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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.11.2006
Aktenzeichen: 15 K 167/05
Rechtsgebiete: EStG, SGB VIII


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 11
SGB VIII § 23
Einkommensteuerpflicht von Zahlungen für Tagespflegeleistungen nach § 23 SGB VIII
Finanzgericht Niedersachsen

15 K 167/05

Tatbestand:

Streitig ist, ob an die Pflegekraft geleistete Zahlungen des Landkreises für die Tagespflege von Kindern nach § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei sind.

Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Für die Klägerin wurden in der am 2. September 2004 abgegebenen Einkommensteuererklärung keine Einkünfte erklärt. Bereits am 26. April 2004 hatte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) vom Landkreis eine Kontrollmitteilung erhalten, wonach die Klägerin für Tagespflegeleistungen nach § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) Zahlungen in Höhe von ... EUR erhalten hatte. Durch Einkommensteuerbescheid vom 27. September 2004 erfaßte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) diese Zahlungen in Höhe des nach Abzug eines Freibetrages nach § 3 Nr. 26 EStG in Höhe von 1.848 EUR verbleibenden Betrages von ... EUR als Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Mit dem dagegen eingelegten Einspruch vom 4. Oktober 2004 machten die Kläger unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. Februar 1990 IV B 1 - S 2121 - 5/90 (BStBl. I 1990, 109) geltend, daß die vom Landkreis geleisteten Zahlungen nach § 3 Nr. 11 EStG in voller Höhe steuerfrei seien. Durch Einspruchsbescheid vom 21. Februar 2005 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Bezüge aus öffentlichen Mitteln seien nach § 3 Nr. 11 EStG u.a. dann steuerfrei, wenn sie als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt würden, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Diese Voraussetzung sei bei Zahlungen an Tagespflegekräfte nach § 23 SGB VIII regelmäßig nicht erfüllt. Anders als Zuwendungen an Pflegeeltern, die in vielerlei Hinsicht Zahlungen an die leiblichen Eltern ähnelten, deckten diese nicht bloß die im Zusammenhang mit der Pflege entstehenden Kosten, sondern enthielten auch eine Vergütung für den damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwand. Sie wiesen daher eine starke Ähnlichkeit mit den Einnahmen solcher "Tagesmütter" auf, die eine Vergütung unmittelbar von den Eltern der betreuten Kinder erhielten. Das von den Klägern zitierte BMF-Schreiben vom 7. Februar 1990 führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Danach sei zwar das aus öffentlichen Kassen gezahlte Erziehungsgeld steuerfrei, sofern es für eine auf Dauer angelegte Pflege gezahlt und die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben werde. Die Klägerin habe die Kinder aber zumeist nur für kurze Zeit betreut. Die Pflege sei daher nicht auf Dauer angelegt gewesen.

Hiergegen richtet sich die am 21. März 2005 erhobene Klage. Zu deren Begründung tragen die Kläger vor: Die Leistungen nach § 23 SGB VIII seien nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei. Sie würden aus öffentlichen Mitteln gezahlt und hätten den Charakter einer Beihilfe, durch die die Erziehung unmittelbar gefördert werde. Eine unmittelbare Förderung der Erziehung liege vor, wenn der Person, die mit der Erziehung betraut sei, Zuschüsse gewährt würden, um sie in der Erfüllung der Erziehungsaufgabe zu unterstützen. Dies sei bei den Leistungen nach § 23 SGB VIII der Fall. Diese würden zu dem Zweck gewährt, die Aufnahme von Kindern in Familienpflegestellen zu erleichtern und eine Erziehung der Kinder ähnlich wie in einer Familie zu ermöglichen.

