Damit kommt es auch nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung im vorliegenden summarischen Verfahren an.

cc. Weiterhin kann sich der Antragsteller auch nicht darauf berufen, sein damaliger Steuerberater habe ihn nicht über die steuerlichen Auswirkungen der Sanierungsmaßnahmen korrekt informiert. Nach der Rechtsprechung des BFH haftet ein Geschäftsführer gemäß §§ 34, 69 AO zwar für die ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten. Er haftet jedoch nur für eigenes Verschulden, und zwar gerade auch dann, wenn er sich zur Erfüllung der ihm als Vertreter der GmbH durch § 34 Abs. 1 AO auferlegten Pflichten fremder Hilfe bedient (vgl. BFH-Urt. v. 30. August 1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278). Bei mangelnder Sachkunde ist der Geschäftsführer sogar verpflichtet, fremde Hilfe durch einen Angehörigen eines rechts- oder steuerberatenden Berufes in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall hat er die Pflicht, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen hat, laufend und sorgfältig zu überwachen, so dass er ein Fehlverhalten rechtzeitig erkennen kann. Allerdings hängt das Maß dieser Verpflichtung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (BFH-Urt. v. 5. März 1985 VII R 134/80, BFH/NV 1986, 61; Beschl. v. 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363). Trifft den Geschäftsführer persönlich kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden und hat er keinen Anlass, die inhaltliche Richtigkeit der von dem steuerlichen Berater gefertigten Steuererklärung der GmbH zu überprüfen, so treten die haftungsrechtlichen Folgen des § 69 AO 1977 nicht ein.

Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die zutreffende körperschaftssteuerliche Beurteilung eines Sachverhaltes in Frage stand, der vom Regelfall abweicht. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass durch die Sanierungsmaßnahmen auf dem Grundstück des Antragstellers diesem Vorteile verschafft wurden, die vertraglich nicht geregelt waren. Mit dieser atypischen Fallkonstellation hätte sich der Antragsteller rechtlich auseinander setzen müssen (vgl. BFH-Beschl. v. 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363). Zwar kann eine Haftung entfallen, wenn der Steuerpflichtige sich nach sorgfältiger Auswahl und Überwachung des Steuerberaters auf seine Auskunft verläßt; hierzu muss der Steuerpflichtige seinen Steuerberater über den gesamten Sachverhalt informiert haben und auch eine entsprechende Auskunft zur Steuerpflicht erhalten haben. Auch erfordert dies den Nachweis, dass der Steuerpflichtige seinen Berater sorgsam ausgewählt hat. Diese Umstände sind im vorliegenden Verfahren weder substantiiert vorgetragen worden, noch mittels präsenten Beweismitteln nachgewiesen worden.

dd. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestehen. Insbesondere sind keine Ermessensfehler vorhanden. Der Antragsgegner hat in dem Haftungsbescheid vom 19. Juli 2005 mitgeteilt, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt und neben dem alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer keine andere Person als Haftungsschuldner vorhanden ist. Damit war das Entschließungs- und Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt.

b) Ebensowenig ist die Aussetzung geboten, weil die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines Haftungsbescheides ist für den Haftungsschuldner unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 24. März 1994 IV S 1/94, BStBl II 1994, 398). Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie der Antragsteller substantiiert vorgetragen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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