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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 27.08.2007
Aktenzeichen: 16 K 470/06
Rechtsgebiete: AO, InsO


Vorschriften:

AO § 251 Abs. 2 S. 1
InsO § 87
InsO § 178 Abs. 3
InsO § 179 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

16 K 470/06

Feststellungsbescheid im Insolvenzverfahren (§ 251 AO) wegen Umsatzsteuer 2004 und Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2004

Tatbestand:

Streitig ist die Frage, ob der Beklagte befugt war, während des Insolvenzverfahrens einen Feststellungsbescheid zu erlassen.

Das Amtsgericht C eröffnete mit Beschluss vom 1. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der BV GmbH (im folgenden: BV) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die BV gehörte zum Konzern D-Gruppe mit Sitz in D, für den das Finanzamt J zuständig war. Kläger und Beklagter gehen übereinstimmend davon aus, dass die Geschäftsleitung der BV seit Insolvenzeröffnung beim Kläger liegt und damit der Beklagte örtlich zuständig geworden ist.

Die BV hatte am 20. Dezember 2005 ihre Umsatzsteuererklärung für 2004 beim Finanzamt J abgegeben; dieses hat die Erklärung ohne Abweichung verarbeitet.

Das Amtsgericht C hat nach Insolvenzeröffnung die Gläubiger aufgefordert, Insolvenzforderungen bis zum 18. April 2006 anzumelden. Daraufhin meldete das Finanzamt J am 13. April 2006 beim Kläger Steuerforderungen gegen die BV in Höhe von 216.437,61 EUR zur Insolvenztabelle an, u.a.:

Umsatzsteuer 2004 2.195,42 EUR zuzüglich 64,50 EUR Säumniszuschläge

Umsatzsteuer 2005 23.128,01 EUR

Umsatzsteuer 2006 (1.1.-28.2.2006) 183.239,57 EUR zuzüglich 760,50 EUR Säumniszuschläge

Bei den Umsatzsteuern 2005 und 2006 handelte es sich um geschätzte Beträge; festgesetzt hatte das Finanzamt J die Umsatzsteuern 2005 und 2006 zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht.

Der Kläger hat die vom Finanzamt J angemeldeten Beträge wegen örtlicher Unzuständigkeit des FA J bestritten.

Mit Schreiben vom 28. Juni 2006 wies nunmehr der Beklagte den Kläger darauf hin, dass dieser gegen "die nachstehend aufgeführten Abgabenforderungen" Widerspruch erhoben habe. Die Umsatzsteuer 2004 sei bestandskräftig festgesetzt worden. Der Kläger möge mitteilen, ob er die Forderung anerkenne oder Gründe für eine Wiederaufnahme des steuerlichen Festsetzungsverfahrens mitzuteilen. Die übrigen Steuerforderungen seien zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht festgesetzt worden; sie seien durch Feststellungsbescheid festzustellen, sofern der Kläger seine Widersprüche nicht zurücknehme. Darauf erwiderte der Kläger, dass ihm eine Forderungsanmeldung des Beklagten nicht vorliege. Falls dieser die Abgabenforderungen beanspruche, möge er eine Forderungsanmeldung einreichen und das FA J veranlassen, seine Forderung zurück zu nehmen. Daraufhin reichte der Beklagte am 6. Juli beim Kläger eine Aufstellung der Forderungen gegen die BV ein, die außer den Umsatzsteuerforderungen noch weitere, für dieses Verfahren nicht erhebliche Abgaben umfasste.

Da der Kläger auch weiterhin seinen Widerspruch nicht zurücknahm, erließ der Beklagte am 28. August 2006 einen Feststellungsbescheid, in dem er Umsatzsteuerforderungen in der Höhe feststellte, wie sie das Finanzamt J angemeldet hatte. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Da nach dem Geschäftsverteilungsplan des Niedersächsischen Finanzgerichts für Klagen gegen Umsatzsteuerbescheide, die geschätzte Besteuerungsgrundlagen zum Gegenstand haben, nicht der Umsatzsteuerspezialsenat, sondern der Ertragsteuersenat zuständig ist, ist die Klage wegen Feststellung der Umsatzsteuern 2005 und 2006 einschließlich der steuerlichen Nebenleistungen beim 6. Senat unter dem Aktenzeichen 6 K 57/07 und nur die Klage gegen den Feststellungsbescheid hinsichtlich Umsatzsteuer 2004 zuzüglich Säumniszuschlägen beim erkennenden Senat erfasst worden.