Mit Schriftsatz vom 17. Mai und vom 26. Juni 2005 überreichten die Kläger Ablichtungen der an die Personensorgeberechtigten gerichteten Bescheide des Landkreises über die Gewährung von Leistungen nach § 23 SGB VIII für die von der Klägerin betreuten Kinder sowie der von dieser und den Personensorgeberechtigten unterschriebenen Betreuungsnachweise. Auf den Inhalt dieser Unterlagen (Blatt 56 bis 76 und Blatt 91 bis 117 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Aufgrund dieser Unterlagen erteilte das FA unter dem 7. Juni 2006 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es die Einnahmen der Klägerin um nach der täglichen Betreuungsdauer gestaffelte Betriebsausgabenpauschalen von monatlich 179 EUR bis 246 EUR je Kind verringerte und die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf ... EUR herabsetzte. Wegen der Ermittlung dieses Betrages wird auf die mit Schriftsatz vom 21. Juli 2005 übersandte tabellarische Berechnung des FA (Blatt 120 und 121 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuer 2003 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 7. Juni 2006 auf den Betrag herabzusetzen, der sich ohne Ansatz von Einkünften aus selbständiger Arbeit der Klägerin ergibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest und führt ergänzend aus: Die Leistungen nach § 23 SGB VIII stellten keine der Pflegeperson gewährten Beihilfen im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG dar. Die Frage, wer Anspruchsberechtigter sei, werde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zwar unterschiedlich beurteilt. Nach dem Inhalt der von der Klägerin vorgelegten Bewilligungsbescheide des Landkreises sei dies aber nicht die Klägerin, sondern der jeweilige Personenberechtigte. Dafür spreche, daß die Bescheide an die Personensorgeberechtigten gerichtet seien, nach ihrem Wortlaut diesen entstehende Aufwendungen erstattet werden sollten und deren Einkommen bei der Bemessung des Pflegegeldes berücksichtigt werde. Der Umstand, daß der Landkreis die Zahlungen unmittelbar an die Klägerin leiste, rechtfertige keine andere Beurteilung, sondern sei lediglich als Abkürzung des Zahlungsweges zu werten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Kläger vom 10. April 2005 - Blatt 44 der Gerichtsakte - und Schriftsatz des FA vom 29. April 2005 - Blatt 51 der Gerichtsakte -).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die der Klägerin von dem Landkreis für deren Betreuungsleistungen gewährten Zahlungen zu Recht als Einkünfte aus selbständiger Arbeit erfaßt.

1. Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG u.a. Einkünfte aus selbständig ausgeübter erzieherischer Tätigkeit. Der steuerrechtliche Erziehungsbegriff beschränkt sich nicht auf die schulische Erziehung, sondern erfaßt alle Bestrebungen, Vorgänge und Tätigkeiten, die den Entwicklungsvorgang beeinflussen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1965 V 24/62 U, BStBl. III 1966, 182; vom 21. November 1974 II R 107/68, BStBl. II 1975, 389; vom 17. Mai 1990 IV R 14/87, BStBl. II 1990, 1018). Dazu zählen auch die zur Erziehung von Kleinkindern erbrachten Betreuungsleistungen der Klägerin (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juni 1997 IV R 26/96, BStBl. II 1997, 652).

2. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht fallen die Zahlungen, die die Klägerin hierfür vom Landkreis erhielt, nicht unter § 3 Nr. 11 EStG. Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt worden sind, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Die der Klägerin für die Betreuung fremder Kinder gewährten Zahlungen sind keine Beihilfen im Sinne dieser Vorschrift. Empfänger einer steuerbefreiten Beihilfe können nur die Personen sein, denen sie im Hinblick auf den Zweck der Leistung bewilligt worden ist. Zwar trifft § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG keine ausdrückliche Regelung zu der Person des Empfängers einer Beihilfe. Eine Einschränkung des Personenkreises ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Steuerbefreiung, der darin besteht, aus öffentlichen Mitteln gewährte Hilfen für Bedürftige nicht durch deren Besteuerung wieder zu schmälern. Dies läßt sich für die - in § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG ebenfalls angesprochenen - Bezüge, die "wegen Hilfsbedürftigkeit" gewährt werden, ohne weiteres dem Gesetzeswortlaut entnehmen, gilt aber entsprechend auch für die dort genannten Beihilfen. Steuerbefreit sollen danach nur die Zahlungen für denjenigen sein, der nach der Vorstellung der bewilligenden Stelle einer Beihilfe bedarf (BFH-Urteil in BStBl. II 1997, 652, unter 2. b der Entscheidungsgründe).

