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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 15 K 443/02
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 169 Abs. 1 S. 1 | |
AO § 171 Abs. 4 | |
AO § 181 Abs. 1 |
Finanzgericht Niedersachsen
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an eine Betriebsprüfung die Feststellungsverjährung entgegenstand.
Die Erklärungen zur Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer wurden für 1993 im Kalenderjahr 1994 und für 1994 im Jahr 1995 abgegeben.
Das beklagte Finanzamt (FA) erließ am 4. November 1996 eine Prüfungsanordnung u.a. wegen Feststellung der Einkünfte 1991 bis 1995. Die Außenprüfung werde voraussichtlich Anfang Dezember 1996 beginnen. Mit der Durchführung der Prüfung sei Steueramtmann L. beauftragt.
Am 15. November 1996 beantragte die Prozessbevollmächtigte unter Bezug auf ein Telefongespräch mit dem Betriebsprüfer die für Anfang Dezember 1996 angesetzte Betriebsprüfung auf Mitte Januar 1997 zu verlegen. Das FA teilte der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 19. November 1996 mit, der Beginn der Betriebsprüfung werde antragsgemäß auf Mitte Januar 1997 verschoben. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung der in der Prüfungsanordnung bezeichneten Steueransprüche sei gem. § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) seit dem 15. November 1996 - dem Tag des Eingangs des Verschiebungsantrages im FA - gehemmt.
Der Betriebsprüfer setzte die Prozessbevollmächtigten am 24. Januar 1997 davon in Kenntnis, dass die Prüfung aus zeitlichen Gründen nicht mehr im Januar, evtl. aber im Februar beginnen könne. Steueramtmann L. wurde zum 2. Mai 1996 an das FA für Großbetriebsprüfung abgeordnet. Die Prüfung wurde am 9. Juni 1997 auf den Prüfungsgeschäftsplan des 2. Halbjahres 1997 des Betriebsprüfers B. übertragen.
Als nächstes findet sich in der Bp-Arbeitsakte ein Aktenvermerk von Steueramtsrat B. vom 10. November 1999 über ein Telefonat mit W., einer Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten. Danach solle die Prüfung erst 2000 beginnen.
Der Betriebsprüfer ergänzte den aktenkundigen Sachverhalt in seinem Schreiben vom 28. November 2000 - auf den Einwand der Prozessbevollmächtigten, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten - dahingehend, W. habe in dem Telefongespräch vom 10. November 1999 die Verschiebung des Prüfungsbeginns auf Anfang 2000 beantragt, weil die Buchführungsunterlagen inzwischen an die Klägerin zurückgegeben worden seien (Bl. 491 f der Bp-Arbeitsakte Band III/2).
Die Betriebsprüfung begann tatsächlich am 30. März 2000. Im Anschluss an die Außenprüfung erließ das FA am 1. Februar 2001 u.a. nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Feststellungsbescheide für 1993 und 1994.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Der Beginn der Betriebsprüfung sei aufgrund ihres Antrages von Dezember 1996 auf Januar 1997 verschoben worden. Ohne weitere schriftliche Äußerung habe das FA die Prüfung erst im Jahr 2000 begonnen. Das FA sei wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht zum Erlass der angefochtenen Feststellungsbescheide berechtigt gewesen. Die Verschiebung des Prüfungsbeginns sei zeitlich befristet beantragt worden. Der Ablauf der Verjährung sei daher nur bis zum 31. Dezember 1997 gehemmt gewesen. Insofern werde auf den Beschluss des BFH vom 30. März 1999 I B 139/98 (BFH/NV 1999, 1145) verwiesen. Darüber hinaus sei die Betriebsprüfung ohne Rechtsgrundlage durchgeführt worden, da die Prüfungsanordnung Steueramtmann L. als Betriebsprüfer benenne, die Prüfung aber tatsächlich von Steueramtsrat B. durchgeführt worden sei.
Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 16. Oktober 2002 als unbegründet zurück. Das FA habe am 4. November 1996 eine Prüfung der Veranlagungszeiträume 1991 bis 1995 angeordnet. Der Beginn der Prüfung sei auf Antrag der Klägerin verschoben worden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei daher nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO gehemmt worden. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO enthalte keine zeitliche Begrenzung der Ablaufhemmung und die Einschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO gelte - entsprechend dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift - nur in Fällen, in denen die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus vom FA zu vertretenen Gründen für mehr als 6 Monaten unterbrochen werde. Die zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung sei auch gerechtfertigt, weil dem FA nach der Verschiebung des Prüfungsbeginns aufgrund des Antrages des Steuerpflichtigen habe Zeit eingeräumt werden müsse, um die Prüfung wieder in die Prüfungsgeschäftspläne zu integrieren. Dem Erlass der geänderten Feststellungsbescheide stehe nicht entgegen, dass Steueramtsrat B. in der Prüfungsanordnung nicht als Prüfer angegeben werde. Die Benennung des Betriebsprüfers sei kein Verwaltungsakt. Insofern habe es keiner geänderten Prüfungsanordnung bedurft.
Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Klage erhoben. Das FA sei nicht berechtigt gewesen, für 1993 bis 1994 geänderte Feststellungsbescheide zu erlassen. Wegen ihres zeitlich befristeten Antrages auf Verschiebung des Prüfungsbeginns vom 15. November 1996 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Soweit sich der Beklagte darauf berufe, dass die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten im November 1999 für die Klägerin einen weiteren Antrag auf Verschiebung der Prüfung gestellt habe, werde dieses bestritten. Darüber hinaus sei W., die nur über eine Ausbildung als Steuerfachgehilfin verfüge, nicht zur Vertretung der Prozessbevollmächtigten befugt gewesen. Im Übrigen verweist die Klägerin auf ihr Vorbringen im Vorverfahren.
Die Klage wegen der Feststellungsbescheide 1995 und 1996 ist durch Beschlüsse vom 11. Juli 2007 und vom 17. Juli 2007 abgetrennt und eingestellt worden, da die Klage insofern zurück genommen worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheide 1993 und 1994 vom 1. Februar 2001 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 16. Oktober 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt zur Begründung seines Klagabweisungsantrages Bezug auf den Einspruchsbescheid.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 17. Juli 2007 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2007 Bezug genommen.
Gründe:
Die Klage ist begründet.
Das FA war nicht berechtigt, die angefochtenen Feststellungsbescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1993 und 1994 vom 1. Februar 2001 zu erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die Feststellungsfrist bereits abgelaufen.
Gemäß § 181 Abs. 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Feststellungsbescheid sowie dessen Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist abgelaufen ist. Nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt sie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre. Ist eine Feststellungserklärung einzureichen, so beginnt die Feststellungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird.
Danach lief die Feststellungsfrist für den Veranlagungszeitraum 1993 mit Ablauf des 31. Dezembers 1998 und für 1994 mit Ablauf des 31. Dezembers 1999 ab.
Der Ablauf der Feststellungsfrist ist über diese Zeitpunkte hinaus nicht durch einen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns gem. § 171 Abs. 4 AO gehemmt worden.
Nach läuft die Feststellungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Falle der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, u.a. nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind, wenn vor Ablauf der Feststellungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen oder wenn deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird. Ein solcher formloser Antrag im Sinne des erfordert, dass der klare und eindeutige Wunsch des Steuerpflichtigen zum Ausdruck kommt, den Prüfungsbeginn hinauszuschieben. Diese Voraussetzungen liegen daher auch vor, wenn der Steuerpflichtige und der Betriebsprüfer eine Vereinbarung darüber treffen, den Prüfungsbeginn einvernehmlich hinauszuschieben. Denn der seitens des Steuerpflichtigen geäußerte Wille, den Beginn der Prüfung hinauszuschieben, ist condicio sine qua non einer solchen Vereinbarung (BFH Beschluss vom 25. Oktober 2005 VIII B 290/04, BFH/NV 2006, 242). Der Ablauf der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist wird nur gehemmt, wenn der Antrag auf Verschiebung ursächlich für das Hinausschieben des Prüfungsbeginns war (BFH Beschluss vom 30. März 1999 I B 139/98, BFHE 188, 131, BFH/NV 1999, 1145).
Danach hat die Klägerin zwar am 15. November 1996 einen Antrag auf Verschiebung des Beginns der für die Streitjahre angeordneten Prüfung gestellt, der auch ursächlich für die Verschiebung des Beginns der Prüfung geworden ist. Hierdurch wurde aber der Ablauf der Feststellungsfrist nach Auffassung des erkennenden Senates nicht über das Kalenderjahr 1997 hinaus gehemmt. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin eine zeitlich befristete Verschiebung der Betriebsprüfung ("von Dezember 1996 auf Januar 1997") beantragt hat. Zwar wird man dem FA im Falle der Verschiebung einer Prüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen genügend Zeit zugestehen müssen, um die verschobene Prüfung entsprechend den innerdienstlichen Gegebenheiten wieder in die Prüfungsabläufe integrieren zu können. Aber der Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die es gerechtfertigt hätten, die Prüfung nicht innerhalb des Kalenderjahres 1997 zu beginnen.
