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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 26.08.2008
Aktenzeichen: 12 K 307/06
Rechtsgebiete: FGO, EStG, AO


Vorschriften:

FGO § 68
EStG § 39a Abs. 4
AO § 179 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

12 K 307/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Klageverfahren in der Hauptsache erledigt ist.

Der Kläger ist Arbeitnehmer. Mit Antrag vom 31. Oktober 2006 beantragte er die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte 2007. Er gab an, mit seinem eigenen PKW an 230 Tagen zur Arbeitsstätte zu fahren; die einfache Entfernung betrage 38 km. Von seinem Arbeitgeber erhalte er eine Erstattung in Höhe von 972 EUR. Aufwendungen für Arbeitsmittel seien mit 102 EUR zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 1. November 2006 lehnte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) den Antrag ab, weil die Aufwendungen den maßgeblichen Pauschbetrag von 920 EUR und zudem die Antragsgrenze von 600 EUR nicht überstiegen. Bei der Berechnung ließ das FA in Anwendung des ab 1. Januar 2007 geltenden § 9 Abs. 2 EStG die ersten 20 Entfernungskilometer bei den Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte außer Ansatz (Kürzung der so genannten Pendlerpauschale).

Mit seinem Einspruch machte der Kläger Abschreibungen von 150 EUR geltend und errechnete unter Ansatz der - vollen - einfachen Entfernung einen einzutragenden Freibetrag von 982 EUR. Er war der Auffassung, dass die Kürzung der Pendlerpauschale dem Grundgesetz widerspreche.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 wies das FA den Einspruch zurück. Es verwies auf die Nichtanerkennung der ersten 20 Entfernungskilometer durch das ab 1. Januar 2007 geltende Steueränderungsgesetz 2007 (BGBl. I 2006, 1652).

Der Kläger hat am 11. Dezember 2006 Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte weiter verfolgt. Er beruft sich weiterhin auf die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung der sog. Pendlerpauschale. Das FA hält die Neuregelung für verfassungsgemäß.

Am 16. März 2007 suchte der Kläger bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nach (12 V 203/07). Das FA lehnte den Antrag, den es als gegen sich gerichtet ansah, mit Bescheid vom 17. April 2007 ab. Der Kläger legte dagegen Einspruch ein. Im Hinblick auf den Beschluss des BFH vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl. II 2007, 799 hat das FA den Freibetrag am 25. September 2007 in Höhe von 982 EUR "im Wege der Aussetzung der Vollziehung" auf der Lohnsteuerkarte eingetragen. Der Kläger hat daraufhin das Klage- und das Aussetzungsverfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt. Da das FA sich der Erledigungserklärung wegen der seiner Ansicht nach unzulässigen Antragstellung sogleich bei Gericht nicht angeschlossen hat, hat der Kläger den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgenommen. Das Antragsverfahren ist mit Beschluss vom 14. Dezember 2007 eingestellt worden.

Das FA hat sich der Erledigungserklärung für das Klageverfahren ebenfalls nicht angeschlossen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

festzustellen, dass das Klageverfahren in der Hauptsache erledigt ist.

Der Beklagte beantragt,

den Feststellungsantrag als unbegründet zurückzuweisen.

Das Klageverfahren sei nicht erledigt. Der Freibetrag sei lediglich im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 361 AO eingetragen worden. Der inzwischen ergangene Jahreseinkommensteuerbescheid für 2007 vom 24. April 2008 sei gem. § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers hat keine konstitutive Wirkung in dem Sinne, dass sie - wie die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der beiden Beteiligten - die Rechtshängigkeit der Hauptsache beendet. Mit der Abgabe der Erledigungserklärung stellt der Kläger aber sein bisher verfolgtes Begehren um. Er verfolgt sein ursprüngliches Begehren - hier die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte - nicht mehr weiter. Er macht nunmehr geltend, sein ursprüngliches Begehren sei durch ein nachträglich eingetretenes Ereignis gegenstandslos geworden, es sei nur noch die Hauptsacheerledigung festzustellen und über die Kosten des Klageverfahrens zu entscheiden. Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellt. Der Übergang von der Anfechtungs-/Verpflichtungsklage zur Feststellungsklage ist im Falle der geltend gemachten Hauptsacheerledigung ohne weitere Voraussetzung zulässig. Das Gericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob das Klageverfahren tatsächlich erledigt ist und hat dies ggf. im Urteil auszusprechen (ständige Rechtsprechung zur einseitigen Erledigungserklärung des Klägers; Gräber FGO § 138 Rz. 19 m.w.N.).

