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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: 16 K 147/07
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

16 K 147/07

Umsatzsteuer-Vorauszahlung Januar - April 2006

Tatbestand:

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 4. März 2005 wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des ... bestellt. Der Gemeinschuldner betrieb in ... ein Hotel mit Restaurantbetrieb. Diese unternehmerische Tätigkeit wurde vom Gemeinschuldner tatsächlich auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt. Grundlage war ein Schreiben des Klägers an den Gemeinschuldner vom 4. März 2005, durch den der Kläger den Geschäftsbetrieb "Hotel und Restaurant ..." aus dem Insolvenzbeschlag freigab. Im Schreiben heißt es wörtlich:

"Dies bedeutet, dass Sie auf eigene Rechnung den Betrieb ab dem 04.03.2005, sofern Sie dies möchten, weiterführen können. Sie sind jedoch gehalten, sämtliche mit dem Geschäftsbetrieb verbundene Aufwendungen, Kosten und sonstige Ansprüche selber zu bezahlen. Das Eingehen von Verbindlichkeiten, die nicht bezahlt werden können, stellt einen Straftatbestand dar.

Rechte Dritter an den in den Geschäftsräumen eingebrachten Gegenständen aufgrund von Eigentumsvorbehalten, Vermieterpfandrechten oder Sicherungsübereignungen werden durch diese Freigabe nicht berührt. Dies bedeutet, dass die Verfügbarkeit über Geschäftsräume und darin eingebrachte Gegenstände durch Dritte beschränkt ist.

Bei Fortführung des Geschäftsbetriebes sind Sie verpflichtet, eine Einnahmen- und Ausgabenüberschussrechnung zu führen, welche von Ihnen wöchentlich hier einzureichen ist. Ein Überschuss der Einnahmen und Ausgaben nach Steuern innerhalb der Pfändungsfreigrenze steht Ihnen zur Verfügung. ..."

Gegenüber dem Insolvenzgericht hatte der Kläger bereits in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter am 23. Februar 2005 ein Gutachten erstellt, in dem er u.a. zu den Aussichten für die Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners Stellung bezog. Danach sei eine Fortführung des Unternehmens in Form einer eigenständigen Sanierung nicht möglich. Eine Fortführung des Unternehmens in Form einer übertragenen Sanierung erscheine machbar.

In seinem Bericht gemäß § 156 Insolvenzordnung - InsO - vom 11. Mai 2005 hatte der Kläger ausgeführt, dass er als Maßnahme der Insolvenzverwaltung den Geschäftsbetrieb des Insolvenzschuldners mit Wirkung zum 4. März 2005 aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben habe. Im Protokoll im Insolvenzbericht über die nichtöffentliche Verhandlung in der Gläubigerversammlung vom 26. Mai 2005 (Bl. 109 der Insolvenzakten) ist vermerkt, dass der Geschäftsbetrieb vom Insolvenzverwalter aus dem Beschlag freigegeben wurde und der Betrieb freihändig vom Insolvenzschuldner weitergeführt werde.

Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die vom Kläger vorgenommene Freigabe rechtlich nicht möglich sei. Deshalb sei die Umsatzsteuer aus dem weitergeführten Betrieb als Masseverbindlichkeit anzusehen und gegenüber dem Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter festzusetzen. Dementsprechend setzte der Beklagte die Umsatzsteuern in den mit der Klage angefochtenen Steuerbescheiden fest. Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, die der Kläger im Wesentlichen wie folgt begründet:

Nach dem er gegenüber dem Insolvenzschuldner den Geschäftsbetrieb freigegeben habe, habe dieser seinerseits Mitarbeiter neu eingestellt, sich mit dem notwendigen Warenbestand versorgt und in der Folgezeit den freigegebenen Geschäftsbetrieb eigenständig bis Ende Juni 2006 fortgeführt. Die Freigabe des Geschäftsbetriebes sei rechtmäßig. Der Geschäftsbetrieb des Schuldners stelle einen Teil des Vermögens dar, dass nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehöre. Diesen Vermögensteil habe er, der Kläger, freigeben können, um zukünftige Masseansprüche zu vermeiden. Die vom Insolvenzschuldner danach eingegangenen Verpflichtungen ließen keine Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 InsO entstehen. Deshalb könne der Beklagte sie auch nicht gegenüber dem Kläger geltend machen.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuer 2005 vom 26. Februar 2006 sowie die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Monate Januar 2006 bis April 2006 sowie die hierzu ergangenen Einspruchsbescheide vom 13. Oktober 2006 und 18. Oktober 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält mit seiner Einspruchsentscheidung daran fest, dass die Freigabe des Unternehmens im Ganzen rechtlich nicht möglich gewesen sei. Nach der Insolvenzordnung könnten lediglich einzelne Vermögensgegenstände freigegeben werden. Die Freigabe eines Unternehmens als Gesamtheit von Vermögensgegenständen und Rechtspositionen sei folglich unzulässig. Aus der BFH-Entscheidung V R 87/99 vom 28. Juni 2000 ergebe sich nichts anderes.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.

Das Gericht hat die Insolvenzakten des Amtsgerichts Nordenham zu Aktenzeichen ... beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die mit dem Betrieb des Hotels und Restaurants .... seit 4. März 2005 erzielten Umsätze lassen Umsatzsteuer entstehen, die jedoch nicht zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO gehört. Deshalb ist eine Festsetzung gegenüber dem Kläger insoweit nicht rechtmäßig.

Es ist zu berücksichtigen, dass durch die Freigabeerklärung des Klägers vom 4. März 2005 dem Gemeinschuldner kein Vermögen, das nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehört, zur Verfügung gestellt worden ist. So hat der Kläger in seiner Freigabe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die für das Betreiben des Geschäftsbetriebes erforderlichen Gegenstände (Inventar, Küche) zur Insolvenzmasse gehören und dem Gemeinschuldner lediglich zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Dass diese Nutzungsmöglichkeit offenbar unentgeltlich erfolgt, mag ihren Grund darin haben, dass der Kläger selbst den Wert der Betriebs- und Geschäftsausstattung mit lediglich ... EUR bewertet hatte.

Auch die noch vorhandenen Vorräte gehörten weiterhin der Insolvenzmasse an. Auch hierauf hat der Kläger in seiner Freigabeerklärung ausdrücklich hingewiesen und dem Gemeinschuldner insoweit die Verpflichtung auferlegt, dass er bei einer entsprechenden Vorratsverwendung den entsprechenden Gegenwert an die Masse abzuführen habe. Damit wären allenfalls im Umfang der Verwendung der Vorräte eine umsatzsteuerliche Leistung zu sehen, die als Verwertungshandlung über § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu Masseverbindlichkeiten führen würde. Derartige Umsatzsteuerbeträge hat der Beklagte erkennbar in den angefochtenen Steuerfestsetzungen nicht festgesetzt.

Im Ergebnis ist durch die Freigabe des Geschäftsbetriebes festzuhalten, dass insoweit keine Begründung von Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgen konnte. Denn es fanden durch den ab 4. März 2005 vom Gemeinschuldner geführten Betrieb keine Handlungen statt, die dem Insolvenzverwalter, also dem Kläger, zuzurechnen wären oder die in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet wären. Das bloße Nutzen des Inventars oder der Geschäftsausstattung durch den Gemeinschuldner für seinen Geschäftsbetrieb löst noch keine Masseverbindlichkeiten aus. Sofern aus dem BFH-Urteil V R 5/04 vom 7. April 2005 eine gegenteilige Rechtsauffassung abzuleiten wäre, folgt der Senat dieser nicht.

Nach allem waren die angefochtenen Steuerfestsetzungen aufzuheben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).



Ende der Entscheidung

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