Die zeitlich beschränkte Ablaufhemmung folgt nicht unmittelbar aus dem Gesetz. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO enthält keine zeitliche Begrenzung und § 171 Abs. 4 Satz 2 AO betrifft nur Fälle, in denen der Ablauf der Verjährung durch den Beginn der Prüfung unterbrochen ist. Aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Begrenzung führt ein zeitlich befristeter Verschiebungsantrag nach Auffassung des Senates nur zu einer zeitlich beschränkten Hemmung des Ablaufs der Verjährung. Maßgebend hierfür ist das vom Steuerpflichtigen ausdrücklich artikulierte Begehren, den Beginn der Prüfung für eine zeitliche begrenzte Zeit zu verschieben. Diese Befristung des Antrag führt nach Auffassung des Senates unter Berücksichtung des Sinns und Zweckes der Vorschriften über die Festsetzungsfristen, nämlich grundsätzlich innerhalb gesetzlich vorgegebener Zeiten Rechtsfrieden und Rechtssicherheit eintreten zu lassen (vgl. Kruse in Tipke-Kruse Kommentar zur AO, Vor § 169 Rn. 5) dazu, dass der Antrag nur zeitlich begrenzt den Ablauf der Feststellungsfrist hemmt (im Ergebnis ebenso: Frotscher in Schwarz Kommentar zur AO, § 171 Rn. 31; vgl. auch BFH Beschluss vom 30. März 1999 I B 139/98, BFHE 188, 131, BFH/NV 1999, 1145; anderer Ansicht Kruse in Tipke-Kruse Kommentar zur AO, § 171 Rn. 43).
Der Ablauf der Feststellungsfrist für 1994 ist auch nicht durch einen mündlichen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns im November 1999 gehemmt worden. Der Senat kann nicht feststellen, dass die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten am 10. November 1999 in dem Telefongespräch mit dem Betriebsprüfer einen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns gestellt hat, der ursächlich für eine tatsächliche Verschiebung der Prüfung geworden ist. So hat der Betriebsprüfer in seiner Zeugenaussage angegeben, er habe W. am 10. November 1999 - während des Laufs einer noch andauernden Betriebsprüfung - angerufen. Dabei habe ihm W. mitgeteilt, dass die Buchführungsunterlagen erst wieder in das Steuerbüro (als den Ort der Betriebsprüfung) geschafft werden müssten, und daher eine Prüfung erst Anfang des Jahres 2000 in Betracht komme. Aber der Betriebsprüfer hat nicht angegeben, dass er die Prüfung in 1999 tatsächlich habe beginnen wollen. Soweit er ausgesagt hat, er hätte die laufende Prüfung für den Beginn der Prüfung unterbrechen können, folgt daraus nicht, dass er dieses auch tatsächlich vorhatte. Dieses wäre aber Voraussetzung dafür gewesen, damit ein Antrag der Klägerin auf Verschiebung ursächlich für ein Hinausschieben der Prüfung hätte werden können. Gegen die Kausalität des Verschiebungsantrags spricht im Übrigen, dass der Betriebsprüfer eingeräumt hat, W. keinen konkreten Termin für den von ihm geplanten Prüfungsbeginn genannt zu haben. Im Übrigen kam es dem Betriebsprüfer nach seinem Rechtsverständnis des § 171 Abs. 4 AO, wonach der Verschiebungsantrag vom 15. November 1996 bereits den Ablauf der Festsetzungsfrist unbegrenzt hemmte, auch nicht darauf an, in den Anwendungsbereich des § 171 Abs. 4 AO zu gelangen.
Dass die besonderen Voraussetzungen für den Erlass eines Feststellungsbescheides nach Ablauf der Feststellungsfrist gem. § 181 Abs. 5 AO vorliegen, ergibt sich weder aus dem Bescheid (vgl. § 181 Abs. 5 Satz 2 AO) noch hat der Beklagte dieses dargelegt.
Nach alledem sind die angefochtenen Feststellungsbescheide aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet, § 139 Abs. 4 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da der Umfang der Ablaufhemmung aufgrund eines befristeten Antrages auf Verschiebung einer Außenprüfung höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (vgl. BFH Beschluss vom 30. März 1999 I B 139/98, BFH/NV 1999, 1145).
Ende der Entscheidung
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