Die Klage ist mit dem Feststellungsantrag begründet. Das Klageverfahren ist in der Hauptsache erledigt.

Das ursprüngliche Begehren des Klägers war auf die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte gerichtet. Das FA hat dem Begehren mit der Eintragung am 25. September 2007 in der beantragten Höhe abgeholfen. Unerheblich ist, dass das FA die Eintragung "lediglich" im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 361 AO vorgenommen hat. Mit der Eintragung hat der Kläger alles erhalten, was er beantragt hat. Insofern ist im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache vorweggenommen worden. Die ausnahmsweise zulässige Vorwegnahme der Hauptsache liegt in der Funktion der Eintragung eines Freibetrags begründet, denn er betrifft nur das jeweilige Streitjahr und verliert mit Ablauf des Streitjahres, spätestens mit der etwaigen Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleichs durch den Arbeitgeber bis 30. März des Folgejahrs (vgl. § 42d Abs. 2 EStG) seine rechtliche Bedeutung. Dass die Eintragung des Freibetrags gem. § 39a Abs. 4 EStG eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 179 Abs. 1 AO ist, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann eine unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Feststellung jederzeit zu Gunsten und zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden (§ 164 Abs. 2 AO). Nach dem 30. März des Folgejahres kommt mangels rechtlicher Bedeutung eine Änderung oder Versagung des Freibetrags aber nicht mehr in Betracht. Im Übrigen ist die rechtliche Begründung für den Eintritt des erledigenden Ereignisses (Eintragung des begehrten Freibetrags) für die Feststellung der tatsächlichen Erledigung unerheblich.

Das Begehren auf Eintragung des Freibetrags ist zudem durch Zeitablauf erledigt. Zum einen ist der betreffende Veranlagungszeitraum 2007 abgelaufen. Ein Lohnsteuerjahrsausgleich durch den Arbeitgeber darf ab 1. April 2008 nicht mehr durchgeführt werden. Zum anderen hat der Kläger inzwischen einen Einkommensteuerbescheid für 2007 erhalten. Mit der Veranlagung ist der Steuerfall umfassend geprüft worden. Etwaige Eintragungen oder Nichteintragungen auf der Lohnsteuerkarte sind hinfällig geworden. Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte entfalten im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Wirkung mehr.

Das Gericht folgt nicht der Auffassung des FA, der inzwischen ergangene Einkommensteuerbescheid für 2007 sei Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Nach § 68 Satz 1 FGO wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ergänzt wird. Das Tatbestandsmerkmal "ändern oder ergänzen" ist weit auszulegen. Geändert oder ergänzt wird der angefochtene Verwaltungsakt, wenn zwischen beiden Einzelfallregelungen eine sachliche Beziehung steht. Der neue Verwaltungsakt muss dieselbe Steuersache betreffen (vgl. Gräber, FGO § 68 Rz. 75 m.w.N.). Eine fachgerichtliche Entscheidung oder höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die Eintragung oder die Ablehnung der Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte durch den nachfolgenden Jahressteuerbescheid geändert oder ersetzt wird, liegt nicht vor. Darüber, ob ein Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid, der der Eintragung oder Nichteintragung gleichgesetzt werden könnte, von dem Jahressteuerbescheid abgelöst wird, besteht zwischen ständiger Rechtsprechung und Literatur Streit.