Werden Eltern aus kommunalen Mitteln Beihilfen zur Deckung von Aufwendungen für die Betreuung des Kindes durch Dritte bewilligt, sind die Einnahmen der Betreuungsperson deshalb auch dann nicht steuerbefreit, wenn die Zahlung auf Antrag der Eltern unmittelbar an diese erfolgt (BFH-Urteil in BStBl. II 1997, 652, a.a.O.; Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 2002 4 K 2835/01, DStRE 2003, 769). In dem von dem BFH entschiedenen Fall ergab sich aus dem Wortlaut der Richtlinien zur Gewährung eines Kommunalen Kindergelds, daß die Eltern und nicht die Betreuungsperson anspruchsberechtigt sein sollten und die in dem Mustervertrag vorgesehene unmittelbare Auszahlung an die Betreuungsperson nur der Abkürzung des Zahlungswegs dienen sollte. Demgegenüber ist es im Fall des Aufwendungs- und Kostenersatzes nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung streitig, wem der Anspruch zusteht. Während für den in Satz 1 geregelten Fall der Vermittlung der Tagespflegeperson durch das Jugendamt einhellig angenommen wird, daß der Anspruch dieser zusteht, geht das Verwaltungsgericht Osnabrück für den in Satz 2 geregelten Fall des Nachweises der Pflegeperson durch den Personensorgeberechtigten davon aus, daß jener anspruchsberechtigt ist (Urteil vom 21. August 1996 6 A 208/95, Zentralblatt für Jugendrecht - ZfJ - 1997, 58); diese Beurteilung liegt offensichtlich auch den von der Klägerin vorgelegten Bewilligungsbescheiden des Landkreises zugrunde, da diese an die Personensorgeberechtigten gerichtet sind und die (teilweise) Übernahme der diesen durch die Betreuung der Kinder erwachsenden Aufwendungen zum Gegenstand haben. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 2001 12 A 31/01 (ZfJ 2001, 472, unter II.) soll die Anspruchsberechtigung hingegen auch in den Fällen des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII bei der Pflegeperson liegen.

Für die steuerrechtliche Beurteilung der Zahlungen kann die Frage der sozialrechtlichen Anspruchsberechtigung aber letztlich keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Selbst wenn die Pflegeperson diese aufgrund eines ihr selbst gegen das Jugendamt zustehenden Anspruchs beziehen sollte, würde dies nichts daran ändern, daß die Leistungen nicht im Hinblick auf die Bedürftigkeit der Pflegeperson, sondern im Hinblick auf die Bedürftigkeit des Personensorgeberechtigten gewährt werden. Aus dem jeweils geschlossenen Pflege- und Betreuungsvertrag schuldet dieser der Pflegeperson grundsätzlich die vereinbarte Vergütung. Soweit dieser ein unmittelbarer Anspruch gegen das Jugendamt zusteht, ist sie berechtigt, ihre Ansprüche sowohl gegenüber dem Personensorgeberechtigten als auch gegenüber dem Jugendamt geltend zu machen. Hat die Pflegeperson das aus dem Betreuungsvertrag geschuldete Entgelt bereits von dem Personensorgeberechtigten erhalten, ist das Jugendamt berechtigt, das ihr bewilligte Pflegegeld unmittelbar an diesen auszuzahlen (Urteil des Oberwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in ZfJ 2001, 472, a.a.O.). Daraus erhellt, daß eine eventuell bestehende unmittelbare Anspruchsberechtigung der Pflegeperson allenfalls dazu dient, die bestimmungsgemäße Verwendung der Leistung sicherzustellen, aber nichts daran ändert, daß diese letztlich dem Personensorgeberechtigten zugute kommt, indem sie ihn ganz oder teilweise von den durch die Inanspruchnahme der Betreuungsleistung erwachsenden Aufwendungen entlastet.

3. Auch die Ermittlung der Höhe der von der Klägerin bezogenen Einkünfte läßt keinen Rechtsfehler zu Lasten der Kläger erkennen. In seinem Änderungsbescheid vom 7. Juni 2006 hat das FA nur noch den Betrag angesetzt, der nach Abzug der in der Anweisung der Oberfinanzdirektion Hannover vom 18. Januar 2003 (Einkommensteuerkartei § 18 EStG Nr. 8a) vorgesehenen Pauschalen für Betriebsausgaben verbleibt. Daß der Klägerin über diese - sehr großzügig bemessenen - Beträge hinausgehende Aufwendungen erwachsen sind, haben die Kläger selbst nicht behauptet.

4. Die Klage ist daher abzuweisen. Soweit das ursprüngliche Klagebegehren durch Erteilung des Änderungsbescheides vom 7. Juni 2006 teilweise Erfolg gehabt hat, sind die Kosten nach § 138 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - dem FA aufzuerlegen; im übrigen haben nach § 135 Abs. 1 FGO die Kläger als unterlegene Beteiligte die Kosten zu tragen. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.

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