Der Kläger hält den Feststellungsbescheid des Beklagten für rechtswidrig. Ein Feststellungsbescheid könne nur ergehen, wenn der Insolvenzverwalter eine angemeldete Insolvenzforderung bestreite. Der Kläger habe die Forderung des Beklagten aber nicht geprüft und damit auch nicht bestritten. Der Beklagte hätte einen gesonderten Prüfungstermin beantragen können, habe dies aber bislang nicht getan. Der Forderung des FA J, das Behörde eines anderen Bundeslandes und damit eines anderen Gläubigers sei, hätte der Kläger hingegen zu Recht widersprochen, weil dieses örtlich nicht zuständig sei. Dessen Anmeldung könne dem Beklagten nicht zugerechnet werden.

Einwendungen gegen die Höhe der Umsatzsteuer 2004 bzw. den Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2004 hat der Kläger nicht erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Feststellungsbescheid vom 28. August 2006 und den Einspruchsbescheid vom 3. November 2006 hinsichtlich der Umsatzsteuer 2004 und Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass er zu Recht die Umsatzsteuerforderungen durch Feststellungsbescheid festgestellt habe, weil der Kläger die Forderungen bestritten habe. Dass die Anmeldung ursprünglich durch das ehemals zuständige FA J erfolgt sei, sei unerheblich. Da die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen bisher nicht festgestellt worden seien, habe ein Feststellungsbescheid ergehen können.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist überwiegend begründet.

1. Der Beklagte durfte die Umsatzsteuer 2004 nicht durch Feststellungsbescheid festsetzen.

Aus § 251 Abs. 2 Satz 1 AO ergibt sich, dass während des Insolvenzverfahrens die Vorschriften des Insolvenzrechts jenen der Abgabenordnung vorgehen. § 87 InsO bestimmt insoweit, dass Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen können. Aus diesem Grunde darf die Finanzbehörde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Steuern nicht mehr durch Steuerbescheid festsetzen; ein dennoch ergangener Steuerbescheid ist unwirksam (BFH Urteil vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BStBl. II 2003, 630). Die Finanzbehörde muss ihre Forderungen deshalb nach §§ 174 ff InsO zur Insolvenztabelle anmelden.

Widerspricht jedoch im Prüfungstermin der Insolvenzverwalter oder ein anderer Insolvenzgläubiger der Forderung, so gilt diese als nicht festgestellt; die Feststellungswirkung des § 178 Abs. 3 InsO tritt nicht ein. In diesem Falle besteht Bedarf nach einem Verfahren, in dem geklärt werden kann, ob die behauptete Forderung tatsächlich existiert. Ein solches Verfahrens sieht § 251 Abs. 3 AO vor: Danach stellt die Finanzbehörde einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Insolvenzverfahren erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest. Gegen den Feststellungsbescheid ist der Einspruch und gegebenenfalls die Klage zum Finanzgericht statthaft.

Aus diesem Regelungszusammenhang folgt, dass das Feststellungsverfahren der Finanzbehörde dazu dient, sich analog zu den Vorschriften der §§ 180 ff InsO für das zivilrechtliche Verfahren einen Titel zu erstreiten, der gegen den Insolvenzverwalter bzw. die übrigen Insolvenzgläubiger wirkt. Umgekehrt ergibt sich daraus aber auch, dass kein Bedarf für einen Feststellungsbescheid besteht, wenn die Steuerforderung bereits vor Insolvenzeröffnung bestandskräftig festgesetzt worden ist, weil die Finanzbehörde dann bereits über einen wirksamen Titel verfügt. Dies lässt sich der Regelung des § 179 Abs. 2 InsO entnehmen, der für zivilrechtliche Forderungen klarstellt, dass es nicht mehr dem Insolvenzgläubiger bei Vorliegen eines vollstreckbaren Schuldtitels oder eines Endurteils obliegt, den Nachweis über das Bestehen seiner Forderung zu führen.