Der BFH bejaht die Ersetzung des Vorauszahlungsbescheids durch den Jahreseinkommensteuerbescheid. Mit Erlass des Jahressteuerbescheids verliere der Vorauszahlungsbescheid, soweit er nicht vollzogen sei, seine Wirkung; der Jahressteuerbescheid sei nunmehr alleinige Zahlungs- und Beitreibungsgrundlage. § 68 FGO erfordere nicht die Nämlichkeit des Streitgegenstands, sondern setze lediglich voraus, dass der ursprüngliche Bescheid durch Erlass des neuen Verwaltungsakts seine Wirkung verliere und dass sowohl Beteiligter als auch Besteuerungsgegenstand hinsichtlich beider Verwaltungsakte identisch seien (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss vom 6. November 1987 III B 101/86, BFHE 151, 428, BStBl. II 1988, 134; BFH-Beschluss vom 15. November 2005 XI B 33/04 BFH/NV 2006, 352; BFH-Beschluss vom 26. Mai 2006, [...]). Die Literatur folgt dem weitgehend nicht (vgl. Gräber, FGO § 68 Rz. 30 m.w.N.). Das Gericht teilt die Auffassung des BFH.

Das Gericht hält die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Verhältnis von Vorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid, der den Vorauszahlungsbescheid ersetzt, für die hier maßgebende Streitfrage nicht für entsprechend anwendbar. Zudem lägen im Streitfall die Voraussetzungen nicht vor.

Die Eintragung des Freibetrags (maßgeblich für den Lohnsteuerabzug als Erhebungsform der Einkommensteuer, nicht als Vorauszahlung) hat eine andere Funktion als der Jahressteuerbescheid (endgültige Festsetzung der Steuer). Seine Wirkung entfällt stets durch Zeitablauf, nicht durch Erlass des Jahressteuerbescheids. Die Besteuerungsgrundlagen werden im Veranlagungsverfahren umfassend geprüft, der eingetragene Freibetrag hat keine präjudizielle Bedeutung. Daher geht der Regelungsgehalt des Freibetrags nicht in den Jahressteuerbescheid über. Der eingetragene oder begehrte, nicht eingetragene Freibetrag stellt gegenüber dem Steuerbescheid ein aliud dar. Die vollkommen unterschiedlichen Funktionen von Freibetrag und Jahressteuerbescheid lassen die Annahme einer Ersetzung im Sinne des § 68 Satz 1 FGO bzw. eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung des BFH zu Vorauszahlungsbescheiden nicht zu.

Eine Ersetzung des Gegenstands des Klageverfahrens kommt zudem nur dann in Betracht, wenn das Gericht über die zwischen den Beteiligten bestehende Streitfrage im Rahmen der Überprüfung des Jahressteuerbescheids noch entscheiden kann. Das ist hier indes nicht der Fall. Der Kläger kann sein ursprüngliches Begehren - Eintragung eines Freibetrags von 982 EUR - durch die Anfechtung des Einkommensteuerbescheids nicht erreichen. Wie bereits ausgeführt gehen von der Lohnsteuerkarte und deren Inhalt nach dem 30. März 2008 keine Wirkungen mehr aus, die den Kläger beeinträchtigen könnten. Abgesehen davon streiten die Beteiligten in der Sache "nur noch" um die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Pendlerpauschale, nicht darum, ob und in welcher Höhe ein Freibetrag für Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzutragen ist, denn das FA hat tatsächlich den Freibetrag eingetragen. Deshalb besteht über den Punkt "Eintragung eines Freibetrags" kein Streit mehr. Eine Übertragung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hätte allenfalls noch einen Sinn, wenn das Gericht - nach Erledigung des Streits um die Eintragung des Freibetrags durch Zeitablaufs und nach Übergang des Klägers zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO - über die Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Eintragung des Freibetrags noch entscheiden könnte. Weil der Freibetrag aber tatsächlich eingetragen worden ist, steht keine dem Kläger ungünstige Entscheidung des FA in Rede. Über den eigentlichen Streitpunkt, nämlich die Verfassungsmäßigkeit der Kürzung der Pendlerpauschale, könnte das Gericht in diesem Verfahren also bereits aus prozessualen Gründen nicht befinden.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 135 Abs. 1 FGO, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus § 155 FGO iVm. §§ 708 Nr. 10, 711ZPO.



Ende der Entscheidung

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