Für den Streitfall folgt daraus, dass hinsichtlich der Umsatzsteuer 2004 ein Feststellungsbescheid nicht mehr im Sinne des § 251 Abs. 3 AO "erforderlich" war, weil die BV hinreichend lange vor Insolvenzeröffnung eine Steueranmeldung hinsichtlich der Umsatzsteuer 2004 abgegeben hatte, die gem. § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand, und die Einspruchsfrist von einem Monat zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits abgelaufen war. Es existierte infolgedessen mit dem bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheid 2004 ein Titel. Zwar kann auch bei Ablauf der Einspruchsfrist zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein Feststellungsbescheid erforderlich sein, wenn etwa der Insolvenzverwalter dennoch Einspruch einlegt und Wiedereinsetzungsgründe in die Einspruchsfrist anführt oder die wirksame Bekanntgabe der Bescheide rügt. Eine solche Situation ist hier indes nicht gegeben, da der Kläger niemals das Bestehen der Umsatzsteuerverbindlichkeit als solches in Frage gestellt hat.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO der Finanzrechtsweg nur für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben ist. Dies ist auch hier zu beachten: Nur soweit zwischen dem Insolvenzverwalter und der Finanzbehörde Streit über eine Steuerforderung dem Grunde oder der Höhe nach besteht, ist das Finanzgericht berufen, im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 251 Abs. 3 AO über die Steuerforderung zu entscheiden. Besteht jedoch über andere Sachverhalte Streit - etwa weil sich der Insolvenzverwalter weigert, einen besonderen Prüftermin durchzuführen (§ 177 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder trotz Vorliegens eines Titels grundlos seinen Widerspruch in dem besonderen Prüftermin nicht zurücknimmt - so streiten die Beteiligten über die Pflichten des Insolvenzverwalters; es ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.

2. Anders zu beurteilen ist der Fall allerdings hinsichtlich des Säumniszuschlags zur Umsatzsteuer 2004. Insoweit hat der Beklagte zu Recht einen Feststellungsbescheid erlassen. Denn Säumniszuschläge (§ 240 AO) entstehen kraft Gesetzes, sie werden nicht durch Steuerbescheid festgesetzt. Anders als bei der Umsatzsteuer 2004 verfügte der Beklagte bezüglich des Säumniszuschlags noch nicht über einen Titel. Da der Kläger der Anmeldung der Forderung zur Tabelle widersprochen hatte, war es "erforderlich" im Sinne des § 251 Abs. 3 AO, einen Feststellungsbescheid zu erlassen, weil dies der einzige Weg war, der dem Beklagten während des Insolvenzverfahrens zur Verfügung stand, um einen Titel zu erhalten. Ein berechtigtes Interesse des Beklagten am Erlass eines Feststellungsbescheides bestand auch deshalb, weil der Kläger - anders als bei der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzung 2004 - neben der Frage der Behördenzuständigkeit jederzeit auch die Höhe des Säumniszuschlages hätte thematisieren können und es dann ohne den Feststellungsbescheid nicht zu keine Klärung der Höhe der Forderung des Beklagten käme.

Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Klägers, dass die Anmeldung der Forderung durch das Finanzamt J mangels örtlicher Zuständigkeit rechtlich unbeachtlich war, jene durch den Beklagten im Hinblick auf den Prüfungstermin verspätet erfolgte. Denn die beiden Finanzämter haben nicht unterschiedliche, sondern dieselbe Forderung geltend gemacht. Gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Es gibt deshalb nur eine Forderung wegen Umsatzsteuer 2004 und Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2004 gegen die BV und nicht jeweils eine des Finanzamts J und des Beklagten. In diesem Zusammenhang ist der Rechtsgedanke des § 127 AO zu beachten: Nach dieser Rechtsnorm ist ein von einem örtlich unzuständigen Finanzamt erlassener Verwaltungsakt dennoch wirksam, wenn er nicht noch andere Rechtsfehler aufweist. Diese für den Erlass von Verwaltungsakten geltende Vorschrift ist nach Auffassung des Gerichts im Falle der Anmeldung von Steuerforderungen zur Insolvenztabelle entsprechend anzuwenden, weil die Anmeldung der Forderung während der Insolvenz den Erlass eines Steuerbescheides substituiert. Es ist nicht ersichtlich, warum außerhalb der Insolvenz ein von der örtlich unzuständigen Behörde erlassener Steuerbescheid wirksam sein, im Falle der Insolvenz der Anmeldung der Forderung durch die mit Insolvenzeröffnung örtlich unzuständig gewordenen Finanzbehörde keinerlei Bedeutung zukommen soll.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO bzw., soweit die Klage abgewiesen wurde, auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, weil der Kläger nur geringfügig unterlegen ist.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

5. Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.

Ende der Entscheidung

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